Kapitel 11 ✔️
Mühsam öffnete ich erst ein Auge, dann das zweite. Das Shirt klebte an meinem Körper und ein kleiner Schweißtropfen rann meinen Hals hinunter. Wer zum Teufel hatte die Heizung aufgedreht? Und was war dieser schwere Gegenstand auf meiner Taille?
Ich streckte eine Hand aus, die direkt gestoppt wurde. Vor mir befand sich eine Wand, hinter mir ebenso. Moment, die zweite Wand war die Wärmequelle.
Vorsichtig warf ich einen Blick über die Schulter. Meine Vermutung bestätigte sich. Die Heizung war menschlichen Ursprungs und es war nicht Giulia. Dafür roch die Person zu herb, zu männlich. Mir fiel wieder ein, dass ich auf einer Poolliege eingepennt war. Jemand hatte mich dann in dieses Zimmer gebracht. Vermutlich der Typ hinter mir. Ich schnaubte leise, um ihn bloß nicht aufzuwecken.
Welcher von den Mistkerlen wagte es, ungefragt mit mir zu kuscheln? Die Morgendämmerung erhellte leicht den Raum. Genug, um ein wenig zu erkennen. Ich knabberte auf meiner Unterlippe. Sollte ich es wagen?
Die Neugierde siegte. Vorsichtig schubste ich den Arm von meiner Taille und drehte mich um. Verwuschelte braune Locken, die unwiderstehlich weich aussahen. Luca. Das hätte ich mir denken können. Nachdenklich betrachtete ich seine entspannten Gesichtszüge. Er schien mit sich und der Welt völlig im Reinen zu sein. Mein Blick wanderte wieder hoch zu seinen Haaren. Vorsichtig streckte ich eine Hand aus und wickelte mir eine Haarlocke um den Zeigefinger. Wenn er jetzt aufwachte, auweia. Schnell ließ ich die Locke wieder los. Wie eine Sprungfeder sprang sie zurück. Der Italiener schlief seelenruhig, ohne jegliche Regung. Und sowas nannte sich Mafioso. Dafür war er viel zu sorglos.
Ich betrachtete ihn weiter. Seine Wimpern waren dicht und lang. Kein Wunder, dass sein Blick mich immer festhielt, wenn obendrein seine faszinierenden Augen ins Spiel kamen. Seine Nase war gerade, nicht zu schmal und nicht zu breit. Und sein Kinn war zwar markant, aber nicht dominant wie bei Lord Farquaad.
Oh mein Gott. Wie kam ich jetzt auf Lord Farquaad? So abscheulich wie der Bösewicht aus Shrek war Luca wahrhaftig nicht.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Aber nur kurz. Dann kletterte ich vorsichtig aus dem Bett, um den Blödmann nicht aufzuwecken. Da stand ich nun in Lucas Zimmer. Wieso hatte er mich nicht in das von Giulia und mir gebracht?
Der vollgeschwitzte Stoff des Shirts klebte an meiner Haut. Ohne die Wärme des Italieners stellten sich die Härchen auf meinem Körper auf. Ich rümpfte die Nase. Wenn er mich unbedingt in sein Zimmer schleppen musste, dann konnte ich ihm bedenkenlos Klamotten klauen. Ohne Gewissensbisse zog ich ein sauberes Shirt aus seiner Reisetasche. Immerhin hatte er ein zweites. Nur wo war bitte schön meine Jeans? Suchend schaute ich mich um. Ah, dort auf dem Stuhl. Neue Unterwäsche wäre zwar auch nett, aber es musste jetzt so gehen. Den Fakt, dass die miese Ratte mir die Hose ausgezogen hatte, ignorierte ich mal, statt ihm dafür den Stuhl überzuziehen. Onkel Sam wäre sicher stolz auf mich, dass ich so brav mitspielte.
Leise lief ich mit den Klamotten in das kleine Badezimmer, das zu diesem Zimmer gehörte. In einem Regal lagen einige Handtücher und sogar Waschlappen. Perfekt.
Ich wusch mich mit Lucas Duschgel. Meine Haare mussten warten, bis ich zuhause war.
Danach zog ich mir das Shirt und meine Jeans über. Ersteres war erwartungsgemäß etwas groß, aber besser als nichts, dachte ich achselzuckend. Zurück im Zimmer schlüpfte ich in meine Sneakers, dann schlich ich aus dem Raum, einen schlafenden Luca zurücklassend.
Einer Eingebung folgend öffnete ich die Tür zu Giulias Zimmer und lugte hinein. Lag doch die liebe Giulia mit Marco im Bett. Beide schliefen tief und fest. Kopfschüttelnd betrachtete ich das Liebespärchen kurz. Das würde Emiliano mit Sicherheit missfallen, so wie ich ihn einschätzte. Aber es war nicht mein Job, die zwei zu verpfeifen.
Leise schlich ich in den Raum und holte mir Unterwäsche aus meiner Tasche, die ich ebenfalls gleich mitnahm. Schnell zurück damit in das andere Zimmer. Erneut verschwand ich im Bad und wechselte den Slip. Später zuhause eine entspannende warme Dusche, dann wäre der Tag gerettet.
Die Sonne färbte den Horizont in ein sanftes Rot. Einen Moment genoss ich die friedliche Stille des frühen Morgens. Ich linste zum Bett. Luca schlummerte dort selig lächelnd, mein Verschwinden unbemerkt. Stattdessen hielt er die Decke in seinen Armen. Der taugte wirklich nicht zum Mafioso. Kopfschüttelnd überlegte ich. Im Zimmer zu bleiben, sah ich nicht ein. Sollte Luca doch allein aufwachen. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Jim vermisste mich mit Sicherheit.
Geräuschlos verließ ich das Zimmer und machte mich auf den Weg zur Bibliothek. Ab und an blieb ich stehen und lauschte. Ich hatte keine Lust, um diese Uhrzeit jemanden von der Chaotentruppe zu begegnen. Mein Nacken kribbelte und ich hielt inne. Von unten drangen leise Stimmen zu mir hinauf. Vorsichtig schlich ich zur Treppe.
„Wir sollten sie auf jeden Fall im Auge behalten", hörte ich die tiefe Stimme von Lorenzo. Wen wollten sie im Auge behalten? Aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn er redete weiter. „Denkst du, dass sie es ist?"
„Ich weiß es nicht. Wir dürfen nichts überstürzen. Vor allem, solange wir keine Beweise haben." Das war eindeutig Michael Black Cloud.
„Da stimme ich dir zu. Wir sollten sie mehr in die Familie einbinden. Dann wird sich schon herausstellen, wer sie wirklich ist." Lorenzo verstummte kurz. „Ihre Geschichte hat sich echt angehört. Aber sie kann auch einstudiert sein."
Ein bitterer Geschmack stieg meine Speiseröhre empor. Die beiden Mafiosi sprachen eindeutig über mich. Die Tarnung reichte somit nicht aus. Onkel Sam hatte sich getäuscht. Ich schluckte die Galle angewidert runter. Scheiße. Wollte ich heil aus der Sache rauskommen, musste ich mich zwangsläufig zurückziehen. Nicht nur wie geplant von Luca, sondern ebenfalls von Giulia. Missmutig schlich ich in die Bibliothek, wo ich zwei Stunden später von einem gutgelaunten Mario aufgestöbert wurde.
„Kommst du mit uns frühstücken?"
„Nee, lass mal lieber. Ich hab gestern zu viel gegessen. Mir ist noch leicht übel." Freilich nicht vom Vortag, aber das war meine Angelegenheit.
„Wenn du was brauchst, sag mir einfach Bescheid." Schnell verwuschelte er mit seiner Hand meine Haare und verließ dann fluchtartig die Bibliothek. Als ob er fürchtete, dass ich ihn dafür umbrachte. Blödmann, wenn auch ein liebenswerter. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Entspannt las ich weiter.
Nach einiger Zeit öffnete wieder jemand die Tür. Hatte man hier nie seine Ruhe? Ich ließ meine Lektüre sinken.
„Gina?" Luca kam zu mir und hockte sich vor das Sofa. „Bist du jetzt sauer auf mich? Weil ich dich letzte Nacht in mein Zimmer gebracht habe?"
Ich legte das Buch zur Seite. Wie zuvorkommend von ihm, dass er mich direkt darauf ansprach.
„Dachtest du etwa ich würde vor Begeisterung in die Luft springen? Ich bin keine Schlampe, die du einfach in dein Bett mitnehmen kannst", zickte ich ihn wie auf Kommando an.
„Ich wollte doch nur..."
„Was wolltest du nur?", fiel ich ihm mit eisiger Stimme ins Wort.
„Naja," druckste er herum, „ich wollte doch nur Giulia und Marco etwas Zeit füreinander ermöglichen."
„Ja klar, völlig uneigennützig von dir." Ich schnaubte verächtlich. „Ich bin kein Mädchen, das mit jedem Typen in die Kiste springt, du Idiot."
Wutschnaubend stand ich auf und stiefelte aus der Bibliothek. Auf dem Gang packte Luca meinen Arm und zog mich zurück.
„Du bedeutest mir einfach viel", hauchte er heiser.
„Du kennst mich doch kaum."
„Dann gib mir eine Chance, das zu ändern." Er schaute mich mit seinen braunen Augen so bittend an, dass mein Magen sich verkrampfte. Das Gespräch nachher würde nicht nur ihm wehtun. Ich riss mein Handgelenk aus seinem Griff, doch er packte es erneut.
„Was ist denn hier los?" Die Nervensäge ließ verschreckt von mir ab, als er Emilianos Stimme hörte.
„Luca kapiert nicht, dass ich auf mich allein aufpassen kann und lässt mich daher einfach nicht in Ruhe."
„Du bist eine Frau und brauchst einen Beschützer." Das hatte er nicht gesagt! Ich starrte Emiliano finster an. Was bildete der sich überhaupt ein? Ich drehte mich um und lief wutschnaubend die Treppe runter, an deren Ende ich fast mit Marco zusammenstieß. Er sprang gerade noch rechtzeitig aus dem Weg.
„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?", fragte er mich verdutzt.
„Die zwei Machos da." Ich zeigte auf die beiden Trottel, die mir die Treppe hinunter folgten. „Kannst du mir mal eine Schusswaffe leihen?"
Marco prustete los. „Stimmt, da war ja noch was. Komm mal mit zum Schießstand."
„Was willst du denn mit Angelina am Schießstand?" Emilianos Blick bohrte sich in meinen Rücken.
„Angela meinte am Dienstag, dass sie schießen kann. Das darf sie jetzt unter Beweis stellen."
Zu viert marschierten wir zum Schießstand, an dem schon Mario und Matteo unter den wachsamen Augen von Lorenzo übten. Meine Laune sank noch weiter. Wieso war der hier?
Marco zog mich zu einem Tisch, auf dem verschiedene Handfeuerwaffen lagen. Ich entschied mich für eine QSZ-92, eine halbautomatische Pistole. Die Desert Eagle ließ ich absichtlich liegen. Sie verursachte zwar mehr Schaden, dafür war sie aber mehr als doppelt so schwer. Ein bisschen hielt ich an meiner Rolle fest. Sonst hätte ich vermutlich nach einer Smith & Wesson Model 500 gefragt, der stärksten Handfeuerwaffe der Welt. Luca reichte mir Ohrenschützer, die ich überstülpte. Dann feuerte ich sechs Schüsse auf die Zielscheibe ab.
Als diese näher gefahren wurde, um meine Treffer zu kontrollieren, hörte ich hier und da ein Raunen. Irgendwer stieß sogar einen kleinen Pfiff aus. Tja, ich hatte mich mal wieder selbst übertroffen. Alle Kugeln ins Schwarze. BÄM! Nehmt das ihr verdammten Machos!
„Bemerkenswert." Lorenzo fand als Erster seine Sprache wieder. Ich drehte mich breit grinsend um. Mein Blick huschte zu Michael, der irgendwann während meiner Demonstration aufgetaucht war. Er musterte mich mit seinen undurchdringlichen dunklen Augen. Mir fiel wieder das Gespräch ein, das ich belauscht hatte.
Scheiße. Mit meiner Lara-Croft-Nummer hatte ich ihnen einen weiteren Grund geliefert, mich mit Argwohn zu betrachten. Wieso hatte ich nur so angegeben? Ich sollte hier schleunigst verschwinden.
„Luca, kannst du mich jetzt bitte nach Hause fahren? Ich möchte den Rest des Tages noch lernen." Ich drängte mich eiligst an ihm vorbei.
Er nickte nur und folgte mir still zurück zum Haupthaus, die Stirn in Falten gelegt. Wir holten unsere Sachen aus dem Obergeschoss und ich verabschiedete mich mit einer Umarmung von Giulia. Luca besorgte etwas aus der Küche, dann fuhren wir los.
Den ersten Teil der Fahrt schwiegen wir einander an. Bis sich mein Magen lautstark beschwerte, weil ich nicht gefrühstückt hatte. Lucas Mundwinkel zogen sich nach oben.
„In dem Päckchen auf dem Rücksitz ist was zu essen für dich. Ich dachte, ich nehme dir etwas mit, da du meinetwegen auf dein Frühstück verzichtet hast."
„Danke." Süß von ihm. Er war ein wahrer Gentleman. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen, doch genauso schnell verschwand es wieder. Ich schnappte mir das Päckchen und wickelte es aus. Um genau zu sein, waren es zwei Päckchen. In einem fand ich leckere Focaccia mit Rosmarin und in dem anderen drei Cornetti. Das waren süß gefüllte Hörnchen.
Zuerst verputzte ich die Focaccia. Dann biss ich in ein Cornetto. Lecker, es war mit Schokocreme, nicht mit Marmelade.
„Freut mich, dass es dir schmeckt." Aus dem Augenwinkel betrachtete ich ihn. Seine verwuschelten Locken sahen aus, als ob er gerade aus dem Bett kam. Ein Kribbeln schoss durch meinen Körper.
„Mhmmm", brachte ich nur heraus, damit beschäftigt, nicht das ganze Auto vollzukrümeln. Mein schlechtes Gewissen meldete sich erneut, doch ich ignorierte es gekonnt. Dieser Plan stand zwar in völligem Gegensatz zur Mission, aber ich wollte gern meinen eigenen Arsch erst einmal in Sicherheit wissen.
Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend. Zuhause angekommen folgte Luca mir in die Küche.
„Können wir jetzt reden? Warum gehst du mir aus dem Weg?"
„Weil du ein verdammter Mafioso bist", flutschte es mir raus.
„Autsch. Ich hab auch Gefühle." Jetzt schmollte er schon wieder. Wie ein kleiner Junge, dem man Unrecht getan hatte, schaute er mich an. Auch wenn er so verdammt niedlich aussah, ich würde nicht klein beigeben.
„Luca, du passt nun mal nicht in meinen Lebensplanung. Ich will entweder Kriminologie oder Forensik studieren. Dann stehe ich auf der gegnerischen Seite."
„Du könntest uns doch als Spitzel helfen", versuchte er mich umzustimmen.
„Nein, das würde ich nie tun. Ich werde mich niemals mit der Mafia oder einem ihrer Mitglieder einlassen. Niemand, wirklich niemand von euch ist mir so viel wert, dass ich zu einer Kriminellen werde."
Ich beobachtete, wie ihm nach meiner Aussage sämtliche Farbe aus dem Gesicht entwich. Seine sonst strahlenden Augen sahen fast schon leblos aus. Schnell drehte ich mich von ihm weg und nahm mir ein Glas aus dem Regal. Ich füllte es mit Wasser, als sich zwei Arme um meinen Bauch schlangen. Der Körper hinter mir bebte, ein kleiner Tropfen landete auf meinem Nacken und rollte nach unten. Gefolgt von einem Zweiten. Mir wurde schwer ums Herz. Mit Mühe unterdrückte ich meine eigenen Tränen.
Seine Arme verschwanden und er drehte mich zu sich um. Den Schmerz in seinen Augen zu sehen, war wie ein Messerstich ins Herz. Aber ich musste grausam zu ihm sein. Es war besser so für uns beide.
„Geh jetzt bitte und lass mich in Zukunft in Ruhe", wies ich ihn kalt an.
Traurig wandte er sich von mir ab. Kurz darauf hörte ich, wie die Haustür ins Schloss fiel. Meine Beine gaben nach und ich sackte auf den kalten Küchenboden. Die Tränen, die ich zuvor mühsam zurückgehalten hatte, bahnten sich ihren Weg.
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