Wer kriecht kann nicht stolpern, denkst du dir. Doch wenn wir aufgeben, enden...
... wir
,,Wir kriegen das hin, mein Schatz...'', sagte meine Mama beruhigend. Sie löste sich etwas von mir und nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände, um mir die Tränen mit sehr viel Vorsicht aus dem Gesicht zu streichen.
,,Wie, Mama? Wie sollen wir das schaffen? Du hast gehört, was er gesagt hat! Ich werde diesen Ansprüchen niemals gerecht!'', erwiderte ich kopfschüttelnd und brach erneut in Tränen aus.
Meine Mama seufzte leise, zog mich zurück in ihre Arme und verzweifelt krallte ich mich an ihr fest, um noch irgendeinen Halt zu finden. Ich vergrub mein Gesicht in ihrer Halsbeuge und schämte mich, sie und alle anderen mal wieder maßlos enttäuscht zu haben.
Wir standen genau dort, wo wir letztes Jahr auch schon gestanden hatten. Nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass ich ihr jetzt nicht scheinheilig versprechen konnte, dass ich es im nächsten Schuljahr besser machen würde.
Aber was hatte ich mir auch gedacht? Dass es dieses Schuljahr anders sein würde? Ich hatte doch noch nicht einmal selbst daran geglaubt, dass ich in diesem Jahr auch nur im Ansatz das erreichen würde, was ich mir vorgenommen hatte.
Bereits am ersten Tag hatte ich geschwänzt und bin viel lieber mit der Gang um die Häuser gezogen. Schon dort hatte ich meiner Mama vor Augen geführt, was für einen Fehler sie da in die Welt gesetzt hatte und, dass diese Versprechungen nur leerer Inhalt waren. Ich bin eine Schande!
,,Soll ich dich noch zum Auto bringen, oder hast du erstmal genug von mir?'', fragte ich unter Tränen, nachdem ich uns voneinander gelöst hatte und ließ mir ein Taschentuch von ihr reichen, um mir die Nase auszuschnauben.
,,Ist wirklich alles gut, mein Schatz? Ich kann auch noch etwas bleiben, das ist kein Problem.'' Besorgt musterte sie mich und legte nachdenklich den Kopf schief. Ich sah ihr in die Augen und hasste mich dafür, dass sie sich schon wieder solche Gedanken um mich machen musste.
,,Es geht schon - irgendwie. Ein Wunder, dass du überhaupt gekommen bist, um dir mal wieder anhören zu müssen, wie dumm ich bin.'', schnaubte ich und zerrupfte das Taschentuch, das ich in meinen stark zitternden Händen hielt.
,,Du bist doch nicht dumm, Timi und natürlich bin ich da, um dich zu unterstützen und dir seelischen Beistand zu leisten.'', erwiderte Mama lächelnd und nahm mich wieder fest in den Arm. Sie streichelte mir zärtlich über den Rücken und es brach mir das Herz. Ich hatte das nicht verdient...
,,Wie du meinst...'', zuckte ich unbeeindruckt mit den Schultern und fuhr mir die Tränen aus dem Gesicht. Meine Mama lächelte mich immer noch aufmunternd an und streichelte mir über die glühende Wange.
,,Gehen wir dann zu deinem Wagen?'' Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm ich die ersten Stufen der Treppe und Mama folgte mir. Die anderen Blicke der Schüler, die mich mit großen Augen ansahen und dann ihre Köpfe zusammensteckten, ignorierte ich, weil keiner von ihnen eine Ahnung davon hatte, wie es mir gerade ging und was ich durchmachen musste.
Ich ließ mir von Mama ein neues Taschentuch reichen, weinte leises in dieses, doch versuchte mich immer mehr zusammenzureißen. Ich wollte nicht, dass sie sich schon wieder Sorgen um mich machte und Angst davor hatte, dass ich mir etwas antun könnte, sobald sie weg fuhr.
Schließlich wusste sie, wie fertig mich so eine Art von Gespräch machen konnte und versuchte nach diesen immer an meiner Seite zu bleiben, mich aufzumuntern und mir eine starke Schulter zum Ausheulen zu geben.
Ich schätzte das auch und war mehr als glücklich darüber, so eine tolle Mama zu haben, die trotz all dem immer noch zu mir stand und mich nicht verurteile. Aber mittlerweile bin ich alt genug, um mit diesem Problem alleine fertig zu werden und so langsam gab es da auch nichts mehr zu dulden.
,,Mein Schatz, wenn irgendwas ist, dann schreib' mir ruhig, oder ruf' mich an. Mein Handy ist die ganze Zeit auf laut und es ist auch okay.'', sagte Mama mit einem stark besorgten Unterton in der Stimme, als wir bei ihrem Auto ankamen.
,,Ja, ich weiß...'', antwortete ich etwas genervt, zwang mir ein halbherziges Lächeln ab und legte den Kopf in den Nacken, damit die Tränen nicht herunterliefen. Ich wollte sie mit keinem schlechten Gewissen von hier wegfahren lassen und sie sollte das Gefühl haben, als würde es mir einigermaßen gut gehen.
Meine Mama öffnete ihre Arme, schloss mich fest in diese und streichelte mir beruhigend über den Rücken, während sie mir einen Kuss auf die Wange drückte und mir ins Ohr flüsterte, dass das Alles schon werden würde.
Wir lösten uns voneinander und sie lächelte mich an. Ich erwiderte ihr Lächeln, doch egal, wie sehr ich versuchte, stark zu sein, die erste, von unzähligen Tränen, rollte mir die Wange herunter. Mama handelte natürlich sofort, nahm mich erneut fest in den Arm und versuchte mich zu beruhigen.
Wie ein Ertrinkender krallte ich mich an ihr fest und wollte nur noch, dass es endlich aufhören würde. Ich wollte an nichts mehr denken, nichts mehr fühlen und genau so gleichgültig sein, wie ich es sonst auch war.
Aber das ist alles nur reine Fassade, denn in Wirklichkeit war mir die Schule nicht ganz so egal, wie ich das immer sagte. Es tat weh, solche Gespräche zu führen und jeden Tag aufs Neue mit dem Gedanken leben zu müssen, dass es für mich keine besonders rosige Zukunft gab.
Es machte mich fertig, dass ich nie die Unabhängigkeit erreichen würde, die ich irgendwann gerne hätte. Dass ich mit 40 immer noch bei Mama leben und mich von ihr durchfüttern lassen müsste, während alle anderen ihr Leben vollständig im Griff hatten.
Soweit ich es überhaupt bis zur 40 schaffen und mir nicht schon vorher in irgendeiner ranzigen Bahnhofstoilette den goldenen Schuss geben würde. Das ist schließlich das Einzige, worin ich irgendeine Ahnung hatte - Drogen, Sex und Partys, für mehr war in diesem Spatzenhirn kein Platz.
Ich löste mich von meiner Mutter, fuhr mir die Tränen aus dem Gesicht und schielte an ihr vorbei, um auf den gut gefüllten Schulhof zu sehen, wo einige Kinder Fangen spielten, andere in Gruppen zusammen standen und lachten und andere wiederum zu zweit eine Runde um das Gebäude spazieren gingen.
Jeder einzelne sah so sorglos und voller Hoffnung aus. Die Schule machte ihnen, bis auf einige kleine Ausnahmen, Spaß, weil sie alle wussten, dass sie keine Probleme hatten und es in die nächste Klasse schaffen oder den Abschluss kriegen würden.
Alles Kinder und Jugendliche, die jeden Morgen ihren Arsch hoch bekamen, um in die Schule zu gehen und sich wenigstens darum zu bemühen, irgendwas auf die Beine zu kriegen. Sie schrieben vielleicht nicht alle die perfekten Noten, machten aber etwas, um es trotzdem zu schaffen.
Und dann gab es da noch mich - Tim Wolbers. Der Typ, der mal wieder ein Krisengespräch mit seinem Klassenlehrer und seiner Mutter führen musste, weil dieser einfach nichts in seinen verdammten Kopf bekam und nicht verstehen wollte, wie Ernst die Lage mittlerweile war. Ich konnte nicht für immer hier bleiben...
Aber was hatte ich auch erwartet? Dass ich in den letzten Wochen, in denen ich jeden Tag zur Schule gegangen bin, alles gut machen könnte, was ich die letzten Jahre versäumt hatte? Dass ich wirklich die Kurve kriegen würde?
Da gab es nichts, was ich wieder gut machen konnte. Egal, wie sehr ich mich in den nächsten Monaten bemühen und mir den Arsch aufreißen würde, mein Durchschnitt würde noch immer weit unter dem Meeresspiegel liegen.
Es würde für den Abschluss reichen. Aber ist es wirklich das, was ich jemanden zeigen wollte? Zahlen, mit denen ich mich bei einer Firma bewerben wollte? Etwas, worauf ich in 5 Jahren immer noch stolz sein würde? Nein, das würde ich nicht, auch wenn ich es geschafft hatte....
,,Okay, mein Spatz, ich werd' dann los. Du musst langsam auch wieder rein...'' Schweren Herzens löste sich meine Mama von mir und griff nach ihrem Schlüssel, um das Auto aufzuschließen.
Ich nickte stumm, trat einige Schritte zurück und sah auf den Schulhof, wo es gerade geklingelt hatte und die Schüler so langsam Richtung Eingang gingen. Da, wo ich eigentlich auch hin müsste...
,,Mama, warte!'' Ich griff nach ihrem Handgelenk und stellte mein Bein zwischen die geöffnete Autotür. Meine Mama, die sich gerade auf dem Sitz niederlassen wollte, drehte den Kopf verwirrt zu mir und sah mich fragend an.
,,Kannst du mich... Kannst du mich bitte zu Lukas fahren?'', fragte ich aus dem Nichts, ohne es mir vorher nochmal gründlich überlegt zu haben. Wollte ich ihn damit auch noch nerven?
,,Aber Timi Schatz, du hast doch Unterricht.'', erwiderte sie entschuldigt und sah Richtung Schule.
,,Bitte, Mama!'', bettelte ich sie an und sofort bildeten sich einige Tränen in meinen Augen.
Mama seufzte leise, musterte mich unsicher und presste die Lippen aufeinander, weil sie wahrscheinlich nichts Falsches sagen wollte. Meine Hände begangen wieder zu zittern und nervös trat ich von einer Stelle auf die Nächste.
,,Mein Schatz, du weißt, was dein Lehrer gerade zu dir gesagt hat. Du kannst dir nicht mehr viel erlauben, da ist nicht mehr viel Spielraum.'', erwiderte sie unentschlossen, sah mich aber etwas ernster an.
,,Ja, ich weiß doch...'', sagte ich leise und starrte auf den Boden. Ich wusste, dass es keine schlaue Entscheidung ist und ich gerade jetzt in der Schule präsent sein sollte, aber ich brauchte ihn und das dringend.
,,Mama, darf ich dann bitte zu ihm? Ich weiß, dass es scheiße ist, wieder zu fehlen und damit anzufangen, aber es geht gerade nicht.'', fragte ich unter Tränen und schnaubte verzweifelt ins Taschentuch.
,,Du musst mir aber versprechen, dass es nur bei diesem einen Mal bleibt. Du hast gehört, was dein Lehrer gesagt hat. Das ist wirklich Ernst jetzt und da gibt es keine Entschuldigungen mehr. Das ist eine Ausnahme - die Allerletzte.'', warnte mich Mama und stumm nickte ich.
,,Danke, du bist die Beste...'', lächelte ich, nahm sie in den Arm und ging daraufhin einmal um den Wagen, um mich auf dem Beifahrersitz niederzulassen. Ich schnallte mich an, warf meinen Rucksack nach hinten und Mama fuhr vom Parkplatz herunter.
Ehrlich gesagt war ich auch nicht wirklich begeistert von der Idee, jetzt zu Lukas zu fahren. Ich wollte ihn nicht nerven, denn er hatte momentan seine eigenen Probleme was die Schule anging.
Aber ich brauchte ihn. Schon vor dem Gespräch konnte er mich zurück auf den Boden der Tatsachen holen und mich davor bewahren, kurz vorm Ziel keinen spontanen Rückzieher zu machen.
Es machte mich nicht unbedingt glücklich, ihm schon wieder zeigen zu müssen, wie schwach ich bin. Aber genau so gut wusste ich, dass Lukas mehr als enttäuscht davon sein würde, wenn ich nicht mit ihm über meine Probleme und Sorgen sprach.
Schließlich hatte er mir in den letzten Wochen in vielen Dingen geholfen. Wenn ich eine Frage bezüglich der Schule hatte, oder mich einfach über einen Lehrer auskotzen musste, hatte er mir zugehört.
Lukas war auch der Grund, wieso ich das Ganze überhaupt machte. Nur durch ihn hatte ich den Weg zurück in die Schule gefunden und mich dazu aufgerafft dort hinzugehen, mitzumachen und mich ins Tests endlich mal anzustrengen.
Wenn ich mich momentan einer Person anvertrauen konnte, dann ist es er. Lukas würde mich verstehen und mir helfen, dass Gute an der ganzen Geschichte zu sehen und mir irgendeinen Hoffnungsträger geben, nicht alles sofort in den Sand zu setzen.
Bei Lukas' Schule angekommen, wagte ich mal wieder einen Blick zu Mama, die mich nicht ganze Fahrt über nicht ein einziges Mal angesehen, sondern sich nur auf den Straßenverkehr konzentriert hatte. Eher ungewöhnlich, weil sie sich sonst immer mit mir unterhielt.
,,D-Danke fürs Fahren...'', presste ich zwischen meine Lippen hervor und hatte Panik, dass mir das Herz in die Hose rutschen würde. Ich hatte Angst, sie mit dieser Frage komplett enttäuscht und alles kaputtgemacht zu haben, was wir uns gerade aufbauten.
Natürlich wäre es viel verantwortungsvoller und vernünftiger von mir gewesen, zurück in die Schule zu gehen und jetzt, nachdem mir mal gezeigt wurde, was ich alles zutun hatte, den Arsch hochzukriegen und sich anzustrengen.
Aber es hätte nichts gebracht, so ehrlich mussten wir beide sein. Die Konversation hatte meinen Kopf gefickt und selbst wenn ich in dem Raum gesessen hätte, wäre ich mit keiner Ahnung von irgendwas wieder aus diesem gegangen.
Ich wollte mein Benehmen nicht schön reden, aber es hätte wirklich nichts gebracht. Wenn mein Lehrer ein falsches Wort gesagt hätte, wäre ich komplett ausgerastet und Mama hätte mit dem Auto direkt wieder umdrehen können.
Es ist nicht unbedingt die schlauste Entscheidung, die ich getroffen hatte, aber immerhin die Richtige, um mich und andere vor einem bitteren Fall in die Dunkelheit zu schützen. Ich würde mich bessern, versprochen...
,,Ähm...dann bis heute Abend...'', verabschiedete ich mich unsicher von meiner Mama und öffnete die Autotür. Sie drehte ihren Kopf zögerlich zu mir, musterte mich und lächelte mich, zu meinem Erstaunen, aufmunternd an.
,,Bis heute Abend.'' Ich warf die Autotür zu, seufzte leise und kehrte ihr den Rücken zu.
Ich fuhr mir durch die Haare, schüttelte die Gedanken von mir ab und ging mit leicht zittrigen Fingern und Knien aus Wackelpudding in das Gebäude. Was eine Ironie, normalerweise müsste ich jetzt bei mir in der Schule und stattdessen hing ich bei Lukas rum.
Ich fragte im Sekretariat nach, in welchem Raum Lukas' Klasse gerade Unterricht hatte und wartete dann stumm vor der Tür. Ich sah mich in dem leeren Flur um, lehnte mich seufzend gegen die Heizung und spielte nervös mit meinen Fingern.
Ich hatte keine Ahnung davon, wie Lukas darauf reagieren würde. Ich hatte ihm erklärt, wie so eine Art von Gespräch ablief, jedoch bevor ich wusste, wie schlimm es um meinen Schulabschluss stand und was ich alles zu beachten hatte.
Ob Lukas enttäuscht von mir sein würde, weil ich es nicht schon eher gerafft hatte? Ob er mich auslachen würde? Ich hatte wirklich keinen Plan, was in ihm vorgehen würde, wenn ich ihm das Alles erzählte.
Bevor ich einen spontanen Rückzieher machen und aus dem Schulgebäude stürmen konnte, klingelte es zum Stundenende. Erschrocken zuckte ich zusammen, sah mich aber sofort suchend nach meinem Baby um.
Die ersten Schüler verließen den Klassenraum und mein Herz rutschte mir in die Hose. Ich fühlte mich unwohl bei den Blicken, die auf mich geworfen wurden und wollte am liebsten wieder gehen. Ja, gehöre hier nicht her, das habt ihr richtig erkannt...
,,Oh mein Gott, was ist denn mit dir?'' Leicht zuckte ich zusammen und sah auf, um in das besorgte Gesicht von Lukas' bester Freundin zu blicken, die vor mir stand und mich einmal fest in den Arm nahm.
,,Wo ist Lukas?'', fragte ich unter Tränen nach und bekam leichte Schnappatmungen. Oh Gott, ist er etwa nicht mehr in der Schule?
,,Der ist noch im Raum. Wir haben gerade einen Test geschrieben. Er sollte aber gleich fertig sein.'', erklärte sie mir und griff an ihre Mappe.
,,Dankeschön...'' Ich griff nachdem Taschentuch, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und ließ mir von Maria beruhigend über den Rücken streicheln.
Als sich erneut die Tür öffnete, setzte mein Herz einmal kurz aus. Lukas kam mit einigen anderen lächelnd aus dem Klassenraum getreten und unterhielt sich etwas mit diesen, bevor er sich von ihnen verabschiedete.
Er winkte ihnen breit lächelnd hinterher, doch sein Blick änderte sich schlagartig, als er mich heulend in Marias Arme bemerkte, die mir die ganze Zeit über den Rücken gestreichelt und mir immer wieder gesagt hatte, dass Lukas gleich kommen würde.
,,Baby...'', hauchte Lukas fassungslos und trat sofort auf uns zu, um mich in seine Arme zu schließen. Ich ließ mich in diese fallen und leise heulte in sein Shirt. Lukas streichelte mir beruhigend über den Rücken und drückte mir einen Kuss auf die Wange, was diese brennen ließ.
,,Was ist denn passiert?'', fragte Lukas nach und löste uns voneinander, um mir die Tränen aus dem Gesicht zu streichen.
,,Nichts eigentlich. Also...irgendwie...'', erwiderte ich unsicher und brach wieder in Tränen aus. Lukas zog mich zurück in seine Arme und streichelte langsam meinen Rücken auf und ab.
,,Pssscht, ich bin da...'', flüsterte er mir leise ins Ohr un drückte mich näher an sich, während ich mich an ihm festkrallte.
,,Können wir...ähm...können wir vielleicht zu mir? Ich möchte das nicht hier erzählen, ich fühl' mich nicht wohl...'', fragte ich schüchtern und sah unsicher zu Lukas nach oben. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und er nickte.
,,Natürlich, mein Kleiner...'', stimmte Lukas direkt zu und griff nach meiner Hand, damit wir zusammen die Treppen heruntergehen und das Gebäude verlassen konnten. Unten angekommen, löste sich Lukas kurz von mir, um sich von Maria zu verabschieden.
,,Gute Besserung, Timi.'', lächelte sie mich an und nahm mich nochmal fest in den Arm. Sie winkte uns noch zu und entfernte sich daraufhin einige Schritte von uns. Lukas drehte sie zu mir, lächelte mich an und streichelte mir mit seinem Handrücken zärtlich über die Wange.
[...]
,,Okay Baby, was kam denn jetzt bei dem Gespräch raus und wie ist es gelaufen?'', fragte mich Lukas, als wir es uns mit Tee, den wir eben gekocht hatten, auf dem Bett gemütlich machten.
Ich nahm einen Schluck des heißen Getränks, seufzte leise und starrte nachdenklich in die Tasse, um nach einer passenden Antwort zu suchen. Ich konnte spüren, wie ich am ganzen Körper zitterte und brauchte erstmal einige Minuten, um die richtigen Worte zu finden.
Ich hatte Angst, denn ich hatte keine Ahnung, wie Lukas auf folgende Worte reagieren würde. Wir hatten uns schon oft über die Schule unterhalten. Er kannte meine Noten und wusste, wie es um mich stand.
Jedoch war es mir zugegebenermaßen unsagbar peinlich, ihm vor Augen führen zu müssen, was für einen Vollidioten er sich da an seine Seite geholt hatte. Lukas ist so ein guter Schüler, so intelligent und dann kam ich.
Wenn man nach einem Gegenteil für Lukas suchen würde, wäre ich die perfekte Wahl. Wahrscheinlich lachte er sich heimlich immer wieder ins Fäustchen, weil er nicht verstehen konnte, wie eine einzige Person sich so schwer mit der Schule tun konnte.
Lukas versicherte mir zwar, dass er immer für mich da sein würde, wenn ich seine Hilfe brauchte, aber oft fragte ich mich, was er wirklich dachte, wenn ich über die Schule klagte. Ob ich mich nicht eher glücklich schätzen sollte, es so einfach zu haben.
,,Das Gespräch ist gut gelaufen.'', antwortete ich leise, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte und rührte mit dem Teebeutel in der Tasse umher.
,,Okay, das klingt schön. Was hat dein Lehrer denn so gesagt?'' Lukas rutschte etwas näher an mich heran und legte den Kopf schief.
Am liebsten wollte ich ihm keine Antworten auf all seine Fragen geben, denn ich hatte es satt, ständig zeigen zu müssen, was für ein armseliger Trottel ich doch bin.
Ich könnte mir die Antworten von ihm aus der Nase ziehen lassen und so lange keinen Ton von mir geben, bis Lukas irgendwann sagen würde, dass es OK für ihn wäre und wir wann anders darüber sprechen könnten.
Aber bevor ich diesen Gedanken in die Tat umsetzen konnte, rief die einzig' vernünftige Stimme in meinen Kopf mir ins Gewissen. Schließlich wollte ich von meiner Mama zu Lukas gefahren werden und hatte dafür extra Chemie geschwänzt.
Außerdem hatte Lukas es nicht verdient, dass ich ihn so behandelte, denn er versuchte mir nur zu helfen, wo es nur ging. Genau so gut hätte er schon längst Zuhause sein und viel wichtigere Dinge tun können, als sich, schon wieder, um mich zu kümmern.
,,Wie lief eigentlich dein Test? Du hattest gar nichts erwähnt...'', fragte ich stattdessen und leicht verdutzt sah mich mein Freund an.
,,Der Test lief soweit gut. Ich hatte nur nichts gesagt, weil wir den spontan geschrieben haben.'', antwortete Lukas etwas irritiert, lächelte mich aber an.
,,Okay, freut mich...'', nuschelte ich und spielte nervös mit dem Henkel meiner Tasse.
,,Danke.''
,,Aber was ist denn bei dir passiert, Baby? Oder möchtest du nicht darüber sprechen?'' Lukas legte seine Hand auf mein Knie und streichelte vorsichtig über dieses.
,,Doch, schon...'', erwiderte ich leise und sah unsicher in seine blaugrauen Augen, die mich anstrahlten.
,,Ich werd' keinen Abschluss bekommen...'', rückte ich zögerlich mit der Sprache heraus und brach augenblicklich in Tränen aus.
Lukas handelte natürlich sofort, stellte unsere Tassen beiseite und zog mich in seine Arme, um mir beruhigend über den Rücken zu streicheln. Ich heulte sein Shirt voll, krallte mich an diesem fest und schmiegte mich näher an ihn.
,,Was soll das denn heißen, dass du keinen Abschluss bekommst? Da muss es doch irgendeine Möglichkeit geben, oder?'' Fassungslos, aber besorgt zugleich, sah Lukas mich an und schüttelte mit dem Kopf.
,,Eine Chance gibt es schon...''
,,Aber?''
,,Aber ich weiß nicht, ob ich die ergreifen kann. Man Lukas... Das ist alles so kompliziert und da gibt es so vieles zu beachten!'' Ich löste mich von ihm, fuhr mir aufgebracht die Tränen aus dem Gesicht und wollte nicht darüber nachdenken. Es hatte eh keinen Sinn!
,,Keine Ahnung, erstmal muss ich einen Gesamtdurchschnitt von 4,4 haben und eine Mindestnote von 4 in allen Fächern. Wie soll ich das denn bitte schaffen? Ich stehe nicht nur in einem Fach 4 oder 5.'', fing ich aufgeregt zu erzählen an.
,,Dann kam noch sowas, dass ein Ausgleich nur mit einer 3 möglich ist, beziehungsweise auch mit einer 4. Dann zählen die Halbjahresnoten in Mathe und Deutsch doppelt, die der Prüfung nur einfach.''
,,Und keine Ahnung... Da ist einfach so viel, was man zu beachten hat und was noch alles gemacht werden muss. Für jemanden, der nur eine 5 hat, ist das vielleicht einfach, aber nicht für mich. Der will mich doch verarschen, der Hurensohn...''
,,Ich habe einfach Angst, dass ich das nicht packe. Bei mir ist das alles doch nicht so einfach und vor allem in so einer kurzen Zeit. Das sind nur noch 3 Monate! Und weißt du, wie viele freie Tage dazwischen sind?'' Ich begann schwer zu amten und Lukas zog mich fester in seine Arme.
,,Das kotzt mich richtig an alles. Ich hasse mich dafür, dass ich mal wieder zu spät verstanden habe, was für mich eigentlich auf dem Spiel steht. Jetzt sitze ich wieder hier und heule, obwohl ich schon längst etwas dagegen hätte tun können. Hätte ich mich mal von Anfang an zusammengerissen, gäbe es das Problem nicht!''
Ich weinte leise in sein Shirt, krallte mich an ihm fest und Lukas streichelte mir beruhigend über den Rücken. Er hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe, fuhr über mein Gesicht und am liebsten wollte ich in einem Loch versinken, aus dem ich nie wieder herauskommen würde.
,,Timi, hör' auf dich ständig schlecht zu reden. Natürlich wäre es alles einfacher, wenn du dich schon von Anfang an zusammengerissen hättest. Aber jetzt müssen wir es nehmen, wie es ist. Wir kriegen das hin, keine Sorge. Es ist noch nichts verloren.'', munterte mich Lukas lächelnd auf.
,,Ach ja, und wie?'', fragte ich etwas aufgebrachter nach und löste mich von ihm.
,,In dem wir so weitermachen, wie du es in den letzten zwei Wochen auch getan hast. Das ist doch schon mal ein großer Schritt nach vorne gewesen. Das hat doch bis jetzt perfekt funktioniert.'', redete er ermutigend auf mich ein.
,,Das geht eh nicht mehr lange gut...'', zuckte ich mit den Schultern und starrte auf die Bettdecke.
,,Warum sollte es denn nicht mehr gut gehen?''
,,Weil das so ist, okay?!'', sagte ich etwas lauter und Lukas schreckte leicht zurück.
,,Du kannst mir ruhig sagen, wie dumm du mich eigentlich findest. Lach' mich auch ruhig aus, ich komm' damit klar...'', sagte ich unter Tränen, doch strich mir diese sofort aus dem Gesicht, weil ich nicht zeigen wollte, wie schwach ich bin.
,,Was redest du denn da, Timi? Warum sollte ich dich auslachen und dir sagen, dass du dumm bist?'' Lukas rückte wieder näher an mich heran, streichelte mir zärtlich über den Rücken, legte aber den Arm nicht um mich.
,,Weil das wahrscheinlich alle machen würden. Was soll man denn sonst von mir denken, wenn man meine Noten sieht? So dämlich kann doch kein Mensch sein...'', erklärte ich ihm heiser und traute mich gar nicht, ihm in die Augen zu sehen. Ich bin ein Idiot...
Lukas seufzte leise, schlang die Arme um meinen Hals und zog mich zurück in diese, um mir beruhigend über den Rücke zu streicheln. Ich lehnte mich an seine Schulter und verlor eine Träne nach der Anderen.
Er reichte mir ein Taschentuch und drückte mir einen Kuss auf die Lippen, während ich mich immer schlechter fühlte. Es ist ein Fehler gewesen, Lukas von der Schule abzuholen und ihn schon wieder mit meinen Problemen konfrontieren zu müssen.
Andauernd offenbarte ich ihm die schlimmsten Seiten von mir und wenn so weiterging, würde es mich nicht wundern, wenn er in einigen Wochen die Biege machen und mich für immer verlassen würde. Ich hatte ihn nicht verdient...
,,Timi Schatz, ich weiß, dass du das nicht hören möchtest, aber deine Noten sagen rein gar nichts über deine Intelligenz aus. Das sind nur irgendwelche Zahlen, die keinerlei Bedeutung haben. Es gibt so viele Menschen da draußen, die eigentlich total gut sind, aber in vielen Tests oder Klausuren total reinscheißen, weil sie so aufgeregt sind und gar nicht mehr wissen, wo hinten und vorne ist.'', sprach Lukas beruhigend auf mich ein.
,,Du willst mich aber nicht ernsthaft mit denen vergleichen, oder? Lukas, das sind Menschen, die trotzdem regelmäßig zur Schule gehen, lernen und mitarbeiten. Bei denen hapert es nur an den Prüfungen und nicht daran, dass sie ständig schwänzen und nichts machen. Wäre dieser verdammte Prüfungsstress nicht, würden die das auch packen.'', hielt ich direkt dagegen und mein Freund verdrehte die Augen.
,,Ja, natürlich kann man das nicht. Ich will dir damit nur sagen, dass es selbst bei den Besten nicht immer perfekt läuft und die auch gerne mal auf der Kippe stehen. Aber deine Noten, die sagen doch rein gar nichts über dein wahres Können aus. Selbst der dümmste Mensch kann einen Schnitt von 1,0 haben, so lange er sich anstrengt. Es ist scheiße, dass diese Zahlen so eine große Rolle spielen, aber irgendwann interessiert es eh keinen mehr, was dort auf dem Papier steht.''
,,Aber Lukas, es steht trotzdem so viel auf dem Spiel für mich. Es geht ja nicht nur um eine Note bei mir, sondern meine komplette schulische Laufbahn ist für'n Arsch. Ich hab' einfach keine Ahnung, wie man noch irgendwas gerade biegen soll. Ich schaff' das nicht...'' Ich vergrub die Hände im Gesicht und begann wieder leise zu weinen.
,,Ich bin einfach nur eine Schande und das für jeden. Jedes Jahr aufs Neue hab' ich meiner Mama versprochen, dass ich mich bessern werde - und wofür? Damit sie im nächsten Schuljahr wieder zur Schule kommen muss, um ein Gespräch zu führen. Nur, damit sie wieder gezeigt bekommt, womit mein Vater all die Jahre Recht hatte, ihm nur keiner glauben wollte?''
,,Ich sollte es einfach aufgeben, es wird eh nichts bringen, da noch irgendwas zu reißen. Ich will diese Enttäuschung nicht auf mich nehmen, die haben werde, wenn alle Kosten, Zeit und Energie sich nicht gelohnt hat. Mein Klassenlehrer hätte mich auch gleich von der Schule schmeißen können, das wäre für alle Beteiligten besser gewesen...'', zuckte ich gleichgültig mit den Schultern.
,,Timi, hör' jetzt mal auf, es reicht!'', erwiderte Lukas etwas aufgebrachter und löste sich einige wenige Zentimeter von mir.
,,Aber ich...''
,,Nein, jetzt sagst du mal gar nichts und hörst mir zu!'', unterbrach Lukas mich, legte seinen Finger auf meine Lippen und sah mich etwas ernster an.
,,Ich kann verstehen, dass das Alles nicht leicht für dich ist. Es ist eine scheiß Situation und natürlich ist es mehr als verständlich, dass du dich dafür hasst, nicht schon eher den Arsch hochgekriegt und realisiert zu haben, dass das hier die allerletzte Chance ist, doch noch einen Schulabschluss zu bekommen.''
,,Aber Timi... Man, verdammte Scheiße, hör' damit auf ständig so schlecht über dich zu reden und zu sagen, dass du dies und jenes nicht schaffen wirst, dann wird das nämlich erst recht nichts. Du guckst nur auf das, was schief gelaufen ist oder schief laufen könnte. Aber denk' doch auch mal darüber nach, was du in den letzten Wochen alles geschafft hast. Da gibt es so viele Dinge, auf die du stolz sein kannst.''
,,Du hast es nach 5 Jahren endlich geschafft, zwei Wochen am Stück in die Schule zu gehen, ohne auch nur eine Stunde davon zu schwänzen oder zu verpennen. Und weißt du, was du in den zwei Wochen alles geschafft hast? Du hast eine 2 in einer Klassenarbeit geschrieben, ohne überhaupt dafür gelernt zu haben und das nur, weil du mal nicht aufgegeben, sondern es einfach mal probiert hast. Dann die 1 in Geografie und wer weiß, was bei deinem Text in Philosophie rauskommt, für den du ganze 3 Seiten geschrieben hast.''
,,Natürlich wird der Weg, den du jetzt gehen wirst kein einfacher und mit vielen Hindernissen verbunden sein. Da gibt es einige Steine, die aus dem Weg geräumt werden müssen. Aber Timi, du wirst damit nicht alleine gelassen. Du möchtest es nicht, aber wenn du Hilfe brauchst, bin ich gerne für dich da und nehme mir auch die Zeit. Von mir aus sitze ich gerne den ganzen Nachmittag mit dir zusammen und lerne für irgendeinen Test, oder helfe dir dabei, einen Vortrag vorzubereiten.''
,,Du hast noch so viele Möglichkeiten, an diesen Abschluss zu kommen und es ist noch nicht alles verloren. Selbst wenn es jetzt nicht klappen sollte, gibt es immer eine Chance das nachholen zu können. Du bist gerade mal 18 und hast noch so vieles vor dir. Die Ergebnisse werden nicht von heute auf morgen kommen, das ist klar. Aber glaub' mir, wenn du in 3 Monaten dein Zeugnis in den Händen hältst, wirst du stolz auf dich sein und wenn du es nicht bist, bin ich es eben.''
,,Es ist deine Entscheidung, was du machen möchtest. Ob du die Chance greifst, oder es in den Boden stampfst, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Du kannst alles machen was du willst und egal, für was du dich entscheidest, ich werde bei dir sein und dich unterstützen, wo es nur geht - selbst wenn der Rest der Welt gegen dich ist.'', lächelte Lukas mich mit funkelnden Augen an.
Ich sah sah mit großen Augen zu ihm und meine Zunge fühlte sich mit einem Mal wie taub an. Ich hatte keine Ahnung, was ich auf seine Worte erwidern sollte und fühlte mich so gerührt. Das Einzige, was ich tun konnte, war es, ihn einmal fest in den Arm zu nehmen und leise in sein Shirt zu weinen.
,,Danke...'', war das Einzige, was ich mit gebrochener Stimme und unter Tränen hervorbringen konnte. Lukas schlang sofort die Arme um mich, zog mich dichter an sich heran und streichelte mir zärtlich über den Rücken, während er mir einen Kuss auf die Schläfe hauchte, was diese fast brennen ließ.
,,Danke, dass du für mich da bist. Wer auch immer dich geschickt hat - Danke.''
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