Stille Wasser sind tief
,,Ich hasse dich.'', sagte ich an Marcel gerichtet und dieser grinste frech.
,,Ich dich auch.'' Er legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab und ich stieß ihn sofort von mir weg.
,,Ey, das mit dem Kuscheln reicht auch langsam mal.'', lachte ich und Marcel zog einen Schmollmund, ehe er mich, ohne hinzugucken, erschoss.
,,Als ob.'' Unglaubwürdig starrte ich auf den Fernseher und konnte es einfach nicht glauben.
Marcel lachte und ich konnte einfach nicht fassen, dass er mich, ohne dass er seine Augen auch nur ansatzweise auf den Fernseher gerichtet hatte, gekillt hatte.
,,Ich glaube es nicht!''
,,Tja, du solltest mich nicht unterschätzen, mein Lieber.'' Mein bester Freund tätschelte mir die Wange und grinste breit.
,,Das liegt nur daran, dass ich es gar nicht mehr so mit der Konsole gewohnt bin, weil ich fast nur noch am PC zocke.'', redete ich mich aus der Niederlage heraus und Marcel lachte.
,,Genau Timi, das isses.'', stimmte er mir zu und nickte ironisch.
,,Es ist so!'', meinte ich darauf nur und er lachte noch viel lauter.
,,Zockst du nicht regelmäßig mit Luis an der Konsole?'', fragte Marcel mit hochgezogenen Augenbrauen nach.
,,Nein...'' Ich sah mich nur unsicher in der Gegend um und grinste ertappt, weil mir keine ordentliche und vor allem auch logische Ausrede einfiel.
,,Hah!'', machte Marcel nur und lächelte triumphierend an.
,,Marcel, nie gönnst du mir was!'', unterstellte ich ihm direkt und nun war ich es, der einen Schmollmund zog.
Mein bester Freund nahm nur mein Gesicht zwischen seine Finger und drückte meine Lippen zu einem Fischmund zusammen.
,,Du gönnst es mir auch nie, wenn ich gegen dich bei irgendeinem Ego-Shooter gewinne.'', konterte er grinsend.
,,Doch! Aber nur, wenn du fair gewinnst!'', verteidigte ich mich nuschelnd und er lachte.
,,Ach Timi, du bist doof.'' Marcel befreite mich aus seinem Griff, zog mich in seine Arme und auch wenn ich weiterhin bockig sein wollte, schlang ich trotzdem meine Arme um seinen Bauch und seufzte leise.
,,Wollen wir noch 'ne Runde zocken?'', fragte Marcel grinsend nach.
,,Damit ich wieder verlieren kann, oder was?'', harkte ich lachend nach und löste mich von ihm.
,,Oder auch gewinnen?'', fügte Marcel hinzu.
,,Ne, ich hab' keine Lust mehr.'', antwortete ich auf seine Frage und ließ mich nach hinten in die unzähligen Kissen von Marcel fallen.
,,Weil du Angst hast zu verlieren?'', harkte mein bester Freund grinsend nach und legte sich neben mich.
,,Oder auch zu gewinnen?'', äffte ich ihn nach und Marcel lachte.
,,Wer weiß. Aber was ist denn deine glorreiche Ausrede, wieso du nicht mehr mit mir zocken möchtest?'', fragte Marcel nach und sah mich erwartungsvoll an.
,,Weil ich müde bin.'', war meine Antwort und er lachte erneut.
,,Wovon das denn bitte?''
,,Von dem ganzen Tag - war irgendwie anstregend.'' Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und starrte ihn mit müden Augen an.
,,Kuscheln und essen ist auch echt verdammt anstregend, da hast du Recht, Timi.'', meinte er vielsagend und tätschelte meine Wange.
,,Ach man...'', gab ich mich grinsend geschlagen und verpasste ihm einen leichten Boxer auf den Arm.
Danach lächelte ich Marcel an und stand auf, um zum Schreibtisch zu gehen, auf dem mein Handy lag.
Ich ließ mich auf dem Stuhl nieder, nahm mein Handy in die Hand, drückte sofort den Knopf an der Seite und hoffte, dass mir ein gewisser Junge mit dem Namen Lukas endlich wieder geschrieben oder die Zeit dazu hatte, um mit mir zu schreiben. Ich musste jetzt einfach unbedingt einige Worte mit ihm wechseln.
Ich zog die Leiste herunter und als ich tatsächlich ein ''L'' sah, quiekte ich leise auf, mein Herz machte einen kleinen Hüpfer und auf meinem Gesicht breitete sich ein riesiges Lächeln aus, welches bis zu meinen Augen reichte.
Ich gab natürlich promt mein Passwort fürs Handy ein, klickte auf das Whatsapp-Symbol und dann sofort auf Lukas' und meinen Chat, um zu checken, was genau er mir, nach Stunden, eigentlich schönes geschrieben hatte.
Lukas, 22:02 Uhr:,,Hey, Timi! :) Ich kann wieder an mein Handy, ohne direkt mit dem Nudelholz erschlagen zu werden, haha. :D''
Tim, 22:10 Uhr:,,Oh, hey Lukas! :) Das ist gut. :D Was hast du noch so gemacht? :) Und hast du auch schon schön Tennis geübt? ^^''
Lukas, 22:14 Uhr:,,Ach, nach dem Kaffee war ich noch ein wenig alleine spazieren. :) Und tatsächlich habe ich auch schon ein wenig geübt. ^^''
Tim, 22:15 Uhr:,,Das klingt schön. :) Hast du auch oft genug verloren? ^^''
Lukas, 22:16 Uhr:,,Und was hast du heute noch so gemacht? c: Außer zwei Spiele habe ich alles gewonnen - also, hah!''
Tim, 22:18 Uhr:,,Ich bin bei meinem besten Freund und meine beste Freundin kam vorhin noch vorbei und wir haben den Tag miteinander verbracht. :) Wolltest du nicht eigentlich eher schreiben, dass du zwei Spiele verloren und eingesehen hast, dass dir Tennis einfach nicht liegt? ^^''
Lukas, 22:20 Uhr:,,Das klingt doch auch ganz schön. :3 Und wolltest du nicht eigentlich schreiben, dass du schon ganz dolle Angst vor Samstag hast, weil ich dich mit Sicherheit schlagen werde? ^^''
Tim, 22:22 Uhr:,,Nein, eigentlich wollte ich schreiben, dass du mich nicht schlagen wirst und mir der Busfahrer schon ganz leid tut, weil er mit einem verdammten Verlierer nach Hause fahren muss. :*''
Lukas, 22:24 Uhr:,,Aw, da will einfach einer nicht wahrhaben, dass er nicht gewinnen wird, süß.''
Tim, 22:25 Uhr:,,Das Einzige was süß sein wird, ist mein Lächeln, wenn ich fair und ehrenhaft mehrfach gegen dich gewonnen habe. ^^''
Lukas, 22:27 Uhr:,,Das ist es auch so oder so. c: Aber jetzt mal ganz ehrlich, ich freue mich schon wirklich sehr auf Samstag. :)''
Tim, 22:28 Uhr:,,Aw. :3 Geht mir auf jeden Fall genauso. :)''
Lukas, 22:29 Uhr:,,Yay! :3 Was machst du heute noch so? :)''
Tim, 22:31 Uhr:,,Ich weiß nicht. Mein bester Freund und ich werden wahrscheinlich bald schlafengehen oder noch 'ne Runde zocken, mal gucken. :D Und was hast du noch so vor? :)''
Lukas, 22:32 Uhr:,,Ach, mein Cousin und ich werden uns wahrscheinlich auch bald in die Federn hauen und davor werde ich noch ein wenig an meinem neuen Song weiterarbeiten. :) Klingt auf jeden Fall sehr vielversprechend, haha. :D Was zockt ihr denn so? ^^''
Tim, 22:34 Uhr:,,Oh, da wünsche ich dir aber viel Spaß und tolle Ideen bei! :) Also, eben haben wir COD gezockt. :D''
Lukas, 22:35 Uhr:,,Dankeschön! Ich wünsche dir und deinen besten Freund auch noch sehr viel Spaß! c: COD also. ^^ Zockst du zufälligerweise auch noch andere Ego-Shooter? :D''
Tim, 22:36 Uhr:,,Bitte und Danke! :) Also von anderen Ego-Shootern her zocke ich noch cs:go - falls dir das etwas sagt. ^^ :D''
Lukas, 22:36:,,Selbstverständlich sagt mir das etwas! Sehr viel sogar!''
Tim, 22:38 Uhr:,,Echt? Du zockst Counter-Strike? :D''
Lukas, 22:39 Uhr:,,Warum ist das so unwahrscheinlich? :D''
Tim, 22:40 Uhr:,,Ich weiß auch nicht. Du bist immer so lieb und nett und wirkst überhaupt nicht so, als würdest du so etwas zocken. :D''
Lukas, 22:42 Uhr:,,Wenn du nur wüsstest. ^^''
Tim, 22:43 Uhr:,,Was soll das denn jetzt bedeuten? :D''
Lukas, 22:44 Uhr:,,Stille Wasser sind tief, Tim. :)''
Lukas, 22:44 Uhr:,,Gute Nacht, schlaf' schön und träum' was Schönes! :)''
Tim, 22:45 Uhr:,,Gute Nacht, Lukas! Ich wünsche dir ebenfalls genau das Gleiche und bis morgen! :) ♥''
Lukas, 22:46 Uhr:,,Bis morgen, Tim! :) ♥''
Ich starrte lächelnd auf den Chat und freute mich schon sehr darauf, morgen endlich wieder mit Lukas zu schreiben.
Ich konnte es kaum noch abwarten und wollte am liebsten, dass es jetzt schon Morgen sein würde, ich endlich ausgeschlafen hätte und wieder mit Lukas weiterschreiben könnte.
Noch ungeduldiger wurde ich, als ich an Samstag dachte, denn ich konnte es kaum noch bis dahin aushalten. Die Tage sollten am Besten immer schneller vergehen, denn ansonsten fielen mir auch noch die letzten, denkbaren Tassen, aus meinem Schrank heraus, weil ich vor lauter Ungeduld noch ganz verrückt wurde.
,,Warum grinst du denn so?'', riss mich Marcel fragend aus meinen Gedanken und legte den Kopf schief.
,,Was? Wegen gar nichts!'', stritt ich es direkt ab und spürte, wie ich rot anlief, was es auch nicht gerade besser machte.
,,Wer hat dir geschrieben?'', harkte er weiter nach und kam auf mich zu.
,,Hm?'' Marcel schob sich in mein Sichtfeld und sah mich fragend an.
,,Niemand.'', blockte ich weiterhin ab und verkniff mir ein Grinsen. Denk' bloß nicht an Lukas!
,,Warum willst du es mir nicht einfach sagen?'' Er zog einen Schmollmund und sah mich gespielt traurig an.
,,Ist es nicht egal, wieso ich grinse? Darf ich nicht einfach glücklich sein?'' Ich sah ihn leicht genervt an, weil es einfach viel zu kompliziert war, um das Alles mit Lukas zu erklären.
Zwar war Lukas ein super Kerl und Marcel würde ihn ganz sicher mögen. Aber wenn es noch nichts Ernsthaftes zwischen uns gab, brauchte ich ihn auch noch nicht großartig vor meinem besten Freund erwähnen.
,,Also, ich möchte schon gerne wissen, was meinen besten Freund so zum lächeln bringt.'', gab Marcel grinsend zu, doch ich schwieg weiterhin.
,,Och bitte, Timi. Ich bin's doch nur, Marcel Stegmann, dein bester Freund, dem du alles erdenkliche anvertrauen und erzählen kannst.'', bettelte er weiter und sah mich flehend an.
,,Och Marcel, und ich bin Tim Wolbers, der, der dir nicht sagen wird, wieso er so grinst.'', äffte ich ihn lachend nach und stand auf, um mich wieder zurück ins Bett und zu Marcels unzähligen Kissen zu legen.
,,Es ist bestimmt wegen irgendeinen Mädchen.'', stellte Marcel von sich aus fest und legte sich kurz darauf neben mich.
,,Ja genau, wegen deiner Mutter.'', lachte ich und machte ein Kussgeräusch.
,,Kannst mich dann demnächst also Papa nennen.'', zwinkerte ich meinen besten Freund zu.
,,Du bist doch scheiße.'', lachte er und stieß mir in die Seite.
,,Warum willst du es mir denn nicht sagen?'', fragte Marcel nach und drehte sich zu mir.
,,Ist es nicht scheiß egal?!'', harkte ich leicht gereizt nach, weil es mir einfach nur auf die Nerven ging. Auch wenn es nur nett von ihm gemeint war und seine Interesse an mir auch sehr zu schätzen wusste, ging es mir trotzdem schon etwas an die Substanz, dass sich mein bester Freund ständig bei irgendetwas einmischen musste.
,,Okay, dann lasse ich es am Besten, wenn du schon so reagierst.'', erwiderte er darauf nur und zog mich lächelnd auf seine Brust, als Wiedergutmachung.
,,Ist vielleicht auch besser so.'', nuschelte ich und kicherte leise.
,,Timi?''
,,Hm?'', machte ich nur.
,,Wollen wir vielleicht 'ne Runde pennen?'', fragte Marcel nach und zog sich seine Jogginghose aus.
,,Ja.'', antwortete ich und tat es Marcel gleich.
,,Dieses Mal keine Geschichte zum Einschlafen?'', fragte mein bester Freund grinsend und sah mich vielsagend an.
,,Dieses Mal keine Geschichte zum Einschlafen.'', bestätigte ich ihm ebenfalls lächelnd.
,,Gut, ich hatte schon Angst.'', gab Marcel lachend zu und atmete erleichtert aus.
,,Nein, heute kann ich auch ohne deine Hilfe einschlafen.'', verneinte ich, legte mich neben Marcel und schloss die Augen.
,,Gute Nacht, Timi. Träum' was Schönes.'' Marcel schmiss die Decke über uns, erlosch das eh schon wenige Licht und rückte etwas dichter zu mir.
,,Gute Nacht, Marcel. Träum' du auch was Schönes. Aber bloß nicht von Muffins.'', murmelte ich lachend ins Kissen.
Marcel verpasste mir nur einen Boxer auf den Oberarm, lachte ebenfalls und dann war es ruhig.
Während Marcel schon wieder sofort vollkommen weggedämmert war und sogar leise vor sich hinschnarchte, lag ich hellwach im Bett und starrte gegen die Zimmertür.
Ich hatte schon immer kleinere Probleme beim Einschlafen gehabt und brauchte meistens auch total lange, ehe ich mich genau in demselben Zustand wie Marcel befand. Dabei spielte es sogar keine Rolle neben wem ich lag und was an diesem Tag vorgefallen war.
Klar, es gab auch Tage, an denen mir das verdammt schnell gelang, aber diese wurden auch immer seltener, desto älter ich wurde und desto mehr scheiße mir passierte.
Meistens rauchte ich vor dem Schlafen eh noch ein oder zwei Zigaretten, damit ich etwas ruhiger wurde und meine Lunge vorm Schlafen noch einmal so richtig ficken konnte und sie mich wahrscheinlich jedes einzelne Mal dafür hasste.
Aber ich hatte gerade absolut keine Lust auf 'ne Kippe, weil ich einerseits nicht über Marcel steigen und vom Bett aufstehen wollte und anderseits, weil er mich höchstwahrscheinlich fragen würde, was zur Hölle ich da gerade tat und wieso ich nicht ganz normal, wie jeder andere Mensch eben auch, im Bett liegen bleiben konnte und versuchte einzuschlafen.
Außerdem kannte ich den Übeltäter dafür, wieso ich nicht in aller Seelenruhe wie Marcel einschlafen konnte, denn meine Gedanken hingen wie immer bei Lukas und bei das, was er mir vorhin geschrieben hatte.
''Stille Wasser sind tief.'' Nun, waren sie das denn tatsächlich auch?
Lukas war so ein stilles Wasser und es gab bestimmt vieles, was ich über ihn nicht wusste und nicht erwarten würde. Das lag nicht nur daran, dass ich ihn noch so lange kannte, denn Lukas würde mich sicherlich noch in vielen Hinsichten überraschen.
Es hatte ja allein' schon an dem Tag angefangen, an dem wir uns zum ersten Mal so richtig kennengelernt hatten. Dort hatte ich erfahren, dass Lukas extrem musikbegeistert war, Songs schrieb, Beats baute und dass er nebenbei auch hin und wieder ein paar Kurzfilme drehte.
Aber was mich am allermeisten an diesem Tag an ihn überrascht hat, war, dass er ab und zu mal kiffte. Ich hätte ihm so etwas nie zugetraut, denn in meinen Augen war er viel zu lieb und schüchtern, um so etwas zutun.
Ich konnte mir beim besten Willen absolut nicht vorstellen, dass Lukas ernsthaft zu einem Dealer ging und sich dort ein Tütchen Gras kaufte. Er war doch selbst schon so unfassbar nervös, wenn er sich mit mit verabreden wollte. Wie schaffte er denn das?
Aber vielleicht war Maria selbst da stets an seiner Seite und half Lukas zahlreich dabei, damit er ja sein Tütchen Gras auch bekam.
Dann zockte dieser Kerl auch noch Counter-Strike und...ach, Lukas war mir in so vielen Hinsichten ein riesiges, unlösbares Rätsel und ich hatte ihn so falsch eingeschätzt.
Klar, ich kannte ihn gerade mal so gesehen eine geschlagene Woche, aber dennoch kam es mir so vor, als würde ich ihn schon seit einer Ewigkeit kennen. Aber selbst wenn, wusste ich immer noch nicht so recht, was eigentlich hinter dieser Fassade steckte.
Ich wusste absolut nicht, wie dieser Junge das machte, aber ständig zerbrach ich mir den Kopf wegen ihm, obwohl ich noch nicht einmal seinen Nachnamen kannte.
Aber tatsächlich waren stille Wasser sehr tief und wenn ich das explizit auf mich bezog, dann war ich noch viel tiefer als der Erdkern. Viele Menschen schätzen mich wahrscheinlich ziemlich falsch ein und hatten ein Bild von Tim Wolbers in ihrem Kopf, welches so aber gar nicht existierte. Ich war schon immer ziemlich schüchtern und zurückhaltend gewesen und hatte gerade mal nur Alex und Marcel gezeigt, welche Persönlichkeit eigentlich hinter dieser kaputten Fassade steckte.
Ich wusste absolut nicht, wie mich Leute einschätzten, aber irgendwie konnte ich es mir schon anhand von diversen Gerüchten vorstellen.
Durch die Gang hatte man wahrscheinlich eh ein schlechteres Bild von mir, obwohl ich gar nicht dieser taffe Bad Boy war, welcher ich immer zu seien schien.
Ich war das absolut nicht, denn ich war nur ein kleines, armes Würmchen, welches von all dem ganzen illegalen Zeug gar nichts hielt und es auch verdammt falsch fand. Nichts an der Gang war gut und so cool war es nun auch wieder nicht, beliebt zu sein und tagtäglich irgendeine Scheiße abzuziehen.
Aber diesen Eindruck erweckte ich wahrscheinlich bei vielen, wenn ich mit der Gang rum hing, denn von außen machte ich immer einen recht zufriedenen Eindruck, während ich mich im Inneren dafür verfluchte, je dort hineingegangen zu sein.
Doch so war es überhaupt nicht. Nichts, was ich von außen hin zeigte, kam auch nur ansatzweise an die wirkliche, innere Realität heran.
Ich fühlte mich absolut nicht mehr wohl bei Ronny und hatte mich schon seit Jahren zurückgezogen, weil ich das Alles einfach nicht mehr konnte und aushielt.
Ich hatte schon so viel Scheiße durch- und mitgemacht und kaum einer sah, dass es mir dabei überhaupt nicht gut ging. Dass ich das nicht mehr konnte und wollte. Dass ich das am liebsten nicht mehr tun wollte, wenn es einen Ausweg geben würde.
Niemand verstand und sah das, außer Marcel und Alex - aber die beiden bekamen eh immer alles mit, egal wie sehr ich versuchte es zu vertuschen.
Die beiden wussten eh, wie tief ich tatsächlich war und sie wussten ganz genau, wie ich in meinem tiefsten Inneren aussah und was hinter meiner Fassade steckte.
Sie kannten mich so verdammt gut, wussten ganz genau, wie ich tickte und verstanden mich auch ohne jegliche Worte.
Ich war den beiden so dankbar dafür, dass ich einfach ich vor ihnen sein konnte, mich nicht verstecken und mich auch für nichts schämen brauchte. Sie nahmen mich so, wie ich nun mal bin und hatten auch nie vorgehabt, mich irgendwie, wegen irgendwas, zu verändern.
Alex und Marcel kannten einfach alles von mir. Es gab rein gar nichts, was sie nicht über mich wussten und das würde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für immer so bleiben.
Mir fiel tatsächlich nichts, außer die Sache mit Lukas ein, was sie nicht über mich wussten, denn ich erzählte den beiden so gut wie alles über mich.
Ich hatte noch nie ein Geheimnis zwischen den beiden gehabt, sondern ihnen so gut wie immer alles mögliche erzählt, ob es nun relevant war oder nicht. Aber ich machte das meistens auch nur, damit sie auf dem gleichen Stand mit mir waren. Ebenso hatte ich auch nie vorgehabt, das zu ändern, denn ich konnte den beiden blind vertrauen.
Alex und Marcel kannten die gesamte, schreckliche Geschichte meiner Familie.
Die Hintergründe hinter meinen unzähligen Narben, die meine Haut zierten.
Verstanden meine Gefühle und Entscheidungen genauso gut wie ich.
Wussten, wie, wieso und warum ich unter Depressionen und Borderline litt.
Und...ach, die beiden wussten einfach alles über mich und mir kam es manchmal so vor, als würden sie direkt durch meine Augen schauen, weil sie meistens genau das sagten, was ich eben dachte und ganz genau wussten, wie ich bei den meisten Situationen handelte oder handeln würde.
Mein Blick glitt zu Marcel und ich lächelte ihn an. Ach, ich war so glücklich darüber, dass ausgerechnet dieser wunderbare Junge mein bester Freund war und ich ihn an meiner Seite haben durfte. Ohne ihn und Alex wäre ich in vielen Situationen so aufgeschmissen und verloren gewesen und wüsste manchmal gar nicht, was ich eigentlich tun sollte.
Ich schloss immer noch wie ein Vollidiot lächelnd die Augen und rückte noch ein Stückchen dichter an Marcel heran und wärmte meine Füße an seinen, so wie ich es schon seit klein auf an tat.
Ich hörte ein leises, aber dennoch kräftiges Schnarchen von ihm und musste kurz auflachen.
Auch wenn Marcel von seinem Körperbau her gar nicht mal so aussah, konnte er beim Schlafen den ganzen Regenwald absägen und an manchen Nächten ist es sogar so unerträglich, sodass ich öfters schon mal hoch in sein Zimmer gegangen bin, um dort in Ruhe pennen zu können.
,,Auch wenn du mich gerade wahrscheinlich nicht hören kannst und höchstwahrscheinlich von 'ner mega scharfen Tusse träumst, wollte ich dir nur sagen, dass ich dich ganz doll lieb hab' und dir für alles dankbar bin, was du in den letzten Jahren alles für mich getan hast. Das klingt zwar verdammt schwul und kitschig, aber so ist die bittere, süße Wahrheit nun mal. Danke, Marcel.'', nuschelte ich leise in meinen nicht vorhandenen Bart und pennte dann endlich mit einem Lächeln auf den Lippen und aufgewärmten Füßen ein.
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