Selbsthass und eingestandene Fehler
Mit großer Mühe hatte ich es endlich geschafft, mir doch noch meine Kippe anzuzünden, an welcher ich sofort lasziv zog.
Ich blies den Rauch aus, zog die Beine an meinen dünnen Körper und hörte dann dem prasselndem Regen dabei zu, wie er leise gegen die Brücke klopfte, unter welcher ich saß.
Ich hatte beim Fahren wirklich so gar keine Ahnung davon gehabt, wo ich hinfahren sollte, weshalb ich einfach zu dem Ort gefahren bin, zu welchem ich meistens immer fuhr, wenn es Zuhause oder sonst wo Stress gab und ich einfach nur meine Ruhe haben und den Kopf abschalten wollte.
Zwar war das Wetter dort meistens um einiges angenehmer, aber vielleicht würde der Regen schon bald aufhören, damit ich nicht mehr Gefahr lief, krank werden zu können.
Trotz dass wir Anfang Frühling hatten und es die letzten Tage auch verdammt warm gewesen war, war es in der Nacht trotzdem noch ziemlich frisch.
Dass es ein totaler Nachteil war, dass ich hier nur in Strickjacke, durchnässten Chucks, T-Shirt und einer kurzer Hose bekleidet war und mir den Arsch ab fror - ließ ich einfach mal außen vor.
Ich seufzte und kramte in meinem Rucksack rum, um mein Handy aus diesem zuholen.
Natürlich gab es wie zu erwarten jeden Moment den Geist auf, denn mit meinen mickrigen vier Prozent Akku, konnte ich mit dem Teil nicht wirklich viel in dieser Nacht erreichen.
Klar, zwar könnte ich schon einige Anrufe und Nachrichten tätigen, aber ich wollte von niemandem unnötig den Schlaf stören, nur damit sich dieser meine belanglosen Probleme anhören konnte.
Aus diesen Gründen legte ich mein Handy sofort wieder zurück in den Rucksack, um den Akku noch ein wenig zu schonen, falls ich mich doch nochmal umentschied, und doch noch einen Anruf oder eine Nachricht tätigen wollte, denn nach Hause konnte ich erst einmal nicht mehr.
Meine Mutter wollte mich nicht sehen, mein Stiefvater dementsprechend auch nicht und meinen Geschwistern wollte ich so ungerne unter die Augen treten, weil sie sich einfach kein Beispiel an mir nehmen sollten.
Sie sollten auf gar keinen Fall so werden wie ich, sondern schön brav auf unsere Eltern hören und darauf achten, auf was für Menschen sie sich einließen und sich vor allem öfters die Frage stellen, ob das überhaupt wirklich die richtigen Menschen für einen waren. Denn bei mir waren sie mit diesem Thema, definitiv an der falschen Adresse.
Erst letztens musste ich meinen kleinen Bruder Luis darüber aufklären, dass er bloß nichts mit Ronnys kleinen Bruder anfangen sollte, weil dieser ein sehr schlechter Umgang für ihn wäre.
Natürlich hatte er dies nicht so recht verstanden, weil ich doch schließlich auch mit seinem Bruder ab hing, nur konnte ich Luis leider nicht erklären, wieso er sich ausgerechnet von diesem Jungen fernhalten sollte.
Denn wenn er erst einmal erfuhr, zu was die Gauger Familie im Stande war, dann würde er weinend zu Mami rennen und ich durfte mir dann wieder rum anhören, warum ich meinem Bruder so eine Angst machte, obwohl es nur die blanke Wahrheit war und ich ihn nur davor bewahren wollte, dass er sich nicht in die gleiche Scheiße riet, wie ich.
Denn Ronnys kleiner Bruder war eine exakte Kopie seines großen Bruders und wenn ich mich nicht sogar täuschte, hatte dieser ebenfalls schon seine kleine Gang gegründet, in der er die gleichen Maßnahmen und Regeln aufgestellt hatte, wie sein Bruder.
Ich zog seufzend an der Zigarette und schüttelte über mich selbst mit dem Kopf.
Manchmal bereute ich es wirklich, dass ich je dieser ganzen Scheiße beigetreten und nicht noch rechtzeitig ausgestiegen bin.
Ich war nämlich schon gute vier Jahre dabei und einfach so raus kam ich aus dieser ganzen Sache ganz bestimmt nicht mehr, denn dafür war ich schon viel zu lange dabei und wusste auch schon viel zu viel.
Ronny würde mich killen, wenn ich austreten würde oder er brachte mich nicht gleich um, sondern machte davor noch einige schlimme Dinge mit mir, ehe er mich umbrachte oder ich mich ganz allein' für den Suizid entschied.
Ich traute diesem Kerl tatsächlich alles zu, was ziemlich beängstigend und auch einschüchternd war und mir die Entscheidung mit dem Austritt auch nicht gerade leichter machte.
Das mit der Gang fing alles kurz nach meinem dreizehnten Geburtstag an.
Ich war noch nie sonderlich beliebt gewesen, wurde in eher unregelmäßigen Abständen sogar ab und zu mal gemobbt und wollte nur noch alle Mittel und Wege ergreifen, um endlich beliebt zu werden.
Ich wusste zwar bis heute nicht, was wir so wichtig daran war, denn heutzutage war es mir egal, welchen Ruf ich an der Schule hatte, aber das Mobbing hatte mich innerlich so sehr zerstört, sodass ich nur noch beliebt und von allen gemocht werden wollte.
Also fing ich eines Tages irgendwann damit an, den Spieß endlich mal umzudrehen und mobbte alles und jeden, der mir in die Quere kam.
Okay, alles und jeden nun auch wieder nicht, eher die Klassen unter mir oder die, die in meine Stufe gingen, denn bei dem Rest hätte ich mich das eh nicht getraut, aber ansonsten mobbte ich was das Zeug hielt und dabei war mir alles egal.
Mir war egal, wie sich Leute wegen mir fühlten, dass sie meintet wegen die Schule wechselten, dass sie Dank mir Angst davor hatten, überhaupt in die zugehen, dass sie sich wegen mir nicht mehr in ihren Körper wohlfühlten - einfach alles war mir zu diesem Zeitpunkt egal, weil ich nur noch so vernarrt darin gewesen war, endlich beliebt zu werden.
Irgendwann war dann Ronny, welcher zu diesem Zeitpunkt eine Klasse über mir ging, auf mich aufmerksam geworden und bat mich eines Tages darum, nach der Schule einfach mal zu ihm in die Raucherecke zu kommen, weil er etwas mit mir besprechen wollte.
Natürlich war mir schon von Anfang an nicht ganz wohl bei der Sache gewesen, weil Ronny früher einer von denen gewesen war, die mich oftmals schikaniert hatten, aber ich ging trotzdem zu dem vereinbarten Treffpunkt, weil ich nun mal so neugierig gewesen war, was genau dieser Typ mit mir zu besprechen hatte.
Zwar könnte ich mich heutzutage dafür zu Tode ohrfeigen, dass ich es tatsächlich getan hatte, denn das war nur der Anfang von dem ganzen Übel gewesen, welches mich über Jahre hinweg immer noch qualvoll verfolgen sollte, aber ich nun mal jung und ziemlich naiv.
Ronny hatte mich an diesem Nachmittag nämlich gefragt, ob ich nicht gerne ein Teil seiner Gang werden möchte, weil sie so jemanden wie mich gut gebrauchen könnten.
Natürlich hatte ich das nicht großartig hinterfragt, denn durch diesen dringenden Drang endlich beliebt und von allen gemocht zu werden, wollte ich natürlich jede Initiative ergreifen und hatte dementsprechend direkt zugestimmt, Teil seiner Gang zu werden.
Natürlich hatte ich Dank der Gang mein Ziel erreicht, endlich an Beliebtheit zu gewinnen, denn ich wurde mit einem Mal zu sämtlichen Hauspartys eingeladen, kam mit den coolsten Leuten zusammen und hatte so gesehen eine gute Zeit. Aber war es das Alles wirklich wert gewesen?
Diese Frage stellte ich mir von Tag zu Tag immer öfter und desto mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Fragen schwirrten mir im Kopf umher.
War es das Alles wirklich wert, dass ich die ''nicht'' coolen Kids beleidigte, nur um dafür mit den ''coolen'' Leuten abzuhängen, welche ich nach dem Abschluss, welchen ich wahrscheinlich sowieso nicht schaffen werde, eh nie wiedersehen werde?
Wollte ich das überhaupt noch alles für Beliebtheit auf mich nehmen?
Ich war echt nicht mehr stolz auf mich und auf das, was ich in den letzten Jahren geleistet hatte.
Ich hatte so viele Menschen, welche mir auch mal sehr lieb gewesen waren, so sehr verletzt, obwohl ich doch selbst ganz genau wusste, wie es sich anfühlte, wenn man Angst davor hatte in die Schule zugehen, weil dort diese eine Person oder Gruppe lauerte, welche einen immer wieder aufs Neuste fertigmachte, obwohl man doch rein gar nichts getan hatte.
Es war einfach nur noch ein schreckliches Gefühl, zu wissen, dass ich Leute so sehr an ihre Grenzen getrieben hatte, sodass diese heutzutage Dank mir Komplexe mit sich herumtragen mussten und sich im schlimmsten Fall nie wieder richtigen selbst lieben konnten. Und das Alles nur, weil ich damals so ein Egoist war und alles an mich reißen wollte, um beliebt zu werden.
Wie konnte man eigentlich nur so unfassbar egoistisch und ekelhaft sein, sodass einem das Wohl anderer Menschen vollkommen egal war, nur damit man seinen Willen bekam? Schämst du dich eigentlich nicht, Tim?
Wenn Zeitreisen möglich wären, dann würde ich direkt zu dem Nachmittag reisen, an dem diese ganze Scheiße anfing und mir sofort mein dreizehnjähriges Ich schnappen, um diesem eine Gehirnwäsche zu unterziehen, damit dieser gar nicht erst zum vereinbarten Treffpunkt hin ging, mit dem Mobbing aufhörte und vor allem gar nicht erst dieser dämlichen Gang beitritt.
Hätte ich bloß nie diesen scheiß Drang gehabt, Beliebt zu werden - dann würde ich vielleicht sogar nicht hier in der Kälte unter einer Brücke pennen müssen, nur weil meine Mutter mir vor Augen führen wollte, dass diese vermeintlichen Freunde doch nicht die Richtigen für mich waren und sich sogar einen scheiß Dreck darüber interessierten, wie es mir ging und ob ich denn gut Zuhause angekommen war.
Für die Gang war ich doch eh nur gut genug, wenn es ums Scheiße bauen und um Drogen ging. Wenn nichts der Gleichen anstand, dann kannten die doch noch nicht einmal mehr meinen Namen. Traurig, aber leider wahr.
Ich drückte meine Zigarette aus und konnte einfach nur noch die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Ich wusste nicht, wie ich mich momentan fühlen oder was ich überhaupt fühlen sollte.
Ich war so enttäuscht, sauer und angeekelt von mir, sodass ich am liebsten meine Haut aufreißen und aus meinem Körper schlüpfen wollte, damit ich nicht mehr in dieser Schade verweilte.
Dieser Körper hatte schon genug Scheiße durchgemacht und ich fühlte mich seit Wochen nicht mehr richtig wohl in meiner Haut.
Die letzten zwei Wochen hatten mir tatsächlich die Augen geöffnet und auch wenn ich heute Nachmittag noch meinte, dass ich nicht gelernt hätte, hatte ich jenes sehr wohl getan.
Ich hatte durch das Lernen sogar ein paar gute Note geschrieben, worauf ich und besonders auch meine Mutter, sehr stolz waren.
Es hatte sich einfach so gut angefühlt, mal eine drei in den Händen halten zu können, welche ich auch ohne jegliche Spicker geschafft hatte. Und diese dann auch noch stolz meiner Mutter präsentieren zu können, hatte mich natürlich verdammt glücklich gemacht.
Aber der Gang konnte ich sowas natürlich nicht sagen, weil ich sonst ausgelacht, verspottet und als Streber bezeichnet werden würde, wie dieser Junge auf dem orangen Stuhl, welchen wir mal wieder ohne jegliches Recht verletzten mussten.
Teenager können manchmal echt verdammte Arschlöcher sein.
Ich legte meinen Kopf auf dem Rucksack ab, deckte mir mit meiner Strickjacke mehr oder weniger den Körper zu und versuchte diesen Selbsthass, so gut wie es eben nur ging, aus meinem Kopf auszublenden.
Ich wollte jetzt einfach nicht mehr daran denken, denn das tat ich den ganzen Tag über eh schon genug und eine kleine Auszeit würde mir auf jeden Fall gut tun.
Ich schloss die Augen und machte es mir noch etwas gemütlicher - soweit das überhaupt auf kalten und steinigen Boden ging.
Vielleicht war es nicht das Sicherste draußen zu schlafen, aber es war nicht das erste Mal, dass ich das tat und ich war auch der festen Überzeugung davon, dass mich hier auch niemand finden würde.
Niemand außer ich kannte diesen Ort hier und selbst wenn jemand kommen sollte, war es eben so.
Wenn ich Glück hatte, würde mir die Person sogar eine reinhauen und mir somit einen kleinen Denkanstoß geben, damit ich endlich mal wieder zur Besinnung kam und darüber nachdachte, wie lange ich das eigentlich noch mit der Gang durchmachen und was ich noch so mit meinem weiteren Leben anstellen wollte. Es konnte ja schließlich nicht ewig so weitergehen.
Aber bevor ich mir Gedanken über meine Zukunft machte, versank ich erst einmal im Land der Träume und hoffte, dass wenigstes dort alles in Ordnung war und ich wenigstens ein paar Stunden Ruhe von diesen schrecklichen Gedanken hatte, welche mich tagtäglich verfolgten und welche ich leider nicht so einfach mit einmal Finger schnipsen abstellen konnte.
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