Ich zähl' die Stunden bis zum Morgen und ich weiß nicht. Was...

... muss passieren? Ich bleib' ratlos

Tief murmelte ich mich in die Decke, vergrub mein Gesicht ins Kopfkissen und schloss vergebens die Augen. Ich versuchte meinen Atem zu normalisieren und krallte mich leicht zitternd an dem Bettlaken fest.
Doch egal, wie sehr ich versuchte, mich herunterzubringen und mich zum Einschlafen zu motivieren, mein Puls schoss direkt in die Höhe, sobald ich darüber nachdachte, was mir in einigen Stunden bevorstehen würde.
Genervt seufzte ich auf, drehte mich zur Seite und checkte die Uhrzeit. Ich kniff die Augen zusammen, als das Licht des Handys mich blendete und musste mit Verzweifeln feststellen, dass wir 3 Uhr morgens hatten. Nur noch 3 Stunden und dann würde der Wecker klingeln.

Ich packte mein Handy zur Seite und drehte mich auf den Rücken, um an die Decke zu starren. Eine Träne rollte mir die Wange herunter, doch sofort wischte ich diese weg, denn es gab keinen Grund zum Weinen.
Ich hätte es kommen sehen müssen, denn schließlich hatte ich mir die Scheiße selbst eingebrockt. Hätte ich von Anfang an genau so gehandelt, wie ich es die letzten Wochen auch getan hatte, müsste ich jetzt nicht hier liegen und kein Auge zu kriegen.
Ich hatte meine Chance gehabt und das nicht nur einmal. Ich wusste, was auf mich zu kommen würde, wenn ich jetzt nicht meinen Arsch in die Schule bewegen und endlich gute Noten schreiben würde.

Es war keine Überraschung, dass der Umschlag in unserem Briefkasten gelegen hatte, denn seit Anfang des Schuljahres, versuchten mir die Lehrer und meine Mama einzutrichtern, dass das meine allerletzte Chance ist, doch noch den Hauptschulabschluss zu schaffen.
Aber natürlich wollte ich nicht darauf hören und anstatt endlich mal vernünftig zu sein, hatte ich mich viel lieber mit der Gang im Park getroffen, einen Joint nachdem Anderen geraucht und versucht den Gedanken daran zu ertränken, wo ich eigentlich sein müsste.
Obwohl ich schon immer wusste, dass es nach diesem Jahr keinen weiteren Anlauf für mich geben würde, war ich viel zu spät vom Start losgerannt und würde das Ziel nicht mal im Ansatz erreichen.

Ich seufzte leise, vergrub die Hände im Gesicht und weinte stumm vor mich hin. Ich hasste mich. Ich hasste es, dass ich nicht eher den Arsch hochbekommen und mal wieder nicht verstanden hatte, was da eigentlich auf dem Spiel stand.
Morgen würde ich das lang gefürchtete Gespräch mit meinem Klassenlehrer führen. Das Gespräch, bei dem sich schon seit Wochen ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend breitmachte, wenn ich nur daran dachte.
Ich hatte Angst und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Auch wenn ich dieses Gespräch schon so oft geführt hatte, überrumpelte es mich jedes Mal und brachte alles, was ich mir aufgebaut hatte, mit einem Zug zum Einsturz.

Aber was wollte ich auch? Ich hatte mir die ganze Situation selbst zu zuschreiben. Hätte ich von Anfang an meinen Arsch regelmäßig in die Schule bewegt, hätte es soweit gar nicht erst kommen brauchen.
Niemand konnte etwas dafür, dass ich jetzt erst realisierte, was für mich eigentlich auf dem Spiel stand und wie dramatisch es um meinen Schulabschluss aussah. Alle hatten mich gewarnt, aber natürlich wollte ich das nicht hören.
Was hatten mir meine Lehrer und Eltern alles angeboten? Mama hatte sogar gesagt, dass sie die teure Nachhilfe für mich bezahlen würde, wenn ich diese denn in Anspruch nehmen wollte und trotzdem hatte es abgestritten, obwohl ich sie so dringend brauchte.

In knapp zwei Monaten wurden Prüfungen geschrieben. Ich konnte jetzt schon mit großer Sicherheit behaupten, dass das ein totaler Reinfall werden und ich mich nur noch mehr blamieren würde.
Ich hatte keine Ahnung von Nichts und das spiegelte sich perfekt in meiner schulischen Laufbahn nieder. Hätte ich meine Mama nicht, die sich so um mich kümmern würde, wäre ich schon vor Jahren an einer Überdosis auf irgendeiner ranzigen Bahnhofstoilette verreckt.
Ich fragte mich, wie lange sie das eigentlich noch mitmachen wollte und warum es ihr so wichtig ist, morgen bei dem Gespräch dabei zu sein. Wollte sie unbedingt nochmal gesagt bekommen, dass es eine bessere Entscheidung gewesen wäre, wenn sie mich damals abgetrieben hätte, oder was?

Ich strich mir die Tränen aus dem Gesicht und griff nach einem Taschentuch, um mir die Nase auszuschnauben. Ich schwang die Beine übers Bett und ging zum Papierkorb, der neben dem Schreibtisch stand, weil ich vorhin noch etwas gezeichnet hatte.
Ich entsorgte das Taschentuch und ein leichtes Lächeln zierte meine Lippen, als ich die Wand sah, an der einige Bilder von mir und Lukas klebten. Gestern Abend hatte ich die etwas Neuren herangebracht und sie machten mich verdammt glücklich.
Ich musterte die Bilder, wurde dann aber etwas wehmütig, bei dem Gedanken daran, was für Sorgen sich Lukas eigentlich schon wieder um mich machte. Wir hatten uns heute Nachmittag getroffen und vor einigen Stunden nochmal miteinander telefoniert.

Ich hatte versucht, es zu verstecken, aber natürlich ging an ihm nichts spurlos vorbei und Lukas hatte mich, nachdem wir uns mit einem Kuss und einer innigen Umarmung begrüßt hatten, direkt gefragt, was denn passiert ist.
Ich konnte es nicht mehr länger zurückhalten und bin vor ihm in Tränen ausgebrochen. Ich hatte ihm erklärt, wie es mir mit der ganzen Situation ging und sofort hatte er versucht, mich zu trösten.
Lukas hatte mich aufgemuntert und mir gesagt, dass das Gespräch nichts Schlimmes sei und mein Klassenlehrer mir sicherlich einige hilfreiche Tipps geben wird, wie ich das mit dem Schulabschluss doch noch schaffen könnte.

Schließlich hatte ich schon einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht, in dem ich mein Versprechen der Osterferien gehalten hatte und mittlerweile ganze zwei Wochen zur Schule gegangen bin, ohne auch nur eine Stunde davon zu schwänzen.
Selbstverständlich hatte Lukas Recht damit und es ist ein kleiner Lichtpunkt, am dunklen Himmel. Jedoch könnten diese zwei Wochen niemals aufholen, was ich in den letzten Jahen alles verpasst hatte.
Es würde Jahre dauern, bis ich auf dem aktuellen Stand sein würde, aber diese Zeit hatte ich nicht. Ich konnte nicht mehr tun, als das Beste aus der Situation zu machen und jeden Tag darauf zu hoffen, dass das Alles ausreichen würde, um noch gerade so die Kurve zu kriegen.

Aber genau das ist es, was mich auch so fertigmachte. Diese Ungewissheit darüber, ob das, was ich jetzt tat, reichen würde, um alles, was ich verbockt hatte, wieder gut zu machen und am Ende doch noch einen Schulabschluss in den Händen halten zu können.
Ich wollte nicht, dass ich mich jetzt anstrengen und all meine Energie und Kraft für etwas nutzen würde, was am Ende doch keinen Sinn hatte und mir nicht das geben würde, wofür ich so lange gekämpft hatte.
Am Ende des Schuljahres stand ich dann doch mit leeren Händen da und würde noch viel wütender auf mich sein, weil sich all die Anstrengung nicht gelohnt und ich mir umsonst den Arsch aufgerissen hatte.

Natürlich hatte Lukas Recht damit, wenn er sagte, dass ich auf einige Erfolge in diesen zwei Wochen zurückblicken konnte. Zum Beispiel hatte ich am Montag meine Klassenarbeit in Deutsch wiederbekommen und ernsthaft eine 2 in dieser geschrieben.
Diese Note hätte ich niemals erreicht, wenn ich mich gar nicht erst auf die Aufgaben eingelassen und mir gesagt hätte, dass das sowieso nichts bringt, weil ich eh nicht gelernt und die letzten Stunden, in der wir das Thema behandelt hatten, geschlafen hatte.
Aber was brachte mir diese 2, wenn ich am Ende doch nur mit leeren Händen dastand? Kein Arbeitgeber der Welt interessierte es, dass ich mich nochmal ordentlich hinein gekniet hatte, wenn ich keinen Schulabschluss vorzuweisen hatte.

Ich schüttelte mit dem Kopf, wendete den Blick von den Bildern ab und legte mich zurück ins Bett, was mich nur noch viel trauriger machte. Ich hatte es vor Lukas nicht zugeben, aber seitdem er am Sonntag weggefahren ist, ging es mir wieder richtig scheiße.
Nachdem Lukas, als wir noch eine Zeit lang miteinander geschrieben hatten, irgendwann eine Gute Nacht gewünscht hatte, war ich nochmal in die Galerie gegangen und hatte mir einige Fotos von uns angesehen.
Ich hatte mich an die Zeit in den Osterferien zurückerinnert und daran, wie gut es mir dort ging. Jeden Tag war ich mit einem Lächeln auf den Lippen aufgestanden, wovon ich in letzter Zeit nur noch träumen konnte. 

Es machte mich verrückt, ihn nicht 24/7 bei mir zu haben und das Wochenende hatte mir gezeigt, wie sehr mir diese Zeit eigentlich fehlte. Wenn ich könnte, würde ich mich wieder dahin zurückschicken lassen und das Alles noch viel mehr genießen.
Lukas und ich versuchten uns regelmäßig zu sehen und Kontakt zu halten, aber es ist einfach nicht das, was ich wollte. Ich wollte ihn nicht nur für einige Stunden bei mir haben, sondern für immer und das am Besten für den Rest meines Lebens.
Ich wollte keine Verabschiedungen, bei denen wir beide nicht wussten, ob wir uns wirklich morgen wiedersehen würden. Ich wollte mich nicht von ihm trennen. Aber vor allem wollte ich nicht alleine in diesem viel zu großen Bett liegen! 

Völlig genervt presste ich mein Gesicht ins Kissen und spürte eine Träne auf dieses tropfen. Ich brauchte Lukas einfach hier und nicht in seinem dämlichen Dorf, welches viel zu weit weg von meinem Zuhause lag.
Er hatte mir versichert, dass ich jederzeit schreiben konnte, wenn irgendwas ist, aber es ist einfach nicht dasselbe, als ihn direkt neben mir zu haben und von ihm in den Arm genommen zu werden, während ich ihm das Shirt vollheulte.
Außerdem wollte ich ihm auch nicht schreiben, weil ich nicht wollte, dass er sich schon wieder Sorgen um mich machte und sich ständig den Kopf darüber zerbrach, was denn mit mir sein könnte und ob ich mir nicht gerade irgendwas antat.

Schon den ganzen Tag war ich ihm damit auf die Nerven gegangen, da wollte ich ihm wenigstens die Nacht für sich lassen. Es sollte nicht noch mehr Gründe geben, wieso sich Lukas irgendwann von mir distanzierte würde und Schluss machte.
Mittlerweile kam ich mir selbst total lächerlich bei der Masse an Problemen vor. Wie erbärmlich konnte man auch sein? Es gab Kinder da draußen, die ihr letztes Hemd dafür geben würden, um eine Schule besuchen zu können und ich nahm diese Chance gar nicht erst wahr.
Stattdessen heulte ich, weil ich es mal wieder verkackt hatte und ein Gespräch führen musste, bei dem mir mal weider vor Augen geführt wurde, was ich alles falsch gemacht hatte. Ich hatte mir das Alles selbst eingebrockt und kein Recht auf Mitleid.

,,Mein Gott, jetzt halt doch mal die Schnauze! Brauchst du keine Pause?'', meckerte ich, schüttelte über mich mit dem Kopf und schwang die Beine erneut übers Bett. Ich ging an meinen Rucksack, holte eine Packung Kippen heraus und öffnete das Fenster.
Ich ließ mich auf dem Fensterbrett nieder, zündete mir eine Zigarette an und blies den Rauch in die Nacht hinaus. Der Himmel war etwas nebelig und nur beim genaueren Hinsehen konnte man den Halbmond erkennen.
Direkt wurde ich melancholisch, denn genau dieses Wetter hatten wir in der Nacht, in der Lukas und ich uns das erste Mal nähergekommen waren und uns im geklauten Auto meines Stiefvaters befriedigt hatten.

Lächelnd zog ich an der Zigarette und meine Mitte zog sich angenehm zusammen, als ich an die Nacht zurückdachte, die wirklich alles zwischen uns verändert hatte. Die Nacht, in der Lukas und ich zusammengekommen waren.
Schon verrückt, wenn man bedachte, dass das Ganze knapp einen Monat her ist und Lukas noch immer nicht schreiend davon gerannt ist, obwohl ich mich ihm so offenbart hatte. Ich fragte mich, wieso ihn das Alles nicht abschreckte.
Lukas führte genau das Leben, was ich mir immer gewünscht hatte und trotzdem verließ er mich nach all den Geschichten nicht. Er blieb bei mir, bot mir eine starke Schulter zum Ausheulen, nahm mich in den Arm und hielt mir die Hand, wenn es etwas schwerer wurde.

Lukas zeigte sehr viel Empathie und Stärke für sein Alter, was mich beeindruckte und in mir gleichzeitig auch die Frage aufwarf, ob es da nicht vielleicht doch etwas gab, was er mir verheimlichte.
Ich wollte keine Spekulationen auf den Tisch werfen, aber eventuell gab es da doch etwas, was Lukas bilderbuchhaftes Leben einen leichten Knick verpasste und er deswegen gelernt hatte, so viel Verständnis anderen entgegenzubringen.'
Ich verglich ihn ungerne mit Anderen, aber selbst eine Alex oder ein Marcel, die Menschen, die mich neben meiner Familie wohl am Besten kannten, wussten manchmal gar nicht, wie sie in bestimmten Situationen mit mir umzugehen hatten.

Aber Lukas, der wirkte in dieser Hinsicht so makellos und so, als würde er das schon seit Jahren kennen. Gab es in seiner Familie vielleicht auch Probleme, von denen er mir einfach nichts erzählt hatte?
Es konnte ja sein, dass Lukas ähnlich wie mir erging und er genau deswegen auch mit mir zusammen ist. Jemand, der all dem Wahnsinn gewachsen ist und alles nachvollziehen konnte, was in ihm vorging.
Ich schüttelte grinsend mit dem Kopf, drückte meine Zigarette aus und verbannte diese Gedanken nach draußen. Ich sollte aufhören, mir einen abzuspinnen, sondern lieber mal ins Bett gehen.

Wenn Lukas Probleme in seiner Familie hatte, hätte er mich wohl kaum für zwei Wochen zu sich eingeladen und mich auch noch dort übernachten lassen. So lange konnte man keine Fassade aufrechterhalten und vor allem hätte ich sowas gerochen.
Schließlich hatte meine Mama mit meinem dreckigen Erzeuger über Jahre hinweg so getan, als wäre alles total in Ordnung, während hinter verschlossenen Türen gewaltig die Post abging.
Mein Kopf versuchte mir nur irgendeinen dummen Streich zu spielen und mir durch die Blume mitzuteilen, dass ich ins Bett sollte. Also sprang ich vom Fensterbrett herunter, schloss dieses und legte mich leicht fröstelnd zurück ins Bett, wo ich mir die Decke bis zur Nase nach oben zog.

Ich checkte die Uhrzeit und seufzte leise, nachdem ich festgestellt hatte, dass eine weitere halbe Stunde vergangen war, in der ich noch immer kein Auge zugekriegt hatte.
Wenn das so weiterging, würde ich morgen Früh überhaupt nicht aus dem Bett kommen und wahrscheinlich in der Schule vor lauter Erschöpfung umkippen. Dabei musste ich morgen besonders aufmerksam und anwesend sein.
Ich musste mitbekommen, was mein Klassenlehrer mir zusagen hatte, denn, auch wenn es sowieso nichts brachte, musste ich mir die Tipps merken, um auf halbwegs akzeptable Noten zu kommen.

Ich kannte die alte Leier zwar und konnte das Gespräch morgen genau so gut auch selbst leiten, aber dieses Mal wollte ich diese ganzen Informationen wie ein Schwamm aufsaugen und auch wirklich in die Tat umsetzen.
Ich wollte zeigen, dass ich das Ernst nehmen konnte und alles dafür tat, um noch irgendwie Kurve zu bekommen. Ich wollte die Leute um mich herum endlich stolz machen und das war der erste Schritt in die richtige Richtung.
Auch wenn ich noch immer der festen Überzeugung war, dass es am Ende nicht ausreichen würde, konnte ich es immerhin probieren und wenigstens für den Moment daran glauben, einmal das Richtige getan zu haben.

Ich tat das hier schließlich nicht nur für mich, sondern auch für Lukas und meine Mama. Es machte mich unheimlich glücklich, die beiden so stolz zu sehen, wenn ich ihnen davon erzählte, welche Erfolge ich in der Schule gemacht hatte.
Als ich am Montag meine Klassenarbeit wiederbekommen und Lukas mich von der Schule abgeholt hatte, hatte ich ihm diese präsentiert und dafür einen riesigen Eisbecher spendiert bekommen.
Ich würde niemals vergessen, wie er mich halb erdrückt und sogar leichte Tränen in den Augen hatte, nachdem er das Ergebnis gesehen und bemerkt hatte, dass diese Zetel einzig und allein' seinem festen Freund gehörten.

Auch Mama hatte mir für die gute Note gratuliert und nachdem ich am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte ich nicht schlecht geguckt, als eine Packung neuer Stifte auf meinem Nachtschrank mit der Beschriftung 'Für die tolle Leistung. Mach' weiter so! :-) ♥' lagen.
Allein' deswegen lohnte es sich schon am Ball zu bleiben und weiterzumachen. Nicht wegen den Geschenken, die spielten für mich eine Nebenrolle, sondern wegen dem Lächeln und der Hoffnung dieser zwei Menschen.
Ich hatte sie schon viel zu oft enttäuscht, da konnte ich jetzt keinen Rückzieher machen und alles hinschmeißen, nur weil ich nicht daran glaubte. Vielleicht gab es am Ende ja doch noch Hoffnung und während der Abschlussfeier wurde mein Name aufgerufen.

Es wäre wirklich schade, wenn meine Mama und Lukas da nicht Standing Ovation machen und lautstark für mich applaudieren würden, während ich breit lächelnd auf die Bühne ging und mein Abschlusszeugnis entgegennahm.
Sie würden mich danach so fest in den Arm nehmen, dass ich mich mit meiner verstorbenen Oma für einige Sekunden unterhalten könnte und Lukas würde mir mit funkelnden Augen mitteilen, dass wir es geschafft hatten.
Allein' diese Vorstellung Realität werden zu lassen, ist ein Grund dafür, einfach weiterzumachen und dran zu bleiben. Ich hatte es jetzt geschafft, zwei Wochen in die Schule zu gehen und mitzumachen, da würde ich den Rest auch noch schaffen.

Ich sollte damit aufhören, ständig alles in schwarz oder weiß zu sehen und alles, was ich machte, direkt schlecht zu reden. Natürlich hätte mir früher einfallen sollen, regelmäßig in die Schule zu gehen, aber jetzt ist es nun mal passiert.
Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war es, dass Beste aus der Situation zu machen und die letzten Wochen, die mir von dem Schuljahr noch übrig blieben, dafür zu nutzen, um doch noch etwas Hoffnung in meine eh schon kaputte Zukunft zu bringen.
Ich wusste, dass es kein leichter Weg werden würde, aber immerhin hatte ich Menschen an meiner Seite, die mich auf diesem Weg begleiten würden und versuchten, mir zu helfen, wo sie nur konnten.

Ich lächelte, fuhr mir eine verlorene Träne aus dem Gesicht und griff neben das Kopfkissen, um mir den Teddybären, den Lukas mir geschenkt hatte, vor die Nase zu halten. Ich roch einmal an diesem und sofort vernebelten all meine Sinne.
Bevor Lukas am Sonntag nach Hause gefahren ist und nochmal schnell auf die Toilette gegangen war, hatte ich den Teddy heimlich mit seinem Deo eingesprüht und ihn in sein Shirt gewickelt, in der Hoffnung, dass er somit noch viel mehr nach ihm riechen würde.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber dieses Kuscheltier bedeutete mir jetzt schon unendlich viel. Lukas hatte ihn Akira getaut. Der Name stammt aus dem Japanischen und bedeutete so viel wie 'der Kämpfer'.

Auf meine Nachfrage, wieso er ausgerechnet diesen Namen gewählt hatte, hatte mir mein Freund erklärt, dass dieser Teddy symbolisch für mich stehen sollte und er diesen mir nicht einfach nur gekauft hatte, damit ich ein Souvenir aus Hamburg Zuhause stehen hatte.
Bären sind Krafttiere. Krafttiere sind Naturgeister die uns beschützen. Manche davon gleiten uns ein Leben lang, andere wiederum sind nur in bestimmten Lebensphasen unsere Wegbegleiter.
Die Krafttiere helfen uns eine Lösung in bestimmten Situationen zu finden. Die drei Schlüsselwörter, die die Qualität des Krafttieren Bären am Besten versinnbildlichen sind Lebenskraft, Mut und der Instinkt.

Vor allem das Wort Mut hatte Lukas hier sehr zugesagt, denn laut ihm bewies ich davon gerade eine Menge, da ich mich endlich traute, meine Zukunft in eigene Hände zu nehmen und nicht mehr dem Schicksal zu überlassen.
Ich hatte erkannt, was für mich auf dem Spiel stand und warum es genau jetzt an der Zeit ist, den Arsch hochzukriegen. Es gibt nämlich kaum ein Lebewesen, was so leidenschaftlich um das Überleben des Nachwuchses kämpft, wie eine Bärenmutter es tut.
Ich würde zwar kein Kind erwarten, aber der Schulabschluss ist mein Schlüssel zum Überleben. Mit einem Schulabschluss hatte ich die Garantie auf einen Job und somit auf Geld, von dem ich mir Dinge zum Überleben leisten konnte.

Ich hielt nicht sonderlich viel von diesem spirituellen Kram und fand vieles davon auch sehr abgefahren. Aber als Lukas mir erklärte hatte, dass dieses Geschenk so viel mehr als nur ein Souvenir ist und er sich wirklich Gedanken darum gemacht hatte, wäre ich am liebsten in Tränen ausgebrochen.
Es passte wie die Faust aufs Auge und das Lukas so eine Stärke in mir sah, bedeutete mir unglaublich viel. Ich selbst sah in mir einen totalen Schwächling und Lukas für war ich einfach der mächtigste Kämpfer aller Zeiten.
Ich konnte nicht in Worte beschreiben, was mir das Alles bedeutete und wie viel Kraft mir diese Meinung gab. Aber vor allem fragte ich mich, womit ich das und ihn verdient hatte und wer dafür verantwortlich gewesen ist, mir so etwas Wunderschönes zu geben.

Ich seufzte leise und nahm einen allerletzten Zug vom Teddybären, ehe ich diesen neben mein Kopfkissen legte. Ich wollte mir nicht schon wieder Gedanken darum machen. Ich wollte an Nichts denken, sondern nur noch schlafen.
In einigen Stunden würde es schon schwer genug für ich werden, da wollte ich noch wenigstens etwas Ruhe haben, bevor der düstere Sturm über mich ziehen und all das Gute mit einem Mal an sich reißen würde.
Ich drehte mich zur Seite, murmelte mich tiefer in die Bettdecke und schloss die Augen, während ich mich fest ans Kissen klammerte und spüren konnte, wie mein Atem nach und nach immer flacher wurde.

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