Fehler zu machen ist leicht, sich dafür zu entschuldigen aber umso schwerer


Die Hände tief in den Jackentaschen vergrabend und die Steine aus dem Weg räumend, ging ich mit gesenktem Blick die Straße entlang. Ich traute mich nicht, einen Blick nach oben zu tätigen, denn niemand sollte sehen, wie schlecht es mir ging.
Mir stand doch förmlich ins Gesicht geschrieben, was für ein Versager ich bin, der es mal wieder nicht geschafft hatte. Schon wieder hatte ich alle guten Vorsätze gebrochen und versäumte Stunden, die existentiell wichtig für meine Zukunft waren.
Nicht im Bezug auf den Inhalt, der konnte mir völlig egal sein. Aber darum ging es auch gar nicht, das spielte überhaupt keine Rolle, ob ich das Alles für meinen späteren Berufszweig brauchen würde, oder nicht. 

Ich hätte dableiben müssen, das ist das Problem. Ich hätte nicht gehen dürfen, nur weil ich die  Aufgaben nicht hinbekommen hatte. Ich hatte schon zwei Wochen gefehlt und jetzt ging die ganze Scheiße wieder von vorne los.
Ich sollte jetzt auf diesem verdammten Stuhl sitzen und etwas dafür tun, um doch noch die Kurve zu kriegen. Es hatte so gut angefangen, da konnte ich das Alles wegen einer einzigen Fehlentscheidung nicht wieder kaputtmachen.
Aber wie alles in meinem verkorksten Leben, bekam ich das nicht hin. Selbst in den letzten Monaten meiner Schulzeit, schaffte ich es nicht regelmäßig in diese zu gehen und auf der letzten Strecke nochmal richtig Vollgas zu geben.

Es hatte so gut angefangen und hätte nur noch besser werden können. Jeden Nachmittag hatte ich etwas für die Schule getan, auch wenn es da nichts zu erledigen gab. Lukas und ich hatten zusammen gelernt, Hausaufgaben gemacht und sind den Stoff nochmal durchgegangen.
Dadurch konnte ich mich öfters melden und meine Kopfnoten verbessern, die sonst immer weit unter dem Durchschnitt lagen, weil ich mich sonst nicht weiter dafür interessiert und auch sonst keinerlei Bedeutung für mich hatten.
Auch meine Lehrer hatten mich für die starke Wandlung gelobt und es hatte wirklich gut getan, diese Worte nicht nur von Familie und Freunden gehört zu bekommen. Endlich hatte alles einen Sinn und all die Arbeit schien sich zu lohnen.

Und was machte ich? Ich zerstörte mal wieder alles, was ich aufgebaut hatte. Erst nahm ich all meinen Mut zusammen, um mich wieder aufzubauen, nur um es im Sekundentakt zu zerstören, wenn es mir doch nicht passte.
Es ist nicht OK von mir gewesen, die Schule zu verlassen, weil es in Physik nicht gut lief. Ich hätte mich von dieser Scheiße nicht unterkriegen lassen sollen, denn es ist nur irgendeine Aufgabe gewesen, mehr nicht.
Ich hätte sie einfach ignorieren und am Nachmittag nochmal mit Lukas besprechen können. Er hätte mir das wesentlich verständlicher erklären können, hätte viel mehr Geduld mit mir gehabt und mir gezeigt, wie leicht es doch ist.

Ich seufzte leise und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Das ist aber genau das, was ich eben nicht wollte. Ich hatte es langsam satt, ständig auf die Hilfe der Anderen angewiesen zu sein und nicht einmal was alleine fertigkriegen zu können.
Ich bin glücklich über alle Hände, die mir gereicht wurden, aber langsam reichte es auch mal. Es konnte nicht für immer so weitergehen und das möchte ich auch nicht. Jeder hatte seine Päckchen zu tragen, nicht nur ich.
Der Schulabschluss ist meine Sache und nicht Lukas'. Ich wollte ihm nicht ständig im Weg stehen und der Grund dafür sein, wieso er Dinge nicht erledigen konnte, weil er meine Prioritäten vor seinen sah.

Ich fand es süß, keine Frage. Er schien auch nicht so, als würde er es vermissen, einen Tag zu verbringen, an dem es mal nicht um die Schule ging. Aber Lukas konnte auch nicht rund um die Uhr für mich da sein.
Er brauchte auch mal eine Pause von allem und irgendwann würde auch er wieder so viel zutun haben, dass er am Nachmittag nicht zu mir nach Hause kommen und sich mit meinen Sorgen und Problemen befassen konnte.
Da musste ich dann mal die Zähne zusammenbeißen, mich alleine an den Schreibtisch setzen und die Aufgaben bewältigen. Aber was ist, wenn ich es dann auch nicht hin bekam? Wen sollte ich dann fragen? Was würde ich dann tun?

Am Ende würde es eh in einem halben Nervenzusammenbruch enden, an dem ich mal wieder realisierte, was für ein dummer Nichtsnutz ich doch bin. Wahrscheinlich würde ich die Aufgabe noch nicht einmal anrühren, weil ich schon vorher einsah, dass ich das nicht hin bekam.
Lukas hatte mir schon das Angebot gemacht, dass wir notfalls miteinander skypen oder telefonieren könnten, aber das wollte ich nicht. Wenn es in näherer Zukunft mal so einen Vorfall geben sollte, wollte ich ihn nicht stören und von der Arbeit abhalten.
Ich könnte meine Eltern und besten Freunde um Hilfe fragen, aber das wollte ich genau so wenig. Eigentlich wollte ich nichts und niemanden mehr nach irgendwas fragen, denn ich musste verdammt nochmal lernen, alleine damit fertig zu werden.

Das ist noch nicht mal auf die Schule bezogen. Selbstständigkeit ist eine Sache, die ich schon immer versäumt und eher wie lästige Hausaufgaben vor mich hergeschoben hatte, weil es mir irgendwie immer zu geflogen kam.
Meine Mama hatte da auch nicht wirklich viel dran gesetzt. Sie hatte mich um Strich und Faden verwöhnt, sodass ich mir niemals Gedanken darüber gemacht hatte, was einmal wäre, wenn sie das Alles nicht mehr für mich tun würde.
Das Argument konnte man vielleicht noch mit 13 Jahren bringen, aber mit 18 wurde es langsam peinlich. Während andere in meinem Alter schon ihre erste Wohnung und ihren ersten Job hatten, saß ich noch immer Zuhause bei Mama und wiederholte eine Klasse nach der Anderen.

Andere Jugendliche spielten in dem Alter mit der Angst, am Ende es Monats nicht genug Geld übrig zu haben, während ich mir viel eher Sorgen darum machte, nicht genügend Gras für den nächsten Joint zu haben. 
Selbst Lukas ist mit seinen 15 Jahren schon so viel fortgeschrittener als ich und bekam so vieles hin, von dem ich nur träumen konnte. Seine Eltern konnten ihn mit guten Gewissen alleine Zuhause lassen, ohne Angst davor haben zu müssen, dass das Haus bei der Rückkehr nicht mehr stehen würde.
Jeder einzelne da draußen bekam alles so viel besser hin als ich. Wenn ich all diese Menschen nicht um mich hätte, die sich tagtäglich um mich kümmern würden, wäre ich schon längst unter der Brücke gelandet oder an einer Überdosis verreckt.

Ich strich mir die verlorenen Tränen aus dem Gesicht und zog meinen Rucksack nach vorne, um mir eine Zigarette herauszuholen. Ich zündete mir diese an, steckte das Feuerzeug wieder weg und ließ mich bei einen der Aufgänge nieder.
Ich zog stark an der Kippe, behielt den Rauch etwas länger als für gewöhnlich in der Lunge und ließ das starke, unangenehme Brennen über mich ergehen. Ich blies ihn aus, aschte auf den Boden und wollte mich am liebsten dafür köpfen, einfach gegangen zu sein.
Außerdem hatte ich noch keine Ahnung davon, wie ich Lukas das überhaupt erklären sollte, ohne, dass dieser an die Decke gehen und so dermaßen enttäuscht von mir sein würde, dass ich es nicht ertragen könnte.

Da hatten wir mich schon wieder Stück für Stück aufgebaut und wegen einer einzigen Sache, hatte ich alles wieder zum Einsturz gebracht. Er würde sich doch total verarscht vorkommen und sich fragen, warum er das noch mitmachte.
Dass es kein Katzensprung werden würde, ist allen von Anfang an klar gewesen. Ich hatte mich jahrelang wie der unmöglichste Schüler der Welt verhalten und keine Konsequenzen daraus gezogen.
Du konntest keinen Menschen von heute auf morgen um 180 Grad drehen. Das ist ein langwieriger Prozess und die Ergebnisse kamen nicht so schnell, wie man das gerne hätte. Ich hatte meine Gewohnheiten, die ich nicht einfach ablegen und in irgendeinen Schrank zum Verstauben legen konnte.

Aber genau so musste ich es auch nicht immer wieder darauf anlegen und diese zum Vorschein bringen. Ich merkte doch, wann ich einen Fehler machte und konnte mir rechtzeitig das Stopp-Signal aussprechen, um mich vor Weiterem zu hindern.
Normalerweise hatte mich das Schwänzen nie gestört. Ich hatte mir keine Gedanken darum gemacht, was für Konsequenzen es mit sich ziehen könnte und wenn mich Lehrer darauf angesprochen hatten, hatte ich nur ein trotziges 'Wen interessierst?' von mir gegeben.
Wenn ich zum Nachsitzen musste, bin ich nicht hingegangen und wenn mir mit dem Direktor gedroht wurde, hatte ich mich zu ihm ins Büro gesetzt, mir die Scheiße angehört und bin wieder nach Hause gegangen, weil es mir egal gewesen ist.

Ich sah auf den halb aufgerauchten Kippenstummel und drehte diesen zwischen Zeige- und Mittelfinger. Es ist ja schon mal ein Anfang, dass ich jetzt wenigstens einen Hauch von Einsicht zeigte und mir Sorgen darum machte, was eventuell passieren könnte.
Endlich dachte ich mal über mein Handeln nach und das ist nicht nur bis zur nächsten Ampel. Ich hätte die Schule nicht verlassen dürfen, weil es gerade mal nicht so lief, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Ich konnte das Leben sowieso nicht planen, denn in den meisten Fällen kam es eh immer anders. Ich konnte mir meine Ziele ausmalen, musste aber auch damit rechnen, hier und da einige Niederlagen zu kassieren.

Es konnte nicht immer alles glatt laufen, man fiel halt mal auf die Fresse, so ist das eben. Auch wenn es mir keinen Spaß machte, musste ich das verstehen und akzeptieren, dass ich so oder so nicht daran ändern konnte.
Alles, was gerade passierte, hatte noch lange nicht den Grund, die letzten Stunden zu schwänzen. Ich musste mich aufrappeln, den Seitenhieb einstecken und versuchen das Beste daraus zu machen.
Ich konnte nicht ständig abhauen, weil es gerade nicht passte. Das ging in der Schule vielleicht noch gut und die Lehrer drückten da oft genug ein Auge zu, aber im echten Leben ging das nicht. 

Falls ich irgendwann mal arbeiten sollte, konnte ich schließlich auch nicht 3 Stunden vor Feierabend meine Sachen packen und gehen, weil ich nicht einsah, noch irgendwelche Aufgaben zu erledigen.
Da würde ich doch sofort gekündigt werden und könnte mich am nächsten Tag beim Arbeitsamt melden. Das ließ kein Arbeitgeber mit sich machen, die ließen nicht so lange auf der Nase rumtanzen, sondern machten kurzen Prozess.
So einfach spielte das Leben nicht und das hatte ich zu akzeptieren, ob ich es nun wollte, oder nicht. Es konnte nicht immer alles nach meinen Idealen laufen und auch ich musste Kompromisse eingehen.

Natürlich machte es mich fertig, aber vor allem so jemand wie ich konnte nicht eben mal randalieren und aus dem System ausbrechen. Die würden mich viel eher auslachen, denn ich sollte erstmal meinen Schulabschluss schaffen, bevor ich über die Revolution nachdachte.
Bei Lukas lief auch nicht immer alles perfekt. Er hatte Spaß an der Schule, aber auch er hatte seine Tage, die er absolut zum Kotzen fand und an denen er sich wünschen würde, nicht einen einzigen Fuß aus dem Bett gesetzt zu haben.
Mein Freund beschwerte sich auch des öfteren über sämtliche Lehrer, Schüler, den Schulalltag im Allgemein und irgendwelche nervigen Hausaufgaben. Ihm passte auch vieles nicht, brachte ihn zum Verzweifeln und er würde gerne etwas daran ändern wollen.

Aber trotzdem haute Lukas nicht ab, wenn es gerade nicht passte. Wenn es da mal so einen blöden Schultag gab, kotzte er sich kurz bei mir, sagte dann aber, dass es auch wieder vorbeigehen würde.
Nächste Woche würde alles schon wieder anders aussehen und man würde darüber lachen, sich über so eine simple Sachen aufgeregt und seine Zeit damit verschwendet zu haben. Es würde alles schon wieder werden, es gehörte zum Leben dazu.
Nur weil ich das Thema in Physik nicht verstand, musste ich nicht gleich den Kopf in den Sand stecken und alles hinschmeißen. Es würden auch noch ganz andere Themen kommen, in denen ich besser sein würde. Es ist schließlich nicht für immer so.

Ich seufzte leise, rauchte die Zigarette zu Ende und holte mir sofort die Nächste heraus. Ich steckte sie mir zwischen die Lippen, zündete sie an und sie fiel mir fast wieder aus dem Mund, als ich das Feuerzeug gerade wegstecken wollte.
Ich schüttelte mit dem Kopf, rieb mir die Brillengläser sauber und kniff die Augen zusammen, weil ich nicht wahrhaben wollte, was da gerade vor mir stand. Was auch immer ich mir dabei gedacht hatte, aber meine Beine hatten mich zu Lukas getragen.
Ich bin ohne irgendeinen Plan von irgendwas losgegangen und hatte eher weniger die Absicht gehabt, ausgerechnet bei seiner Schule stehen zu bleiben. Ich wollte auf gar keinen Fall, dass Lukas mich sehen und etwas von dem Fehltritt erfahren würde.

Aber wahrscheinlich wollte mir mein Unterbewusstsein damit sagen, dass ich ihm gefälligst zeigen sollte, was für ein verdammter Loser ich bin. Dass ich ohne ihn nicht geschissen bekam und mein einziger Ausweg das Schwänzen war.
Oder auch wollte mir mein Kopf damit zeigen, was ich hätte erreichen können, wenn ich genau so ein engagierte und fleißiger Schüler wie Lukas geblieben wäre. Ich hätte tatsächlich mal die Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, von dem heute nichts mehr übrig ist.
Ich hatte mich ja viel lieber mit anderen Dingen rumgeschlagen, als mit meiner Zukunft. Dabei könnte ich genau jetzt in der Abiturprüfung sitzen und danach irgendwas studieren. Ich müsste mir keine Sorgen machen und hätte eine abgesicherte Zukunft.

Hastig rauchte ich meine Zigarette und schüttelte den Gedanken von mir ab. Ich hatte ja mittlerweile eingesehen, dass das Alles ein riesiger Fehler gewesen ist und es da sicherlich eine bessere Lösung für gegeben hätte.
Aber genau so wenig wollte ich jetzt wieder zurückgehen, denn meine Lehrer würden mich fragen, wo ich denn in Chemie gewesen bin und was mir denn bitte einfiele, ausgerechnet jetzt noch zu schwänzen, wo sowieso schon alles auf dem Spiel stand.
Ich hatte keinen Bock auf dieses dumme Gelaber, wo ich mir irgendwelche Pseudoweisheiten anhören musste. Ich bin sowieso nicht sonderlich gut auf die Schule zu sprechen, da wollte ich nicht noch mehr Chaos verursachen.

Die ganzen Pfeifen hatten doch eh keine Ahnung, was in mir vorging und sollten sich auch nicht in meine Probleme einmischen. Es wäre das Beste diese Kommentare zu ignorieren und sie vom Gegenteil zu überzeugen, aber sie lästerten doch sowieso über mich.
Vollkommen egal, ob ich Erfolge vorzuweisen hatte, oder nicht, es wurde über mich hergezogen, wo es nur ging. Meine Physiklehrerin hatte sich im Lehrerzimmer doch safe über mich lustig gemacht, weil ich als Einziger die Aufgaben nicht verstanden und wie ein Häufchen Elend dagesessen hatte.
Ich wusste doch, wie sie alle über mich dachten. Es überraschte wahrscheinlich keinen, dass ich es mal wieder nicht gepackt und all die guten Vorsätze augenblicklich über Bord geschmissen hatte.

Schon von Anfang an hatten sie alle daran geglaubt, dass das nicht mehr werden könnte. Schon als ich an die Schule kam, stand mein Urteil fest und nur aus Mitleid, weil sie es halt eben machen mussten, hatten sie mich über sich ergehen lassen.
Die Aufgaben gaben sie mir nur, weil mein Klassenlehrer das so veranlasst hatte. Ansonsten hätten sie mir schon längst gesagt, dass ich es gar nicht erst versuchen sollte, weil ich am Ende eh mit leeren Händen dastand.
Es stand fest, dass ich keinen Schulabschluss bekommen würde und mit dem Schwänzen machte ich das Alles auch nicht besser. Ich gab mir nur noch mehr Gründe dafür, mich zu hassen und mir selbst immer mehr Steine in den Weg zu legen.

Ich hörte es zur Pause klingeln und zuckte leicht zusammen. Ich sah zum Schulhof, wo die Eingangstüren mit einem Mal aufsprangen und die ersten Schüler das Gebäude verließen, um nach draußen zu rennen.
Ich rauchte meine Kippe etwas schneller auf, drückte sie mit der Schuhsohle auf dem Boden aus und entfernte mich etwas vom Block. Ich sah mich in der Gegend um und versteckte mich hinter einem Busch, der direkt neben dem Zaun lag.
Sofort schlug mein Herz einige Takte schneller und ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich Lukas sehen konnte, der mit Maria zusammen aus dem etwas schäbigen Gebäude kam. Sie unterhielten sich miteinander und ließen sich schlussendlich auf einer Bank nieder.

Ich trat etwas näher an den Zaun, um meinen Freund besser mustern zu können, welcher sich die schwere Mappe von den Schultern schüttelte und den Reißverschluss aufriss, um einen seiner Hefter herauszuholen.
Ich lächelte und mir fiel ein, dass Lukas erwähnt hatte, dass er heute einen Test in Geografie schreiben würde. Vor einigen Tagen hatte er bei mir Zuhause seinen Lernzettel dafür angefertigt, während ich meine Mathehausaufgaben gemacht habe.
Er holte diesen heraus, legte den weißen Hefter vor sich ab und drückte ihn Maria in die Hand. Ich spannte mich leicht an, umklammerte mit meinen Fingern fest den Zaun und biss mir nervös auf die Unterlippe.

Vom Weitem konnte ich natürlich nicht hören, wa mein Baby da von sich gab, aber wie es aussah, schienen die zwei gerade zu lernen. Lukas gestikulierte wie verrückt mit den Händen und rutschte vollkommen aufregt von einer Stelle zur Nächsten.
Ich musste nur noch viel breiter lächeln und fand ihn einfach zum Fressen. Am liebsten wollte ich jetzt zu ihm gehen, ihn en Arm nehmen und ihm versichern, dass er das sicher ganz toll machen würde.
Als wir gestern Abend vorm Schlafengehen nochmal miteinander telefoniert hatten, hatte Lukas mir mit aufgedrehter Stimme davon berichtet, wie verrückt ihn das alles machte, dass er immer wieder total durcheinander kam und es nur noch hinter sich bringen wollte.

Ich beobachtete ihn still vor mich hinlächelnd, musste aber auch seufzen. Ich verlor eine Träne aus dem Augenwinkel und sah hinunter auf meine Füße. Ich sollte jetzt nicht hier sein und meinen Schatz beim Lernen anschmachten. 
Ich sollte selbst in der Schule sein und etwas lernen. Ich sollte viel eher wie er sein. Ein Schüler, der selbst vorm Test nochmal alles durchging, obwohl er sowieso schon viel zu viel gemacht hatte.
Ich sollte jetzt nicht hier stehen und ihn anhimmeln, denn ich hatte nicht hier zu sein. Mein Arsch sollte in der Schule sein, im Chemieunterricht, wo ich gerade etwas über Säuren und Basen lernen würde. Ich sollte mich schämen hier zu stehen und nicht so ein dämliches Grinsen in der Fresse tragen.

Wenn mich Lukas jetzt erwischen würde, brauchte ich mich gar nicht mehr bei ihm melden. Er würde mich nur fragen, was zur Hölle ich hier zu suchen hatte und was mir denn bitte einfiele, mir so etwas zu erlauben.
Wenn ich ihm dann den Grund nennen würde, würde Lukas mir so einen Arschtritt verpassen, dass ich wieder in der Schule landete. Er würde komplett ausrasten, denn das Alles ist keine Ausrede dafür, auch noch meine letzte Chance aufs Spiel zu setzen.
Leider merkte ich immer viel zu spät und zur falschen Zeit, dass mein Handeln nicht richtig gewesen ist. Mir hätte schon in der Schule einfallen müssen, dass das Schwänzen keine schlaue Idee ist. Aber wie immer machte ich erst und dachte dann nach...

Ich sah zu Lukas, der jetzt Maria abfragte und die Tränen rollten mir wie Bäche die Wange hinunter und tropften aufs Gras. Ich wollte ihn nicht enttäuschen und das Gefühl geben, dass das Alles umsonst gewesen ist.
Ich bin ihm unendlich dankbar für alles, was er für mich getan hatte. Dass er immer noch an meiner Seite ist und sein Bestes gab, um mir zu helfen. Aber ich ging damit um, als wäre es nichts.
Ich machte das Alles gerade kaputt. Das nur, weil es nicht einmal nachdem Ideal lief, weil ich keinen Einfluss darauf haben konnte, wie das Leben spielte und mir die Karten nicht alleine legen konnte.

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und schüttelte über mich mit dem Kopf. Ich sollte damit aufhören, mich so zu bemitleiden, denn ich hatte mir die Scheiße ja schließlich selbst eingebrockt.
Ich würde nicht an dem Punkt stehen, wenn ich schon vor Jahren anders gehandelt hätte. Aber anstatt einmal nachzudenken, was passieren könnte, hatte ich mich immer tiefer in die Scheiße geritten.
Ich wollte mich am liebsten selbst ohrfeigen, aber es wäre die reinste Doppelmoral, denn das, was ich gerade machte, ist auch nicht besser. Ich lernte wahrscheinlich niemals daraus, weil ich immer noch rechtzeitig aufgefangen wurde.

Ich musterte Lukas und wäre so gerne wie er. Ein Junge, der sich von so einem Pipifax nicht unterkriegen ließ und einfach weitermachte, auch wenn er am liebsten alles zusammenschlagen wollte, was in greifbarer Nähe ist.
Der sich nur kurz darüber ärgerte, dann aber lachte und versuchte, dass Beste aus der Situation zu machen. Der alles Erdenkliche tat und sich darum bemühte, gute Noten zu schreiben und einen vernünftigen Schulabschluss zu bekommen.
Aber auch ein Mensch, der sich allein' therapieren und helfen konnte. Der nicht noch eine zweite Person brauchte, die über alles rüber sah und die einen immer wieder ermahnen musste, um nicht in alte Gewohnheiten zu verfallen.

Lukas ist so perfekt und ich bin das genaue Gegenstück dazu. Er ist viel zu gut für diese Welt und ich hatte ihn nicht verdient. Immer wieder musste ich ihn enttäuschen und ihm zeigen, was für ein erbärmlicher Lappen ich bin.
Er sah so glücklich aus, wie der da mit seiner besten Freundin auf der Bank saß und keinen blassen Schimmer davon hatte, was sein fester Freund in diesem Moment gerade machte. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich schwänzte.
Natürlich konnte ich es nicht für immer geheimhalten, aber ich wollte ihm das nicht kaputtmachen. Ich möchte nicht noch mehr Chaos verursachen, dass er sich Sorgen um mich machte und sich ständig die Frage stellen musste, ob ich gerade in der Schule bin, oder nicht.

Es lief momentan so gut und das sollte auch so bleiben. Ich wollte das nicht zerstören, schließlich hatte ich meinen Fehler schon längst eingesehen und würde ihn auch kein zweites Mal machen.
Ich fuhr mir die Tränen aus dem Gesicht und versuchte mir keine Gedanken darüber zu machen, denn es ist nur eine Ausnahme gewesen, mehr nicht. Eine Ausnahme, die sich auf gar keinen Fall wiederholen durfte.
Wenn es mir das nächste Mal so gehen sollte, würde ich nicht aus dem Impuls heraushandeln. Ich blieb in der Schule und konnte mich am Ende des Tages darüber ärgern, um kurz darauf zu realisieren, dass es gar nicht mal so schlimm gewesen ist.

Mein Handy vibrierte und erschrocken zuckte ich zusammen. Ich griff mir sofort an die Hosentasche und presste die Hand vor den Mund, als ich sah, dass Lukas mir geschrieben hatte. Panisch sah ich zu ihm, war mir aber sicher, dass er mich nicht gesehen haben konnte.
'Hey, Schatz! ♥ Alles gut bei dir? Wie geht's dir?😄 Lerne gerade für Geografie und bin schon richtig aufgeregt!!! Das kann was werden. 😅 Muss gleich rein, melde mich später. Ich mag' dich wirklich gerne. ♥'
Erleichtert atmete ich aus und mein Herzschlag normalisierte sich. Gleichzeitig brach mir dieses aber auch, denn er dachte wirklich, ich würde mich in der Schule befinden. Er hatte so viel Vertrauen in mir und ich spielte damit.

Unsicher sah ich zu ihm, las mir seinen Text immer wieder durch und haderte damit, was ich ihm schreiben sollte. Immer wieder tippte ich einige Zeilen, doch löschte sie sofort wieder, weil es sich nicht richtig anfühlte.
'Hey, Baby! ♥ Ehrlich gesagt ist nichts gut. Physik lief total beschissen und ich stehe vor deiner Schule, guck' mal rüber. 😅' Wenn ich das bringen würde, würde Lukas komplett ausflippen und mich einmal quer durch die Nachbarschaft jagen.
Ich raufte mir durch die Haare, aber ich wollte Lukas vor diesem wichtigen Test nicht irgendwelche Sorgen bereiten. Am Ende könnte er sich gar nicht konzentrieren, weil er ständig an mich denken musste.

Ich wollte ihn nicht anlügen, aber es reichte schon, dass einer von uns beiden seinen Schulabschluss aufs Spiel setzte, da musste er nicht nachziehen und uns zusammen in das nächste Chaos stürzen.
Ich seufzte leise, entsperrte mein Handy  und ging auf WhatsApp, um mit Tränen in den Augen die Zeilen zu tippen, die mir das Gefühl gaben, dass ich doch nicht alles falsch machen würde.
Ich las mir die Nachricht noch einmal durch und mein Daumen zuckte leicht unsicher über den Senden-Knopf, den ich schlussendlich, mit einem Blick zu Lukas, drückte. Ich wusste, dass es nicht richtig ist, aber ich wollte ihn nicht enttäuschen...

Timi, 10:34 Uhr:,,Hey, Baby! ♥ Bei mir ist alles gut, Chemie ist nur etwas nervig gerade. 😅 Wäre jetzt viel lieber bei dir und würde dich abknutschen. 😉 Mach' dir keine Sorgen, mein Schatz, du packst das. 💪 Du hast so fleißig gelernt und so viel gemacht. Ich hab' dich auch gern', sehr gerne sogar. Ich kann es kaum erwarten, dich nach der Schule abzuholen. ♥''



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