Fahrradfahrer, Sorgen und Nostalgie
,,Timi, du sollst fünf Sekunden draufhalten! Wie soll der Cutter denn aus ein paar Millisekunden ein schönes Bild kriegen?'', fragte mich Alex und kam auf mich zu, um mich von der Kamera wegzustoßen.
,,Slowmotion geht doch immer!'' verteidigte ich mich und sie verdrehte die Augen.
,,Haha, sehr witzig.'', antwortete sie sarkastisch und schwenkte die Kamera zu irgendwelchen Fahrradfahrern, ehe sie diese scharf stellte.
,,Ist doch nicht schlimm, wenn ein paar Aufnahmen nicht so gut sind.'', sagte ich und zuckte mit den Schultern.
,,Na ja, natürlich ist das nicht schlimm und wir werden auch nicht alle Aufnahmen verwenden. Aber es sollten schon einige Gute dabei sein, weil wir schließlich irgendwie auf zwei Minuten kommen müssen und ich nicht unnötig Ärger deswegen bekommen will.'', erklärte mir Alex seufzend und schwenkte die Kamera in eine andere Richtung.
,,Und wenn das so ist, dann scheißt du einfach drauf.'', antwortete ich grinsend und kassierte für diese Aussage einen Boxer auf den Arm.
,,Hör' auf, ständig so gleichgültig zu sein!''
,,Ach Alex, ein wenig Gleichgültigkeit würde dir auch nicht schaden!'' Ich nahm ihr das Cappy vom Kopf und wuschelte ihre blonden Haare durch.
,,Das kann man doch mal filmen, das ist sogar viel sehenswerter, als irgendwelche blöden Fahrradfahrer!'', sagte ich lachend, drehte die Kamera in Alex' Richtung und nahm sie dabei auf, wie sie sich ihre Haare zu recht ordnete.
Als meine beste Freundin ihre Haare dann wieder einigermaßen in Ordnung gebracht und ihr Cappy wieder auf dem Kopf hatte, bemerkte sie endlich, dass ich sie die ganze Zeit über gefilmt hatte.
,,Du bist so bescheuert.'', sagte sie lachend und streckte mir den Mittelfinger entgegen, an welchen ich natürlich liebend gerne heranzoomte und ihn daraufhin scharf stellte.
,,Timi!'', erwiderte sie noch, ehe sie zügig auf mich zu ging und mir einen leichten Klaps auf den Hinterkopf gab.
,,Hey, keine Gewalt.'', sagte ich lachend und hielt meine Hände schützend vor mich, um einen weiteren Schlag von ihr zu verhindern.
,,Bei dir hilft manchmal nur Gewalt!'', versuchte Alex ernst zu klingen, doch konnte sich ein Grinsen trotzdem nicht verkneifen.
,,Jetzt sei mal nicht so frech und dreh' weiter deine schönen Impressionen.'', befahl ich ihr lächelnd und ließ Alex wieder an die Kamera.
,,Geht jawohl schlecht, wenn du mich vom Arbeiten ablenkst.'' Sie hielt mir erneut ihren Mittelfinger entgegen und ich knickte diesen nur lachend um.
Danach ließ ich Alex weiter ihre Impressionen drehen und setzte mich auf eine Bank, wo ich ihr bei ihren Aufnahmen definitiv nicht im Weg saß, weil ich wahrscheinlich ansonsten so unfähig wäre und ständig in die Kamera gucken würde, sobald Alex diese nur ein kleines bisschen in meine Richtung lenkte.
,,Alex?'', fragte ich irgendwann und sie drehte sich um, um mich fragend anzusehen.
,,Hast du 'ne Kippe für mich?'', fragte ich, weil ich unbedingt eine rauchen musste.
,,Sehe ich aus wie ein Raucher?'' Sie machte eine fragende Handbewegung und filmte einfach weiter.
,,Ne, aber dein bester Freund ist einer.'', rief ich ihr lachend zu und auch wenn ich nur ihren Hinterkopf sah, wusste ich, dass sie gerade dabei war, grinsend die Augen zu verdrehen.
,,Heißt das etwa, dass ich immer Zigaretten dabei haben muss, wenn mein bester Freund ein Raucher ist?'', fragte sie mich, als sie gerade mit Kamera und Stativ bewaffnet vor mir stand und das Stativ abbaute.
,,Ja, das heißt es. Du musst immer eine Notfallpackung für mich dabei haben.'', antwortete ich völlig ernst und sie lachte.
,,Ja, natürlich. Du hast auch 'ne Vorstellung von mir.'' Alex schüttelte grinsend mit dem Kopf und verstaute die Kamera in eine Tasche, ehe sie mir diese gab.
,,Aber wo sind denn eigentlich deine Kippe? Du nimmst doch immer sicherheitshalber 'ne volle Packung mit.'', fragte sie daraufhin nach und machte die Stativtasche um ihre Schultern.
,,Hat Ronny.'', antwortete ich wahrheitsgemäß und erhob mich von der Bank.
,,Warum hat er die denn? Und dann auch noch 'ne ganze Packung - die würdest du doch höchstens nur Marcel geben.'', fragte sie mich weiter aus, zog die Augenbrauen hoch und ich seufzte.
,,Das erzähle ich dir alles, wenn wir jetzt Richtung Innenstadt gehen, ok?'', sagte ich und auf Alex' Nicken hin, gingen wir auch schon vom Wall los - Richtung Innenstadt.
Als wir gerade auf dem Marktplatz ankamen, war ich auch gerade fertig mit meiner Erklärung, wieso, weshalb und warum Ronny meine Kippen hatte und Alex sah mich mit ganz großen Augen an und wusste wohl nicht so recht, was sie darauf erwidern sollte.
Ich hatte ihr natürlich noch nicht alles erzählt, was die letzten Tage so alles passiert war, aber über diesen ganzen Stress mit Ronny und wahrscheinlich jetzt auch mit der Gang, wusste sie jetzt schon einmal Bescheid.
Das andere würde ich ihr selbstverständlich auch noch erzählen, aber erst, wenn wir mit dieser Arbeit fertig waren, damit sich Alex nicht noch während den ganzen Aufnahmen Gedanken darüber machte und dann noch so unkonzentriert dabei war, sodass die Bilder der letzte Mist wurden und man sie deswegen noch einmal losschicken musste. Und das wollte ich meiner besten Freundin nur ungerne antun, weshalb ich das erst einmal außen vor ließ und es zu einem späteren Zeitpunkt ansprechen würde.
,,Alles OK?'', fragte mich Alex besorgt und ich sah in ihr fragendes Gesicht.
,,Ja, alles gut.'', antwortete ich schnell und wendete sofort den Augenkontakt mit ihr ab.
,,Wirklich?'', harkte sie nach und legte ihre Hand auf meine Schulter.
,,Ich erzähle es dir, wenn wir fertig sind, ok?'', versuchte ich meine beste Freundin irgendwie zu beruhigen, weil sie erst wieder herunterkommen würde, sobald ich komplett mit der Sprache herausrückte.
,,Es gibt noch mehr zu erzählen?!'', fragte sie aufgebracht und so laut, sodass Alex einige Blicke von Passanten auf uns gerichtet wurden, und es nicht nur daran lag, dass wir mit einer fetten Kamera und einem Stativ bewaffnet in der Innenstadt standen.
,,Ja, das eben war noch nicht alles. Aber du wirst es nachdem Dreh erfahren. Mach' dir keine Sorgen, sondern bleib ganz ruhig.'', beruhigte ich sie und Alex drehte wie befohlen weiter ihre Impressionen. Aber dennoch bekam ich mit, wie angespannt sie jetzt auf einmal war und wie sehr sie mit sich selbst zu kämpfen hatte, mich nicht weiterhin danach auszufragen, was denn nun in den letzten Tagen so passiert war.
Manchmal musste man schon darauf aufpassen, was genau man Alex erzählte. Nicht, weil sie es weitererzählte, sondern eher, weil sie oft dazu neigte, sich über viele Dinge, welche eigentlich total harmlos waren, die krassesten Dinge auszumalen und dachte, es hätte sonst was passieren können, obwohl es wirklich rein gar nichts schlimmes war und man ihr dies auch mehrfach bestätigte.
Na ja, aber in Schutz nehmen musste ich sie in dieser Hinsicht manchmal schon, weil ich es durchaus nachvollziehen konnte, dass Alex vor allem bei mir so überfürsorglich war. Denn wir kannten uns schon, seitdem wir gerade einmal vier Jahre alt waren und das hieß, dass sie schon einiges mit mir zusammen erlebt hatte und auch so einiges über mich wusste.
Alex wusste wie es war, als mein leiblicher Vater noch mit meiner Mutter zusammen war und sie auch noch wirklich ineinander verliebt waren.
Sie wusste wie es war, als bei mir Zuhause alles nach und nach immer mehr aus dem Ruder lief und sich meine Eltern nur noch miteinander gestritten hatten, anstatt sich irgendwelche süßen Dinge gegen den Kopf zu knallen.
Alex wusste wie es war, als ich in eine Pflegefamilie und daraufhin in die Psychiatrie gesteckt wurde.
Wusste wie es war, als meine Eltern sich endlich voneinander trennten und meine Mutter keine paar Monate später mit einem völlig anderen Mann an ihrer Seite nach Hause kam.
Und...ach, Alex hatte gefühlt alles miterlebt, was ich auch miterlebt habe und ich war so froh darüber, dass ich so einen Menschen wie Alex in meinem Leben hatte, welcher mich in dieser Hinsicht genauso gut verstand, wie ich selber. Sie kannte mich in und auswendig und wusste immer ganz genau, wie ich mich fühlte, was ich dachte und wieso ich manche Dinge tat, obwohl diese total schwachsinnig waren.
Ich lehnte mich seufzend gegen eine Laterne, sah meine beste Freundin an, welche gerade ein paar Tauben filmte und schwelgte in Erinnerung daran, wie wir uns damals eigentlich kennengelernt hatten.
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