Erkenntnis


,,Timi, hey, komm' mal hoch...'', befahl mir Linda in einem sanften Ton und griff nach meiner Hand, um mich an dieser hochzuziehen.
Widerwillig ließ ich mich von meiner Stiefschwester nach oben ziehen und als ich wieder auf meinen beiden Beinen stand, wischte ich mir die Tränen leicht aggressiv aus dem Gesicht.
Doch das brachte nichts, da die Nächsten sich direkt ihren Weg in die Freiheit bannten und ich wieder anfing zu heulen.
Linda handelte natürlich sofort, zog mich augenblicklich in ihre Arme und strich mir einmal sachte und langsam zugleich, mit ihren Fingerkuppen, über den Rücken.

,,Sh...bleib' ruhig, Timi.'', flüsterte sie mir beruhigend ins Ohr, ich presste mich viel näher an meine Stiefschwester heran und weinte ihr Shirt dabei voll.

,,Linda, ich hab' so Angst...'', nuschelte ich gegen ihre Halsbeuge und krallte mich wie ein Ertrinkender an ihr fest.

,,Wovor das denn, mein Schatz?'', fragte sie besorgt nach, löste mich etwas von sich und strich mir die Tränen aus dem Gesicht.

,,Hm, Hase, was ist denn los?'' Linda strich mir sachte über die Schultern, legte den Kopf schief und sah mich weiterhin mit besorgten Augen an.
Ich seufzte frustriert auf, fuhr mir leicht aufgebracht durch die Haare und hielt mir die Tränen zurück, weil ich einfach nicht weinen wollte.

Es brachte doch eh nichts, wenn ich jetzt heulte, denn es würde rein gar nichts an der Situation ändern und besser machen würde es sowieso so gar nichts - so überhaupt nicht.

,,Timi, du weißt doch, dass wir zwei über wirklich alles miteinander reden können und ich dich für wirklich nichts verurteilen werde. Du kannst immer zu mir kommen, wenn irgendwas ist und du kannst dir auch sicher sein, dass ich es wirklich niemanden erzählen werde - auch nicht deiner Mama.'', sagte Linda nun etwas ruhiger, strich mir einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht und lächelte mich aufmunternd an.
Dann griff Linda nach meiner Hand und zog mich daraufhin in die Richtung meines Bettes, wo ich mich augenblicklich niederließ und mir die Decke über den Kopf zog.

Ich spürte, wie sich die Matratze einmal senkte und sich Linda daraufhin neben mich legte. Kurze Zeit später wurde mir die Decke vom Kopf gezogen und meine Stiefschwester blickte mich weiterhin besorgt von der Seite an.

,,Timi, was ist denn nur los? Ist irgendwas zwischen dir und Lukas vorgefallen? Habt ihr euch gestritten, oder was ist passiert?'', fragte meine Stiefschwester ihrem Gesichtsausdruck entsprechend nach und rückte dabei näher an mich heran.
,,Nein, zwischen mir und Lukas ist soweit alles gut. Da ist nichts weiter vorgefallen und es gab auch keinen Streit.'', bestätigte ich ihr direkt, doch seufzte trotzdem einmal.
,,Es liegt viel eher an das Ganze drumherum, was unserer Liebe im Weg stehen könnte, beziehungsweise schon längst steht.'', fügte ich noch hinzu und vergrub die Hände daraufhin in meinem Gesicht. Das war doch alles scheiße, man! Konnte mein Leben nicht einmal gut laufen?!

Ich hasste es einfach, dass meiner und Lukas' Liebe so verdammt viel im Weg stand und wir sie nicht einfach so ausleben konnten, so wie wir es eigentlich wollten und ich es auch so gerne hätte.

Lukas konnte sich gar nicht vorstellen, wie gerne ich diesen ganzen Vollidioten von der Gang liebend gerne unter die Nase reiben wollte, wie glücklich ich eigentlich mit diesem Kerl an meiner Seite und wie scheiß egal mir ihre Meinung war.

Doch das war sie mir leider nicht, denn sie machte mir einfach viel zu große Angst und ich wollte mir gar nicht vorstellen, was alles passieren würde, wenn Ronny das zwischen mir und Lukas erfahren würde. Safe würde die Hölle los sein, darauf konnte ich Gift nehmen.

Außerdem wollte ich Lukas nicht in irgendwelche Schwierigkeiten bringen, denn das hatte dieser Kerl absolut nicht verdient und es geschieht ihm auch überhaupt nicht recht.
Auch wenn Lukas meinte, dass er mit mir zusammen durch sämtliche Scheiße gehen würde, wollte ich echt nicht, dass er so etwas durchmachen musste, denn wirklich niemand hatte den Zorn des Ronnys auf sich verdient. Und vor allem nicht mein Lukas.

Es war schließlich immer noch meine Sache und Lukas konnte absolut nichts dafür, dass ich mich ausgerechnet in ihn verliebt hatte und nun mal voll und ganz auf Jungs stand. Doch das würde Ronny sowieso nicht verstehen, denn sowas gab es in seiner Welt einfach nicht.

,,Was soll denn eure Liebe stören?'', fragte Linda verwirrt nach, drehte sich zu mir und legte daraufhin den Arm um mich, um mich auf sich zu ziehen.

Ich seufzte nur, traute mich nicht, meiner älteren Stiefschwester in die Augen zu blicken und fuhr erneut einige verirrte Strähnen und die Tränen aus dem Gesicht.

,,Wegen dieser beschissenen Gang!'', antwortete ich leise, sodass ich es selbst kaum gehört hatte, obwohl ich innerlich nahezu am Explodieren deswegen war. Ich hasse euch!

,,Was denn für eine Gang?'', fragte Linda weiterhin verwirrt und löste mich etwas von sich.
,,Davon hab' ich dir doch mal vor Ewigkeiten erzählt. Diese ganzen Typen, mit denen ich sonst immer rumgehangen habe und weswegen Mama und ich uns doch öfters mal in die Haare bekommen haben.'', half ich ihrer Erinnerung auf die Sprünge und die Miene meiner Stiefschwester erhellte sich mit einem Mal.
,,Ach, die. Mit diesem komischen Ronny, oder? Der immer einen auf übelsten Macker macht und dabei aussieht wie 'n Bleistift auf zwei Beinen, 'ne?'', harkte sie nach und ich nickte augenblicklich, während ich aufgrund ihrer Wortwahl kurz schmunzeln musste.

,,Und warum stehen ausgerechnet diese Leute eurer Liebe im Weg?''
,,Mensch, Linda, dieser Ronny hat was gegen Schwule und vor allem auch gegen Lukas, weil er eigentlich unser größter Feind ist, obwohl er nie irgendwas gemacht hat. Er saß da nur immer auf seinem scheiß orangen Stuhl und trotzdem hassen sie ihn, obwohl er doch so lieb ist.'', erklärte ich ihr, vergrub die Hände in meinem Gesicht und begann daraufhin leise zu schluchzen.
Linda handelte natürlich sofort, zog mich viel fester in ihre Arme und strich mir daraufhin wieder sachte mit ihren Fingerkuppen über den Rücken, während ich mich viel näher an sie presste.

Dann erzählte ich Linda etwas mehr von der Gang, als sie eigentlich wusste und erfahren sollte. Was mir alles passieren würde, wenn sie von mir und Lukas erfahren würden, warum Ronny etwas gegen Schwule hatte und was alles deswegen schon passiert war.
Dann erzählte ich ihr auch noch davon, was für eine Angst ich davor hatte, meiner Mama von meiner Homosexualität zu erzählen und Linda hörte mir bei allem aufmerksam zu und unterbrach mich dabei kein einziges Mal.

Sie staunte natürlich nicht schlecht, über das, was ich da eigentlich sagte und war selbstverständlich sichtlich geschockt davon, in was für einer Scheiße und komplizierten, ausweglosen Situation ich eigentlich steckte.

,,Timi, warum hast du denn nie früher was gesagt? Da hätten wir doch schon längst einen Lösungsweg finden können! Du musst raus da und zwar schnell!'', fragte Linda besorgt und leicht aufgebracht zugleich nach, als ich mit meiner Erzählung fertig war und strich mir die neugebildeten Tränen direkt aus dem Gesicht.
,,Weiß ich doch auch nicht. Ich will einfach niemanden mit meinen Problemen nerven, es soll sich doch schließlich keiner unnötig Sorgen um mich machen. Ihr habt doch alle selber genug eigene Probleme.'', antwortete ich wahrheitsgemäß und zuckte mit den Schultern.
,,Timi Schatz, bei sowas nervst du doch niemanden, da musst du deinen verdammten Mund aufmachen. Du musst da raus, verdammte Scheiße. Ich bin so schockiert.'', erwiderte Linda, löste mich etwas von sich und sah mich ernst an.

,,Linda, das ist doch alles nicht so einfach! Ein Kerl ist schon wegen dem nach Frankreich gezogen, weil er raus aus der Gang wollte und mit mir soll wohl auch das Gleiche passieren, wenn ich auf die Idee komme.'', schluchzte ich und wollte meinem dreizehnjährigen-Ich am liebsten eine auf die Fresse hauen. Was hast du nur getan?
,,Wie bitte?! Das kann ich mir nicht vorstellen, Timi. Der ist doch selbst noch so jung und als ob mit der Polizei nicht irgendwas gegen den unternommen werden könnte.'', erwiderte Linda darauf skeptisch, sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und wollte mir nicht so wirklich Glauben schenken.
,,Es ist aber echt so! Ich hab' doch gesehen, wie die Eltern da mit dem verdammten Umzugswagen losgefahren sind und...und Ronny war auch 'ne Zeit lang weg, weil er das in Frankreich alles kontrollieren wollte!'', erklärte ich ihr aufgebracht, raufte mir die Haare und ich vernahm von Linda ein kurzes, lautes Lachen.

Ich musterte meine ältere Stiefschwester nur verwirrt von der Seite, denn ich fand echt nicht den Teil, wo es was zum laut Auflachen gab. Wo ist Lindas Empathie denn nur plötzlich hin? 

,,Tim, glaubst du der kleinen Bohnenstange wirklich alles, was sie dir erzählt?! Brüderchen, ich hab' dich ja schon etwas intelligenter eingeschätzt.'', fragte sie kichernd nach und schüttelte einmal mit dem Kopf.

,,Na ja, warum sollte das denn nicht stimmen? Irgendwo ergibt das doch auch alles Sinn und Ronny kennt viele üble, brutale Kerle und da wird sich dieser Mike wohl nie getraut haben, mit seiner Familie zur Polizei zu gehen, wenn er diese auf ihn losgeschickt hat.'', erklärte ich Linda weiterhin mit einem skeptischen Unterton und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es nicht so sein sollte. Das konnte doch nicht wirklich so einfach sein!
,,Wow, und diese Typen verlangen bestimmt auch einiges von Ronny und wollen ihm höchstwahrscheinlich nicht ständig bei jeder Scheiße den Rücken decken. Ich schwöre dir, Tim, in der Zeit, wo er angeblich in Frankreich gewesen sein sollte, war der sicherlich im Jugendknast, oder so. Kein normales Elternteil geht bei sowas nicht zur Polizei und lässt sich auch noch einfach so aus dem Land ekeln.'', widersprach Linda mir weiterhin, sah mich ernst an und ich dachte darüber nach, ob ihre Worte nicht tatsächlich stimmen könnten, denn ein weinig suspekt war diese ganze Sache ja schon.
Es konnte ja wirklich kein Zufall sein, dass Ronny wirklich so lange weg gewesen war, wir keinen Kontakt zu ihm haben und er uns noch nicht einmal beweisen konnte, dass er auch tatsächlich in Frankreich gewesen war. Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt gerade mal vierzehn gewesen und seine Mutter wird ihn da jawohl kaum alleine irgendwohin reisen lassen haben, das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Also hatte Linda vielleicht sogar Recht?

,,Du könntest schon Recht haben...'', sagte ich nachdenklich und sah nach oben zu meiner Schwester, die ihre Arme nun viel fester um mich schlang.
,,Ich weiß nicht, ich kann mir das halt echt nicht vorstellen, dass so eine kleine Bohnenstange wirklich so viel Macht besitzt und vor allem bei irgendwelchen brutalen Kerlen so groß aufmucken kann. Sorry, aber noch nicht mal ich kann den Typen für voll nehmen.'', gab Linda zu und ich musste über ihre Wortwahl mal wieder nur kurz auflachen.
,,Wirklich Timi, fang' mal langsam damit an, seine Worte richtig zu beleuchten und hin und her zu wenden. Da stimmt irgendwas einfach nicht. Vielleicht wohnt die Familie auch schon längst wieder in Deutschland - Ronny wird das jawohl kaum kontrollieren.'', befahl sie mir eindringlich und ich nickte.

,,Ich bin ja eh gerade dabei, mich mehr und mehr von denen abzuschotten. Ich geh' schon gar nicht mehr zu den Treffen und versuche denen auch, so gut wie es eben nur geht, aus dem Weg zu gehen.'', erzählte ich ihr und Linda sah mich nun sichtlich erstaunt an.
,,Das ist doch sehr gut, Timi. Du musst auch nicht mit denen abhängen, die tun dir eh nicht gut. Deine Mama hatte mir auch erzählt, dass ihr euch deswegen vor einigen Wochen wieder extrem in den Haaren hattet.'', lächelte Linda stolz und ich nickte erneut, während ich aufgrund des letzten Teils einmal kurz seufzen musste.
Linda zog mich nur noch viel fester in ihre Arme, strich mir sachte mit ihren Fingerkuppen über den Rücken und drückte mir daraufhin einen Kuss auf die Haare, weshalb ich augenblicklich breit schmunzeln musste.

,,Aber ich weiß noch gar nicht so recht, was ich tun soll, wenn Ronny mir mal wieder schreibt und mir mit irgendwas droht, Linda. Ich werd' bei sowas direkt schwach, weil ich denke, dass er es irgendwann mal wirklich tun wird, wenn ich nicht auftauche.'', gab ich zu und eine erneute Träne verließ mich, weil ich mir gar nicht erst erdenken wollte, wann dieser Fall wieder zu treffen würde.
,,Das verstehe ich, Timi. Aber du solltest trotzdem weiterhin versuchen stark zu bleiben und da bloß nicht hinzugehen. Du kannst da nicht zurück und das sollst du auch nicht. Irgendwann ist mit dieser ganzen Scheiße auch mal Schluss und das Abschotten ist ja immerhin schon ein Schritt in die richtige Richtung, mein Hase.'', erwiderte Linda, sah mich bittend an und ich nickte direkt zustimmend.
,,Aber irgendwann musst du dich dem Ganzen auch stellen, das dürfen wir nicht vergessen. Irgendwann wird der Punkt und Tag kommen, wo du damit konfrontiert wirst und alles rauslassen und dich endgültig von ihnen trennen musst.'', fügte Linda noch seufzend hinzu und erneut nickte ich, während ich an diesen Moment gar nicht erst denken wollte.

Ich hatte absolut keine Ahnung davon, wie das Ganze überhaupt dann ablaufen würde, denn ich würde Ronny halt wirklich alles Mögliche zu trauen.
Es könnte echt verdammt vieles mit mir und meiner Familie passieren und ich wollte echt niemanden, der mir lieb und wichtig ist, wegen sowas in irgendeine Scheiße ziehen. Nur ich alleine hatte mir das zu zu schreiben.
Fakt war aber, dass an diesem Tag absolut die Hölle los und mein Leben vielleicht für immer zerstört oder viel entspannter und einfacher werden würde. Es standen echt alle Möglichkeiten offen...

,,Und, wenn dir dieser Kerl mal wieder drohen sollte, kannst du dich gerne jederzeit bei mir melden. Du weißt ja hoffentlich noch, dass Dennis Boxer ist.'', grinste Linda und ich lachte einmal kurz auf, während ich nickte.
,,Aber nur, wenn Ronny auch vorhat, mir eine auf die Fresse zu hauen.'', lachte ich weiterhin und Linda stimmte augenblicklich mit ein.
,,Aber, du kannst mich wirklich jederzeit anrufen, wenn irgendwas wegen der Gang oder allgemein sein sollte. Du weißt ja, dass ich immer für dich da bin und hinter dir stehen werde.'', sagte Linda nun etwas ernster und lächelte mich ihrer Tonlage entsprechend an.

,,Danke.'', bedankte ich mich daraufhin ebenfalls lächelnd bei ihr und sah zu ihr hoch.
,,Timi, doch nicht dafür.'', winkte meine ältere Stiefschwester grinsend ab und stupste mir einmal gegen die Nase.
Ich lächelte nur noch viel breiter, löste mich daraufhin von ihr und fuhr mir einmal durch die Haare, während mich Linda von der Seite musterte.

,,Und um deine Mama musst du dir auch keine Sorgen machen, Timi. Sie liebt dich und wird dich wohl kaum anfangen zu hassen, nur weil du schwul bist. Das könnte sie sicherlich niemals übers Herz bringen.'', sagte Linda dann noch aufmunternd und erneut nickte ich.
,,Ich hoffe mal, dass du mit all deinen Worten Recht hast.'', erwiderte ich schief grinsend und drehte mich daraufhin auf die Seite, während ich meinen Arm angewinkelte und meinen Kopf mit meiner Hand abstützte.
Dann wechselten wir auch schon das Thema und ich erzählte meiner Stiefschwester nun viel ausführlicher davon, was Lukas und ich den Nachmittag so schönes miteinander gemacht hatten.

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