Egal wie ich's mach', es ist so oder so falsch
,,Schlagt bitte Seite 56 auf und bearbeitet die Aufgaben 1 bis 4 bis zum Ende der Stunde.'', sagte unsere strenge Vertretungslehrerin Frau Wilms und begab sich zurück auf ihren Stuhl. Ich seufzte leise, holte mein Buch aus dem Rucksack und schlug dieses auf.
Ich holte meinen Block hervor, schrieb das Datum an den Rand und dazu die passende Überschrift, die ich zusätzlich unterstrich. Ich schrieb 'Aufgabe 1:' darunter und damit ich es nicht vergaß, heftete ich das Blatt direkt in den Hefter.
Sofort grummelte es unangenehm in meinem Magen, denn ich musste an den Ausraster von vor einigen Wochen zurückdenken. Lukas und ich hatten zwar alles wieder einigermaßen hergerichtet und darüber gesprochen, doch trotzdem machte er mir immer noch Sorgen.
Es ist nicht das erste Mal gewesen, dass so etwas passiert ist. In meiner Vergangenheit gab es oft Momente, in denen mich etwas so dermaßen aufgeregt hatte, dass Alles, was mir in die Finger kam, kaputt gemacht wurde.
Ich konnte von Glück reden, dass es bei diesem Mal nur bei kleinen Schäden geblieben ist. Oft genug mussten ganze Möbelstücke neugekauft werden, weil ich meine Emotionen einfach nicht unter Kontrolle hatte und sie nicht anders zu verarbeiten wusste.
Es wichtig, seine Wut herauszulassen, wenn man sauer ist. Auf gar keinen Fall sollte man diese unterdrücken und versuchen die Finger still zu halten, während man innerlich am Kochen war. Das machte die ganze Situation noch viel schlimmer, was natürlich nicht passieren sollte.
Aber man konnte die Wut auch anders rauslassen, als den gerade erst neugekauften Glastisch mit dem Baseballschläger zu zerschmettern, sodass dieser in Einzelteile zerfiel und vollständig zu Bruch ging.
Ich könnte Sport machen, um mich abzureagieren. Ich könnte laufen gehen oder den Boxsack benutzen, der oben auf dem Dachboden lag. Oder ich prügelte auf ein Kissen oder Kuscheltier ein, was ich gerade zur Hand hatte.
Alles wäre wesentlich besser, als irgendwelche Gegenstände zu zerstören, die viel zu schnell kaputt gingen und für solche Sachen nicht ausgelegt waren. Ich konnte auf Sachen einprügeln, die für mich keinerlei Bedeutung hatten und die mir kein schlechtes Gefühl gaben, wenn ich sie zerstörte.
Ich pustete einmal die Luft aus meinen Wangen und schüttelte mit dem Kopf, weil ich an den Vorfall nicht denken wollte. Es ist schlimm genug, dass es überhaupt soweit kommen musste und ich hoffte auf keinen zweiten Rückfall.
Ich konnte von Glück reden, mich halbwegs aus dem Loch gekämpft zu haben. Ich wollte nicht, dass es nochmal passierte und allein' der Gedanke daran, ließ einen eiskalten Schauer über meinen Rücken laufen.
Es ist alles in Ordnung, wie es jetzt ist und falls ich den Anflug von den Dämonen merken sollte, hatte ich Lukas, der mir sofort zur Seite stehen und mir helfen würde. Ich sollte keine Angst davor haben, aber vor allem sollte ich nicht darüber nachdenken.
Ich warf einen Blick auf mein angefangenes Tafelbild und sofort legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich hatte mich in den letzten Wochen wirklich gebessert, denn so viel Ordnung und Sauberkeit hatte ich noch nie an den Tag gelegt.
In den meisten Fällen sah mein Platz wie das reinste Chaos aus. Alles lag quer verteilt auf dem Tisch und meine Arbeitsblätter lagen zusammengequetscht in einem Block, der schon halb auseinanderfiel.
Mittlerweile stapelte ich alles bis auf die Kante genau, hatte es sofort griffbereit und musste nicht ewig lange in meinem Block danach suchen, da ich es in der Stunde zuvor schon abgeheftet und mit Datum versehen hatte.
Auch meine Tafelbilder konnten sich sehen lassen. Sonst hatten sie noch nicht einmal eine Überschrift gehabt, geschweige denn ein Datum. Meistens hatte ich nach den ersten zwei Wörtern aufgehört mit dem Schreiben und sie niemals vervollständigt.
Doch jetzt schrieb ich wirklich alles mit, was da an der Tafel stand. Die Tafelbilder wurden sofort eingeheftet und falls ich doch mal etwas vergessen hatte, wurde dieses sofort mit Bleistift versehen und Zuhause nachgeholt.
Es machte mich wirklich glücklich, dass ich mich in der Schule mittlerweile so gut eingefunden und mir mein eigenes System aufgebaut hatte, um Sachen zu finden und nichts durcheinander zu bringen, falls ich mal etwas nachschlagen musste oder Lukas zeigen wollte.
Ich lächelte vor mich hin und fühlte mich bei dem Anblick etwas besser. Ich konnte wirklich stolz auf mich sein. Darüber, dass ich den Arsch endlich hoch bekam, regelmäßig in die Schule ging, gute Noten schrieb und endlich das machte, was ich mir schon so lange vorgenommen hatte.
Ein Koffer der Masse m= 12 kg wird von einem kleinen Jungen mit gleichbleibender Geschwindigkeit über den Teppichboden gezogen. Mit welcher Kraft muss der Junge waagerecht ziehen, wenn von einer Reibungszahl µ = 0,80 ausgegangen wird?
Etwas verwirrt und mit zusammengezogenen Augenbrauen las ich mir die Aufgabe mehrmals durch, doch verstand nicht, was genau sie von mir wissen wollte. Ich gab irgendwelche Zahlen in den Taschenrechner ein, kam aber auf kein stimmiges Ergebnis.
,,Frau Wilms? Könnten Sie mir bitte nochmal erklären, wie ich das bei Aufgabe 1 rechnen muss? Ich verstehe das gerade nicht...'', fragte ich schüchtern nach, als ich nach 10 Minuten und zweifelhaften Versuchen noch immer nicht verstanden hatte, was die Lösung sein sollte.
,,Alles, was du dazu wissen musst, steht im Tafelwerk, das habt ihr nicht umsonst bekommen.'', war die einzige Antwort, die sie entgegenbrachte und sofort biss ich mir auf die Zunge, um nichts Falsches zu sagen.
Ich hätte ihr jetzt gerne an den Kopf geworfen, dass sie sich das sonst wohin stecken konnte, weil das hier schließlich ihr Job ist. Aber da ich ungerne beim Klassenlehrer verpetzt und nachsitzen wollte, hielt ich vorzugsweise meine Klappe.
Auf Stress mit Lehrern hatte ich sowieso keine Lust und es sind ja nur noch einige wenige Wochen, die ich in diesem Kackloch aushalten musste. Bald bin ich frei und musste diesen Menschen nicht mehr wöchentlich unter die Augen treten.
Wenn ich auf der Abschlussfeier mein Zeugnis in den Händen hielt und alles sicher ist, konnte ich ihnen gerne die Meinung geigen, aber heute musste ich mich gedulden und den Kommentar unerwidert über mich ergehen lassen.
Ich hatte mich gerade integriert, da musste ich das nicht direkt wieder zerstören und Ärger verursachen, der nicht nötig ist und der mich so runterziehen würde, dass ich den Reset-Button von Neuem drücken musste.
Ich warf ihr einen bösen Blick zu und holte mein Tafelwerk heraus, was mich sofort lächeln ließ. Da ich mein Eigenes 'aus Langeweile, weil ich brauchte das eh nicht', vor einigen Jahren verbrannt hatte, hatte Lukas mir eines von seinen geschenkt.
Er hatte sich aus Versehen mal ein Neues gekauft und da er sowieso nichts damit anfangen konnte, hatte er es mir überlassen. Es sah so schön säuberlich und gepflegt aus. Er hatte sogar den Sticker mit seinen Namen millimeterweise entfernt, damit nichts kaputt ging.
Für jedes Fach und Thema hatte er an den jeweiligen Seiten extra kleine Post-It in verschiedenen Farben herangemacht, damit man nicht lange suchen musste und sofort nachschlagen konnte, wenn man es brauchte.
Mein Bauch kribbelte, als ich an mein Baby dachte und ungeduldig sah ich auf die Uhr, die über der Tür hing und dessen Zeit einfach nicht vergehen wollte. Ich konnte es kaum noch erwarten, ihn endlich wiederzusehen.
Ich schlug das Tafelwerk grinsend auf, suchte nach der richtigen Formel, doch wurde auch aus diesem nicht schlau. Immer wieder las ich mir Aufgabe durch und versuchte mich an den Anderen zu machen, die Ähnliches enthielten.
Doch ich verstand absolut nichts und hatte keinen Plan, wie das zu funktionierten hatte. Ich wusste, dass ich solche Aufgaben schon mal gemacht hatte, weil wir als Hausaufgabe aufbekommen hatten.
Ich konnte mich sogar noch daran erinnern, dass ich diese sogar abgegeben und eine 1 dafür bekommen hatte. Mein Baby ist richtig stolz auf mich gewesen, hatte mir dafür die Lippen wund geknutscht und als Belohnung einen Blowjob verpasst.
Aber ich hatte diese Hausaufgabe mit Lukas zusammen gemacht, der ein richtiges Ass in Physik ist und ohne überhaupt nachzusehen, die Formeln auswendig im Kopf wusste und das Ergebnis in sekundenschnelle heraus hatte.
Ehrlich gesagt hatte ich ihn hierbei auch die Hälfte der Arbeit machen lassen. Ich hatte mich daran versucht, aber hatte keine Ahnung wie ich mit dem ganzen Zeug umgehen sollte und nur darauf gewartet, dass Lukas es mir vorrechnen würde.
Ich hatte im Endeffekt nichts anderes gemacht, als seine Lösungen abzuschreiben. Ich wollte es so gerne alleine können, doch hätte ich wahrscheinlich noch bis heute dagesessen und nichts aufgeschrieben, wenn Lukas mir nicht geholfen hätte.
Er ist danach nochmal alles mit mir durchgegangen und hatte versucht, es mir möglichst verständlich zu erklären. Doch alles, was mir an diesem Nachmittag gemacht hatten, ist wie aus dem Gedächtnis gelöscht.
Ich versuchte mich zu bemühen und alles zu verstehen. Doch am Ende des Tage ist alles, was davon übrig blieb, nicht mehr als heiße Luft. Ich könnte stundenlang mit ihm lernen und trotzdem würde ich nicht verstehen, was was ist.
Ich bekam das in meinen Kopf, mehr aber auch nicht. Ich presste die ganze Scheiße in mich hinein, schrieb den Test und wenn mir danach jemand die Fragen stellen würde, die ich bis eben noch beantworten konnte, könnte ich nichts von mir geben.
Wenn wir jetzt eine spontane Leistungskontrolle darüber schreiben würden, würde ich nichts geschissen kriegen. Dann würde meine Lehrerin sich fragen, wie die 1 zustande gekommen ist und sofort würde allen auffallen, dass ich das nicht alleine machte.
Ich hatte mich mit keinem Stück verändert. Andauernd musste ich mir von Lukas helfen lassen, der nochmal über meine Antworten drüber lesen und sein OK geben musste. Ich gab nichts ohne Zustimmung ab und wenn ich könnte, würde ich ihm auch meine Tests nochmal in die Hand drücken.
Ich schüttelte über diese Gedanken mit dem Kopf und versuchte mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich schrieb die Formel auf, die ich für richtig hielt und versuchte die entsprechenden Zahlen einzusetzen.
,,Frau Wilms? Könnten Sie mal bitte kommen und gucken, ob das richtig ist?'', zeigte ich auf, als ich eine halbwegs vernünftige Zahl heraus hatte. Meine Lehrerin erhob sich von ihrem Stuhl, kam auf mich zu und las sich den Rechenweg durch. Lass' mich bitte einmal was richtig machen.
,,Nein, da musst du nochmal ran, Tim. Das ist komplett falsch. Das ist noch nicht mal im Ansatz der richtige Weg.'', schüttelte sie verneinend mit dem Kopf, strich meinen Rechenweg mit ihrem roten Stift durch und ging zurück an ihren Platz.
Ich bohrte mich mit den Fingernägeln im Stuhl fest und versuchte mich zu beruhigen. Es ist alles gut, Timi, die Alte hat sich einfach nur den falschen Beruf ausgesucht, mehr nicht. Es liegt nicht an dir, dass diese Fotze so inkompetent ist.
Ich sah frustriert auf mein Blatt, stützte meinen Kopf auf einem angewinkelten Arm ab und zog das Buch näher zu mir. Ich wechselte zwischen dem Tafelwerk und den Aufgaben umher, doch verstand nicht, was genau sie von mir wissen wollte.
Ich sah mich verzweifelt im Klassenraum um und sofort zog sich alles in mir zusammen. Wirklich jeder in diesem verfickten Raum hatte eine halbe Seite voll und tippte eifrig etwas in den Taschenrechner. Ich schielte rüber zu meinen Nachbarn, der schon bei Aufgabe 3 war.
Ich sah zurück auf mein Blatt und wollte es am liebsten aus dem Fenster schmeißen. Super Timi, du hast eine durchgestrichene Aufgabe mit falschem Rechenweg dort stehen, ganz toll hast du das gemacht!
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, kippelte leicht mit dem Stuhl und schob die Sachen von mir weg. Natürlich bekam das wieder jeder hin außer ich. Jeder einzelne im Raum verstand auf Anhieb was zutun ist und wie das zu funktionieren hatte.
Alle hatten sofort ihr Tafelwerk herausgeholt, während ich an dessen Existenz nochmal erinnert werden musste. Wenn Frau Wilms zu ihnen ging, begann sie sofort zu lächeln und setzte einen Harken dahinter, weil sie alles perfekt machten.
Eine Träne rollte mir über die Wange und erschüttert sah ich auf mein leeres Blatt Papier. Sofort fühlte ich mich wie der größte Nichtsnutz auf diesem Planeten, weil ich es als Einziger nicht hin bekam.
Alle kriegten das doch auch hin, wieso dann ich nicht? Wieso musste für mich immer alles so unnötig kompliziert sein? Es konnte doch nicht so schwer sein, ein paar Zahlen an die richtige Stelle zu setzen.
Ich sollte wohl langsam akzeptieren, dass es da oben nicht mehr als einen Hohlraum gab, in den, bis auf einige wenige Informationen, nichts weiter hineinpasste und der zu platzen drohte, wenn ich ihn mit Wissen füttern wollte.
Die Aufgaben sind doch total leicht, die Antworten lagen mir direkt vor der Nase. Aber wie immer hatte ich keine Ahnung, selbst von den simpelsten Dingen nicht, die selbst ein Viertklässler verstehen würde.
Völlig egal, was ich jetzt aufschreiben würde, es würde falsch sein. So oder so konnte ich mir nicht sicher über meine Antwort sein, denn ich hatte nicht Lukas hier, der das Ganze nochmal absegnete und mir den Rest der Lösung vorsagte.
Ohne ihn bin ich ein Nichts. Wenn ich Lukas nicht hätte, hätte ich nicht mal im Entferntesten etwas abgegeben, sondern mir aus den Blättern viel lieber einige Joints oder Papierflieger gebaut.
Das ist schließlich auch das Einzige, wovon ich irgendeine Ahnung hatte und bei dem ich nichts falsch machen konnte. Ansonsten brauchte ich von allen Hilfe, egal um welche Sache es ging und wie leicht diese doch zu bewältigen ist.
Bevor ich regelmäßig zur Schule gegangen bin und Lukas mir seine Hilfe angeboten hatte, wusste ich noch nicht einmal, welche Funktion ein Hausaufgabenheft hatte, geschweige denn, wofür meine Schulbücher eigentlich gut sind.
Ich würde ohne diesen Menschen nichts auf die Kette kriegen, würde noch immer in meinem Bett liegen und Däumchen drehen. Ich würde heulen, weil ich meinen Schulabschluss in den Sand setzte und das nur, weil ich nichts, aber auch wirklich nichts, alleine hin bekam.
Wie sollte es dann erst werden, wenn ich in einigen Monaten in der Abschlussprüfung saß? Vollkommen egal, wie sehr ich mich darauf vorbereiten würde, es würde alles viel zu viel für mich werden.
Ich könnte mich gar nicht richtig konzentrieren und bis auf einige wenige Sachen, würde ich noch nicht mal eine einzige Aufgabe richtig beantworten können. Ich konnte noch nicht einmal spicken, denn das Risiko erwischt zu werden, ist viel zu hoch und es stand zu viel auf dem Spiel.
Außerdem konnte ich mich noch nicht einmal richtig darauf vorbereiten und vor allem hatte ich nicht Lukas da, der mich wieder herunterbrachte und die Antworten nochmal vorher absegnete, bevor ich sie abgab.
Wenn ich nach der Prüfung die Antworten mit ihm durchgehen würde, würde ich mich noch viel schlechter fühlen, weil ich wahrscheinlich alles falsch gemacht hatte, was man überhaupt falsch machen konnte.
Ich weiß, dass ich mir darüber noch keine Gedanken machen sollte, weil es noch eine gewisse Zeit hin ist, aber ich realisierte ja jetzt schon, wie es im Ungefähren aussehen könnte, wenn ich doch mal nicht Bescheid wusste und den Engel nicht neben mir sitzen hatte.
Ich würde genau so dumm rumsitzen, mir die Tränen zurückhalten und in der Gegend rumgucken, während alle anderen um mich herum um ihr Leben schrieben und alle fünf Minuten nach einem neuen Blatt fragten.
Ich würde nach 3 Sätzen nicht einmal mehr wissen, was ich überhaupt noch schreiben sollte. Ich würde die Aufgaben der Reihe nach überfliegen und mich nicht später nochmal dranmachen, weil ich nicht mehr als Bahnhof verstand.
Ich lehnte mich zurück an den Tisch, vergrub verzweifelt die Hände im Gesicht und die Tränen liefen mir die Wange herunter. Sie tropften auf das karierte Papier und verwischten die falsche Antwort, die ich von mir gegeben hatte.
Ich bekam einfach nichts geschissen! Das sagte ich jetzt nicht nur, weil Physik so schlecht lief. Dass ich etwas mal nicht wusste, konnte immer mal passieren und das ist auch nichts Neues für mich.
Aber schon die ganze Woche zeichnete sich unter dem Titel 'Beschissener wird's' und von Tag zu Tag wurde es immer schlimmer. Das Alles fing schon direkt am Montag an, wo wir eine kleine Leistungskontrolle in Geschichte geschrieben hatten.
Diese ist zum Glück angekündigt gewesen und Lukas und ich hatten auch zusammen für diese gelernt. Das Thema ist total mein gewesen, beim Lernen lief es immer richtig und bis auf ein paar kleine Zahlenverdreher, hatte ich die Antworten sofort parat.
Dementsprechend mit großer Zuversicht bin ich in den Test gegangen und meine Angst und Aufregung hielt sich in Grenzen. Doch am entscheidenden Tag hatte ich alles mit einem Mal vergessen.
Als hätte jemand ausgerechnet dann, wenn ich die Informationen am Meisten brauchte, die Löschen-Taste gedrückt. Ich hatte den totalen Durchhänger gehabt und wirklich nichts mehr gewusst.
Ich hatte versucht mich zu beruhigen und mir einzureden, dass die Antworten schon wiederkommen würde. Aber sie waren einfach weg, sodass ich nicht mehr als ein leeres Blatt abgegeben hatte.
Ich hatte mich wirklich geschämt und bin so wütend auf mich gewesen, denn ich hatte es gewusst. Jeden Nachmittag hatte ich für diesen dämlichen Test gelernt und alles dafür gegeben, eine gute Note zu schreiben. Aber bis heute kamen die Antworten nicht wieder.
Auch mein Vortrag in Kunst, war ein kompletter Fehltritt. Erst hatte ich die vollkommen falsche Präsentation auf meinen Stick gezogen, dann ging mir die Farbe des Druckers aus und einen einzigen geraden Satz hatte ich auch nicht herausbekommen.
Ich hatte meine erste 5 in Kunst bekommen und als wäre das nicht schon schlimm genug, hatten wir in Sozialkunde einen Überraschungstest über die letzte Stunde geschrieben, bei der ich ausnahmsweise nicht aufpasst hatte.
Ich hatte irgendwas hingeschrieben, was ich noch halbwegs mitbekommen hatte, aber wirklich zufrieden bin ich mit dem Ergebnis nicht gewesen und am liebsten wäre ich im Erdboden versunken, als das Blatt jemals abgegeben zu haben.
Die Woche lief noch viel beschissener, als ich es mir überhaupt vorstellen konnte und diese dämlichen Physikaufgaben brachten das Fass endgültig zum Überlaufen. Zuhause wäre ich jetzt deutlich besser aufgehoben...
Es ist nicht so, dass ich mich nicht darum bemühte. Ich versuchte mein Bestes zu geben, doch je mehr ich versuchte, desto schlimmer wurde es. Als läge irgendein Fluch auf mir und als wollte man nicht, dass ich irgendeine Art von Erfolgserlebnis hatte.
Aber ich sollte aufhören mir so einen Mist einzureden, denn der Grund meines Misserfolges lag auf der Hand. Ich hatte Lukas nicht hier, der mir half, mir Antworten vorsagte und nochmal über alles drüber sah.
Wenn er da gewesen wäre, wären diese Missgeschicke niemals passiert. Ich hätte die richtige Präsentation auf den Stick gezogen, die Farbe des Drucks nochmal gecheckt, ordentliche Sätze von mir gegeben und in Geschichte und Sozialkunde alle Antworten gewusst.
Ich ließ den Kopf hängen und schnaubte leise ins Taschentuch. Ich senkte den Blick, weil ich nicht wollte, dass alle mitbekommen würden, was für ein kläglicher Versager ich bin. Am Ende würden sie sich eh über mich lustig machen, weil die Aufgaben ja so leicht gewesen sind.
Ich heulte stumm mein Blatt voll, las mir die Aufgaben immer wieder durch und versuchte irgendwas zu rechnen. Doch augenblicklich strich ich die Antworten wieder durch, denn sie sind falsch, wie alles was ich machte.
Als es zum Stundenende klingelte, wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und sprang sofort auf, um meine Sachen zusammen zu packen und mit schnellen Schritten aus dem Klassenzimmer zu laufen.
Den Versager-Zettel warf ich zerknüllt in den Müll und quetschte mich an den Schülern vorbei. Ich wollte nur noch raus hier. Ich wollte keine weitere Niederlage erleben. Ich hielt es nicht mehr aus und brauchte frische Luft.
Die nächsten Stunden würden genau so schrecklich werden. Ich hatte wirklich Angst. Davor, erneut vor Augen geführt zu bekommen, wie aufgeschmissen ich ohne Lukas wäre, was für ein Versager ich bin und vor einem erneuten Rückfall.
Ich realisierte immer mehr, dass ich dem allen nicht gewachsen bin. Dass es mir Zuhause im Bett um einiges besser gehen würde, weil ich dort schließlich nichts falsch machen konnte und meine Ruhe hatte.
Alles, was ich anfasste, funktionierte nicht. Ich konnte niemals etwas perfekt machen, denn jedes Mal musste es jemand nachkorrigieren und mir versichern, dass es jetzt in Ordnung sein würde.
Ich bekam nichts alleine hin und so würde es auch für den Rest meines Lebens weitergehen. Wenn ich jetzt schon in der Schule bei den einfachsten Dingen versagte, würde ich im richtigen Leben niemals etwas auf die Kette kriegen. Traurig, aber wahr...
Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, hielt an und lehnte mich gegen die Wand. Ich versuchte mich zu beruhigen und einmal tief zu atmen. Ich bin schon wieder viel zu aufgeregt und merkte nicht, wo hinten und vorne ist.
Ich machte aus einer Mücke einen riesigen Elefanten und wäre Lukas hier, hätte er mich schon längst an den Schultern gepackt und einmal durchgeschüttelt. Schlechte Tage gehörten zum Leben dazu und sind etwas vollkommen Normales.
Niemand blieb davon verschont und bei keinem Menschen lief es zu hundert Prozent perfekt. Und wenn es kommt, kommt es gerne mal alles zusammen und dann so viel hintereinander, dass man sich nicht mal aufraffen konnte.
Aber das würde vorübergehen, morgen würde die Welt schon wieder anders aussehen und ich könnte darüber lachen. Es würde schon wieder bergauf gehen und da würde ich mir in solchen Sachen wie in Physik auch keine Sorgen machen.
Wir hatten das Thema schließlich noch nicht lange. Wir hatten auch nur eine kleine Übung dazu gemacht und keinen Test, bei dem all mein Wissen abgefragt wurde, was ich jetzt sofort können musste.
Ich bin ja dafür da, um das zu lernen. Die Stunden sind zum Üben da und nicht dafür es schon perfekt zu können. Es konnte ruhig hier und da mal hapern, das ist kein Weltuntergang, sondern es ist OK.
Aber warum bekamen es dann trotzdem alle hin, wenn wir das Thema noch nicht so lange hatten? Jeder einzelne konnte etwas dazu schreiben, mindestens eine Aufgabe lösen und hatte es beim ersten Versuch richtig gehabt.
Kein einziges Mal hatten sie nach unserer Lehrerin gefragt und selbst die Gruppe Mädels, die in Physik die meisten Probleme hatte und in den Tests die schlechtesten Noten hatten, hatten sich nicht einmal über die Aufgaben beschwert.
Alle meine Mitschüler bekamen auf einmal alles besser hin als ich. Selbst in Kunst hatten sie alle super Leistungen vollbracht, obwohl die Hälfte sonst nie etwas vorbereitet hatte und von Anfang an lieber eine 6 in Kauf nahm.
Plötzlich benahmen sich alle wie die vorbildlichsten Schüler, die die Schule jemals gesehen hatte. Sie waren nicht mehr so laut im Unterricht, schrieben fast immer mit, schwänzten kaum noch und lieferten immer bessere Leistungen ab.
Mittlerweile schienen sie alle erkannt zu haben, was auf dem Spiel stand. Dass wir nicht mehr lange hatten und das langsam der Ernst des Lebens anfängt. Dass der Schulabschluss in greifbarer Nähe ist und es nicht mehr viele Chancen gibt, diesen zu bekommen.
Ein Punkt, an den ich wahrscheinlich erst in 10 Jahren kommen werde, wenn alles schon zu spät ist und ich nichts mehr daran ändern könnte. Ich würde es nicht schaffen, ich konnte da nichts mehr gerade biegen.
Was hatte ich hier eigentlich noch verloren? Es hatte keine Hoffnung. Ich hatte keine schlechte Woche, sondern die letzten Tage hatten mir gezeigt, was für ein armes, erbärmliches Kerlchen ich doch bin.
Wenn mir nicht andauernd helfende Hände gereicht werden würden, wäre ich doch schon längst verloren. Ich hatte kein Recht mehr hier zu sein, so viele Chancen wie man mir schon gegeben hatte.
Ich spielte nur damit, machte Versprechungen, an die ich mich sowieso nicht halten konnte und reichte niemals das Ziel, welches ich gerne erreichen wollte. Ohne Lukas wäre ich noch nicht mal im Ansatz an diesem Punkt.
Also, was wollte ich hier noch? Ich könnte genau so gut auch Zuhause sitzen, es würde keinen Unterschied machen. Wahrscheinlich wäre das noch viel besser, denn dann könnte ich immerhin nichts falsch machen.
Ich seufzte leise, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und griff nach meinem Rucksack. Ich schulterte mir diesen über, stieß einige Fünfklässler zur Seite und verließ mit schnellen Schritten das Schulgebäude.
Ich lief die Treppen des Eingangs herunter und ging zielstrebig zum Tor. Ich hielt es einfach nicht mehr aus, ich konnte nicht noch eine Sekunde länger hier bleiben und mir beim Versagen zu sehen.
Kurz bevor ich das Tor passierte, machte ich noch einmal Halt und drehte mich um. Ich musterte das Schulgebäude, wo es zur Vorbereitungszeit klingelte und stellte mir die Frage, ob es das wirklich wert ist.
Ob ich all das, was ich mir aufgebaut hatte, wieder kaputtmachen wollte. Ich hatte meiner Mama und Lukas versprochen, mich zu bessern und die Scheiße zu lassen. Ich wollte nicht mehr schwänzen, ich wollte meine Chancen nicht verspielen.
Ich hatte mich die letzten Wochen jetzt so zusammengerissen und alles gegeben. Ich hatte gelernt, Hausaufgaben gemacht, Vorträge ausgearbeitet und mir den Arsch aufgerissen, damit ich dem Ziel etwas näher kam. Ich konnte nicht gehen, nur weil ich keine Lust mehr hatte, denn ich musste meinen Pflichten nachgehen.
Aber was für eine Pflicht? Die Pflicht, die mich ständig in die Knie zwängte und mir von Unterrichtsstunde zu Unterrichtsstunde zeigte, dass ich es trotz all der Bemühungen sowieso nicht schaffen werde? Na vielen Dank, auf sowas konnte ich gut verzichten!
Ich brauchte diese ganze Scheiße hier nicht. Es brachte sowieso nichts in die Schule zu gehen und etwas hinterher zu rennen, was ich niemals erreichen würde. Das ist einfach nur reine Zeitverschwendung!
Ich sollte akzeptieren, dass das hier keine Zukunft hatte. Dass ich niemals einen Schulabschluss in den Händen halten würde, egal wie sehr ich mich versuchte anzustrengen. Am Ende wussten wir alle, dass es dafür nicht reichte.
Ich warf noch einen allerletzten Blick auf das Schulgebäude und verdrängte die letzte vernünftige Stimme meines Kopfes, die mir zu rief, dass ich es nicht aufs Spiel setzen und mich weiter durchkämpfen sollte.
Aber wofür? Warum sollte ich mich selber kaputtmachen? Ich musste mir nicht ständig vor Augen führen, dass das Alles keine Hoffnung hatte, denn mein Kopf hatte das schon vor vielen Jahren verstanden.
Ich strich mir die Träne aus dem Gesicht, die mir die Wange hinunterrollte, drehte mich um und nahm die Beine in die Hand, um das Schulgebäude so schnellst wie möglich zu verlassen. Das brauchte ich für meine Zukunft nicht!
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