,,Oh Gott, das wird doch nichts...'', stieß ich frustriert aus und schlug die Hände über den Kopf zusammen. Mit großen Augen starrte ich auf den Bildschirm, an dem ich eine neue Bewerbung für irgendein Bauunternehmen tippte, die einen Lageristen auf Teilzeit suchten.
,,Hör' auf dir so einen Kopf zu machen, Baby. Wir kriegen das hin.'', kam Lukas lächelnd auf mich zu, der uns einen Tee gekocht hatte. Er ließ sich neben mir auf dem Schreibtischstuhl nieder und drückte mir einer der dampfenden Tassen in die Hand.
,,Das sagst du so leicht...'', seufzte ich leise und nahm einen Schluck. ,,Du musst es auch nicht machen.'' Vielsagend zog ich die Augenbrauen nach oben und streichelte über seine langen Beine, die er auf meinem Schoß ablegte.
,,Deine eigene Schuld, du hast es schließlich soweit kommen lassen.'', zuckte Lukas lachend mit den Schultern.
,,Ey!''
Ich verdrehte grinsend die Augen, konnte aber natürlich nichts dagegen sagen, weil mein Freund Recht hatte. Ich rutschte mit dem Stuhl näher an den Schreibtisch, stellte die Tasse neben der Tastatur ab und tippte einige Zeilen.
,,Bei Penny suchen die auch noch einen Kassierer, hab' ich gelesen.'', warf Lukas in den Raum, als er nachdenklich auf den Bildschirm sah. ,,Ist der, in der Nähe meiner Schule, dann wäre ich dein Stammkunde.'', kicherte er leise.
,,Was würdest du denn so bei mir kaufen?'', fragte ich lächelnd nach und sah zu ihm. ,,Den Inhalt deiner untersten Schublade zum Beispiel.'' Mein Freund wurde etwas roter um seine Wangen und begann noch mehr zu lachen.
Ich zog ihn an den Beinen näher zu mir und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, der mich nur noch mehr zum Strahlen brachte. Mein Bauch begann angenehm zu kribbeln und eine Gänsehaut legte sich auf meinen gesamten Körper.
Es machte mich unfassbar glücklich, dass ich Lukas endlich wieder hatte. Es fühlte sich alles wie früher an und definitiv wollte ich es nicht noch einmal soweit kommen lassen, denn ich hatte mittlerweile begriffen, dass ich so eine Chance kein zweites Mal bekommen würde.
Lukas hatte wirklich Angst gehabt, dass ich auf die schiefe Bahn geraten und das Thema Schule komplett an den Nägel hängen würde. Er ist mit der Gesamtsituation total überfordert gewesen und wusste nicht, was er tun sollte.
Er hätte mich nicht so anschreien dürfen und mir zu hören sollen, aber durch die Unsicherheit darüber, ob die Konversation an dieser Stelle irgendeinen Sinn gemacht hätte, hatte Lukas lieber schlagartig die Flucht ergriffen.
Maria ist schlussendlich der ausschlaggebende Grund gewesen, wieso Lukas auf einmal vor meiner Haustür stand und sich für all das entschuldigt hatte. Natürlich hatte ihn das plötzliche Geständnis und die Frage, warum ich nichts gesagt hatte, fertiggemacht.
Doch seine beste Freundin hatte ihm schnell nahe gebracht, dass er mir zu hören sollte, sobald er sich wieder beruhigt hat. Schließlich würde ich meine, wenn auch nicht ganz verständlichen, Gründe für mein Handeln haben und das Alles erklären können.
Ich lächelte und bin ihr wirklich dankbar, dass sie Lukas so einen Tritt in den Hintern gegeben hatte, denn ich weiß nicht, ob ich wirklich nochmal einen Schritt auf ihn zugemacht hätte, wo seine erste Reaktion schon völlig aus dem Ruder gelaufen ist.
Doch darüber musste ich mir keine Gedanken machen, denn wir hatten uns ausgesprochen und unsere Beziehung lief besser denn je. Was zum einen auch daran lag, dass ich Lukas zeigte, wie Ernst ich das Alles meinte.
Ich wollte mir das wirklich nicht kaputtmachen lassen, denn es ist perfekt, wie es gerade ist. So jemanden wie Lukas, würde ich niemals ersetzen können und auf gar keinen Fall, wollte ich unsere Beziehung noch einmal so aufs Spiel setzen.
Ich griff nach seinen Händen, verschränkte unsere Finger ineinander und meine Mundwinkel schossen sofort in die Höhe, als ich den Flyer der Abendschule sah, in der ich letzte Woche meinen Aufnahmetest bestanden hatte.
Ich hatte wirklich Angst vor diesem Tag und die Nervosität stand mir förmlich ins Gesicht geschrieben. Auch die Stimmen in meinem Kopf, die mir einreden wollten, dass das eh nichts bringen und ich irgendwann alles aufgeben würde, hatten mir die Situation nicht leichter gemacht.
Doch Lukas, der mir keine einzige Sekunde von der Seite gewichen ist und mich immer wieder beruhigt hatte, hatte mir sofort den Wind aus den Segeln genommen und mich daran gehindert, aus der Panik heraus die Flucht zu ergreifen und mich unter der Bettdecke zu verkriechen.
Der Aufnahmetest hätte nicht besser laufen können. Ich konnte jede Frage beantworten, hatte immer was zu sagen und in den Fächern Deutsch und Englisch hatte ich es sogar unter die Top 3 der besten Leistungen geschafft.
Auch das Vorstellungsgespräch ist ein Klacks gewesen und die unzähligen Stunden, in denen ich mit Lukas geprobt und geübt hatte, hatten sich ausgezahlt. Die Schulleiterin und mein künftiger Klassenlehrer sind unglaublich nett gewesen und hatten so viel Verständnis.
Ich hatte wirklich Sorge, mich in der letzten Etappe doch noch ins Aus zu schießen, doch schnell ist das Eis zwischen uns gebrochen gewesen und obwohl ich erst zweimal dort gewesen bin, fühlte ich mich unglaublich wohl und konnte es kaum noch erwarten, endlich anzufangen.
,,Ach Lukas, ich hab' wirklich Sorge...'', seufzte ich leise und legte den Kopf auf seiner Schulter ab, als ich die Bewerbung abgeschickt hatte. Er streichelte mir zärtlich über den Rücken und nahm mein Gesicht zwischen seine Hände.
,,Baby, es passiert nichts. Wir kriegen das hin.'', munterte er mich lächelnd auf und fuhr mir über die Wangen, was diese zum Glühen brachte. Er sah mir tief in die Augen und drückte mir einen Kuss auf die Lippen.
,,Ich weiß nicht...'' Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Was ist, wenn sie ausflippt und mich rausschmeißt? Was mache ich dann?'' Lukas zog mich in seine Arme und drückte mich an sich.
,,Baby, wir hatten das schon - mehrmals sogar. Sie wird nicht ausflippen und vor allem wird sie dich nicht rausschmeißen.'' Mein Freund atmete einmal tief durch, hauchte mir einen erneuten Kuss auf die Lippen und kämmte mir einige Strähnen hinter die Ohren.
,,Deine Mama wird sicherlich schockiert sein und eventuell auch aus allen Wolken fallen. Aber du hast dieses Mal wirklich Scheiße gebaut und wir müssen schon damit rechnen, dass sie dir nicht um den Hals fallen wird.'' Ich nickte stumm und er küsste meine Handrücken.
,,Aber du hast was in der Hinterhand und das ist das Wichtigste. Du kümmerst dich darum, etwas dagegen zu machen und du hast was, was fest ist. Klar wäre es immer noch besser, wenn es auf der regulären Schule geklappt hätte, aber so ist das jetzt und das sollte sie akzeptieren.''
Lukas drückte mir einen zärtlichen Kuss auf, der mein Herz schneller zum Schlagen brachte und drückte einmal fest meine Hände. Wir lösten uns voneinander und gerade, als ich etwas erwidern wollte, öffnete sich die Bürotür. ,,Na, ihr Turteltauben! Darf ich gucken?''
,,Nein Papa, Timi und ich sind gerade nackig. Der kniet vor mir und hat mein Schwanz im Mund.'', sagte Lukas lachend und verrollte die Augen. Sein Vater, der den Blick zu Boden geneigt hatte, sah auf und öffnete die Augen, um uns einmal anzulächeln.
,,Na, das sah früher aber ganz anders aus...'', lachte er und trat auf uns zu, um auf den Bildschirm zu sehen. ,,Habt ihr alles fertig? Mama wartet schon unten, damit ihr zu Tim fahren könnt'.'' Sein Vater stützte sich auf dem Schreibtischstuhl ab und sah uns fragend an.
,,Ja, wir sind fertig.'', bestätigte Lukas lächelnd und streckte sich einmal ausgiebig.
,,Dankeschön, dass wir das bei dir machen durften. Hoffentlich haben wir dich von nichts abgehalten.'', sagte Lukas und nahm die Beine von mir herunter.
,,Alles gut, Jungs.'', winkte er gelassen ab und musterte uns einmal.
,,Ich frag' mich, wann ein Wochenende kommt, an dem du mal wieder Zuhause bist. Ich seh' dich kaum noch!'', meckerte Lukas' Papa, als mein Freund alles am PC geschlossen hatte und wir unsere Tees austranken.
,,Vermisst du mich etwa so sehr, wenn ich 2 Tage weg bin?'', lachte Lukas und stellte den Schreibtischstuhl zurück an seinen ursprünglichen Platz. ,,Ja, natürlich! Tim kann auch mal wieder bei uns schlafen, bei uns ist auch gemütlich und so viel nerve ich auch nicht.''
,,Nächstest Wochenende ist Timi bei uns ist, dann brauchst du dir keine Sorgen machen.'', beruhigte Lukas seinen Vater und reichte mir meine Jacke, ,,Na hoffentlich ändert ihr eure Plane nicht. Du musst noch nicht mal mehr Tasche packen, weil so viele Klamotten von dir bei Tim sind.''
Lukas nahm seinen Vater einmal kopfschüttelnd in den Arm und versicherte ihm hoch und heilig, dass er am Sonntag wieder bei ihm sein würde. Wir verabschiedeten uns endgültig von ihm und gingen die Treppen herunter.
,,Hey, Jungs!'', begrüßte uns Lukas' Mama lächelnd und winkte uns vom Wagen aus zu. Wir stiegen zu ihr und während Lukas seiner Mutter von seinem Schultag und dem Rest unseres Nachmittags berichtete, sah ich nachdenklich aus dem Fenster.'
Am liebsten wollte ich jetzt überall hin, aber nicht nach Hause. Ich hatte wirklich Angst vor der Reaktion meiner Mama und völlig egal, wie sehr mich Lukas beruhigen wollte, es brachte einfach nichts.
Sie würde doch vollkommen enttäuscht sein, wenn sie erst einmal realisierte, was ich in den letzten Monat getrieben hatte. Diese ganzen Lügen und diese nicht existierenden Erfolge. Alles - wirklich alles würde auffliegen.
Ich hatte eine Lösung parat, aber das hatte doch nichts zu bedeuten. Was ist, wenn ich auch in der Abendschule zurück in mein altes Muster fiel? Wenn es da eine blöde Woche gab und alles von mir direkt über Bord geworfen wurde?
Nachdem Gespräch mit meinem Klassenlehrer hatte es auch den Eindruck gemacht, als hätte ich es endlich gerafft und als würde ich mich bessern. Und trotzdem hatte ich es geschafft, mir kurz vorm Ziel doch wieder alles kaputtzumachen.
Ich wollte diesen Schulabschluss unbedingt und versuchte auch alles daran zu setzen. Aber ein Jahr ist eine so verdammt lange Zeit und es konnte noch so vieles passieren. Gerade wirkte alles perfekt, aber eine beschissene Situation und alles brach wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Lukas merkte, was für Gedanken ich mir machte, denn er griff nach meiner Hand und legte diese auf seinen Oberschenkel. Er streichelte mir über den Handrücken und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
,,Du schaffst das, ich bin da.'', flüsterte er mir beruhigend ins Ohr und streichelte mir den Arm. Ich seufzte leise und wünschte mir jetzt nichts sehnlicher, als dass seine Mama in einen tagelangen Stau fahren würde.
Doch immer dann, wenn die Zeit nicht vergehen sollte, bekamen wir an jeder Kreuzung eine grüne Ampel, wurden von jedem Vollhonk vorgelassen und hatten kaum Behinderungen, die uns Zeit kosten würde.
Es ist, als würde das Auto von Lukas' Mama gar nicht mehr zum Stehen kommen. Wir fuhren durch Straßen, in denen sonst immer irgendwas los ist, doch ausgerechnet heute herrschte funkenstille.
Kein Wunder also, dass wir überpünktlich bei mir Zuhause ankamen. Wir verabschiedeten uns zügig von Lukas' Mama und warteten, bis sie um die Ecke bog, auf der sie leider nicht doch noch eine Reifenpanne erwischte und sie notgedrungen bei uns warten musste.
,,Können wir... Ähm... Ich brauche noch Milch, Karotten und Zucker. Wir müssen noch einkaufen, der Supermarkt macht gleich zu.'' Noch bevor ich meinen Problemen entfliehen konnte, packte mich Lukas am Ärmel meiner Jacke und zog mich wieder zu sich.
,,Du brauchst jetzt gar nichts!'', blaffte er mich wütend an. ,,Timi, du musst zu der Scheiße stehen, die du fabrizierst hast, ob du nun willst oder nicht. Was willst du deiner Mama denn noch sagen? Die fragt dich jetzt schon ständig nach der Abschlussfeier!''
,,Wir gehen jetzt da rein und du sagst es ihr. Ihr müsst das klären und sie hat die Wahrheit verdient. Du willst doch nicht, dass sie es auf die gleiche Weise wie ich erfährt.'' Lukas griff nach meiner Hand, holte den Schlüsselbund aus meiner Hosentasche und öffnete die Haustür.
,,Ich muss nochmal auf Toilette - ganz dringend! Gehst du schon hoch in mein Zimmer?''
,,Wir können auch gerne zusammen gehen. Es gibt nichts, was ich noch nicht gesehen habe.'' Lukas verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte mich an.
,,Timi, denk' nicht mal daran, dich im Bad einzusperren und so lange zu warten, bis deine Mama schlafen geht. Wir machen das jetzt. Du wolltest es diese Woche hinter dir haben. Das noch länger hinauszuzögern bringt nichts.''
Ich seufzte leise und ließ mich widerwillig von ihm ins Wohnzimmer ziehen. Ich versuchte immer wieder stehen zu bleiben und ihn zu überreden, doch in mein Zimmer zu gehen, denn egal, wie wichtig das ist, ich wollte mich dieser Verantwortung nicht stellen.
Ohne noch einmal vorher auf mich einzugehen, drückte Lukas die Türklinke herunter, löste unsere Hände voneinander und schob mich an den Schultern durch den kleinen Vorraum, in dem unser Computer und einige Spielsachen meiner Geschwister standen.
,,Versuch' es nicht erst...'', knurrte Lukas mich flüsternd an und stellte sich mir in den Weg, als ich flüchten wollte. ,,Ich kann das nicht!'', murmelte ich leise, drückte mich an ihn und sah mit großen Augen zu ihm nach oben, in der Hoffnung, dass er doch ein Herz hatte.
,,Du kannst das, Timi. Es macht dich nicht glücklicher vor deinen Problemen wegzulaufen.''
Er sah mich etwas ernster an, fuhr mir über den Rücken und schob mich Richtung Wohnzimmer, wo meine Mutter noch völlig ahnungslos auf der Couch saß und die Wäsche vom Vortrag zusammenlegte.
,,Hallo, Jungs! Ist es schön im Theater gewesen?'', begrüßte meine Mama uns lächelnd und setzte sich auf, um mich und Lukas einmal fest in den Arm zu nehmen. ,,Ja, alles gut soweit...'', erwiderte ich grinsend und biss mir auf die Unterlippe.
Ich warf einen unsicheren Blick zu meinem Freund, der mich auffordernd ansah und mich näher an meine Mama schob. ,,Ähm... Hast du kurz Zeit, oder bist du gerade beschäftigt? Das Wäsche zusammenlegen dauert bestimmt noch, oder?''
,,Nein, alles gut. Was gibt es denn?'', fragte sie lächelnd, aber mit einem leicht besorgten Unterton in der Stimme. Ich schluckte einmal schwer und griff nach Lukas Hand, damit wir uns zu ihr auf die Couch setzen konnten.
,,Du hast mich doch lieb, oder?''
,,Ja, natürlich.'' Sie streichelte mir über die Wange und musterte mich noch immer lächelnd.
,,Ich...ähm...''
Ich sah zu Lukas, der meine Hand festhielt und diese einmal aufmunternd drückte. Er strich mit seinem Daumen über meinen Handrücken und legte seine andere Hand auf meine, um mich mit glitzernden Augen zu mustern.
,,Was ist denn los? Ist euch was passiert?'', fragte meine Mama immer besorgter und blickte verwirrt zwischen mir und Lukas umher. Ich konnte förmlich spüren, wie es in ihrem Kopf ratterte und sie sich fragte, was für eine Scheiße ich verursacht hatte, die ich ihr nicht mal alleine erklären konnte.
,,Ich hab' ganz großen Mist gebaut...'' Ich zerkaute mir die Unterlippe und lehnte mich leicht an Lukas, weil ich Angst hatte, einfach umzukippen. ,,Und was genau hast du gemacht?'' Meine Mama rutschte näher an mich heran und legte ihre Hände auf meine Schultern.
,,Ich... Ich hab'...'' Ich räusperte mich und atmete einmal tief durch. ,,Ich habe geschwänzt.'' Boom - okay, das Erste ist schon mal gesagt und es gab kein Zurück mehr. Ich warf einen Blick zu Lukas, der mir beruhigend über den Rücken streichelte und mich küsste.
,,Oh, okay...'' Meine Mama nahm ihre Hände von mir weg und fuhr sich nachdenklich durch die Haare. ,,Einmal?'', harkte sie nach und am liebsten wollte ich mich in Luft auflösen, weil sie jetzt schon völlig enttäuscht wirkte.
,,Nein.'', gab ich schüchtern zu und drückte mich näher an Lukas heran. Ich wollte wieder lügen. Ich wollte ihr was von irgendwelchen Erfolgen vorgaukeln, denn ich hielt diesen leeren, fassungslosen Blick nicht mehr länger aus.
,,Timi, du musst damit aufhören, bitte. Das darf nicht sein.''
,,Hab' ich doch schon längst.'' Ich seufzte leise und fuhr mir durch die Haare. Konnte ich das nicht mit ins Grab nehmen?
,,Dann ist doch gut.'', lächelte sie. ,,Aber das darf nicht nochmal vorkommen. Ich denke, Lukas hast dir das auch schon gesagt und dir ordentlich ins Gewissen geredet.''
,,Wird es auch nicht, keine Angst.'', versicherte ich ihr leise und Lukas stieß mir unauffällig in die Seite. Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, denn ich sollte aufhören, es noch mehr in die Länge zu ziehen, weil es eh nichts brachte.
,,Ich hab' vor einem Monat einen Brief von der Schule erhalten und ähm... Ich hab' Fehler gemacht, die ich mittlerweile eingesehen habe, wirklich! Ich habe gemerkt, dass das total dumm von mir gewesen ist.'' Eine Träne rollte mir über die Wange und Lukas strich mir diese weg.
,,Ich mach's mal kurz... Bitte kipp' nicht um, aber ich bin wegen mehrfacher unentschuldigter Fehlstunden von der Schule...ähm...geflogen...'', kam es mit einem Mal aus mir heraus und mein Blick glitt sofort hinunter auf unsere ineinander verschlungenen Hände.
Mein Körper begann zu beebben und ich wollte Lukas packen und mit ihm zusammen wegrennen. Keine Ahnung wohin, aber Hauptsache weg von all meinen Problemen und den Menschen, die ich immer wieder aufs Neuste enttäuschte.
Meine Mama sagte nichts. Man könnte eine Stecknadel fallenlassen, so leise war es. Doch die Luft war so dick, dass man sie zerschneiden könnte. Ich presste die Lippen aufeinander, unterdrückte meine Tränen und presste mich näher an meinen Freund heran.
,,Es ist alles gut...'', flüsterte mir Lukas ins Ohr, hauchte mir einen Kuss hinter dieses und legte die Arme von hinten um mich. Ich sah zu meiner Mama, die ohne jeglich erkennbare Emotion ins Nichts sah und versuchte zu verarbeiten, was ich da gerade gesagt hatte.
,,Mama, Lukas und ich...''
,,Es ist mir egal, was du mit Lukas hast.'', wurde ich abrupt unterbrochen und sie schüttelte fassungslos mit dem Kopf.
,,Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen, Tim?! Was fällt dir ein, so lange und viel zu schwänzen, dass du von der Schule fliegst?'', meckerte meine Mama etwas lauter und raufte sich aufgebracht die Haare.
,,Vor allem, warum hast du mich ständig angelogen, obwohl du schon Ewigkeiten davon wusstest? Wann kam der Brief und wie konntest du den abfangen? Warum hast du nicht gleich einen Ton gesagt?'' Sie vergrub die Hände im Gesicht und schüttelte immer wieder den Kopf.
,,Das ist Zufall gewesen, wirklich. Er kam gerade nach Hause und hat die Post herausgenommen. Er wollte keinen von uns enttäuschen und hatte einfach Angst.'', nahm Lukas mich sofort in Schutz.
,,Oh mein Gott...'' Sie atmete einmal tief durch und konnte es nicht glauben. ,,Und ich Dumme bin noch zur Schule gegangen, um mich mal wieder für dein Verhalten zu rechtfertigen und darauf zu beharren, dass du es endlich begriffen hast.''
,,Ich wollte das nicht, Mama, das musst du mir glauben. Ich bin da in was hineingeraten, was nicht hätte passieren dürfen. Ich bereue es auch und weiß, dass ich das nicht hätte tun dürfen.'', entschuldigte ich mich und hielt die Tränen zurück.
,,Hätte, hätte, hätte. Dafür ist es mittlerweile zu spät, Tim. Das hätte dir auch schon vorher einfallen können und nicht erst, wenn da was im Briefkasten liegt! Merkst du überhaupt noch was?'', zischte sie und bekam sich kaum noch ein.
,,Mama, es...''
,,Nichts, Mama! Es hat sich ausgemamert! Geh' auf dein Zimmer und trete mir erstmal nicht unter die Augen. Ich will dich gerade nicht sehen, noch hören oder sonst irgendwas. Ich bin sowas von enttäuscht!'' Sie signalisierte mir mit Handzeichen, dass ich gefälligst gehen sollte.
Ich fuhr mir die Tränen aus dem Gesicht, denn ich durfte nichts mehr zu meiner Verteidigung sagen. Ich versuchte nach den richtigen Worten zu finden, aber da gab es nichts, was ich noch richtigstellen konnte.
Ich warf einen Blick zu Lukas, der mich mitleidig ansah, mir über die Arme fuhr und mir einen Kuss auf die Wange drückte. ,,Na komm'...'' Er griff nach meiner Hand und erhob sich von der Couch.
Ich ließ mich von ihm nach oben ziehen und sah zu meiner Mama, die mich mit fassungslosen Augen ansah, sich die Fingernägel zerkaute und verzweifelt versuchte, keine Schwäche vor mir zu zeigen.
,,Es tut mir leid, wirklich...''
,,Das lief ja sehr toll! Ich hab' dir doch von Anfang an gesagt, dass genau das passieren wird! Sie kümmert sich sicherlich schon darum, dass ich woanders untergebracht werde.'', begann ich zu weinen und ließ mich auf dem Bett nieder.
,,Timi, das wird sie nicht tun.'', munterte Lukas mich auf. ,,Es ist klar gewesen, dass sie so ähnlich reagieren wird. Sie muss damit auch erstmal klar kommen und realisieren, was das jetzt heißt.'' Er setzte sich neben mich und nahm mich in den Arm.
,,Auch wenn es gerade nicht den Eindruck erweckt, hast du das gut gemacht. Es ist raus und du musst dich nicht mehr verstecken. Du musst dir keine Lügen mehr ausdenken und kannst alle Karten offen legen.''
,,Dafür hasst sie mich jetzt aber.'', schluchzte ich.
,,Sie hasst dich nicht, Timi. Gib' ihr etwas Zeit und sie wird dir verzeihen.''
,,Du hast doch gesehen, wie das bei uns gewesen ist. Ich bin auch wiedergekommen und habe mit dir gesprochen. Sie will dir sicherlich nicht wehtun.'' Er fuhr mir durch die Haare und lächelte mich an.
,,Wir warten ab, aber sie kriegt sich wieder ein. Falls es nicht besser werden sollte, kannst du erstmal zu mir.'' Lukas küsste mich und gab mir ein Taschentuch. ,,Deine Mama wird sich aber beruhigen und dann können wir ihr von der Abendschule erzählen.''
,,Du hast Recht - hoffentlich.'', schnaubte ich. ,,Danke, dass du dabei gewesen bist und mich unterstützt hast. Ohne dich hätte ich das nicht hinbekommen.'', lächelte ich und legte mich in seine Arme.
,,Nicht dafür, Baby...''
[...]
Am Abend lagen Lukas und ich gerade zusammengekuschelt im Bett und sahen uns einen Film an, als plötzlich die Tür meines Zimmers aufging und mein Stiefvater durch diese getreten kam.
,,Was ist passiert?'', war das Allererste, was er mich fragte und sofort setzte ich mich auf und stellte die Lautstärke des Fernsehers leiser. Mein Adrenalinspiegel schoss augenblicklich in die Höhe und ich hatte Angst, gleich auf der Straße zu sitzen.
,,Wieso fragst du?'', erwiderte ich kleinlich und zog die Beine an meinen Oberkörper, als er sich zu uns auf die Bettkante setzte, seinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ und einmal tief durchatmete.
,,Na ja, ich komme nach Hause und deine Mama sitzt heulend am Küchentisch und sagt irgendwas von, dass du gelogen hast wegen der Schule und am Montag nicht mehr gefahren werden brauchst.'', klärte er mich auf und legte den Kopf schief.
Lukas setzte sich auf, streichelte mir über den Rücken und stupste mich an. ,,Ja, ich muss am Montag nicht mehr gefahren werden.'' Ich biss mir auf die Unterlippe und krallte mich an der Bettdecke fest.
,,Ich habe geschwänzt und bin von der Schule geflogen.'', sagte ich und verlor sofort eine Träne aus dem Augenwinkel, weil ich mich so für mein Verhalten und alles, was damit zusammenhing, schämte.
,,Ach du scheiße...'', stieß er erschrocken aus und vergrub die Hände im Gesicht.
,,Dann hast du die letzten Wochen gelogen?''
,,Ja.''
,,Ach Timi, ey, du machst auch Sachen.'' Er rieb sich über die Schläfen und pustete geräuschvoll etwas Luft aus seinen Wangen. ,,Das hast du deiner Mama dann wohl heute gesagt, oder hat sie das alleine herausgefunden?''
,,Ich hab's ihr heute Nachmittag gesagt. Sie hat das natürlich gar nicht positiv aufgenommen und ist total ausgeflippt. Ich habe seitdem nicht mehr mit ihr geredet, geschweige denn bin nach unten gegangen.'', erklärte ich ihm und Lukas küsste mich.
,,Das wundert mich nicht, sie ist völlig aufgelöst und weiß nicht, wohin mit sich.'' Ich schluchzte leise und Lukas strich mir immer wieder die Tränen aus dem Gesicht. Er küsste mir die Schulterblätter und legte die Arme um meinen Bauch, um mich zu beruhigen.
,,Ich wollte ihr nicht wehtun und sie verletzen. Ich will nicht das Mama wegen mir weint.''
,,Ich weiß.'' Frank nahm mich in den Arm und streichelte mir über den Rücken.
,,Aber das ist scheiße, Großer. Warum hast du denn nicht direkt was gesagt?''
,,Ich hatte Angst vor eurer Reaktion. Ich will euch doch alle nicht enttäuschen. Ich hab' meine Versprechen schon wieder gebrochen und alles kaputtgemacht. Ich wollte diesen dummen Fehler nicht zu geben.'', schnaubte ich.
,,Ich weiß, dass es besser gewesen wäre, hätte ich direkt was gesagt. Dann hätten wir das Ruder nochmal umreißen können. Dann wäre ich noch zur Schule gegangen und müsste mich jetzt nicht rechtfertigen. Dann wäre all die Scheiße nicht passiert.''
,,Das ist das Problem, Timi. Du weißt, dass du immer zu uns kommen kannst, wenn was ist. Wir helfen dir, wo es nur geht und haben immer ein offenes Ohr für dich. Wenn deiner Mama das Alles so egal wäre, wäre sie nicht zum Gespräch gekommen.'', munterte Frank mich auf.
,,Es geht deiner Mama auch gerade nicht darum, dass du von der Schule geflogen bist. Keine Frage, das ist scheiße und wollte keiner von uns. Da fragt man sich auch, ob einem das nicht hätte auffallen können.
,,Aber du hast sie hintergangen und das ist das Allerletzte. Du hast sie angelogen und das ist keine dahergesagte Lüge gewesen. Du weißt, wie empfindlich sie da ist. Sie hat so viel Vertrauen in dir und das solltest du dir nicht kaputtmachen.''
,,Ich weiß...''
,,Denkst du, dass sie bereit wäre, um mit mir zu reden?'', fragte ich nach und Lukas hielt mich fest, damit ich meine Entscheidung nicht überstürzte.
,,Ich glaub', gerade möchte sie ihre Ruhe und dich erstmal nicht sehen.'' Er sah mich entschuldigt an und fuhr mir die Tränen aus dem Gesicht.
,,Sie soll sich erstmal beruhigend. Sie kommt dann zu dir, wenn du sie soweit ist.''
,,Wahrscheinlich um mich rauszuschmeißen.''
,,Hör' auf so einen Scheiß zu labern!'', meckerte Lukas und gab mir eine Kopfnuss.
,,Sie hasst dich nicht, Timi. Sie liebt dich immer noch. Du bist ihr Engel, auch wenn sie dich gerade ins Nevada schicken könnte.''
Frank erhob sich vom Bett und klopfte mir einmal auf die Schulter. ,,Warte!'' Ich schmiss die Bettdecke zur Seite, löste mich von Lukas und ging an den Schreibtisch, um meine Schublade zu öffnen.
,,Kannst du ihr das schon mal zeigen, wenn du wieder zu ihr gehst?'' Ich drückte ihm die Flyer, Prospekte und meine Formulare der Abendschule in die Hand, die mein Stiefvater verwirrt musterte. ,,Was ist das?''
,,Ich hab' mich an einer Abendschule angemeldet, um meinen Schulabschluss nachzuholen.'', erklärte ich ihm und trotz der schwierigen Situation huschte ein Lächeln über meine Lippen. ,,Okay, wow...'', staunte er und musterte die Zettel.
,,Ich bin wirklich stolz auf dich, dass du dich schon um was gekümmert hast.'' Er wuschelte mir durch die Haare und nahm mich nochmal fest in den Arm.
,,Lukas hat mich auf die Idee gebracht.'', lächelte ich und mein Freund strahlte nach diesen Worten, wie ein Honigkuchenpferd.
,,Ich hatte letzte Woche auch einen Aufnahmetest und ein Vorstellungsgespräch. Ich habe das Alles super gemeistert und kriege demnächst eine Rückmeldung. Aber die haben ein gutes Gefühl.'', sagte ich grinsend.
,,Das ist schön.'', lächelte Frank. ,,Dass man dir auch immer in den Arsch treten muss, damit du dich zu deinem Glück zwingst. Du bist so eine Kröte.'', lachte er daraufhin und schüttelte den Kopf.
,,Ich werd' das deiner Mama zeigen und ihr davon erzählen. Dann ist sie hoffentlich etwas beruhigt und kann abschalten.'', versicherte er mir und griff nach der Türklinke. ,,Mach' dir keine Sorgen, Timi. Ihr habt zusammen schon schwerere Hürden zusammen gemeistert.''
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