Das höchste Glück, ist die Liebe der Familie
,,Und du bist dir wirklich sicher, dass du den Weg noch kennst? Ich kann ihn dir ruhig nochmal aufzeichnen und schicken. Oder ich begleite dich einfach.'', fragte sie lachend und musterte mich mit unsicheren Augen.
,,Ja Mama, ich bin mir sicher - mehr als das. Tue mal jetzt nicht so, als wäre ich die letzten 10 Jahre nicht mehr hier gewesen und als hätte sich so vieles verändert.'', erwiderte ich Augen verdrehend und schnallte mich ab.
,,Also einmal geradeaus, dann kommt die Hecke, wo du scharf rechts einbiegen musst und dann noch ei...''
,,Mama, ich weiß wo das ist, keine Sorge. Ich werde schon nicht verschütt' gehen und selbst wenn, bringen sie mich nach 2 Minuten eh wieder.'', unterbrach ich sie lachend.
,,Ich ruf' in fünf Minuten nochmal an und frag', wo du bist.'' Mama setzte ihren Timer auf fünf Minuten und ich konnte darüber nur mit dem Kopf schütteln.
Da ich sowieso nichts dagegen aussetzen konnte, war mein letztes Argument eine ausgestreckte Zunge, ehe ich die Autotür öffnete, meinen Rucksack von der Rückbank holte und daraufhin ausstieg.
,,Was denn noch? Mama, ich weiß auch noch wie das Haus aussieht, keine Angst. Es ist das mit der Holztreppe und der leicht geblichen Fassade. Davor steht eine riesige Eiche.'' Etwas genervt drehte ich mich um, als sie das Autofenster nochmal heruntergefahren hatte.
,,Ich wollte dir nur viel Spaß wünschen. Ich hab' dich lieb und meld' dich, wenn irgendwas ist oder falls du doch nicht den Weg finden solltest, das muss dir nicht peinlich sein.'', lächelte sie mich entschuldigt an und warf mir einen Luftkuss zu.
,,Danke, ich hab' dich auch lieb. Aber pass' du lieber auf, dass du dich nicht gleich verirrst.''
Mit diesen Worten fuhr Mama das Fenster wieder nach oben, legte den Rückwärtsgang ein und winkte mir noch einmal zu, ehe sie das Auto in der Kurve wendete und in die Ferne hinausfuhr, um auf die Landstraße ab zu biegen.
Ich schulterte mir den Rucksack über, steckte mir eine Zigarette an und machte mich sofort auf den Weg. Der Wind wehte mir angenehm um die Ohren und sofort fühlte ich mich wohl, als ich die Grashalme an meinen Waden spürte.
Ich kämpfte mich durch das kniehohe Gras und augenblicklich legte sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich vom Weitem das Haus sehen konnte, in dem sowohl meine Mama als auch ich aufgewachsen sind.
Je näher ich diesem kam, umso besser ging es mir. Ein immer stärker werdendes Kribbeln machte sich in meinem Bauch breit und durchfuhr schlussendlich meinen kompletten Körper. Der Duft von süßem Gebäck, Tee und Vanilletabak aus der Pfeife stieg mir mir in die Nase.
Die Glückshormone machten sich immer mehr breit und ich hatte Angst jeden Moment zu kollabieren, weil ich mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt hatte. Ich verband mit diesem Haus so viele schöne Erinnerungen, die mich auch in schwierigen Zeiten zum Lachen brachten.
Das Grundstück meiner Großeltern - der allerschönste Ort meiner Kindheit. Ich konnte mich an kein Wochenende erinnern, welches ich nicht bei ihnen verbracht hatten. Jeden Freitag nachdem Kindergarten oder der Schule wurde ich hierher gebracht und am Sonntagabend wieder abgeholt.
Es ist ein Akt der Verzweiflung gewesen, den meine Eltern da jedes Mal durchmachen mussten, denn selbst verständlich wollte ich nach all diesen tollen Tagen nicht wieder zurück nach Hause und mich von meinen Großeltern trennen.
Die Wochenenden sind immer wie eine Art Therapie für mich gewesen. Auch wenn es Zuhause erst in meiner frühen Jugend sehr schwierig wurde, gab es auch in meiner Kindheit Situationen, die in keiner Familie stattfinden sollten.
Die Beziehung meiner Eltern stand nie unter einem guten Stern und Streitereien und Diskussionen standen an der Tagesordnung. Als ich noch klein war, hatten sie versucht diese zu verstecken, sie draußen geführt oder gewartet, bis ich geschlafen hatte.
Aber trotz all der Verheimlichung ist das Alles nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Ich hatte zwar erst Jahe später verstanden, was da alles vor sich gegangen ist, aber es hatte Narben hinterlassen, die ich Dank meiner Großeltern verarbeiten konnte.
Ich hatte mich bei ihnen immer sehr wohl und willkommen gefühlt. Ich brauchte keine Angst haben und wenn ich mal einen Fehler gemacht hatte, hatten sie mir sofort Mut zugesprochen und mich wieder aufgemuntert.
Ohne diese zwei wäre vieles sicherlich nochmal deutlich anders gelaufen und eventuell hatten sie mich auch vor vielen Dingen bewahrt, die in einem Zeitraum passiert sind, in dem ich völlig sorglos bei ihnen gespielt hatte.
Als Mama sich kurz vor der Vorschule wieder auf meinen Vater eingelassen hatte, ist mir der Abschied von meinen Großeltern sehr schwer gefallen. Da meine Mutter nicht die finanziellen Mittel hatte, um mit mir eine eigene Wohnung zu beziehen, hatte sie vorerst noch bei ihren Eltern gewohnt.
Meine Mama wollte eigentlich schon früh abhängig sein und in die Stadt ziehen, weil es vieles auch einfacher gemacht hätte. Ich hatte ihr da einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber es ist nicht unbedingt das Schlimmste gewesen, auch wenn wir uns zusammen ein Zimmer teilen mussten.
Aber als sie ihre Ausbildung beendet und mein Vater sich kurz darauf wieder bei ihr gemeldet hatte, waren sie in ihre erste gemeinsame Wohnung gezogen. Bis heute verstand ich nicht, was sie damals dazu getrieben hatte, sich wieder auf diesen Kerl einzulassen, denn mein Erzeuger hatte nach meiner Geburt nichts, aber auch nichts für sie getan.
Sein Unterhalt kam nur zwangsweise, wenn mein Großvater dann doch mal damit gedroht hatte, die Polizei einzuschalten und gesehen hatte ich ihn höchstens an meinen Geburtstag, wenn überhaupt.
Er wollte ja nie wirklich was von mir wissen, egal wie sehr meine Mama versucht hatte, irgendeine Verbindung zu uns aufzubauen. Aus heutiger Sicht wäre es mir deutlich lieber ihn niemals kennengelernt zu haben, aber gegen ihre Entscheidung konnte ich nichts machen.
Er hatte sich einfach wieder bei ihr gemeldet und irgendwie wollten sie es dann noch einmal probieren. Es hatte ja auch alles super funktioniert und bis auf einige kleine Streitigkeiten, ist nichts weiter vorgefallen.
Wir waren wirklich eine perfekte Familie. Niemals hätte irgendjemand gedacht, dass aus meinem Vater so ein Arschloch werden könnte, denn er ist in seiner Rolle sehr gut aufgeblüht und hatte Gefallen daran gefunden.
Eventuell ist das auch der Grund gewesen, wieso meine Mama das Alles zugelassen hatte, weil ihr Mutterherz völlig aufgegangen ist, als sie uns da zusammen gesehen und sie erkannt hatte, dass er das auch konnte, wenn er denn nur wollte.
Sie ist natürlich nicht völlig bescheuert gewesen und ist von heute auf morgen mit ihm durchgebrannt, als er da plötzlich vor der Haustür meiner Großeltern stand und sich für alles entschuldigen wollte.
Aber einige Treffen und neue Annäherungsversuche hatten dann doch dazu geführt, dass sie sich Hals über Kopf ineinander verliebt und dem allen nochmal eine Chance gegeben hatten. Sie waren ja schließlich älter geworden und hatten aus den Fehlern gelernt.
Eine Träne rollte mir über die Wange und seufzend pustete ich den Rauch aus. Was wie eine wunderschöne Liebesgeschichte klang, wurde augenblicklich zerstört. Kurz nachdem mein Bruder geboren wurde, ging das Alles nämlich wieder von vorne los.
Mein Vater hatte immer regelmäßiger zu Alkohol gegriffen und meine Mama angepöbelt. Auf einmal wollte er doch nicht mehr dieses Familienleben haben und hatte vor allem mir die Schuld an allem gegeben, was in seinem Leben schief gelaufen ist.
Und völlig egal, wie wenig ich auf diese Worte geben sollte, immer wieder holten sie mich ein. Gerade jetzt, wo ich darüber nachdachte, fragte ich mich immer wieder, ob das Leben meiner Mama nicht besser verlaufen wäre, wenn dieser Unfall - also ich- nicht entstanden wäre.
Es wäre nur bei diesem einen Mal zwischen den beiden geblieben. Sie wären niemals abhängig voneinander geworden und hätten sich kein gemeinsames Leben aufbauen wollen. Mama hätte sofort den perfekten Mann gefunden und nicht das mit dem Hurensohn durchmachen müssen.
Natürlich hätte ich niemals etwas dagegen tun können, auch nicht, als sich Mama wieder auf ihn eingelassen hatte. Aber dennoch kamen in mir immer wieder Fragen auf, ob es nicht doch alles besser wäre, wenn ich einfach nicht gewesen wäre.
Ich strich mir die Tränen aus dem Gesicht und musste sofort wieder lächeln, als ich dem Grundstück immer näher kam. Schon vom Weitem konnte ich meinen Großvater sehen, der auf dem Balkon saß und in seiner Zeitung blätterte.
Ein Lachen zischte mir zwischen die Lippen, denn genau so kannte ich ihn. Jeden Morgen ging Opa an den Briefkasten, um seine Zeitung herauszuholen und sich mit dieser und dem Kaffee bewaffnet an den Küchentisch zu setzen.
Wenn ich Glück hatte, gab es dann ausnahmsweise mal keine schlechten Nachrichten und ich musste mir nicht schon am frühen Morgen irgendeine politische Diskussion anhören, die er mit sich selber führte, weil es so viel Ungerechtigkeit schließlich nicht geben konnte.
Wir konnten von Glück reden, dass das Haus sehr weit abgelegen und das nächste Grundstück, zwei Kilometer entfernt lag, denn mein Großvater hatte so ein lautes Organ, dass er auf einer Versammlung mit 10.000 Menschen nicht mal ein Mikrofon brauchte, weil ihn auch so jeder verstehen würde.
Wenn Opa uns mal besuchen kam, mussten wir ihn öfters mal darum bitten, etwas leiser zu sprechen, weil wir ansonsten alle Nachbarn auf uns hetzen würden, die sich von dieser Ruhestörung noch belästigt fühlen würden.
Hier hörten es zum Glück nur seine Katzen und einige Bauern, die sich um ihre Felder kümmerten, wenn Opa mal wieder etwas in der Zeitung las, was vollkommen unverhältnismäßig ist und so doch gar nicht sein konnte.
Ich zündete mir eine neue Zigarette an und kam dem Haus immer näher, was mein Großvater kurz nach der Hochzeit mit Oma von seinem mittlerweile verstorbenen Großonkel geschenkt bekommen hatte.
Er wollte es schon länger verkaufen, hatte aber keinen passenden Abnehmer dafür gefunden. Er selbst hatte nie darin gelebt, sondern es als kleine Wertanlage gekauft, in der Hoffnung, dass es irgendwann mal ein Vermögen wert sein könnte.
Da meine Großeltern schon lange nachdem Passenden gesucht hatten und von zahlreichen Mietern abgelehnt wurden, kam ihnen das Haus gerade recht und sie hatten sich riesig darüber gefreut, es bekommen zu haben.
Doch die Vorfreude hielt nicht ewig, als sie realisiert hatten, wieso sie das Haus für lau geschenkt bekommen hatten. Das Haus ist total hinfällig gewesen. Wahrscheinlich wäre es deutlich billig gewesen, es einmal komplett abzureißen und nochmal neu hinzubauen.
Die Fassade hatte sehr stark gebröckelt, die Treppe ist so einsturzgefährdet gewesen, dass meine Großeltern sich noch nicht mal mit dem kleinen Zeh drauf getraut hatten, ein Wasserschaden hatte den Nächsten getroffen und von dem Schimmel wollten wir gar nicht reden.
Schnell hatten sie verstanden, wieso das Haus keinen Abnehmer gefunden hat, denn es sah nicht so aus, als könnte überhaupt jemals wieder irgendjemand darin leben, ohne nicht von Ratten gefressen zu werden.
Aber meine Großeltern hatten die Herausforderung trotzdem angenommen. Was genau sie dazu geritten hatte, konnte sie sich bis heute nicht erklären. Ob es an der hoffnungslosen Wohnungssuche, den Abmahnungen oder der Verzweiflung auf der Straße zu landen allgemein lag.
Aber aus unerklärlichen Gründen hatte sie das Haus verzaubert. Auch wenn es alles andere als schön und wohnlich aussah, konnten sie sich nicht vorstellen, irgendwo anders hinzuziehen. Sie wollten ausgerechnet hier sesshaft werden und ihre Wurzeln schlagen.
Ironischerweise hatten sie gerade eine Zustimmung für das Haus bekommen, was sie so unbedingt wollten und für dass es so viele Bewerber gegeben hatte, dass sie niemals im Leben gedacht hätten, überhaupt angenommen zu werden.
Doch trotzdem hatten sie sich für die einstige Bruchbude entschieden, die ihnen so eine immense Summe bei der Renovierung gekostet hatte, dass mein Großvater sofort das Thema wechselte, wenn sie nur mit einer Silbe erwähnt wurde.
Dass sie die Kosten für das Alles noch Jahre später abzahlen mussten, ist ihnen vollkommen egal gewesen, denn sie wollten das Haus, völlig egal, welche Nachteile, Kosten und Niederlagen es mit sich zog.
Mittlerweile lebte mein Großvater seit mehr als 40 Jahren hier und bereute seine Entscheidung für keine Sekunde. Er konnte sich nicht einmal mehr vorstellen jemals wieder in die Stadt zu ziehen und würde in diesem Haus irgendwann mal sterben.
Ich lächelte und nahm die Beine ordentlich in die Hand, weil ich jetzt endlich wieder bei ihm sein wollte. Schon die ganze Woche hatte ich mich so auf dieses Treffen gefreut und wäre schon am Montag am liebsten zu ihm gefahren.
Er hatte mich die Woche aus heiterem Himmel angerufen, weil er gerne mal wieder mit mir quatschen und wissen wollte, was denn gerade so bei mir abging. Mama hatte ihn zwar über alles auf dem Laufenden gehalten, aber mit mir persönlich darüber zu sprechen, ist ja auch nochmal was anderes.
Jedoch hatten wir im Laufe des Telefonats schnell festgestellt, dass es da viel zu viel zu besprechen gab, was nicht so nebenbei geklärt werden konnte. Außerdem wussten wir beide, dass es mir mehr als gut tun würde, mal wieder etwas Zeit mit ihm zu verbringen.
Da Lukas das Wochenende einiges für die Schule zutun hatte und gerne mal wieder was mit Maria machen wollte, hatte er da natürlich nichts gegen einzuwenden und hatte sich sogar darüber gefreut, dass ich mich mit meinem Großvater treffen wollte.
Ich seufzte leise, denn noch immer hatte ich ihm nichts von meiner Schulschwänzerei gesagt. Die Lüge hatte das auch nicht gerade besser gemacht und... Ich versuchte mich wirklich zusammenzureißen, aber es ist nicht bei diesem einem Mal geblieben.
Es waren nur vereinzelte Stunden in denen fehlte und nicht wie damals ganze oder halbe Tage, aber trotzdem fühlte ich mich total schlecht, weil ich es einfach nicht lassen konnte und die Situation noch viel schlimmer gemacht hatte.
Ich hatte mir versprochen, dass es bei diesem einem Mal bleiben würde, aber kaum war ich wieder in den Genuss gekommen, fiel mir das Verlassen des Schulgeländes immer leichter und gab mir den totalen Kick, der sich besser anfühlte, als er es sollte.
Ich hatte gedacht, dass ich aus meinen Fehlern gelernt und all die Warnungen gehört hatte, aber Fehlanzeige. Noch immer bin ich genau der Tim, der ich vor dem Gespräch mit meinem Klassenlehrer auch gewesen bin.
Kaum gab ich mir einmal das Gefühl, dass dieses Handeln OK gewesen ist, gab es keinen Halt mehr. Ich konnte nicht mehr aufhören, sondern machte immer weiter und weiter, bis der Knall irgendwann kommen und mich zurück in die Realität holen würde.
Ich wusste nicht, was noch passieren sollte, bis ich endlich in meinen Kopf bekam, dass das ein riesiger Fehler ist. Ich merkte doch schon, wenn ich eine Stunde fehlte, dass ich den Anschluss völlig verlor und in der Nächsten nicht mehr als Bahnhof verstand.
Ich verhaute eine Arbeit nach der Anderen, egal wie viel ich mit Lukas lernte, weil ich den Zusammenhang überhaupt nicht verstand und mir so viel Wissen fehlte, was im Unterricht behandelt wurde.
Ich hatte Lukas, der mir das notfalls nochmal alles erklärte, aber das konnte doch nicht die Divise sein. Ich konnte die Fehlstunden nicht damit schön reden, denn ich sollte genau deswegen in der Schule sein.
Noch vor einigen Wochen hatte ich deswegen rumgeheult, dass mein Freund mir alles erklären musste und jetzt fand ich es auf einmal OK, dass er alles analysierte, damit ich weiterhin ungestört schwänzen konnte, ohne den Anschluss zu verlieren.
Dabei hatte ich aufzupassen und anwesend zu sein. Wenn ich etwas mal nicht verstand und Lukas mir das nochmal etwas ausführlicher erklären musste, ist das in Ordnung. Aber auch nur, wenn ich überhaupt dagewesen bin.
Das Verhalten, was ich mittlerweile an den Tag legte, kotzte mich selbst total an und am liebsten wollte ich in der Zeit zurückreisen, mir eine Schelle verpassen und mich am Stuhl festketten, damit ich niemals auf die Idee kommen würde, mit der ganzen Scheiße wieder anzufangen.
Aber noch fertiger machte es mich, dass ich Lukas nichts davon sagen konnte. Noch immer wog ich ihn in Ungewissheit und machte ihm vor, dass ich seit Wochen nicht mehr in der Schule gefehlt hatte und zum vorbildlichsten Schüler der Welt mutiert bin.
Es wäre das Vernünftigste ihm die Wahrheit zu sagen und mit ihm darüber zu reden. Ich konnte es nicht ständig vor mich herschieben und ihm Honig ums Maul schmieren, denn damit machte ich die Situation noch viel schlimmer.
Aber die Angst, die Enttäuschung und Wut in seinen Augen zu sehen, die nach so einer Beichte auftauchen würde, machte es mir umso schwerer ihm die Wahrheit zu sagen und mich der Verantwortung meines Handelns zu stellen.
Außerdem hatte ich auch keine Lust irgendeine Ansage von ihm zu bekommen, die genau das beinhalten würde, was ich nicht hören wollte, weil ich mir in meinem tiefsten Inneren schon lange bewusst darüber bin.
Das, was ich mache ist falsch. Ich machte keine Schritte nach vorne und verlor das Ziel immer mehr aus den Augen. Auch mein Klassenlehrer hatte mich die Woche nochmal darauf hingewiesen, dass ich bitte aufpassen sollte.
Ich hatte keine weiteren Chancen mehr übrig. Es hing alles nur noch an einem einzigen Faden, aber gerade befand sich eine geöffnete Schere um diesen, die sich mit jeder Fehlstunde immer mehr schloss.
Ich verstand selbst nicht, warum ich das noch machte, denn ich hatte verstanden, was für mich auf dem Spiel stand. Ich Vollidiot schrieb mir sogar jede einzelne Fehlstunde auf, damit ich den Überblick nicht verlor.
Ich brach in Tränen aus, wenn ich das Schulgelände verließ und fühlte mich total schlecht. Meine Gedanken kreisten ständig darum, was gerade in der Stunde behandelt wurde, die ich verpasste und, dass ich bloß daran denken sollte, mir das Material zu holen.
Obwohl ich all diese Erkenntnis gewonnen hatte, konnte ich nicht aufhören. Ich machte es trotzdem, obwohl ich wusste, was die Konsequenzen sind. Ich merkte, dass das nicht richtig ist und doch verschwand ich immer wieder.
Aber immerhin machte ich es jetzt geschickter als früher. Während mich der Inhalt der versäumten Stunden damals nicht im Entferntesten gejuckt hat, holte ich mir heutzutage die Tafelbilder meiner Mitschüler zum Abschreiben.
Aber auch nur aus dem Grund, damit Lukas nichts von dem Schwindel auffiel. Ich konnte schließlich nicht bei jeder Fehlstunde die Ausrede bringen, dass wir heute einen Film geguckt hatten.
Er kannte meinen Stundenplan und wusste ganz genau, was wir gerade behandelten. Ich durfte auf gar keinen Fall beim Schwänzen erwischt werden und ich hatte wirklich Angst, denn ich wusste überhaupt nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte.
Ich wollte keine Geheimnisse vor Lukas haben. Ich wollte ihn nicht enttäuschen. Ich wollte ihn nicht verletzen und mich selbst in ein schlechtes Licht rücken, denn ich wollte ihn nicht verlieren.
Eventuell würde er Verständnis dafür zeigen, aber genau so auch total sauer auf mich sein, weil ich nicht schon viel früher was zu ihm gesagt hatte. Ich hatte ihn eiskalt belogen, obwohl ich doch immer zu ihm kommen konnte.
Das Problem an der ganzen Sache ist, dass ich noch nicht mal wirkliche Gründe zum Schwänzen hatte. Ich ging, weil es mir nicht mehr passte oder ich keinen Bock drauf hatte. Es lag nicht an meiner Psyche oder anderen, schwierigen Dingen.
Ich konnte Lukas das nicht sagen, denn er würde mich sofort einen Kopf kürzer machen und total ausflippen. Wenn er dann noch realisierte, dass ich ihn die ganze Zeit belogen hatte, würde ich erst recht den totalen Einlauf kassieren.
Ich sollte mich langsam wirklich wieder zusammenreißen, denn es dauerte doch nicht mehr lange und dann hatte ich das Alles hinter mir. Sobald ich meinen Schulabschluss hatte, hatte ich die Freiheit das tun und lassen zu können, was ich wollte.
Ich konnte jeden Weg einschlagen und endlich das machen, worauf ich wirklich Lust hatte. Aber um diese Freiheit zu erlangen, musste ich erstmal wieder auf die richtige Bahn geraten, denn ansonsten war's das. Krieg' dich endlich wieder ein!
Ich seufzte leise, nahm einen starken Zug meiner Zigarette und sofort fand das Lächeln den Weg zurück auf meine Lippen, als ich herzlichst von den zwei Mietzen meines Großvaters besucht wurde, die mir schnurrend um die Beine schlichen.
Ich schnipste die Kippe auf den Boden, blies den Rauch aus und beugte mich zu ihnen herunter, um sie einmal ausgiebig zu streicheln. Normalerweise streiften sie um diese Uhrzeit noch durch sämtliche Felder und machten alles unsicher.
Aber mein Opa hatte ihnen bestimmt ganz aufgeregt erzählt, dass ich heute kommen würde, sodass sie sich ausnahmsweise mal in dem riesigen Garten austobten und jedes Blatt fingen, was ihnen vor die Pfoten kam.
,,Ich glaub' ich seh' nicht richtig. Ist das wirklich mein Timi, der da gerade vor mir steht. Warte, ich setz' mir mal schnell die Brille auf!'', begrüßte mich mein Großvater lachend und mit zusammengekniffenen Augen, als ich die Holztreppe nach oben gekommen war.
Ich verdrehte darüber nur grinsend die Augen und ließ mich daraufhin in seine Arme ziehen, wo ich einmal fast zerquetscht wurde. Ich schlang die Arme ebenfalls um ihn und spürte jetzt schon, dass es genau das ist, was ich jetzt brauchte.
,,Ach, ich freu' mich so, dass du endlich mal wieder hier bist. Ich bin schon seit gestern Abend total aufgeregt und konnte kaum schlafen.'', sagte Opa völlig außer sich, als wir uns voneinander gelöst hatten und musterte mich mit strahlenden Augen.
,,Was möchtest du denn haben, mein Schatz? Tee? Schokolade? Kekse? Ich habe ganz viel von deinem Lieblingsessen gekauft, damit du mir nicht verhungerst. Die Frau an der Kasse dachte, ich würde 'ne Party schmeißen.'' Die Stimme von ihm überschlug sich fast und ich folgte ihm ins Haus.
,,Ach so hier, ich hab' dir auch noch neue Pinsel und Farbe gekauft, weil Mama erzählt hat, dass du davon noch nicht mehr so viel hast. Brauchst du denn sonst noch irgendwas? Ich kann noch schnell zum Laden fahren, falls noch was fehlt, musst du mir nur Bescheid sagen! Ich besorg' dir alles, was du willst.''
,,Ich möchte gerne, dass du dich wieder beruhigst und deinen Herzschlag normalisierst. Ich bin dein Enkel und keine Frau, die du beeindrucken musst. Es ist alles gut und wirklich lieb von dir, dass du an so vieles gedacht hast. Aber das wäre nicht nötig gewesen.'', beruhigte ich ihn lachend und legte meine Hand auf seine Schulter.
,,Entschuldigung Timi, aber du bist schon so lange nicht mehr hier gewesen. Ich möchte ja auch nur, dass du dich wohlfühlst und nicht gleich wieder abhauen willst.'', seufzte mein Großvater, wurde etwas roter um seine Wangen und sah mich entschuldigt an.
,,Wie sollte ich mich bei dir jemals unwohl fühlen? Es ist alles perfekt.''
Ich nahm meinen Großvater noch einmal fest in den Arm und lächelte ihn freudestrahlend an. Ich beruhigte ihn noch etwas und versicherte ihm noch ein paar Mal, dass ich wirklich mehr als wohlfühlte und sehr glücklich darüber bin, wieder hier zu sein.
Wir gingen zusammen in die Küche und während mein Großvater uns Tee kochte, sah ich auf mein Handy. Lukas hatte mir geschrieben, dass er jetzt mit Maria Eis essen gehen würde und hatte mich gefragt, ob ich schon bei Opa wäre.
Ich schrieb ihm zurück und er wünschte mir sofort viel Spaß, was das Lächeln auf meine Lippen immer breiter werden ließ. Ich steckte es wieder weg und sah zu Opa, der den zwei Raubkatzen nochmal was zu futtern gab.
Ich seufzte zufrieden auf, denn es ist wirklich toll ihn wieder bei mir zu haben. Mein Großvater ist einer der liebsten und herzlichsten Menschen, die ich kenne. Es gab keinen Mensch auf der Welt, der so ein großes Herz wie er hatte und sich so für andere einsetzte.
Völlig egal, mit wem er je etwas zutun hatte, wenn da Ungerechtigkeiten gab, würde er selbst seinen größten Feind verteidigen und ihm den Rücken freihalten.
Mein Großvater ist einer der wichtigsten Menschen meines Lebens und ich bin mehr als froh darüber, ihn in diesem haben zu dürfen. Er hatte mich durch so viele schwierige Zeiten begleitet und immer ein offenes Ohr für mich gehabt.
Egal wann und wo, er hatte immer die richtigen Worte gefunden, um mich wieder aufzumuntern und mich mit völlig banalen Dingen wieder zum Lachen gebracht. Wenn ich bei ihm war, konnte ich all meine Sorgen vergessen und mal so richtig abschalten.
Vor allem als sich die Situation Zuhause immer mehr zugespitzt hatte, ist er mein einziger Zufluchtsort gewesen. Seine Tür stand immer für mich offen, wenn es mir Zuhause einmal wieder zu viel wurde und ich nur noch weg wollte.
Immer wieder hatte er sich schützend vor mich gestellt und mich verteidigt, wenn mein Vater, irgendein dummes Wort über mich in seiner Gegenwart verloren hatte.
Ich konnte mit ihm über alles reden. Wann immer ich ein Problem hatte oder einen Ratschlag brauchte, hatte er die passenden Worte direkt für mich parat und versuchte mir zu helfen, wo es für ihn nur möglich war.
Er stand mit jeder Fassade seines Körpers hinter mir und selbst wenn einmal die ganze Welt gegen mich sein sollte, würde mein Großvater sich ohne zu zögern, vor die wütende Meute schmeißen und alle Kugeln abfangen, die eigentlich mich treffen sollten.
Er ist der tollste und beste Mensch, den man sich überhaupt vorstellen konnte und es machte mich total glücklich, ihn als meinen Großvater bezeichnen zu können.
,,Okay, mein Engel...'', pustete Opa einmal geräuschvoll die Luft aus und stellte die dampfenden Tassen auf dem kleinen Beistelltisch ab, den wir vor einigen Jahren mal zusammengebaut hatten, als wir uns auf den Stühlen des Balkons niederließen.
,,Du hast mir bestimmt eine Menge zu erzählen, oder nicht? Wir haben uns schon Ewigkeiten nicht mehr unterhalten, an deinem Geburtstag ist da ja auch nicht viel für übrig geblieben.'' Vielsagend zog er die Augenbrauen nach oben und drehte den Kopf zu mir.
,,Ohja, und wie es da was gibt. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wo ich überhaupt anfangen soll...'', seufzte ich leise, nahm einer der Tassen zwischen meine Hände und sah auf das frisch gemähte Feld vor uns.
Ich nahm einen Schluck von dem Früchtetee, der mir fast die Zunge verbrannte und ordnete all die Ereignisse in meinem Kopf zusammen. Die letzten Monate sind wirklich sehr intensiv gewesen und ein Erlebnis hatte das Nächste getroffen.
Vieles davon hatte ich noch nicht einmal richtig verarbeitet, geschweige denn konnte ich überhaupt realisieren, dass mir diese tatsächlich passiert waren. Ich konnte kaum glauben, dass das Alles wirklich nur dieses Jahr passiert ist.
Ich hatte mich weitestgehend von der Gang distanziert, mich in der Schule einigermaßen verbessert und einen Jungen kennengelernt, der mein Leben um 180 Grad gedreht hatte. Der unglaubliche Gefühle in mir auslöste und mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt machte.
Ich wusste, dass meine Mama Lukas mit keinem einzeigen Wort vor Opa erwähnt hatte. Sie hatte ihm zwar gesagt, dass es da jemanden gab, der mir bei der Schule half. Wer genau das aber ist, hatte sie ihm nicht verraten.
Es ist schließlich immer noch meine Sache, ob und wie ich ihm das sagen wollte. Meine Mutter hatte das nicht zu entscheiden und ich bin ihr wirklich dankbar dafür, dass sie diese Meinung mit mir teilte.
So würde es mir nichts ausmachen, denn ich stand zu dem, was ich da mit Lukas hatte. Jedoch hatte ich keinen blassen Schimmer, wie mein Großvater über diese ganze Sache eigentlich dachte.
Er kam ja schließlich noch aus einer ganz anderen Zeit, wo mit dem Thema noch so viel anders umgegangen wurde. Natürlich würde er mich nicht steinigen, aber ich hatte Angst, dass er das Ganze nicht tolerieren und mich direkt wieder rausschmeißen würde.
Schon die ganze Woche machte ich mich deswegen total verrückt, denn ich wollte es ihm unbedingt sagen. Mein Großvater wusste wirklich alles über mich und Lukas ist ein so wichtiger Teil meines Lebens geworden, den ich ihm nicht verschweigen wollte.
Ich hatte auch mit Lukas über mein Vorhaben gesprochen, der das Ganze natürlich sehr begrüßt hatte. Wir hatten sehr lange und ausführlich darüber diskutiert und sind sämtliche Situationen durchgegangen.
Aber am Ende waren wir immer wieder an dem Punkt angekommen, dass ich die Katze aus dem Sack lassen musste, um zu erfahren, wie er darüber dachte. Ich konnte alles wieder in sämtliche Richtungen analysieren, aber das Ergebnis bekam ich erst, wenn ich ihn direkt fragte.
Aber es fiel mir auch so unendlich schwer. Wir hatten schon über sämtliche Themen philosophiert, aber noch nie darüber. Auch damals nicht, als die ersten Anzeichen gemerkt und etwas mit einem Jungen am Laufen hatte.
Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt ja auch noch ausprobiert und mir viel lieber im Internet Ratschläge über das ganze Thema geholt. Irgendwann hatte es mich ja auch nicht mehr beschäftigt, weshalb es niemals bei uns aufgekommen ist.
Ich warf einen unsicheren Blick zu ihm und lächelte ihn schief von der Seite an. Ich biss mir auf die Unterlippe, spielte mit dem Teebeutel und konnte spüren, wie meine Hände immer schwitziger wurden.
,,Ich habe jemanden kennengelernt.'', sagte ich so leise, dass ich es selbst kaum verstanden hatte und sah auf meine Hände. Der erste Teil ist schon mal raus, jetzt musste nur noch der Rest folgen...
,,Ach was, wirklich? Das ist aber schön, das freut mich zu hören. Wie heißt die Glückliche denn? Wie lange läuft da denn schon was?'', erwiderte er breit lächelnd und stieß mich leicht an. Ob du gleich immer noch so stolz bist?
,,Ähm... Er heißt Lukas und seit knapp 4 Monaten, wovon wir seit 2 ein Paar sind.'', platzte es wahrheitsgemäß aus mir heraus und mein Herz sprang mir fast aus der Brust, während mir mit einem Mal ganz schlecht wurde.
Alles drehte sich und ich hatte das Gefühl, als hätte sich mein Körper mehrere Male überschlagen und als wäre ich zeitgleich einen Marathon gelaufen, weil mir plötzlich ganz heiß wurde.
Fassungslos sah ich mich in der Spiegelung des Tees an und konnte nicht glauben, dass ich diese Worte gerade ernsthaft ausgesprochen hatte. Kein großartiges Drumherum-Gerede, keine lange Denkpause, kein Gestotterte - nicht mehr als die pure Wahrheit.
Ich warf einen kurzen Blick zu Opa, der ohne jeglich erkennbare Emotion auf das Feld sah. Er wirkte sehr nachdenklich und angespannt, als müsste er nach den richtigen Worten suchen, um mir auf netter Art und Weise zu sagen, dass ich für immer aus seinem Leben verschwinden sollte.
Ich hätte es mir denken müssen, denn natürlich würde mein Großvater das Ganze nicht tolerieren. Er wollte keinen Homo als Enkel haben und wenn könnte, würde er mich sofort in Behandlung schicken.
Ich hätte das nicht aussprechen dürfen, denn jetzt hatte ich alles kaputt gemacht. Ich hätte die Klappe halten sollen, Lukas hätte mein Geheimnis bleiben sollen. Warum musste ich ihm auch die Wahrheit sagen?
,,Oh Gott, Timi, warum weinst du denn jetzt? Was ist denn passiert?'', war das Erste, was mein Opa nach einer gefühlten Ewigkeit erschrocken zu mir sagte. Er hob sich vom Stuhl, um ins Wohnzimmer zu gehen und mir ein Taschentuch zu holen.
,,Es tut mir leid, ich hätte das nicht sagen dürfen. Ich hätte mir denken können, dass du enttäuscht von mir bist, wenn du davon erfährst.'', schnaubte ich auf und verlor eine Träne aus dem Augenwinkel.
,,Was genau meinst du?''
,,Das mit meinem Freund. Ich...Du... Äh... Es ist verständlich, dass du mich jetzt hasst und sauer auf mich bist.'', strich ich mir die Tränen aus dem Gesicht und sah ihn mit entschuldigter Miene an.
,,Ja gut, ich bin auch wirklich sehr sauer darüber. Ich hätte das jetzt nicht erwartet.'', gab Opa Schulter zuckend zu und beugte sich zu mir herunter. ,,Aber viel eher darüber, dass du mir erst jetzt was davon sagst.''
,,Bitte, was?'' Mit großen Augen sah ich ihn an und kniff mir einmal in den Arm, weil ich nicht glauben konnte, was hier gerade passierte.
,,Ja, warum erzählst du mir denn nicht, dass du jemanden kennengelernt hast? Sonst bin ich immer der Erste, der davon erfährt.'', antwortete mein Opa lachend.
,,Was hast du denn jetzt gedacht, was passieren könnte? Wie kommst du denn darauf, dass ich dich hassen könnte?'' Er legte verwirrt den Kopf schief und verlegen biss ich mir auf die Unterlippe.
,,Das ist jetzt peinlich, wenn ich das sage...''
,,Na komm', jetzt hau' schon raus, das konntest du doch eben auch so gut!''
,,Ach man, du bist doch schon was älter und du kommst ja noch aus dieser Zeit, wo das Alles überhaupt nicht toleriert wurde. Da dachte ich halt, dass du auch noch so denkst und wir haben uns ja auch nie darüber unterhalten.'', gab ich schief lächelnd zu und er lachte einmal laut los.
,,Ach Timi Schatz, du bist noch genau so niedlich wie früher.'' Mein Opa klopfte mir einmal auf den Oberschenkel und strich mir die restlichen Tränen weg. Er gab mir ein neues Taschentuch und kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus.
,,Natürlich ist das damals alles etwas anders gewesen, aber ich bin doch nicht hängengeblieben. Mein Gott, dann magst du halt einen Jungen, dann ist das eben so. Ist doch in Ordnung, so lange das ein anständiger Kerl ist.'', zuckte er unbeeindruckt mit den Schultern.
,,Aber ich bin nicht bisexuell und das ist auch keine Phase, Opa. Ich bin schwul und das wird sich auch nicht mehr ändern. Ich mag Jungs.''
,,Das ist okay für mich.''
,,Was schaust du denn jetzt so doof? Soll ich noch 'n Feuerwerk anzünden und durchs halbe Dorf die frohe Botschaft verkünden, dass mein Enkel schwul ist, oder was ist los?'', fragte Opa immer noch lachend, aber mit einem verwirrten Unterton nach, als ich ihn völlig verdutzt ansah.
,,Nein, alles gut. Mich freut es total, dass du das akzeptierst und es macht mich wirklich glücklich.'', erwiderte ich sofort lächelnd. ,,Aber was ist dann das Problem? Ist irgendwas mit deinem Freund? Habt ihr Streit?''
,,Nein, mit dem ist alles perfekt, es könnte nicht besser laufen. Ich hätte nur nicht gedacht, dass du so locker reagierst. Ich hätte eher mit 'nem Arschtritt ins Feld gerechnet.'' Ich wurde etwas roter und versteckte mich hinter der Tasse.
,,Ohje...'', gluckste mein Großvater. ,,Typisch Timi - immer vom Schlimmsten ausgehen, aber dass es einmal gut gehen könnte, darüber wird natürlich nicht nachgedacht.'' Vielsagend zog er die Augenbrauen nach oben und ich grinste ertappt.
Ich wurde noch einige Nuancen dunkler, stülpte mir die Ärmel meines Hoodies über und wollte mich am liebsten wie eine Schildkröte in ihrem Panzer verstecken, weil ich mein Großvater wie immer Recht hatte.
Auch Lukas hatte versucht mir ins Gewissen zu rufen, dass die ganze Sache auch gut ausgehen könnte. Aber wie immer wollte ich nicht einen einzigen Gedanken daran verschwenden und hatte alles nur in schwarz gesehen.
,,Timi, ich könnte dich niemals hassen und vor allem nicht wegen sowas. Du hättest von mir aus sonst fabriziert haben können und trotzdem würde ich dir ein Alibi geben, auch wenn ich am Ende dafür im Knast lande.''
,,Ist doch okay, dass du was mit einem Jungen hast. Mich macht es total glücklich, dass du jemanden gefunden hast und ob das nun ein Junge oder ein Mädchen ist, ist mir sowas von egal. Hauptsache du fühlst dich wohl damit.'', lächelte er mich ehrlich an.
,,Danke, Opa. Das bedeutet mir wirklich viel, dass du mich deswegen nicht verurteilst und noch immer hinter mir stehst.'', erwiderte ich glücklich vor mich hinlächelnd auf seine Worte und ließ mich von ihm einmal fest in den Arm nehmen.
,,Wo wir schon dabei sind. Du weißt doch, dass ich mit Oma zusammen all meine ersten Mal hatte.'', begann Opa zu erzählen, als wir uns wieder voneinander gelöst hatten und verkniff sich das Lachen.
,,Wenn ich dir was anvertrauen darf - das stimmt nicht wirklich. Du kennst doch meinen guten Freund Günther, der auch immer mit zum Angeln kommt. Der mit dem Schäferhund und der deine Mutter mit seinem Sohn verkuppeln wollte.'' Ich nickte stumm und sah ihn gespannt an.
,,Oh Gott... Also...Ich hatte nicht mit Oma meinen ersten Kuss, sondern mit ihm. Als wir noch ganz junge Burschen waren, haben wir zusammen das Küssen geübt. Nicht nur so kleine Schmatzer, sondern das volle Programm.'', gab Opa räuspernd und leicht vor sich hinnuschelnd zu, während ich augenblicklich in schallendes Gelächter ausbrach.
,,Das glaub' ich ja jetzt nicht! Warum habt ihr das denn gemacht?'', bekam ich mich kaum noch ein und strich mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich hätte jetzt wirklich mit jeder krassen Familienbeichte gerechnet, aber nur nicht damit.
,,Ach, wir haben immer so damit geprahlt, wie gut wir doch küssen können, weil wir vor den Damen nicht so unreif wirken wollten. Ich hatte ja nur Augen für deine Oma, aber weil die noch nicht wollte, musste ich mich erstmal woanders probieren.'', lächelte Opa schief.
,,Also du bist wirklich der Knaller! Hast du Oma denn je was davon erzählt?'', fragte ich immer noch lachend und spuckte meinen Tee zurück in die Tasse, weil ich mich kaum noch einkriegen konnte.
,,Ich hab's ihr kurz vor der Hochzeit gebeichtet. Sie hat genau so wie du reagierst und mich noch Jahre später damit aufgezogen, wenn ich mit Günther zusammen Angeln gefahren bin. Aber ich schein' sie ja trotzdem überzeugt zu haben.'', zuckte er lachend mit den Schultern.
,,Und wie ist es so gewesen? Hat es Spaß gemacht?'', drehte ich mich zu ihm, als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte. ,,Na ja, ganz angenehm. Irgendwelche Unterschiede gibt es da ja nicht.''
,,Aber mit Oma ist schöner gewesen.'', grinste mein Großvater über beide Ohren, trank seinen Tee aus und ging in die Küche, um mir eine Tafel Schokolade zu holen, weil schließlich schon seit einer halben Stunde hier bin und noch immer nichts im Magen hatte.
,,Aber jetzt erzähl' mir mal von deinem Lukas. Ist das der Schlaksige, der dich abends noch an deinem Geburtstag besucht hat? Ich hab' mich schon die ganze Zeit gefragt, wer das gewesen ist.'', sah mein Großvater mich auffordernd an.
,,Ja genau, das ist Lukas. Er ist richtig toll und so hübsch! Ich mag ihn sehr gerne und bin total froh, ihn zu haben. Er ist auch der, den Mama erwähnt - der mir bei der Schule hilft.'', erklärte ich lächelnd und seine Mine erhellte sich augenblicklich.
,,Ach, das ist also Lukas. Na das scheint aber ein feiner Kerl zu sein, wenn du wegen dem auch deine Schule machst und dir auch mal was sagen lässt.'', wuschelte mir Opa vielsagend durch die Haare und grinste mich an.
,,Er ist der Beste.''
Ich holte mein Handy heraus, ging auf die Galerie und zeigte ihm einige Fotos von mir und Lukas. Nebenbei erzählte ich ihm davon, wie wir uns kennengelernt und uns nach und nach immer mehr angenähert hatten.
Wie ich ihm bei den Hausaufgaben geholfen hatte, wie wir uns einen Tag später zufälligerweise im Schreibwarenladen begegnet sind, von dem unbewussten Händchen halten in dem Schnösel-Laden und dem gemeinsamen Kuscheln auf dem Tennisplatz.
Dem allerersten Kuss, von der Aktion mit dem gestohlenen Auto meines Stiefvaters, worüber Opa einmal fassungslos den Kopf schüttelte, mir aber versicherte, es für sich zu behalten, wenn ich ihm Gegenzug versprach, so etwas Dummes nie wieder zu machen.
Ich erzählte ihm von den Osterern und wie es jetzt gerade zwischen uns lief. Mein Großvater freute sich riesig für mich, dass ich endlich mal jemanden gefunden hatte, der mich richtig zu schätzen wusste und mich so nahm, wie ich bin.
Obwohl er ihn noch nicht kennengelernt hatte, schien Lukas ihm allein' von den Erzählungen zu gefallen. Er trug ein ehrliches Lächeln auf den Lippen und wollte immer mehr Stories über ihn zu hören bekommen.
Ich konnte darüber nur lachen, es ihm aber auch nicht wirklich verübeln, denn Lukas verzauberte wirklich jeden, der in sein Leben getreten kam. Mein Großvater konnte ich sich gar nicht satt an ihm sehen und ist stolz auf den Fang, den ich da gemacht hatte. Ich übrigens auch.
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