Alte Erinnerungen
,,Timi Schatz, du hast dich doch nicht wegen der Schule wieder angefangen zuritzen, oder?!'', fragte mich Alex geschockt, obwohl es doch eigentlich so offensichtlich war.
,,Nein...'', verneinteich es direkt, zog meinen Arm von ihr weg und Alex zog dieAugenbrauen nach oben.
,,Timi, sei bitte ehrlich.'', befahl mir Alex, sah sich in meinem Zimmer um und dann fiel ihr mit einem Mal die Kinnlade herunter.
,,Wenn du dich nicht geritzt hast, mein Schatz, dann erklär' mir doch mal, wieso du den Anspitzer hier aufgeschraubt hast und ausgerechnet die Klinge aus diesem weg ist.'', meinte meine beste Freundin stattdessen befehlend, deutete auf den aufgeschraubten Anspitzer der auf meinem Nachttisch lag und ich verdrehte nur die Augen.
,,Sag' mal, Alex, hast du ein neues Septum? Wo hast du das denn gekauft und wie lange hast du das schon? Wie teuer war das denn? Steht dir echt gut, super Wahl.'', fragte ich stattdessen grinsend und starrte total fasziniert auf das neue Piercing meiner besten Freundin.
,,Timi, hör' auf abzulenken und beantworte bitte meine Frage. Das ist ein ernstes Thema und wir müssen darüber reden.'', erwiderte Alex leicht genervt, sah mich ernst an und ich verdrehte erneut die Augen, weil ich einfach nicht darüber reden wollte.
,,Man...ja, ich hab' mich wieder geritzt. Da hast du deine Antwort!'', seufzte ich, setzte mich wieder zu ihr aufs Bett und vergrub die Hände in meinem Gesicht, während sich wieder Tränen in meinen Augen sammelten und ich leise zu schluchzen begann.
Alex handelte natürlich sofort, zog mich in ihre Arme und ich heulte nur ihr Shirt voll, während ich mich an diesem wie ein Ertrinkender festkrallte und sie mich noch viel fester in ihre schützenden Arme zog.
Ich schluchzte immer lauter und lauter, hörte gar nicht mehr auf und ich hasste mich dafür, dass ich wieder so eine Schwäche zeigen und mich vor allem ritzen musste, weil ich das doch eigentlich nicht wollte. Ich war vor drei Jahren davon losgekommen und jetzt ging die ganze Scheiße wieder von vorne los...
,,Timi, bleib' ruhig...'', versuchte mich Alex zu beruhigen, löste mich etwas von sich und strich mir dabei die Tränen aus dem Gesicht, während ich nur mit dem Kopf schüttelte.
,,Ich kann nicht ruhig bleiben, Alex! Nicht bei diesen Noten!'', schluchzte ich verneinend, strich mir aggressiv die Tränen aus dem Gesicht und seufzte frustriert auf, weil ich so eine verdammte Pussy bin.
,,Und dann enttäusche ich auch noch bald meine Mama, wenn sie erst einmal erfährt, dass ich schwul bin. Erst die Noten und dann auch noch sowas.'', fügte ich noch weiterhin weinend hinzu, schüttelte wieder mit dem Kopf und meine Hände wanderten zurück zu meinem Gesicht.
,,Timi, ich weiß, dass du diese Worte nicht hören willst, aber an deinen Noten kann sich immer noch einiges ändern, vertrau' mir. Wir haben gerade mal März und bis Juli ist doch noch ein wenig Zeit. Wenn du dich jetzt ordentlich reinkniest, können wir das schaffen. Ich biete dir meine Hilfe sehr gerne an, da kannst du dir sicher sein. Du kannst auf mich zählen, mein Schatz.'', redete Alex mit beruhigenden Unterton auf mich ein, strich mir sachte über den Rücken und ich spürte, wie sie nachdem Zettel griff.
,,Guck' mal, da unten steht doch sogar, dass du ein Gespräch mit deinem Klassenlehrer suchen kannst. Dein Lehrer ist doch voll nett und nicht so, wie die Anderen. Der hilft dir bestimmt liebend gerne und hat sicherlich auch super Ratschläge parat. Hast du ihn nicht auch in Mathe? Da meintest du doch auch, dass er da nicht so streng mit dir ist und auch gute Ratschläge für dich hat. Der ist doch lieb.'', schlug Alex vor, schob mir den Zettel unter die Nase und tippte auf diesen mit ihrem Zeigefinger.
Neben der Auflistung meiner Note, stand ganz unten noch, dass mich mein Klassenlehrer zu einem Gespräch mit meiner Mama einlug, bei welchem wir gemeinsam über die Noten und die Versetzungsgefährdung reden konnten. Meine Mama müsste das nur ausfüllen und unterschreiben...
Doch ich wollte dieses Gespräch einfach nicht, denn ich wusste wie diese meistens endeten und, dass ich danach in ein so tiefes Loch fiel, sodass es nahezu Monate dauerte, bis man mich wieder vollständig aus diesem gezogen hatte und ich nur noch am Rand stand, um irgendwann wieder hineinzufallen.
Ich hasste solche Konversationen einfach, denn sie brachten nie etwas Gutes mit sich und sie erweckten auch überhaupt keinerlei Hoffnung, Motivation oder ähnliches in mir. Viel eher war das Gegenteil der Fall und ich heulte mir nach diesen Gesprächen immer die Seele aus dem Leib und hasste mich nur noch mehr.
Bei solchen Gesprächen wurde mir immer wieder vor Augen geführt, wie dumm ich doch eigentlich bin und was für eine hoffnungslose Zukunft ich eigentlich mal haben werde, weil ich absolut nichts auf die Reihe kriege und mich mit meinen Noten sowieso keiner will.
Meine Zeugnisse sehen allesamt scheiße aus und ich würde meinen Hauptschulabschluss sowieso nie bekommen, weil ich einfach viel zu dämlich für dieses ganze Bildungssystem bin und rein gar nichts darin verloren habe. Dass ich überhaupt atmen kann, ist schon ein Wunder.
,,Alex, das wird doch sowieso nichts bringen! Mein Klassenlehrer sagt mir doch bloß, dass ich mich ein wenig mehr anstrengen soll, Nachhilfe nehmen oder Extraaufgaben von meinen Lehrer machen kann. Und weißt du, was genau ich davon mache? Richtig, nichts! Und weißt du auch wieso? Weil ich ein dummer Vollidiot bin, der nichts in seinem Leben geschissen bekommt und ohne Mamas Schutz nicht mal 'ne halbe Stunde da draußen überleben würde.'', erwiderte ich auf Alex' Vorschlag, wurde von Wort zu Wort immer lauter und lauter und löste mich dann endgültig von meiner besten Freundin.
Ich verschränkte, wie ein eingeschnapptes Kleinkind, die Arme vor derBrust, weinte leise vor mich hin und trat einmal gegen meinenNachtschrank, der leicht ins Schwanken kam, aber zu meinem Glück nicht umkippte und ich somit noch mehr kaputt machte.
Alex seufzte nur, erhob sich von meinem Bett, starrte den Zettel an und ging mein Zimmer auf und ab, weil sie wahrscheinlich nach irgendeiner Lösung oder nach sehr guten Worten für mein Problem suchte.
Doch Alex konnte mir da sonst was erzählen und es würde einfach nichts bringen, weil ich einfach viel zu stur für so etwas bin und einfach nicht fest genug an mich glauben konnte, so wie es andere Personen vielleicht tun.
Ich sehe in mir einfach keinen Jungen, in den noch ein wenig Hoffnung schlummerte, denn wenn ich in den Spiegel blickte, sehe ich nur eine gebrochene Seele, die am liebsten gar nichts machen will, als von dieser Erde zu verschwinden.
Es gibt keinen Platz für mich auf dieser Welt, denn ich bin nutzlos und kann absolut gar nichts, außer dumm und verheult in meinem Bett rumzuliegen und einen Joint nachdem Anderen zu rauchen. Nur das war mein Leben wert, mehr aber auch nicht. Ich hatte keine weitere Bestimmung.
,,Timi, ich bin ehrlich. Ich weiß nicht mehr, was ich dazu sagen soll, weil mir die Lösungen für dein Problem so langsam, aber sicher, ausgehen. Das sind halt nun mal die einzigen Möglichkeiten, um dich aus dieser Situation herauszuholen, auch wenn wir uns beide wohl was anderes wünschen. Aber wir wissen beide, dass diese Möglichkeiten nicht gerade einfach werden und es dich richtig ficken wird, wenn du trotz der ganzen Anstrengung deine gewünschten Ziele nicht erreichst. Ich kann das auch total nachvollziehen, mir würde es nicht anders gehen. Wir beide wissen, dass du dich gerne in der Schule anstrengen und gute Note möchtest, aber es eben nicht so leicht für dich ist. Du bist halt nicht wie die Anderen, denen das Lernen so einfach fällt und du hast viel zu viele Steine im Weg. Doch, ich kann dir nur empfehlen und das würde ich an deiner Stelle wirklich machen, dass Gespräch mit deinem Klassenlehrer anzunehmen und es wenigstens zu versuchen. Du bist da sicherlich kein Einzelfall und vielleicht hat er ja Lösungen für dich parat, die auch dir passen und mit denen du was anfangen kannst. Wie gesagt, wenn du Hilfe brauchst, dann bin ich gerne für dich da und unterstütze dich liebend gerne dabei.'', sagte Alex schlussendlich, als wir eine Zeit lang miteinander geschwiegen hatten, lächelte mich aufmunternd an und ich zuckte nur einmal mit den Schultern, während sie sich wieder neben mich setzte.
Meine beste Freundin legte mir den Zettel auf den Schoß, deutete auf das Kästchen, wo man alles für diese Konversation ausfüllen musste und sah mich hoffnungsvoll an, während ich es nur unsicher anstarrte und mich weiterhin dagegen sträubte, diesen Vorschlag anzunehmen und dort mit meiner Mama zusammen hinzugehen.
Da würde doch eh wieder das Gleiche bei rauskommen und ich wollte meine Mama einfach nicht enttäuschen und ihr mal wieder vor Augen führen, was für eine Schande sie da eigentlich in die Welt gesetzt und das mein Vater schon immer mit seinen Worten Recht hatte.
,,Ich...ich...weiß nicht...'', erwiderte ich unsicher, schob den Zettel beiseite und Alex rückte näher an mich heran, während sie mir wieder sachte mit ihren Fingerkuppen über den Rücken strich.
,,Was weißt du nicht?'', fragte meine beste Freundin ruhig nach und legte ihre Hand auf meine Schulter, über welche sie sanft strich.
,,Ob ich das Gespräch wirklich machen möchte.'', erklärte ich ihr, spielte unsicher mit meinen Händen und seufzte. Das brachte doch alles nichts!
,,Warum würdest du es denn nicht machen wollen?'', fragte Alex sanft nach, legte den Kopf schief und lächelte mich aufmunternd von der Seite an.
,,Na ja, weil ich meine Mama nicht schon wieder enttäuschen will und, weil diese Konversationen doch eh immer auf dasselbe hinauslaufen. Du weißt doch schließlich, wie ich danach meistens drauf bin.'', antwortete ich wahrheitsgemäß, seufzte erneut und Alex nickte verstehend.
,,Das bringt doch alles nichts, weil ich sowieso nie etwas an meinem Verhalten ändern werde. Ich bin halt total dumm und gleichgültig, das ist nun mal meine Art.'', fügte ich noch schluchzend hinzu und strich mir die Tränen aus dem Gesicht, weil ich einfach nicht weinen wollte und es die Situation dadurch auch nicht besser machte.
,,Ach Timi, du darfst das Alles nicht immer so negativ sehen. Klar, dir wird es nach der Konversation nicht allzu rosig gehen, aber vielleicht flimmert ja auch ein wenig Hoffnung in dir auf. Vielleicht gibt dir dieses Gespräch ja endlich mal den nötigen Schub, sodass du dich endlich mal zum Lernen aufrappelst. Timi Schatz, wir können nur gut auf dich einreden, aber du bist im Endeffekt der, der diese Sachen in die Tat umsetzen muss. Du musst deinen inneren Schweinehund endlich mal besiegen und den Arsch zum Lernen hochkriegen.'', redete Alex weiterhin auf mich ein, strich mir über den Rücken und ich drehte meinen Kopf zögerlich zu ihr.
,,Denkst du denn wirklich, dass ich das schaffen könnte, oder sagst du das nur so, damit ich mich besser fühle und nicht mehr heule? Sei bitte ehrlich zu mir, Alex. Du musst mir nicht sonst was erzählen, nur damit ich mich besser fühle, du kannst ruhig die Wahrheit sagen. Das ist sogar viel besser, als mich jetzt anzulügen und mir beim Scheitern zu zusehen.'', fragte ich sie stattdessen, sah meine beste Freundin ernst an und sie nickte.
,,Ich meine das wirklich Ernst, Timi Schatz. Ich glaube an dich und daran, dass du das schaffen kannst, wenn du strenger und ehrgeiziger zu dir bist. Du musst dich in dieser Hinsicht echt gewaltig ändern und das in einer so kurzen Zeit, wenn du die Kurve tatsächlich noch kriegen möchtest. Wir alle wissen doch, wie gerne du einen Schulabschluss hättest, doch das schaffst du auch nur, wenn du auch dazu bereit bist, dich dafür anzustrengen und es dieses Mal auch wirklich durchziehen. Das müssen jetzt Worte sein, die auch tatsächlich in die Tat umgesetzt werden.'', antwortete Alex auf meine Frage hin, sah mir in die Augen und ich erkannte pure Ehrlichkeit in diesen. Alex meinte es also wirklich Ernst.
,,Du hast wahrscheinlich Recht...'', seufzte ich schlussendlich leise, ließ den Kopf hängen und Alex griff wieder nachdem Zettel, den ich am liebsten zerreißen und für immer aus meinem Leben verbannen wollte.
,,Versuch'es wenigstens, Timi. Wir wissen beide, dass du es dir ansonsten ewig vorenthalten wirst, wenn du dieses Gespräch nicht in Erwägung ziehst. Es ist deine letzte Hoffnung, doch noch den Abschluss zu schaffen.'' Alex drückte mir den Zettel in die Hand, sah mic heindringlich an und ich nickte.
,,Ja, vielleicht sollte ich meine Mama das mal unterschreiben lassen. Aber dabei verstecke ich dann lieber die ganzen Noten, bevor sie wegen mir noch in Tränen ausbricht, weil ihr Sohn so ein dummer Vollidiot ist. Muss ja nicht sein.'', stimmte ich schlussendlich zu, pustete aufgrund des letzten Teils geräuschvoll die Luft aus und blickte unsicher zu Alex.
,,Timi, die Noten kannst du vor deiner Mama doch nicht verstecken. Sag' es ihr lieber persönlich, bevor sie es erst durch deinen Klassenlehrer erfährt. Dann sitzt der Schock beim Gespräch wenigstens nicht so tief.'', erwiderte Alex auf meine Worte hin und ich zog die Augenbrauen nach oben.
,,Ich weiß das doch, Alex...'', seufzte ich, vergrub die Hände wieder in meinem Gesicht und meine eben erst gewonnene Motivation war mit einem Atemzug plötzlich wie weggeblasen.
,,Aber was ich nicht weiß ist, wie ich ihr das überhaupt sagen soll.'', fügte ich noch verzweifelt hinzu und fuhr mir durch die Haare.
,,Du wirst es ihr auch nicht persönlich sagen, mein Schatz.'', lächelte Alex, griff nachdem Zettel und ich sah sie nur verwirrt an.
,,Was mach' ich denn stattdessen? Verbrennen wir den Brief? Oh Gott, bitte lass' uns den Brief verbrennen, Alex!'', fragte ich hoffnungsvoll nach und meine beste Freundin lachte einmal.
,,Wir werden den Brief nicht verbrennen, Timi. Wir werden den Brief nur auf den Esstisch legen, sodass deine Mama ihn leise für sich lesen kann, sobald sie nach Hause kommt.'', schlug Alex lächelnd vor, erhob sich vom Bett und griff nach meiner Hand.
,,Oh, und dann kommt sie heulend in mein Zimmer gestürmt, wenn sie den Zettel sieht. Das ist eine ganz doofe Idee, Alex. Ich schiebe es einfach bis hinter die Osterferien oder mitten in die Osterferien, da bin ich wenigstens nicht Zuhause.'', blieb ich weiterhin unzufrieden wegen ihrem Vorschlag, sah meine beste Freundin ihren Gesichtsausdruck entsprechend an und sie blickte mich nur verwirrt an.
,,Na ja, eigentlich wollte ich dich auch was anders fragen, als ich in dein Zimmer gekommen bin. Und jetzt bin ich mir erst recht sicher, dass du das gut gebrauchen könntest. Wenn du zustimmst, wirst du nicht da sein, sobald deine Mama den Zettel zu Gesicht bekommt.'', lächelte Alex und nun war es mein Gesichtsausdruck, der ganz verwirrt wurde.
Ich legte nur den Kopf schief, sah meine beste Freundin weiterhin mit verwirrter Miene an und wurde einfach nicht schlau aus ihren Worten. Also, ich verstand schon, dass ich weg sein würde, sobald meine Mama den Zettel zu Gesicht bekommen würde, aber wo würde ich dann bitte sein?!
Eigentlich hatte ich auch überhaupt keine Lust darauf, in die Öffentlichkeit zu treten und irgendwas mit Menschen zu machen, denn ich sah alles andere als gut und gesund aus.
Ich wollte einfach niemandem, außer Alex, unter die Augen treten und ich wollte auch gar nicht aus meinem Zimmer heraus, sondern mich nur noch für immer hier drin verschanzen.
Es würde doch eh nichts bringen, wenn ich jetzt aus diesem trat, denn ich würde weiterhin der dumme Vollidiot mit den unterirdischen Noten bleiben, der seine Mama mal wieder enttäuscht hatte. Ich bin so ein schlechter Sohn, ich hatte so eine tolle und liebe Mama gar nicht verdient.
,,Alex, was wolltest du mich denn eigentlich fragen?'', fragte ich sie immer noch total verwirrt, als sie mich widerwillig aus meinem Zimmer gezogen hatte und wir die Treppen heruntergingen.
,,Na ja, ob du mit zu Marcel kommen möchtest. Er hat uns beide eingeladen, damit wir mal wieder etwas Zeit miteinander verbringen können.'', erklärte sie mir lächelnd und drehte den Kopf zu mir.
,,Was wollen wir denn bei Marcel?'', fragte ich und hätte mich wahrscheinlich an jedem anderen Tag darüber gefreut, wenn ich nicht so verdammt depressiv darauf wäre.
,,Marcel backt für seine Kolleginnen und wir können ihm eventuell dabei helfen.'', antwortete Alex lächelnd und stieß die Tür zum Esszimmer auf.
,,Ich bin da doch völlig am Fehl am Platz...'', erwiderte ich unzufrieden grummelnd, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ mich auf einen der Stühle nieder.
,,Du bist da noch nicht Fehl am Platz, Schätzchen. Du kannst vielleicht nicht backen, aber zwischen mir und Marcel bist du mehr als richtig. Du gehörst doch schließlich zu uns. Du weißt doch, dass ohne dich was fehlt.'', lächelte Alex aufmunternd, setzte sich neben mich und wuschelte mir durch die Haare.
,,Außerdem brauchst du ein wenig Ablenkung, mein Schatz, Du musst mal wieder raus und unter Leute.'', sagte Alex, deutete auf den Brief, den wir mittlerweile wieder zurück in den Umschlag gesteckt und auf den Tisch gelegt hatten, und griff nach meinen Händen.
Ich blickte nur unsicher zu diesem, nun wieder geschlossenen Umschlag, dann wieder zu Alex, die mich aufmunternd anlächelte und seufzte einmal leise, während ich darüber nachdachte, ob ich wirklich zu Marcel gehen und dumm in der Küche rumstehen sollte.
Aber alles war jetzt viel besser, als Zuhause zu sein, wenn meine Mama den Brief entdeckte und sich daraufhin Kaffee trinkend den Brief durchlas und sich geschockt an diesem verschlucke und wild zu husten begann.
,,Komm' schon, Timi. Oder willst du was mit Lukas machen? Das ist auch total okay, wenn du lieber zu ihm gehen möchtest. Von ihm lässt du dich ja auch freiwillig küssen.'', bettelte mich Alex lachend an, spitzte die Lippen und ich verdrehte einmal grinsend die Augen.
,,Nein, der ist dieses Wochenende zu seiner Oma gefahren und ich schlafe eh bald bei ihm. Dieses Wochenende gibt es leider keinen Lukas.'', erklärte ich ihr lächelnd, aber dennoch traurig und Alex sah mich verwundert an.
,,Warte, was? Wann schläfst du denn bitte bei ihm und seit wann steht das fest?'', fragte Alex direkt interessiert nach und mein Herz schlug automatisch einige Takte schneller, als ich an meinen Lukas dachte. Ach, ich vermisste ihn, wir hatten uns die ganze Woche schon nicht gesehen.
,,Es gibt einiges, was ich dir noch erzählen muss, es ist einfach so vieles passiert.'', schwärmte ich ihr vor und meine Stimmung hob sich mit einem Mal um das Hundertfache, als ich an Lukas und die gemeinsame Zeit mit ihm dachte. Ich musste ihn dringend wiedersehen!
,,Das kannst du ruhig noch machen, mein Schatz. Aber nur, wenn du jetzt unter die Dusche springst, dich vernünftig fertigmachst und wir daraufhin zu Marcel fahren. Du brauchst diese verdammte Ablenkung dringend.'', befahl mir Alex, stand auf und riss mich dabei mit nach oben, während sie mich einmal musterte.
,,Die Dusche brauchst du übrigens genauso dringend, du stinkst wie 'ne verdammte Müllkippe. Du schuldest mir was dafür, dass ich dich trotzdem in den Arm genommen habe.'', fügte Alex noch hinzu, verzog angewidert das Gesicht und wedelte mit ihrer Hand an der Nase umher, während ich lachen musste.
,,Aber bevor du dich von deinem Müllkippen-Geruch befreist, müssen wir noch über eine ganz andere Sache reden. Und zwar genauso dringend,wie über die anderen Sachen auch. Das ist echt wichtig, mein Schatz.'', sagte Alex noch, bevor ich einen Fuß aus dem Esszimmer setzen konnte und ich drehte mich verwirrt zu ihr um.
,,Worüber denn? Ich dachte, wir hätten alles geklärt.'', fragte ich ahnungslos nach, obwohl ich ganz genau wusste, worüber Alex noch ein klärendes Gespräch mit mir führen wollte. Und ich wusste ebenso auch, dass ich keine Lust auf diese Konversation hatte.
Ich wollte mich eigentlich auch nicht wieder anfangen zu ritzen, doch es ging in diesem Moment einfach nicht anders und ich wusste einfach nicht mehr weiter. Klar, ich hätte mit Marcel und Alex darüber reden können, doch ich wollte die zwei einfach nicht mit meinen Problemen nerven. Sie hatten doch schließlich auch ihre eigenen Lasten zu tragen.
,,Alex, ich...ich wollte das eigentlich nicht, okay?! Ich...ähm...also, ich hab's halt nur gemacht, weil ich mir nicht anders zu helfen wusste und, weil ich nicht mit dir und Marcel reden wollte. Also, was heißt nicht reden, aber ich wollte euch beide einfach nicht nerven. Ihr habt doch schon genug um die Ohren, da muss ich doch nicht ständig mit meinen belanglosen Problemen dazwischenkommen. Ich weiß, dass das Ritzen keine gute Lösung war, aber immerhin bin ich euch nicht auf die Nerven gegangen. Anscheinend kann ich ja doch was richtig machen.'', fing ich direkt mit dem Erklären an, hielt mir die Tränen zurück und Alex sah mich geschockt an, während sie den Kopf schüttelte.
,,Timi, was erzählst du denn da? Mein Schatz, wir hatten das doch schon oft genug durch, du nervst mich und Marcel doch nicht mit deinen Problemen. Wir sind deine besten Freunde, wir sind gerne für dich da. Und klar, Marcel und ich haben manchmal viel um die Ohren wegen der Arbeit, aber wir haben immer Zeit, um eine trockene Schulter und ein offenes Ohr für dich zu haben. Du musst dich deswegen nicht wieder anfangen zu ritzen, Spatz. Du kannst alles machen, aber bloß nicht das. Du weißt doch, wie das vor fast drei Jahren geendet ist.'', erwiderte Alex ruhig, schloss mich in ihre Arme und sah mich einmal vielsagend an, während ich nickte.
Natürlich wusste ich, dass Alex mit ihren Worten Recht hatte und diese auch wirklich Ernst meinte. Aber leider erreichten diese Worte oftmals nie meinen Kopf, beziehungsweise, sie erreichten ihn schon, doch er blockte sie immer wieder ab, weil ich einfach nicht glauben wollte, dass es wirklich Menschen da draußen gab, die mich lieb hatten, mir helfen wollte und auch wirklich hinter mir standen.
Und ich wollte ebenso auch nicht, dass ich wieder in mein altes Muster verfiel und mich wieder anfing zu ritzen, sobald ich ein Problem hatte und einfach nicht mehr weiter wusste. Es tat zwar verdammt gut und ich konnte mich mal wieder richtig fühlen, aber ich konnte nicht wieder mit dieser ganzen Scheiße anfangen.
Einerseits,weil mich diese Scheiße automatisch an meinen beschissenen Erzeuger erinnerte, wegen welchem ich erst mit der ganzen Scheiße angefangen hatte und anderseits, weil vor knapp drei Jahren etwas so, so schreckliches passiert ist, wovon ich gar nicht erst wollte, dass es sich noch einmal wiederholte.
Doch das war eine andere Geschichte und gehörte hier momentan nicht hin. Ich sollte jetzt nach vorne blicken, mich unter die Dusche stellen, mich wieder zu einem Menschen machen und eine schöne Zeit mit meinen Freunden genießen, bevor ich meiner Mama wieder unter die Augen trat und dieses schlimme Gespräch mit ihr führen musste.
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