Kapitel 2
If you love two people at the same time, choose the second one, because if you really loved the first, you wouldn't have fallen for the second.
- Johnny Depp -
Die Person vor meiner Tür war niemand geringeres als Violet Parker.
„Na, du hast doch heute Geburtstag. Fünfzehn, stimmt's?," fragte sie mit gespielter Unschuld. Ich hätte ihr den Muffin ins Gesicht klatschen können. Klar wusste sie, wie alt ich war. Ich war die Jüngste in der Klasse und die meisten anderen waren sechzehn oder sogar schon siebzehn, wie sie zum Beispiel. Und natürlich machte sie sich immer wieder einen Spaß daraus, mich damit aufzuziehen. Mit einem Lächeln, von dem mir fast der Kuchen von eben wieder hochkam, streckte sie mir den Muffin entgegen und sagte: „Apfel. Die Sorte liebst du doch." In der ersten Sekunde fragte ich mich, woher sie davon wusste und in der nächsten wurde es mir klar. Alec. Wer sonst.
„Nett von dir, aber nein Danke," sagte ich wütend und wollte die Tür zumachen, doch sie stellte einen Fuß dazwischen. Hasserfüllt starrte ich diesen an und presste hervor: „Violet, nimm deinen Fuß da weg."
„Quinn," sagte sie jetzt und drückte die Tür auf, nahm den Fuß aber tatsächlich weg. „Ich weiß ja, wir hatten es nicht leicht in der Vergangenheit und die Geschichte mit Alec ist wirklich ärgerlich, aber dieses Verhalten ist doch etwas kindisch, findest du nicht?" Mir klappte die Kinnlade herunter und ich starrte sie fassungslos an. „Wie bitte? Mein Freund hat mich mit dir betrogen und jetzt stehst du einfach vor meiner Tür, willst mir zum Geburtstag gratulieren und behauptest, ich benehme mich kindisch?," spuckte ich ihr entgegen und zu meinem Entsetzen blieb sie völlig ruhig und setzte ihr Zahnpasta-Lächeln auf.
„Erstens, Ex-Freund. Und zweitens siehst du das falsch." Ich sah das falsch? Für wen hielt sich diese Schlange eigentlich? „Es war ein Ausrutscher," fügte sie zu allem Überdruss noch hinzu. Ein Ausrutscher?, dachte ich, während ich ihr mit meinem wütendsten Blick in die Augen starrte. Im nächsten Moment zuckte ein weiterer Gedanke durch meinen Kopf:
Wenn die blöde Kuh nur wüsste.
Im gleichen Moment spürte ich einen stechenden Schmerz in der Schläfe und meine Augen brannten, sodass ich sie von ihr abwenden musste.
Moment mal. Mein Herz blieb für einen Moment stehen.
„Was hast du gerade gesagt?," flüsterte ich. Verwirrt schaute sie mich an.
„Ich sagte, es war ein..."
„Ich habe gehört, was du gesagt hast, aber...," unterbrach ich sie und wusste dann nicht mehr, was ich selbst sagen sollte. Sie starrte mich verwirrt an, doch ich murmelte nur: „Danke für deinen Besuch, Violet. Und danke für den Muffin," nahm ihr diesen aus der Hand und ließ die Tür vor ihr zufallen, bevor sie noch etwas sagen konnte. Dann lief ich eilig ins Wohnzimmer zurück und stellte den Muffin auf dem Tisch ab. Ich setze mich hin und starrte hasserfüllt darauf. „Quinn? Alles okay?," fragte Hazel und wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht. „Von wem ist der?," fragte Jade. „Violet," presste ich hervor und richtete meinen Blick weiter auf den Muffin. Es würde mich gar nicht wundern, wenn er vergiftet wäre. „Bitte?," platzte auf einmal Val heraus und starrte mich an. „Das ist nicht dein Ernst."
„Doch. Und wisst ihr was noch? Diese Schlange wollte mir doch tatsächlich weis machen, dass es ein Ausrutscher gewesen war."
Alle am Tisch schnaubten wütend. „Das glaubst du ihr doch nicht etwa?," fragte Jade. „Nein, natürlich nicht!," erwiderte ich entrüstet. Ich hatte vielleicht ein gebrochenes Herz, aber ich war nicht blöd.
Das Wichtigste, was eben passiert war und vor allem, warum ich genau wusste, dass es kein Ausrutscher gewesen war, erzählte ich meinen Freunden nicht. Ich wusste nicht mal, wieso. Vielleicht, weil es einfach nur absurd und skurril und unheimlich war.
Ich hatte Violets Gedanken in meinem Kopf gehabt! Wie war denn so etwas möglich?
Oder wurde ich aus Trauer etwa langsam verrückt?
Und doch: es hatte sich so real und gleichzeitig fremd angefühlt, dass ich nicht glauben konnte, dass es eine Einbildung gewesen sein sollte.
Und noch etwas beschäftigte mich: Hatten Alec und Violet etwa immer noch Kontakt? Das würde heißen, dass sie eine geheime Beziehung hatten, von der ich nichts wusste und auf einmal fühlte ich mich noch schlechter als vorher.
„Wenn das wirklich stimmt, mache ich Violet fertig. Und Alec noch dazu!," schnaubte Hazel wütend und ich stellte nichts davon in Frage, aber ich würde das alles lieber persönlich mit ihm klären.
„Hazel, schon gut," sagte ich also. „Ich werde morgen zu Alec gehen und selbst mit ihm reden." Alle schauten mich ein wenig besorgt und Hazel vor allem skeptisch an, aber mein Entschluss stand fest. Einerseits wollte ich zu ihm, um sicherzugehen, dass ich mit meinem Verdacht Recht hatte, andererseits, um mir sicher zu sein, dass ich nicht verrückt war und mir Violets Gedanken in meinem Kopf nicht eingebildet hatte.
Eine Weile blieben die anderen noch, dann machten sie sich auf dem Heimweg. Immerhin war es schon sehr spät. Hazel drückte mich zum Abschied noch fest und sagte: „Schreib mir, falls irgendetwas ist, okay?" Dankbar nickte ich und schloss dann die Tür hinter ihr. Ich machte mich anschließend fertig zum Schlafen und ging auch ins Bett, doch ich bekam einfach kein Auge zu. Angespannt wälzte ich mich herum und stand dann schließlich auf, nur um weiter durch mein Zimmer zu tigern. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und zog mir normale Klamotten an. Ich steckte mein Handy und den Schlüssel ein und warf mir eine Jacke über. Es war erst Ende Mai und recht kühl draußen. Sicherheitshalber hinterließ ich meinen Eltern eine Nachricht, dass ich kurz weg sein würde, zog meine Schuhe an, schloss die Tür hinter mir ab, schnappte mir mein Fahrrad und fuhr dann zu Alecs Haus. Auf keinen Fall konnte ich bis morgen warten, um mit ihm zu reden. Auch wenn es schon spät war, machte das nichts aus. Alecs Mutter, Luise, arbeitete oft bis spät in die Nacht und sie mochte mich sehr; bei ihr war ich immer willkommen. Ich war schon länger nicht mehr bei Alec und deswegen auch nicht in seiner Gegend gewesen, dennoch durchflutete mich ein vertrautes Gefühl, als ich die Straße seines Viertels lang fuhr.
Es dauerte nicht lange, bis ich an seinem Haus ankam. Jedes Mal, wenn ich es sah, staunte ich darüber. Es war gigantisch groß, schneeweiß gefärbt und hatte geschwungene Geländer, die den Weg von der Marmortreppe zur breiten Eingangstür wiesen. Natürlich hatte das Haus nur den Anschein, als sei es hunderte von Jahren alt. Das Original wurde während der Katastrophe zerstört, doch unsere Anführer hatten die gesamte Stadt wieder aufgebaut und nun sah sie so aus wie früher. Ich stieg von meinem Fahrrad und stellte es dann an das hohe, metallene Eingangstor ab. Statuen, die keinen Kopf besaßen, säumten dieses und standen neben dem Weg, der zum Haus führte. Alec hatte mal gesagt, dass er sie gruselig fand, doch mich faszinierten sie irgendwie. Ich lief den schmalen Weg entlang und klopfte dann an die massive Holztür. Kurze Zeit später hörte ich Schritte hinter der Tür und zupfte meine Haare zurecht. Luise öffnete und als sie mich sah, strahlte sie. „Quinn! Wie schön, dich zu sehen," sagte sie und umarmte mich. „Ach und alles Gute zu deinem Geburtstag!"
Es fühlte sich vertraut an. Trotz Alecs und meiner kurzen Beziehung kannten wir uns schon ein Leben lang, unsere Mütter waren seit langem befreundet und unsere Väter arbeiteten zusammen.
Sie ließ mich los und zog mich nach drinnen. Der Geruch nach frisch gebackenem Kuchen empfing mich und hüllte mich ein. „Ich habe gerade Kuchen gebacken," sagte sie überflüssigerweise. „Möchtest du ein Stück?"
„Danke nein, ich würde gerne Alec sprechen. Ist er da?"
„Sicher. Du kannst einfach zu ihm hochgehen, er ist in seinem Zimmer." Ich lief die Treppe hoch und dann über den Gang zu Alecs Zimmer. Den Weg dorthin würde ich sogar mit verbundenen Augen finden. Vorsichtig klopfte ich an die hölzerne Tür, hinter der laute Musik hervordrang. Als nichts passierte, klopfte ich lauter und die Musik wurde leiser. Ich zupfte an meinem T-Shirt. Wieso war ich bitte nervös? Das Einzige, was ich fühlen sollte, war Wut. Alec öffnete schwungvoll die Tür und wollte sichtbar zu einem genervten „Was gibt's?" ansetzen, als er sah, dass nicht seine Mutter vor ihm stand. „Quinn," sagte er überrascht und strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Was machst du denn hier?"
„Ich will mit dir reden."
Er hob eine Augenbraue.
„Über Violet," fügte ich hinzu. Jetzt sah er mich verwundert an.
„Violet? Wieso, wir haben das doch schon tausend Mal durchgesprochen."
„Genau genommen ein Mal." Ich atmete durch. „Außerdem muss ich dich unbedingt etwas fragen." „Und zwar ?"
Ich zögerte, dann platzte ich heraus: „Habt ihr etwas miteinander? Komm ja nicht auf die Idee, es wieder abzustreiten und erzähl mir nicht, es war ein Ausrutscher." Jetzt wirkte er nervös. „Oh Quinn."
„Ja oder Nein?," fragte ich fordernd nach und ärgerte mich darüber, dass meine Stimme zitterte.„Naja, wir haben uns ein paar Mal getroffen. Aber woher weißt du das?"
„Ich hatte da so eine Ahnung," antwortete ich leise. Er musterte mich aufmerksam und nickte. „Ich weiß nicht was ich sagen soll," bemerkte er irgendwann. „Schon gut, du musst dazu nichts sagen, ich wollte nur sichergehen," sagte ich und drehte mich zum Gehen um. Doch dann überlegte ich es mir anders und blieb stehen. „Du hast mir wirklich weh getan, Alec," sagte ich und fragte mich, ob er das nicht nur hören, sondern auch in meinen Augen sehen konnte.
Er tat genau das, was ich gehofft hatte.
Er zuckte die Schultern und grinste entschuldigend.
Als er nichts erwiderte, kehrte ich ihm die Schulter zu und lief den Gang zurück, dann die Treppe runter, wo ich bis in den Flur seine Blicke in meinem Rücken spürte. In dem Moment, als ich mich auf mein Fahrrad schwang, musste ich gleichzeitig weinen und lachen. Er hatte nicht versucht, mich zurückzugewinnen. Dadurch wusste ich endlich, wo ich stand und musste ihm nicht weiter nachtrauern. Auch wenn das leichter gesagt war als getan. So lange er sich weiterhin mit Violet traf, konnte ich keinen Frieden mit der Sache schließen. Andererseits hatte er sich nicht entschuldigt. Er verdiente mich nicht.
Und am wichtigsten: mein Verdacht hatte sich bestätigt. Das verschaffte mir einerseits Erleichterung, andererseits auch Unbehagen. Immerhin wusste ich nun, dass ich mir diese verrückte Geschichte mit Violets Gedanken in meinem Kopf nicht eingebildet hatte.
Nur, was sollte ich mit diesem Wissen anfangen?
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