Kapitel 1
Eine gewaltige Lichtsinfonie spielte in tiefstem, feierlichen Schweigen über unseren Häuptern, wie um unserer Wissenschaft zu spotten: kommt doch her und erforscht mich! Sagt mir, was ich bin!
- Alfred Wegener -
Der Moment, in dem auf der Uhr ein neuer Tag anbrach, war einer meiner liebsten eines Tages. In einer Sekunde war es noch heute und mit der nächsten war bereits der nächste Tag da. Doch heute empfand ich anders. Mit einem Seufzen saß ich auf meinem Bett und sah zu, wie die Digitalanzeige der Uhr auf meinem Nachttisch von 23:59 auf 00:00 umsprang. Kaum eine Sekunde später ging die Tür auf und ein Happy Birthday! ertönte, gefolgt von Jubel. Ich lächelte leicht, während ich nacheinander meinen Bruder, meine Eltern und meine Freunde Valentine, Hazel und Jade umarmten, die mir gratulierten. „Ich verstehe nicht, warum du dich jedes Jahr in deinem Zimmer versteckst. Wir finden dich doch sowieso immer!," sagte Val und grinste. „Ihr wisst doch, dass ich Geburtstage nicht ausstehen kann," antwortete ich, entschuldigend mit den Schultern zuckend. „Ja, aber nur deine eigenen," bemerkte mein Bruder Leonor. „Es erinnert mich nun mal daran, dass ich mit jedem Jahr stetig älter werde und es keine Möglichkeit gibt, das zu stoppen." Hazel lachte und strich ihre braunen Locken zurück. „Du bist erst fünfzehn Jahre alt, entspanne dich." Sie legte einen Arm um meine Schultern und schob mich dann zur Treppe und von dort aus nach unten ins Wohnzimmer. Ich schluckte schwer, denn genau dieser Moment rief mir eine schmerzhafte Erinnerung ins Gedächtnis. Letztes Jahr hatte dort unten, wo jetzt meine Familie stand, mein Ex-Freund, Alec, auf mich gewartet. Ich erinnerte mich daran, wie strahlend sein Lächeln gewesen war, als er mich gesehen hatte, und wie betörend der Blumenstrauß, sein Geschenk an mich, geduftet hatte. Blumen waren aufgrund des Wassermangels in Houston sehr schwer zu bekommen und deshalb extrem teuer. Doch er hatte keine Kosten und Mühen gescheut und nicht nur deswegen war ich ihm an diesem Abend verfallen.
Doch das war bereits sechs Monate her.
Sechs Monate, seit er mich mit Violet Parker betrogen hatte.
Dieser verdammten Schlange.
„Der Kuchen dieses Jahr ist besonders lecker geworden," sagte Hazel und schob mich weiter voran, bis wir vor dem Esstisch zum Stehen kamen, auf dem ein Ungetüm von Torte thronte. Sie war ganz in dunkelblau, meiner Lieblingsfarbe, gefärbt worden, eine Wunderkerze brannte auf der dritten Kuchenschicht und ein Nebel aus Stickstoff wehte um den glitzernden Zuckerguss. „Das ist Glitzer, den du essen kannst," rief Hazel und sah mich begeistert an. „Mhm," antwortete ich nur. Allein vom Anschauen bekam ich bereits einen Zuckerschock. Ich nahm die Torte und drehte sie ein wenig, bis mein Blick auf eine fehlende Stelle im Teig fiel. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah ich zu Hazel, die peinlich berührt grinste. „Er sah so lecker aus...," sagte sie entschuldigend. „Schon gut Haze. Ich habe sowieso keinen großen Appetit." Ich musste nichts weiter sagen, sie nahm sich sofort einen Teller und dann ein großes Stück.
Ich gönnte es ihr. Im Gegensatz zu meiner Familie war Hazels nicht sehr wohlhabend und Kuchen konnten sie sich schon gar nicht leisten.
In letzter Zeit war die Nahrungsmittel- und Wasserknappheit noch schlimmer geworden und die Verschwendung durch die Reichen größer. Eine fatale Kombination. Ich fand es überhaupt nicht gut, dass meine Eltern sich genau so verhielten, aber mein Vater sagte mir immer zu bloß, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gäbe und er alles im Griff hätte.
Mein Dad gehörte zu den wichtigsten Politikern in Houston, die im Parlament vertreten waren. So etwas wie einen Präsidenten oder einen Bürgermeister gab es nicht. Stattdessen regierte eine Gruppe aus zehn Abgeordneten, die für Recht und Ordnung sorgten. Darunter war auch mein Vater. Ich vertraute ihm, wenn er mir sagte, ich solle mich entspannen, aber trotzdem wurde ich die Sorgen nicht los. Wenn alle unsere Ressourcen aufgebraucht waren, wäre das das Ende für unsere komplette Stadt.
Außerhalb der Grenzen Houstons gab es nichts mehr. Zumindest nahm man es an. Da war bloß der Ozean zur einen Seite und die unüberwindbare Wüste zur anderen. Lange vor meiner Zeit hatten Umweltkatastrophen alle anderen Städte und Länder, die es auf der Welt gab, vernichtet. Zurück blieb Houston. Mit einem Vorteil durch gute technische Entwicklung und Biologie war es den früheren Anführern möglich gewesen, wenigstens unsere Stadt und ihre Menschen zu schützen.
Meine Eltern hatten all das als Kinder miterlebt. Sie redeten nicht gerne darüber, aber ich verstand auch so, dass es schrecklich gewesen sein musste.
Nachdem sich jeder ein Stück der Torte genommen hatte, verabschiedeten sich bald schon meine Eltern und Leo zum Schlafen gehen. Jade, Val und Hazel blieben noch bei mir und wir setzten uns gemeinsam auf den Teppich vor das Sofa. Automatisch öffnete sich die metallene Oberfläche des Beistelltisches mit einem Zischen und gab den Blick auf eine Reihe von gekühlten Getränken frei. Was möchtest du heute trinken, Quinn?," fragte eine automatische Stimme. „Nichts," antwortete ich knapp. „Wie du wünschst," sagte die Stimme und schloss den Deckel wieder. „Du bist heute nicht nur schlecht gelaunt wegen deines Geburtstags oder?," fragte mich Jade plötzlich. Ihre blauen Augen blitzten. „Ich bin nicht schlecht gelaunt," antwortete ich und nestelte einem Faden herum, der sich von meinem Oberteil löste. „Uns kannst du nichts vormachen," sagte Val. Ich seufzte und sah sie an. „Es ist wegen Alec. Heute vor genau einem Jahr sind wir zusammen gekommen." Sie nickten betroffen. „Alles nur wegen dieser dämlichen Kuh," murmelte Hazel. Ich lächelte schief. „Allerdings."
Ich verwendete das Wort Hass nicht oft, aber bei Violet ging es nicht anders. Sie war wirklich der Teufel in Person. An der Geschichte mit Alec war sie nicht ganz unbeteiligt gewesen. Immerhin hatte sie damals gewusst, dass Alec mit mir zusammen gewesen war und sich trotzdem an seinen Hals geworfen. Ich war mir sicher, dass sie ihn gar nicht besonders gemocht hatte. Sie wollte mich nur demütigen und und verletzen, weil sie Spaß daran gehabt hatte.
Und das hatte sie bei mir wirklich geschafft.
Ganze zwei Wochen lang sperrte ich mich in meinem Zimmer ein und aß nicht, verließ nicht das Haus und sprach mit niemandem. Alec und ich waren zwar erst sechs Monate zusammen gewesen, aber mit ihm hatte ich meine erste richtige Beziehung gehabt und das Wichtigste: ich hatte ihn wirklich geliebt. Und das tat ich irgendwie immer noch, auch wenn ich es niemals offen zugeben würde.
Es war jedes Mal wieder ein Schlag in die Magengrube, wenn ich Violet und Alec miteinander sah. Sie waren zwar nicht zusammen, aber immer, wenn ich in der Nähe war, warf sich Violet Alec an den Hals. Und es wirkte nicht mal so, als ob es Alec störte oder als ob es ihm leid täte, dass er mir das angetan hatte. Er ignorierte mich, als würde ich nicht existieren und als hätten wir zusammen nie existiert.
Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich die Gedanken an die beiden daraus vertreiben und fasste mir an die Schläfen. Ich hatte schon seit Tagen Kopfschmerzen und sie gingen einfach nicht weg. Die Erinnerungen an Alec taten ihr übriges. Nach einem Moment des Schweigens wollte ich gerade etwas sagten, da klopfte es an der Tür.„Wer kommt denn um die Uhrzeit zu euch? Hast du noch jemanden eingeladen?," fragte Jade stirnrunzelnd. Ich schüttelte den Kopf. Die drei waren meine einzigen Freunde.
Nach einem kurzen Zögern ging ich zur Tür und öffnete sie.
Ich erstarrte.
Erst dachte ich, die Person hatte sich in der Tür geirrt, doch dann sah ich das Grinsen in ihrem Gesicht und den Muffin in ihrer Hand und fragte: „Was willst du denn hier?"
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