2. choke

Manchmal genügte es. Ein einziger Ausbruch. Doch Tony hätte damit rechnen können, dass dem noch nicht genug war. Denn Peter wirkte zwar vorerst beruhigt, doch der Schein trog. Tony wusste, dass man sich bei Peter das Sprichwort „Stille Wasser sind tief" wirklich zu Herzen nehmen sollte.
Also wann war er bitte verdammt nochmal so naiv geworden?

Er hatte das Schulhaus viel zu spät mit einem weiterhin lächelnden Peter an der rechten Hand betreten – sie hatten in den ersten Stunden verschiedene Kurse, weshalb sie sich erst in der Mittagspause wiedersehen würden.

Der Abschied war normal verlaufen, Peter hatte Tony einen Kuss auf die Wange gedrückt und war in Richtung seines Physikraums weitergerauscht. Tony war noch schnell mit seinem Sportbeutel zur nächsten Toilette gehuscht, um sein T-Shirt zu wechseln, sodass er keine unangenehmen Fragen von seinen Freunden gestellt bekommen würde.

Nichts Verdächtiges also.


Bis zur Zwischenpause, in der Tony nicht einmal im Geringsten erwartet hatte, Peter zu sehen.

Er schlenderte mit der üblichen Gruppe an Gesichtern um sich herum, die ihm regelmäßig die Füße küssten, und Rhodey den Flur entlang, auf dem Weg zum nächsten Klassenzimmer, als er aus der Ferne eine riesige Menschentraube erkennen konnte.

Obwohl er nicht damit rechnete, dass jemand, den er kannte, eine Prügelei direkt auf dem Schulgang angezettelt hatte, da das doch ziemlich töricht war, beschleunigten seine Schritte sich automatisch und er rannte beinahe auf die entsetzt-faszinierte Schülermeute zu.


Kaum sah diese, wer genau da auf sie zusteuerte, teilte sie sich und machten so die Sicht frei auf Flash, einen Jungen, der so ein Idiot war, dass nicht mal Tony etwas mit ihm zu tun haben wollte (größtenteils, weil er Flash schon mehr als einmal wegen Piesackerei in Bezug auf Peter fertiggemacht hatte).

Auf seinen Schultern saß, ein gewinnendes Grinsen auf den Lippen, die Beine fest um den Brustkorb des Jungen geschlossen, eben dieser Peter, der Flash mit gekonnten Fingern ziemlich fest, und offenbar sehr schmerzhaft, strangulierte.

Tony glaubte fast, das leise Glucksen, das gerade mit Sicherheit über die Lippen seines Freunds perlen musste, auf zwei Meter Entfernung hören zu können.

Flash gab ein würgendes Geräusch von sich, schwankte und sah mit vor Hass blitzenden Augen in die Runde, während er Peter hilf- und wirkungslos abzuschütteln versuchte wie ein wildes, in die Ecke gedrängtes Tier.

Es dauerte etwas, bis Peter, der die Ruhe selbst zu sein schien, Tony entdeckte, doch als er es tat rief er ihm ein fröhliches „Hey, Schatz!" zu, als wäre es das verdammt nochmal Normalste auf dieser Erde, dass Peter Parker, der Typ, den man vor allem und jedem beschützen musste, gerade einem Mitschüler die Luft zum Atmen nahm, und zwar so drastisch, dass dieser wahrscheinlich in den nächsten dreißig Sekunden umkippen und ohnmächtig werden würde.

Tonys Blick verhärtete sich. Natürlich waren die Leute fasziniert, dass Peter überhaupt zu so etwas in der Lage war, aber er musste dem so schnell wie möglich ein Ende setzen, Peter zuliebe – trotz der Tatsache, dass absolut niemand von ihm erwartete, eine Prügelei zu beenden.

Von jedem, aber ganz sicher nicht von ihm.


„Peter."


Dieses eine Wort donnerte mit einer solchen Ausdrucksstärke durch den Gang, dass nicht nur die Blicke sämtlicher Schüler, sondern auch Peters auf ihm lag.

Ganz langsam, Finger für Finger, ließ er Flashs Kehle los. Fast fragend sah er ihn aus riesigen, dunkelbraunen Augen an und auf einmal schien wieder alles wieder okay zu sein.

Blitzschnell hangelte Peter sich von Flashs Schultern und landete mit einem leisen Plumpsen wieder auf dem Boden. Einige Schüler stöhnten enttäuscht auf, doch Flash schloss mit ziemlich erleichtertem Gesichtsausdruck probehalber seine linke Hand um seinen Hals und... drückte nochmal zu.
Tony schnaubte leise auf. Dem Jungen war auch nicht mehr zu helfen.

Darüber konnte er sich jedoch im nächsten Moment keine Gedanken mehr machen, da sich ein braungelockter Wirbelwind in seine Arme warf.

Überrascht schloss Tony die Arme um Peter und stolperte einen Schritt zurück. So viel Kraft hatte sein Freund sonst eigentlich nicht, oder zumindest setzte er sie nicht so unkontrolliert ein.

Peter vergrub wieder einmal seinen Kopf in Tonys Nacken – normalerweise machte er das nicht so oft – und fast glaubte der Schwarzhaarige, dass er noch einmal zubeißen würde. Doch dem war nicht so.
Stattdessen kam Peters warmer Atem seinem Ohr immer näher, bis er letztendlich leise flüsternd einen einzigen Satz von sich gab, den nur Tony hören konnte. Und vielleicht war es besser so.


„Ich habe seinen Bleistift."

Tony runzelte die Stirn.

Irgendetwas stimmte hier nicht.

„Wie, du hast seinen Bleistift?"


Ansonsten war es immer so, dass Flash derjenige war, der Peter Dinge stahl, obwohl das in letzter Zeit auch nicht mehr vorgekommen war, dank der grandiosen Überzeugungsarbeit, die Tony an den Tag legte. Hieß: Er hatte Flash so lange in den Schwitzkasten genommen, bis dieser auf seine Mutter geschworen hatte, Peter verdammt nochmal in Ruhe zu lassen.

Das hatte er auch getan – bis jetzt.


„Hab' ihn genommen. Er wollte ihn zurück. Dann hab' ich ihn gewürgt."

Ungläubig blinzelte Tony ein paar Mal, während Peters kleine Faust langsam hinter dessen Rücken hervorwanderte und einen abgenagten dunkelblauen Stift entblößte.

Es war... tatsächlich nicht Flashs schuld gewesen?

Dafür musste doch irgendeine logische Erklärung geben. Peter konnte unmöglich einfach nur Flashs Stift gestohlen haben, weil er Lust auf eine Prügelei gehabt hatte.

Oder doch, wie es aussah, denn als Peter langsam wieder den Kopf aus der Wärme von Tonys Nacken nahm und ihm direkt in die Augen sah, seine Gesichtszüge immer noch so unglaublich weich, glaubte Tony zu verstehen.

Wahrscheinlich verstand er in Wirklichkeit überhaupt nichts, so, wie er es eigentlich nie tat, wenn es Peters Ausbrüche betraf. Sie passten nie zusammen, waren immer absolut chaotisch und nicht vorhersehbar. Tony war ein Mensch, der es liebte, die Kontrolle zu haben – und es frustrierte ihn so sehr, wenn er merkte, dass dem momentan nicht so war, dass er sich selbst einredete, dass er doch die Zügel in der Hand hielt und sie jeder Zeit anziehen konnte, sollte er nur das Verlangen danach verspüren.

Und wenn sein Freund gerne einmal seine rebellische Phase haben wollte, dann sollte er doch, oder? Jeder musste irgendwo irgendwie Dampf ablassen, und da Peter definitiv nicht für Dinge wie Streetfight geschaffen war – seit ihrem Beziehungsbeginn mied Tony diese Szene ebenfalls und beobachtete sie nur sehnsüchtig aus der Ferne –, musste eben eine andere Sache her.
Wenn er dafür Flash Thompson als seinen persönlichen Punchingball auserkoren hatte, warum nicht? Es war nicht so, als würde Tony irgendetwas an diesem Idioten liegen.
An Peter schon.
Es war nicht seine Aufgabe, Peter davon abzuhalten Fehler zu machen, wenn er selbst schon lange keine weiße Weste mehr hatte.
Also warum nicht?

„Okay, Baby."


Tony hatte fest damit gerechnet, dass derartige Dinge mit Peter nicht zur Gewohnheit werden würden.

Seitdem er Peter eines Tages eine ziemlich schreckliche Liebeserklärung in dessen Physikbuch gekritzelt hatte, woraufhin dieser ihn mit wütend aufgeplusterten Wangen zur Rede gestellt hatte – irgendeine der Gleichungen war unlesbar geworden –, weshalb sie knutschend in irgendeiner Besenkammer gelandet waren, hatte Tonys Freund diese Ausbrüche nicht oft gehabt, vielleicht einmal in zwei Monaten, wenn Tony die Latte hoch ansetzte.

Jedenfalls waren es für den Schwarzhaarigen immer eine Art Druckablass gewesen. Keine Störung oder ähnliches, Gott bewahre.

Peter war doch nicht verrückt.

Es war doch klar, dass so viel Stress nicht in einem so kleinen Körper wie Peters platzfinden konnte. Er brauchte ein Ventil, das war alles.

Oder zumindest hatte Tony das geglaubt.

Bis er, zwei Tage, nachdem Peter ihn gebissen und Flash attackiert hatte, eines Besseren belehrt werden sollte.


Es fing ziemlich harmlos an, wie immer eigentlich. Nach Schulschluss schlenderten sie in Richtung von Tonys Wagen, Peters kleine Hand ach-so zerbrechlich in Tonys größerer.

„Ich will heute nicht ausgehen", meinte Peter auf einmal und Tony hob überrascht seinen Blick. Sie gingen donnerstags eigentlich immer aus, es war eine Art Tradition geworden, der einzige Tag, der wirklich nur ihnen gehörte.

„Wieso das, Babe?", hakte er also etwas widerwillig nach, nicht einmal wirklich wissend, welche Art von Antwort er erwartete. Wenn Peter nicht ausgehen wollte, stand ja eigentlich bereits alles fest, oder? Eigentlich schon.

„Hmm...", murmelte sein Partner und griff in seinen Nacken, um Tonys Kopf zu seinen Lippen zu senken, sodass er ihm etwas ins Ohr flüstern konnte.

„Ich möchte dich heute für mich ganz alleine haben."

„Soll ich dir Physik-Nachhilfe geben?", scherzte Tony, um die Schmetterlinge zu kaschieren, die gerade seine Bauchregion besiedelt hatten. Pete warf ihm einen zutiefst gekränkten Blick zu.

„Wie kannst du es wagen."

Lachend legte Tony seinen Arm um Peters Schultern und zog ihn in Richtung Wagen. 

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