8« Davis
Übermüdet lehnte ich an der Küchenzeile und starrte auf die Digitaluhr des Backofens.
Lüstern verhöhnte mich die Nacht.
Vier Uhr in der Frühe.
Ich seufzte und füllte mir ein Glas Wasser, ehe ich durchs Wohnzimmer auf die Dachterrasse lief und mich ans Geländer lehnte.
Diese Nacht war kühler als die letzte. Die Sonne hatte sich verklärt und die hohe Temperatur des Vortags hatte sich gesenkt.
Normalerweise nahm ich größte Notiz von diesem Wetterumschwung, aber heute war es mir egal. Und gestern war es mir auch egal gewesen und vorgestern und dem Gestern davor.
Sirenen heulten in der Ferne und Meter unter mir hörte ich die Autos über die Kreuzung fahren.
In einer Großstadt schliefen nie alle gleichzeitig, daran hatte ich mich mittlerweile gewöhnt.
Ich hatte das Dröhnen in der Nacht auch meistens sehr genossen, aber heute genoss ich es nicht. Und gestern hatte ich es auch nicht genossen oder vorgestern oder dem Gestern davor.
Seattle bei Nacht war immer eine Art Zufluchtsort gewesen. In dieser Dunkelheit fühlte ich mich, seit ich hierhergezogen war, geborgen und beschützt. Es war ein Wohlfühlen, dass mir niemand je nehmen würde.
Dunkelheit erinnerte mich als einziges an meine Heimat.
Der Ort, an dem ich geboren war und der Meilen entfernt lag. Mehr als Meilen.
Wasser und Land trennten mich von der Insel, auf der ich geboren wurde und auf der ich meine Familie zurückgelassen hatte.
Was Dad wohl gerade machte?
Und wie ging es meinem Bruder?
Ging es ihnen besser als mir?
Genossen sie die Sonne oder regnete es - typischerweise?
Es war Sehnsucht, die ich verspürte, während ich wie gestern und vorgestern und dem Gestern davor auf der Terrasse lehnte und mich meinen Alpträumen entzog.
Es war eine Illusion, dass ich glaubte, ihnen entkommen zu können und sie verscheucht zu haben, wenn ich einige Zeit gewartet hatte.
Ich war nicht naiv oder verklärt. Ich glaubte nicht an Magie oder den Sandmann, der meine Träume richten würde. Es gab niemanden der meinen Schlaf kontrollierte und sich um mein Wohlbefinden sorgte. Das hatte ich immer geglaubt, aber seit heute und gestern und vorgestern und dem Gestern davor, war ich mir nicht mehr sicher.
Es gab seit dieser Zeit jemanden der meinen Schlaf beeinflusste und dessen himmelblaue Augen mich wach hielten.
Mir waren Tränen nie nahe gegangen und auch heute verspürte ich kein Mitleid oder Beileid. Da war nur dieses taube Gefühl des Nichts.
Ich dachte, es würde sich nie ändern und ich hatte nicht beabsichtigt es zu ändern.
Aber zwei Tage richteten in mir ein ungeheures Chaos an und als sie mich am Sonntag aus diesen Wasserfallaugen angesehen hatte, kurz nachdem sie mich so umwerfend schön angelächelt hatte, hatte sich ein Schalter in mir umgelegt.
Es war eine Ausnahmesituation. Ich hatte bis jetzt noch keine Definition für das, was sie mit mir angestellt hatte. All diese Konfrontationen, das Spielen mit meinen Gefühlen, ihre Worte.
Sie schwirrten mir im Kopf, bereiteten mir Schmerzen.
Sie waren berechtigterweise entsprungen.
Ich hatte Tears mit nur zwei Gesprächen mehr verletzt und erniedrigt wie vermutlich sonst jemand zuvor. Sie hatte jedes Recht vorlaut und sauer zu sein. Sie musste mich hassen, aber diese Tatsache besserte mein Gefühl auch nicht.
Tears hatte mich um einen elften Finger gewickelt. Von jetzt auf gleich, war sie mir plötzlich nicht mehr egal. Denn wie konnte sie?
Wenn sie erst lachte und plötzlich alles fallen ließ.
Wenn sie witzelte und plötzlich in den Ernst wechselte - mich damit konfrontierte.
Wie sollte sie mir egal sein, wenn sie erst sarkastisch und plötzlich eine Gabel in der Hand hielt und mich mit kalter Stimme dazu aufforderte sie mit Besteck zu bewerfen?
Glaubte sie wirklich, ich würde soweit gehen? Dachte sie, ich könnte je mit einer Gabel nach ihr werfen?
Ja, vermutlich, und es war seit unserem Gespräch am Sonntagmorgen auch mehr als möglich, aber nein.
Ich konnte sie nicht weiter verletzten, nicht mit dieser bitterbösen Absicht.
Ich hatte immer nur an mich selbst gedacht und getrost ignoriert, wie verletzend ich gewesen war.
Und vermutlich hätte ich es noch immer ignoriert, wenn sie mir nicht all diese schrecklichen Fragen gestellt, dabei grausamer Weise geweint und mir eine Gabel gereicht hätte.
Aber das hatte sie und mich durchlief es auch heute eiskalt.
Wie sie mich angesehen hatte,
wie sie gezittert hatte,
verdammt, wie sie vor mir zurückgewichen war.
Nie hatte ich gedacht, würde mich die Angst eines Menschen interessieren, aber ihre Angst war nicht normal. Da war keine Spinne gewesen oder ein Schatten.
Nein, da war ich gewesen, es war mein Gesicht, in das sie sich nicht zu sehen getraut hatte und es war mein Wesen, vor dem sie zurückgeschreckt war. Ich war das Monster.
Ich war leer und mich durchlöcherte ein schreckliches Gefühl.
Wie hatte ich nur all diese Worte aussprechen können? Warum waren wir uns überhaupt begegnet? Warum hatte ich sie so sehr verletzten müssen?
Ich hätte kommentarlos gehen sollen. Stattdessen hatte ich mit ihr gestritten, ihr Lügen glaubwürdig verkauft und sie vor mir zurückschrecken lassen.
Sie glaubte, ich würde sie hassen.
Sie glaubte, ich würde ihren Schmerz genießen und ihr Blut lieben, dabei war es genau andersherum.
Ihr rotes Kleid stand ihr fabelhaft und es sah ganz und gar nicht billig aus. Es war wunderschön.
Ihre Locken glichen purem Gold und mir gefiel die Mischung aus blonden und braunen Haaren. Sie waren wunderschön.
Ihr Lächeln war ehrlich und offen und lieblich und es machte mich irgendwo glücklich sie Lächeln zu sehen. Wunderschön.
Wunderschön. Wunderschön. Wunderschön. Ich konnte schwärmen von ihren göttlichen Augen und ihrer niedlichen Nase und ihrer Anmut, aber wo führte mich dieses Schwärmen hin?
Sie würde mir nie glauben und all diese Tatsachen wären ihr egal.
Sie hasste mich.
Sie fürchtete sich.
Sie war verletzt.
Wie sollte ich das je ändern? Warum wollte ich seit heute und gestern und vorgestern und dem Gestern davor nichts sehnlicher als ihren Segen und ihr Lachen?
Warum verletzte mich ihr Zusammenzucken und warum ätzte es in meiner Magengegend unangenehm? Es machte mich fertig. Es riss mich zu Boden und es tötete mich innerlich.
Mit mir stimmte etwas nicht. Es war unglaublich merkwürdig. Plötzlich schien sich die Erde wegen einer anderen Anziehungskraft zu drehen.
Alles war anders.
Alles war neu und ungewohnt und mir gefiel neues nicht.
Aber der Himmel, der gefiel mir.
Blau und strahlend schön, bis zu dem Punkt an dem es zu regnen begann - sie weinte und wenn ihre himmelblauen Augen weinten - dann brach diese schöne neue Welt zusammen.
Kaputt.
Woher kam diese Asche?
Es brannte in meinem Herzen und es schmerzte in der Brust.
Sie sollte aufhören zu weinen.
Von ihrem Schmerz ging nicht nur ihre Welt unter, sondern auch meine eigene. Tot.
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