41« Tears
»Du bist verliebt.«
Ohne mich zu begrüßen oder sich gar anzukündigen, ließ sich Leah auf die Sitzbank vor mir fallen und grinste mich schelmisch an.
Ich zog meine Augenbrauen zusammen und trank demonstrativ einen Schluck von meinem Cocktail, bevor ich ihre Aussage überhörte und sie begrüßte, als sei nie etwas gewesen.
»Hi, Leah.«
Sie zog eine Grimasse.
»Hallo. Jetzt spann mich schon nicht auf die Folter und erzähl mir, was passiert ist, nachdem wir gegangen sind.«
Sie lehnte sich über den Tisch und schob den Kellner weg, der sich zu uns an den Tisch gestellt hatte, um nach Getränken zu fragen.
»Jetzt nicht.«, murmelte Leah mit den Augen fest auf meinem Gesicht.
Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern und wartete bis der Kellner verschwunden war, bevor ich seufzend nach meinem Glas griff und es leer trank.
Der Alkohol prickelte meinen Hals hinab und betäubte genau die richtigen Sinne, die ich heute Abend vergessen wollte.
Was sollte nach meinem Geburtstag vor drei Tagen schon passiert sein?
Er war schlafen gegangen.
Ich war schlafen gegangen.
Und am Morgen hatten wir zu unterschiedlichen Zeiten das Haus verlassen. Es herrschte beklemmende Kälte und von seiner Seite kam kein einziges Kommentar über das gemeinsam ausgesprochene »Vielleicht«.
Was das Vielleicht also doch nur ein »Nein!«?
Er mochte mich nicht.
»Was sollte passiert sein? Nichts ist passiert!«, fluchte ich und deutete dem Barkeeper mit meiner Hand mir etwas Starkes zu mixen.
Ich brauchte Alkohol.
»Wie? Nichts ist passiert?«
Leah schien verwirrt. Was hatte sie denn erwartet? Dass Davis mich an sich gezogen und mir ins Ohr geflüstert hätte, dass er aus dem Vielleicht schleunigst ein Ja machen wollte?
Zugegeben, genau das hatte ich mir erhofft, als er die Haustür hinter Peter geschlossen hatte.
Aber Fehlanzeige. Das einzige was geherrscht hatte, war eine beklemmende Stille, der wir schnell ausgewichen waren.
Ich hatte begonnen aufzuräumen und Davis war in sein Büro geflüchtet. Dort hatte er sich so lange verkrochen, bis ich längst im Gästebett lag und sauer an die Decke starrte. Wir hatten uns gar nicht mehr zu sagen.
»Es war gar nichts. Er ist schlafen gegangen, ich bin schlafen gegangen und das war's. Es herrscht Funkstille, meine Liebe. Wir reden seit Tagen kein Wort mehr miteinander.«
Dankend nahm ich den dahergeflogenen Drink entgegen und ließ ihn sofort meine Kehle hinunterfließen. Ich wollte nicht mehr traurig sein. Ich wollte nicht mehr leise sein, ich wollte zu Davis.
Aber das geht nicht.
Dieser nämlich verkroch sich seit meinem Geburtstag auf der Arbeit und wechselte zwar – nach wie vor – Worte mit mir, blieb aber immer ein wenig distanziert. Ich war mehr als enttäuscht und diese Abweise ließ mich alles andere als kalt.
Im Gegenteil ich war sogar ziemlich verletzt, aber an unserem Problem waren wir diesmal tatsächlich beide schuldig.
Wieso muss immer alles so kompliziert sein?
Ja! Wieso lag ich nicht einfach in seinen Armen und ließ mich von ihm in den Schlaf küssen?
Warum saß ich in einer Bar und betrank meine Liebe mit Alkohol, um ihren Hunger zu stillen? So lächerlich es auch war, ich brauchte es. Ich brauchte es!
»Aber wieso? Ich dachte dieses Wortspiel am Samstag hätte euch endlich zusammengeführt. Ihr wart euch zwar ziemlich uneinig, aber das Vielleicht am Ende war doch niemals ein Nein!«
»Anscheinend doch«, brummte ich und kippte mir einen neuen Schluck in den Mund.
»Er mag mich eben nicht so sehr, wie ich ihn«, setzte ich ein wenig unklar hinzu.
»Tears, das ist völliger Quatsch. Dieser Junge ist dir dermaßen verfallen, das glaubst du nicht.
Hast du nicht gesehen, wie gerne er dich den Abend über näher bei sich gehabt hätte. Er liebt dich, sonst wärst du längst nicht mehr bei ihm.«
Leah schien sich sicher.
Ich hingegen war mehr als unsicher, warum sollte Davis mich ignorieren, wenn er mich doch so liebte. Diese Probleme kamen doch nicht nur von mir!
»Er liebt mich nicht«, beteuerte ich und sah wehleidig meinem Glas hinterher, als Leah es mir ruckartig entwendete und wegstellte. Zugegeben, ich hatte genug. Mein Kopf fuhr bereits Karussell und ganz so scharf war Leah auch nicht mehr zu sehen.
Aber es genügte nicht! Nichts genügte, um Davis aus meinem Kopf zu bekommen. Er war seit Tagen immer und überall. Ich dachte nur noch an ihn und seine zärtlichen Berührungen auf meiner Wange. Seine Küsse, seine Umarmungen und verdammt noch mal seine Stimme. Ich liebte seine Stimme.
»Doch das tut er und du solltest aufhören hier in Alkohol zu versauern und ihn endlich ansprechen. Vielleicht traut er sich einfach nicht dir zu gestehen, dass er dich mehr als nur mag.«
»Er ist Davis Harson, glaubst du ehrlich, dass er vor so etwas kneifen würde?«
Dass Davis einfach nur feige war, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, vor allem war das schon einmal ein Grund gewesen, warum er vor mir weggerannt war.
Hatte er wirklich so schreckliche Angst vor mir?
Ich kam mir langsam vor wie eine eklige Furie.
Die letzten Tage über hatte ich all mein Geburtstagsglück in eine Ecke gesperrt, denn gute Laune herrschte im Penthaus nicht gerade. Wir waren einander nur best möglich aus dem Weg gegangen.
Vielleicht brauchte er einfach Zeit?
Aber wofür? Ich brauchte sie schließlich auch nicht. Ich wusste was Davis mir bedeutete und das ich bereit war ihm all seine Fehler zu verzeihen. Brauchten Männer da generell etwas länger?
Ich wollte mir so gerne einreden, dass seine Funkstille einen Grund hatte, aber mir fiel nichts Gescheites ein.
»Seit er dich kennt, kann ich mir bei ihm alles vorstellen. Tears, auch wenn es blöd klingt, er könnte so gut wie jede Frau haben, aber alles, was dieser Junge tut, tut er für dich. Er sieht nur dich an, flirtet nur mit dir, macht nur dir Geschenke.
Du bedeutest ihm allemal etwas und ich glaube, er lässt sich einfach Zeit, um es zu etwas besonderem zu machen. Wie romantisch!«
Ich rollte mit den Augen und hielt mir gleichzeitig den Kopf.
Der Alkohol nahm langsam aber sicher seine Wirkung in die Hand.
Ich fühlte mich scheußlich. Was für ein Teufelszeug.
»Pff ... romantisch. Er hat mich sicher nur aus Mitleid und Spaß geküsst, da sei dir aber sicher!«
An diese Worte glaubte ich nicht einmal selbst. Es gab nichts was mir tief im Inneren ausreden konnte, wie perfekt und einzigartig unsere Küsse gewesen waren.
Sie waren kein Mitleid gewesen, nein, sie waren pures Feuer gewesen, Leidenschaft, Lust, Zuneigung.
Ich versuchte sie nur schlecht zu reden, weil meine Lippen sich fruchtbar nach seinen verzehrten und mir ihre Einzigartigkeit auch nicht aus meinem Zwiespalt halfen. Davis würde mich nicht küssen.
Soll er auch gar nicht! Ich brauche ihn nicht.
Und ob.
Ich hatte noch nie so oft in meinen Gedanken gelogen, wie die letzten drei Tage über.
Ich wollte mir wirklich alles ein und ausreden was nur ging, aber zu einer gescheiten Lösung kam ich letztlich auch nicht.
Mir spielten nur immer wieder die Gründe vor Augen, die dafür gesorgt hatten, dass ich mir plötzlich sicher, verliebt zu sein.
Vielleicht träume ich ja bloß und versuche mir diese Verliebtheit einzureden?
Nein, träumen tat ich nicht.
Dafür war meine Sehnsucht und mein schmerzendes Herz zu stark. Ich starb förmlich an Herzschmerz.
Es war schrecklich.
Wie Ertrinken und Verbrennen zugleich, nur deutlich unangenehmer.
»Ihr habt euch geküsst!«
»Oh, ja!«, stieß ich hervor und schlug auf den Tisch. Ein fataler Fehler, denn jetzt brummte mein Kopf noch schlimmer und tränkte wirre Geräusche mit Stimmen in meinen Ohren, die mich ganz wuschig machten.
»Tears, dann ist doch alles klar.«
»Nichts ist klar, die Küsse waren vor meinem Geburtstag und wenn da wirklich etwas wäre, dann würden wir uns doch seit drei Tagen küssen und nicht aus dem Weg gehen.«
Ich klang wie ein dummes Flittchen. So fühlte ich mich auch. Dumm und aufgelöst und nutzlos und noch mal dumm.
Wieso hatte ich mich denn ausgerechnet für Davis entschieden? Das war lächerlich.
»Oh, Mann. Dich hat es anscheinend wirklich erwischt. Du bist hoffnungslos verloren, Baby.«
Leah strich mir eine wirre Strähne aus dem Gesicht und lächelte bekümmert.
»Danke«, brummelte ich und wandte meinen Kopf aus ihrer Berührung nur um ihn gleich wieder zurückzudrehen.
Scheiße.
Davis hatte die Bar betreten.
Sein Blick flog angespannt und sorgenvoll über die Besucher und das er sich nicht die Mühe gemacht hatte sein Gesicht zu verdecken, beunruhigte mich sofort.
Nein, Tears, du bist sauer!
Ich erhob mich ruckartig und taumelte ein wenig, ehe ich den Tisch zu fassen bekam und mich an der Platte festhalten konnte, bis meine Sicht sich klärte.
Ich trinke nie wieder so viel.
Leah sah verwirrt zu mir auf, sie hatte Davis noch nicht entdeckt und ließ mich mit dem Vorwand auf die Toilette zu müssen, gehen.
Bis zu den Toiletten schaffte ich es allerdings gar nicht, denn das Laufen viel mir so schwer, dass nur taumelnd bis zur Bar kam und mich hinter den Tresen duckte, damit Davis mich nicht entdeckte.
»Will da jemand seinem Typen entwischen?«
Ich zuckte zusammen, als die belustigte Stimme über mir ein Gesicht bekam und ich den Kellner identifizierte, den Leah gerade unsanft von unserem Tisch geschoben hatte.
Als Antwort auf seine Frage nickte ich bloß – fataler Fehler.
»Gibt es hier vielleicht einen Hinterausgang?«, fragte ich ihn und hielt mir den Kopf.
Er begann langsam schrecklich zu schmerzen.
»Ja, komm!« Der Kellner hob seinen Kopf und schaute nach Davis Ausschau.
Als die Luft rein zu sein schien, nickte er unauffällig und ging dann ohne mich noch einmal aufzufordern in Richtung der Toiletten.
Ich versuchte ihn möglichst normal laufend zu folgen, aber der Weg war holpriger und wackeliger, als ich ihn in Erinnerung hatte.
Ich brauchte eine Weile, bis ich dem Lockenkopf von Kellner gefolgt war und er wartete bereits an einer Tür, die nur von Personal betreten werden durfte.
Weil ich Davis unbedingt ausweichen wollte und ihn im Hintergrund schwummrig mit Leah diskutieren hörte, ignorierte ich das Schild und folgte dem Kellner weiter.
Er konnte nicht älter sein als ich.
Seine blonden Locken waren deutlich länger als die von Davis und auch wenn ich fand, dass der Dutt ihn gut stand und auch sein Gesicht äußerst attraktiv war, so blieb Davis für mich hübscher.
Davis war halt einfach Davis. Ihn konnte niemand so schnell – oder gar – ersetzen.
Hör endlich auf an ihn zu denken.
»So, ich schenke dir hiermit die Freiheit. Wenn du rechts gehst, kommst du aus der Gasse direkt wieder zur Hauptstraße«, erklärte mir der blonde Kellner und hielt mir eine weitere Tür auf, die mich in die tiefe Dunkelheit der Dienstagnacht entließ.
Vielleicht war meine Flucht kindisch und im Grunde genommen war mir nichts lieber, als einfach mit Davis nach Hause zu fahren und mir die Kopfschmerzen auszuschlafen.
Aber jetzt gab es kein zurück mehr und der Alkohol beeinflusste mich mehr und mehr, dass ich ohne Zögern nach draußen trat und mich zu meinem Rettet umdrehte.
»Dankeschön, ähm.« Ich hatte keinen Namen. Hatte er mir je seinen Namen gesagt? Hatte ich ihn vor lauter Betrunkenheit vergessen?
Mir schwirrte der Kopf.
»Paco«, stellte sich der Kellner vor und grinste schief.
»Danke schön, Paco. Man sieht sich.«
Ich winkte ihm zum Ende und machte mich dann eilig auf den Weg, um aus der Gasse herauszukommen und zu verschwinden. Davis war nicht dumm. Wenn Leah ihm erzählte ich sei auf der Toilette, wartete er maximal fünf Minuten und ging dann ohne zu fragen einfach hinein. Ich kannte ihn und wenn er sich Sorgen machte oder seinen Willen durchsetzen wollte, dann war er zu allem fähig.
Mir blieb also nicht viel Zeit, bis er meine Flucht entdeckte und mich draußen zu suchen begann und wegen meinem berauschten Körper, der sich alle drei Meter an einem Auto oder einer Laterne festhalten musste, weil er nicht mehr er selbst war, würde er mich sehr schnell einholen.
Genau das versuchte ich zu verhindern, denn Davis konnte mir gestohlen bleiben.
Ich wollte nicht schon wieder von ihm ignoriert werden und seine kalte Schulter spüren. Drei Tage waren einfach zu viel.
Es musste am Alkohol liegen, dass ich nach hundert Metern Eile zu weinen begann. Mir war kalt, der Oktober wechselte windig und ziemlich kühl in den November und ich hatte meinen Mantel bei Leah lassen müssen, damit sie keinen Verdacht schöpfte.
Mit bebenden Lippen versuchte ich mich enger in meinen Pullover zu kuscheln, aber der Stoff wärmte mich schon lange nicht mehr.
Ich weinte also heiße Tränen, um mich besser zu fühlen und lief zitternd weiter in die Richtung, in die ich glaubte, meine Wohnung zu wissen.
Die Straßen waren dunkler und je öfter ich abbog, desto weniger Verkehr kam mir entgegen.
Irgendwann war ich die Einzige Seele auf den verlassenen Straßen in Seattle. Einerseits war das gut, denn so viel niemanden auf wie schlecht und kalt und dreckig es mir ging und wie sehr ich mich nach der Kuscheldecke in Davis Penthaus sehnte. Andererseits erschreckte mich die Dunkelheit und die lärmenden Geräusche des Verkehrs Kilometer entfernt.
Auch das Gefühl verfolgt und beobachtet zu werden, beschlich mich mit jedem Meter, den ich in die nächste Straße setzte und es war nicht die Art von beobachten, die ich, wenn Davis in der Nähe war, so genoss. Es war mehr ein schauriges Stalken von jemandem, der mir ganz sicher nichts Schönes wollte.
Ängstlich ließ ich meinen Kopf hin und her fliegen, der Alkohol benebelte mich mehr und mehr und ich war bei keinem klaren Gedanken, als ich plötzlich gegen eine kalte Brust lief und ohne Wehr zu Boden fiel.
Mir schwindelte und meine Sicht drehte sich, dass ich Minuten brauchte, um zu verstehen.
Das Gesicht des Mannes war verdeckt, aber ich erkannte seine schwarze Gestalt so bald er zu sprechen begann. Es gab bisher nur eine Stimme, die mich in so viel Schrecken und Angst versetzte, wie die des Mannes, der mich damals angefasst und hinterher bedroht hatte.
Wir sollten uns wiedersehen, sobald ich alleine war und mit jedem Millimeter, den er grimmig und hämisch zu Grinsen begann, fiel mir auf, dass genau das eingetroffen war.
Ich saß in der Falle und als er mich am Kragen packte und auf die Beine zog nur um mir nahe am Ohr, genau das zuzuflüstern, war es um mich geschehen.
Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und mein Herz drohte sich zu überschlagen, so schnell pochte es mir in der Brust.
Ich versuchte bei Verstand zu bleiben, aber der Alkohol rauschte unerträglich in mir, dass es mir nicht möglich war zu flüchten.
Der Doktor packte mich fester, als ich zu fallen drohte und presste mir damit die Luft ab. Ich keuchte erschrocken auf.
»Na, na, na, wir wollen doch nicht, dass unser Prinzesschen sich noch schmutziger macht.«
Er lachte dreckig auf und ließ mich fallen.
Ich stöhnte, als ich zu Boden ging und wie Sand zusammensackte. Mein Körper begann höllisch zu schmerzen und ich hatte in meinem Zustand keine Chance gegen den pummeligen Mann vor mir.
»Ihr Frauen seid so dumm. Da sagt man euch sogar, dass wir uns Wiedersehen werden, sobald ihr alleine seid und ihr naiven, dummen Wesen tut auf ober stark und bleibt trotzdem allein. Lernt ihr denn nie? Müsst ihr erst spüren, wie ernst wir Männer sind?«
Er lachte hämisch auf und stieß mir unsanft in die Seite.
Eine einzelne Träne rann meine Wange hinab und erst als er mich an den Beinen packte und unsanft über den Boden zog, kam ein Hauch von Leben und Wille zurück in meine Glieder.
»Lass mich los!«, schrie ich hysterisch auf und strampelte mich mit meinen Beinen in die Freiheit, um mich sofort auf die Beine zu ziehen und zurückzuweichen.
Der Doktor begann mich auszulachen. Mir drehte sich die Welt im Kreise.
»Betrunken und trotzdem gestrotzt von Adrenalin. Ich beginne wirklich dich zu mögen, Liebes.«
Er nahm mich keineswegs ernst.
Seine schmutzige Stimme machte mir Angst. Er sollte mich in Ruhe lassen.
»Was wollen Sie von mir?«
Ich schluckte meine Schmerzen bei Seite und die Galle, die in mir aufstieg, als er sich mit näherte.
Ich wich zurück, aber war längst nicht so sicher, um ihm rennend entkommen zu können.
Wieso gerade jetzt?
Innerlich konnte ich mich gerade tatsächlich selbst niedermachen, denn meine Dummheit reichte ins Unermessliche. Wäre ich doch einfach in der Bar bei Leah geblieben und hätte mir Davis Geplänkel angehört, mit dem er mich ignorierte.
Nun stand ich vollkommen alleine meinem Vergewaltiger gegenüber und konnte mir schluckend erahnen was mir drohte. Ich musste schleunigst hier weg.
»Im Grunde genommen hast du mir gar nichts getan. Es ist vielmehr dein Freund, an dem ich Rache will.«
Meinem Freund?
Davis etwa?
Was hatte Davis mit diesem widerlichen Mann zu tun? Ich erinnerte mich nicht, dass er seinen Namen je in den Mund genommen hatte.
»Und was habe ich dann damit zu tun? Ich bin nicht mein Freund!«
Er grinste belustigt und jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Dieser Mann widerte mich an. Ich hatte jedes Recht ihn zu hassen, vor allem aber Angst zu haben.
»Das sehe ich, Liebes, aber leider du bist seine größte Schwachstelle.«
Mir stockte der Atem. Was für ein Blödsinn. Ich sollte Davis größte Schwachstelle sein? Niemals.
Ich wollte beinahe ironisch auflachen, doch verkniff mir den Einfluss des Alkohols, der nun vollkommen Besitz von mir ergriffen hatte.
Wilson verschwand und wackelte vor meinen Augen und tauchte nur für wenige Sekunden scharf auf.
Seine Worte klangen schauerlich in meinen Ohren und mal kamen sie von nah und dann wieder von fern.
Ich hatte alle Mühe mich aufrecht zu halten und mein vor Kälte zitternder Körper machte es mir nicht leicht, wach zu bleiben.
Ich wollte bloß weg von hier.
Ich wollte zu Leah und Davis!
»Ich bin keine Schwachstelle«, behauptete ich kläglich und verstand meine Stimme selbst nicht.
»Ach, nein?« Wilson lachte laut auf und packte mich plötzlich ruckartig am Handgelenk um mich gegen die nächste Hauswand zu schubsen.
Mein Rücken knackte unangenehm und mir fehlte es einige Sekunden an Luft und Sicht, dass Wilson Zeit hatte seine Arme rechts und links von mir abzustützen und mir damit jedes Chance auf Flucht zu nehmen.
»So, wie ich das sehe, dann ist unser lieber Davis ein sehr verliebter Mann, dem du mehr als die Welt bedeutest. Zu schade, dass du nicht siehst, wie engelsgleich du bist und wie du ihn damit faszinierst. Ich darf dir verraten, dass du sogar viel mehr als nur ein Schwachpunkt für ihn bist.«
Er machte eine Pause und zeigte mir seine vergilbten Zähne und die Begierde in seinen Augen, die meinen Körper abfuhren.
Bis zu meiner Wohnung waren es noch höchstens zwei Straßen, ich kannte die Gegend und versuchte daher vergeblich an ihm vorbeizukommen.
Meine Hände versuchten ihn wegzuschieben, als er sich vorlehnte, aber der Schnauzbart war einfach zu schwer. Ich schaffte es nicht ihn loszuwerden.
»Vergiss es, Tears. Ich bin noch nicht fertig. Es ist unhöflich Männer wie mich nicht ausreden zu lassen.«
Er spielte mit mir.
Er behandelte mich wie eine Puppe. Ich war keine Puppe!
»Ich bin unhöflich!«, sprach ich laut aus und spuckte dem Kerl ins Gesicht.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber für einen Augenblick schien ich Wilson damit abgelenkt zu haben. Er wischte sich angeekelt über das Gesicht und gab mir seinen Zorn in Form einer heftigen Ohrfeige zu spüren.
Mein Kopf stieß unangenehm gegen die Hauswand und ich merkte wie mir übel wurde.
Ich trinke definitiv nie wieder so viel.
»Du bist vor allem ein gutes Druckmittel, mit den es leicht ist an das Geld von deinem Schatzi zu kommen. Er würde alles für dich tun, er frisst dir aus der Hand, liebt dich, auch wenn du das übersiehst. Das macht ihn schwach, du machst ihn schwach, und wenn ich ihn mit dir erpresse, dann bekomme ich ganz schnell all das wieder, was er mir genommen hat.«
»Sie sind abstoßend! Davis würde Ihnen niemals geben was Sie wollen.«
»Natürlich, Schätzchen!« Er fuhr mir durch die Haare und ließ sich davon nicht abbringen.
»Er wird mir alles geben, denn nichts ist ihm mehr wert, als du. Er würde niemals zulassen, dich auf diese Weise zu verlieren. So ist die Liebe.«
Er fasste sich theatralisch ans Herz und lachte dann rau auf.
»Dann wird er mich eben niemals verlieren«, strotzte ich und nahm all meine Achtung zusammen, um dem widerlich zwischen die Beine zu treten. Diesmal war er es der schmerzvoll aufstöhnte und ich nutze trotz meines betrunkenen Zustands die Chance und befreite mich aus meiner misslichen Lage an der Wand.
»Du Miststück!«, brüllte Wilson und humpelte mir hinterher. Es war schändlich, dass er den Abstand zwischen uns viel schneller als ich einholen konnte und es schaffte mich an meinem T-Shirt zurückzureißen, als ich um die Ecke abzubiegen versuchte.
Mein Körper riss zurück und mein Kopf schlug heftig am Boden auf.
Mein Shirt hatte Wilson zerrissen und so viel es von mir, als ich auf dem Boden aufkam.
Mein Kopf drehte sich unglaublich schnell und ich konnte nicht mehr halten, was in mir hochstieg.
Ich rollte mich auf die Seite und kotzte die getrunkenen Cocktails auf den Boden.
Wilson schien angewidert, aber von der Sicht auf meinen nackten Oberkörper so fasziniert, dass er es vollkommen ignorierte.
»Auf eine Weise kann ich ihn ja verstehen«, brummte er über mir und starrte hämisch grinsend auf meinen BH.
Mir schauderte es und ich wollte mich bei seinen Blicken ein zweites Mal übergeben. Wieso gelangte immer ich in die beschissenen Situationen. So viel Angst ich auch haben wollte, es blieb immer ein Teil in mir, der das ganze hier so ironisch auslachte, dass ich Wilson kaum ernst nehmen konnte.
In meinem Leben passierte wirklich jede mögliche Art von Scheiße. Es war zum Kotzen. Wortwörtlich.
»Du bist ein wirklich hübsches Mädchen«, fuhrt er fort.
Ich hasse dich. Ich hasse dich. Ich hasse dich.
»Bedauerlich, dass du nur Mittel zum Zweck bist. Aber vielleicht nehme ich mir, bevor ich dich umbringe beziehungsweise dich zurückgebe, nachdem ich bekommen habe, was ich wollte, ja irgendwann von dir, was ich gerade jetzt in diesem Moment begehre.«
Er lachte hämisch auf und ekelte mich damit ins Unermessliche.
Die Worte »hübsch« und »du« hatten mich in Zusammenhang mit seiner Stimme noch nie so angewidert, wie heute. Ich wollte nur noch weg.
Weg und mich in der grauen Kuscheldecke in Davis beheiztem Wohnzimmer verkriechen, einen seiner Pullover dicht um mich gehüllt.
Ich vermisste Davis. Egal wie sehr wir uns die letzten Tage auch ignoriert hatten. Ich liebte ihn.
Mehr und mehr viel mir auf wie sehr. Er sollte mich halten, umarmen, küssen. Ich war ihm verfallen und begann zu weinen, weil mir das jetzt wirklich klar war.
Ich will zurück.
Ich musste ändern was zwischen uns war. Diese Funkstille war eine lebendige Hölle, die ich nicht länger tolerieren wollte.
Ich musste es wissen.
»Sie werden niemals bekommen, was Sie sich mit mir als Geisel erhoffen.«
Er beugte sich amüsiert über mich.
»Und wieso nicht? Was willst du naives, betrunkenes, nacktes Kind gegen mich anrichten?«
»Ich werde gar nichts anrichten, ich wünsche nur eine ...«
Ich hob meinen Kopf an und stieß meinen Schädel so heftig gegen seinen, dass es knallte und mir zwei Sekunden seiner Verwirrung blieben, um seinen wanzten Körper mit einem kräftigen Tritt gegen die Hauswand zu stoßen.
Seine Augen verdrehten sich und ich beendete meinen Satz voller Tatendrang, als sich seine widerwärtigen Augen schlossen.
»Gute Nacht!«
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