40« Tears
Ich war zu Tränen gerührt, als ich um kurz nach zehn endlich dazu kam die Geschenke meiner Freunde zu öffnen.
Leah schenkte mir ein versilbertes Amulett auf das ein wunderschön geschwungenes Blumenmuster eingraviert war. Ich wusste schon genau, welche Bilder ich hinter die Gläser pinnen wollte, die im Inneren des Amuletts versehen waren, wenn man es aufklappte.
Unter Brians pinkem Herzpapier verbarg sich ein Silber schimmerndes Tagebuch, dessen Seiten extra dick waren, um hervorragend darauf schreiben und kritzeln zu können.
Auf die erste Seite hatte er ein Bild geklebt, auf dem Matt, ich und er selbst vor dem Eingang des B-Ns abgebildet waren.
Das Foto hatten wir bei der Eröffnung der Bar geschossen und zeigte mich in der Mitte der beiden Jungen, die gerade dabei waren, jeder auf eine Wange, mich zu küssen. Ich kniff auf dem Bild belustigt sie Augen zusammen und versuchte kläglich die Jungen von mir zu schieben, was bei meinem breiten Lächeln beinahe lächerlich war.
»We love you« hatte Matt, ich kannte seine Handschrift, über das Bild geschrieben und in seiner besten Schreibschrift ein: »Keep calm an smile!« darunter gesetzt. Brian war schriftlich ein Chaot, seine Druckschrift sah aus wie ein Mix von Kindergarten- und Vorschulschrift und weil er das auch selbst wusste, ließ er immer Matt seine Geburtstagskarten schreiben. Raffiniert – vielleicht – aber in meinen Augen vor allem faul. Ich habe ihn trotzdem lieb.
Ich küsste die Jungen zum Dank und umarmte Leah lange, bevor ich mich den letzten Paketen auf dem Wohnzimmertisch widmete.
Soweit ich wusste, stammte der restliche Berg perfekt eingepackter Geschenke von Davis und soweit ich von meinem Herzen wusste, dann riss mich seine Aufmerksamkeit in die Luft.
Nach unserer Wunschrunde auf der Terrasse und dem Donutessen in der Küche, saßen wir nun ziemlich entspannt auf dem Sofa, tranken Sekt und unterhielten uns über das Leben. Peter hatte viel zu erzählen und ich konnte immer noch nicht fassen, dass ich ihn noch einmal neben mir haben durfte.
Sein Kommen vor zwei Stunden hatte mich mehr als nur überrascht und erfreut und irgendwie war er ein Teil meiner Vergangenheit, den man mir wiedergegeben hatte. Nach all den Verlusten die letzten Jahre, gab mir das Leben endlich etwas zum Wiedergewinnen und Peter war in meinen Augen der Hauptgewinn.
Ich hatte ihn schrecklich vermisst, dass viel mir am meisten jetzt auf, wo ich ihn wieder hatte.
Das Schöne an unserer Freundschaft war ihr nie währendes Ende. Es war egal wie viele Jahre Peter und ich getrennt gewesen waren, wir hatten einander nicht vergessen und kaum waren wir wieder beisammen, fingen wir dort an zu reden, wo wir zuletzt aufgehört hatten. Es war, als wären wir nie getrennt gewesen und das ersparte mir eine Menge.
Ich wollte natürlich alles über meinen besten Freund wissen.
Wo lebte er heute, wo war er gewesen?
Hatte er eine Freundin? Lebte er etwa auch hier in Seattle?
All diese Fragen schob ich auf.
Ich würde ihn ein anderes Mal ausfragen, denn heute galt nur, dass er wieder da war.
»Los, Tears, pack schon aus.«
Ich lachte Brain amüsiert entgegen. Er sah aus wie ein Kleinkind, dass sich riesig auf seine Weihnachtsgeschenke freute.
»Sei nicht so ungeduldig.«, schnurrte Jason, der sich ruhig gab, in Wirklichkeit aber genauso neugierig war.
Ich selbst war aufgeregt.
Mein letzter richtig gefeierter Geburtstag war lange her und noch länger war es her, dass ich meine Familie bei mir hatte.
Als Mum und Dad gingen, fielen auch meine Geburtstage ins Wasser und auch wenn Jane jährlich versucht hatte, den achtzehnten Oktober in Ehren zu halten, war ich das nicht halb so gut gelungen.
Es lag an mir selbst. Ich hatte einfach keinen Sinn darin gesehen meinen Tag der Geburt zu feiern.
Heute aber sah ich genauso wenig Sinn darin, ihn nicht zu feiern, weshalb sich meine Laune ins unermesslich glückliche zog.
Ich durfte glücklich sein, das wusste ich jetzt, und ich durfte diesen Tag feiern.
Als ich das erste Geschenk auspackte, hielt ich einen Seiden überzogenen Karton in der Hand in dessen Inhalt sich ein neues – strahlend rotes – Kleid fand, dass sich exakt mit dem abglich, was ich bei Janes Beerdigung ruiniert hatte. Das alte Kleid war hinüber, aber diese Kopie strahlte mich geradezu an es gleich morgen zu tragen.
»Davis ...«
Mir fehlten die Worte, um beschreiben zu können, wie wichtig mir genau dieses Kleid war. Den Schnitt hatte meine Mutter entworfen und ihr selbstgeschneidertes Kleid ruiniert zu haben tat mir furchtbar leid, aber dieses Kleid machte keinen Unterschied mit dem Original.
Es war meine Verbundenheit mit diesem Kleid. Es verband mich mit meiner Mutter und die Erinnerungen, die ich glaubte mit dem zerfetzten alten Kleid zu verlieren, blühten mit diesem neuen sofort wieder auf. Mum würde auch in Zukunft nahe bei mir sein. Danke, Davis.
»Danke.« Ich lächelte ihn mit zittriger Lippe an. Dass ihm aufgefallen war, wie viel mir an diesem roten Stoff lag, bedeutete mir unglaublich viel.
Im nächsten Päckchen fand ich eine Reihe grauer Bilderrahmen vor, die gemeinsam mit einem Umschlag verpackt worden waren.
Das weiße Briefpapier war überfüllt mit Bildern und ich war gerührt, als ich sah, welche Aufnahmen man mir entwickelt und ausgedruckt hatte.
Jane und ich auf dem Space Needle.
Jane und ich mit den Sonnenbrillen der Jungs an Davis Benz gelehnt. Arm in Arm.
Jane und ich mit Kopfhörern über den Ohren im Helikopter.
Jane, Daniel und ich auf der Bank im Park. Ihr Lächeln war bombastisch schön.
Ich, mitten in Bath.
Ich, während ich in meinem Diddl-Maus Schlafanzug vor mich hin schnarchte.
Davis und ich während wir tanzten.
Das Familienfoto, auf das Kate bestanden hatte, bevor Davis und ich uns wieder auf den Weg in die USA gemacht hatten.
Arm in Arm stand ich vor Davis, lehnte mich gegen ihn, und lachte mit der Familie in die Kamera.
Meine Augen füllten sich mit Tränen als ich an all die schönen Tage dachte und ich weinte vor Freude, weil mich das Glück beinahe überschwappen ließ.
Wie war das nur möglich?
Ich war ratlos und zu überwältigt, um mich weiter mit dummen Fragen zu beschäftigen. Mein Körper kribbelte nur vor Glück und etwas staute sich in mir, was ich nur zu gerne platzen lassen wollte.
Nachher.
Als ich zum nächsten Geschenk griff, ließ mich allein das Gewicht des Päckchens stutzig werden und Davis Hand, die mich für letzte Worte zurückhielten, machten mir erst recht stutzig.
»Egal was du gleich sagst, Tears, sobald du dieses Geschenk ausgepackt hast, gehört es dir. Ich werde es nicht zurücknehmen und wehe dir, wenn du es in einer Ecke verstauben lässt. Ich will keine Widerworte hören«, verdeutlichte er mir leicht redend und nahm dann seine Hand von meiner, um mich auspacken zu lassen.
Ich war zerrissen, denn vor Neugierde drohte ich beinahe zu platzen, aber was hatte es mit diesem Schwergewicht auf sich.
Auf Brians Bitte löste ich zögerlich das Klebeband und staunte nicht schlecht, als ich Sekunden später zwei Schatullen mit einem Apple – Logo in der Hand hielt.
Davis hatte mir nicht nur ein iPhone geschenkt, sondern auch ein MacBook für mich allein.
Beide Geräte waren in rote Hüllen verpackt und glänzten im Gedämmten Licht der Deckenlampen. Ich hatte noch nie so ein teures Smartphone in der Hand gehalten und mich machte es ehrfürchtig ein solches nun zu besitzen.
Das sollte mir gehören?
Ich drehte das weiße Smartphone in meiner Hand und konnte trotz meines Schocks – weil Davis so viel Geld ausgegeben hatte, was überhaupt nicht hätte sein dürfen - auch meine Freude nicht verbergen. Es war cool endlich das machen zu können, wovon in der Middleschool alle geschwärmt hatten und auch wenn mich die Trends nie sonderlich interessiert hatten, war ich doch immer neidisch gewesen, dass ich mitsprechen konnte, wenn Mitschüler von ihren Handys sprachen.
»Drück mal auf den Home-Button.«
Davis schien meine Faszination zu amüsieren.
Vorsichtig – ich wollte auf keinen Fall irgendetwas kaputt machen – berührte ich die Schaltfläche am unteren Rand des Bildschirms und erschreckte mich beinahe, als der schwarze Bildschirm plötzlich aufleuchtete und Jane im Hintergrund der Uhrzeit auftauchte.
Sie hatte ihre Lippen zu einem Kussmund verzogen und ihre Hände vor ihrem Bauch zu einem Herzen geformt.
Ich hatte das Bild noch nie zuvor gesehen, aber es schien beinahe aktuell zu sein und musste von Davis eingestellt worden sein.
Eine Träne verließ meine Augen, als ich meine Schwester betrachtete bis der Bildschirm automatisch wieder aus ging.
»Wie? Wie kommt dieses Bild dahin?«, fragte ich mit zittriger Stimme und räusperte mich, als ich leise zu Fiepen begann.
»Das habe ich per E-Mail erhalten. Kurz vor eurer Abreise nach San Francisco. Es ist ein Geburtstagsgruß.«, erzählte mir Davis und reichte mir ein Taschentuch. Ich wischte mir meine Tränen aus den Augen und drückte erneut auf den Knopf, um meine Schwester zu betrachten.
Ich liebe dich Jane.
»Halte den Knopf mal länger als eine Sekunde gedrückt.«, deutete mir Davis und diesmal zuckte ich wirklich zusammen, als der Bildschirm sich plötzlich änderte und eine Reihe von farbigen Symbolen sich vor Janes Bild im Hintergrund pixelten.
»Drück mal auf das grüne Nachrichten-Symbol.«, wies mich Jason weiter an und ich tat wie mir befohlen.
Wieder wandelte sich der Bildschirm, diesmal in einen weißen Hintergrund auf dem reihenweise Namen untereinander gepackt waren.
Neben »Leah« und »Jason« fanden sich Kontakte wie »Pizza« (ganz offensichtlich Peter), »Matti« und »DerAllerBeste«. Ich musste schmunzeln, als ich sah, wie Brian sich selbst eingespeichert hatte.
»DerAllerBeste, Brian? Dein Ernst?« Ich begann loszulachen als angesprochener mit den Augenbrauen wackelte.
»Guck mal, wie ich Davis eingespeichert habe.«
Ich wandte meinen Blick ab und scrollte in der Leiste tiefer.
»Wie du mich eingespeichert hast?« Davis schien hellhörig geworden zu sein und wusste anscheinend nicht, dass Brian mit seinem Kontaktnamen gespielt hatte.
»Maulender Myrten Ehemann« stand an einem Kontakt und ich kicherte, als ich das las. Brian hatte wirklich alle Schrauben locker, aber das machte ihn liebenswert.
»Zeig mal her.« Davis entriss mir mein rotes Smartphone und gab Brian für diesen Namen einen Schlag auf den Hinterkopf.
Dieser hinderte trotzdem nicht, dass wir anderen zu lachen begannen, während Davis mit geröteten Wangen schmollte.
Die vielen Herzchen hinter seinem Namen schienen ihn wohl gänzlich zu überfordern. Süß.
»Du brauchst nicht schmollen, Babe. Ich habe den Durchblick und sehe ganz genau, dass zwischen euch beiden etwas läuft – Streitet es nicht ab! – da ist eine Hochzeit nicht mehr lange entfernt«, philosophierte Brian und sah zwischen Davis und mir hin und her.
»Seid ihr beiden endlich zusammen?«, fragte nun auch Matt interessiert und lehnte sich vor, um unsere Antwort abzuwarten.
Ich wusste selbst nicht was wir waren.
Ein Paar?
Weder Davis noch ich schienen eine Antwort auf diese Frage zu finden. Klar, wir hatten uns geküsst, aber offiziell zusammen waren wir nicht. Oder etwa doch?
Ich war ratlos und stellte mir zum ersten Mal die Frage, ob ich diesen Status überhaupt haben wollte.
Vergeben.
Dieses Wort machte sich erst perfekt als ich anhängte an wen ich vergeben sein würde.
Vergeben an Davis.
Mein Bauch begann zu kribbeln. Es gab immer schon Glühwürmchen in mir, wenn Davis in der Nähe war. Mein Herz flatterte, wenn ich seinen Namen hörte. Davis.
Aber war das verliebt sein?
War ich verliebt?
Meine spontanste Antwort wäre ein: Vielleicht.
Mein Antwort im Kopf wäre ein: Vielleicht.
Die Antwort meines Herzens allerdings war ein eindeutiges: Ja.
Das doofe Ding hatte sich schon in Davis verliebt, als er mich auf dem Friedhof in den Arm genommen hatte. Ich wollte es nicht Verrat nennen, aber damals schien es mir doch sehr voreilig, so für Davis zu schwärmen. Am Anfang war er wirklich ein Arschloch gewesen. Ich hätte mich mit seiner Gehässigkeit niemals verliebt.
Aber die Gehässigkeit – so viel mir doch tagtäglich auf – war nur ein Minimum seiner Person. Der wahre Davis hatte sich mir in den letzten Wochen gezeigt und hatte mich mit voller Ehrlichkeit überzeugt, dass er es wert war zu lieben.
Nun also war es okay was mein Herz über ihn entschieden hatte.
Jetzt war es nicht mehr voreilig. Jetzt war es einfach nur schön.
Ich liebte es verliebt zu sein.
Ich hatte es die ganze Zeit über geliebt. Ich hatte es geliebt, Davis zu lieben.
»Ja«, antwortete ich, als Davis in derselben Sekunde mit einem »Nein« antwortete.
Unsere Köpfe schossen zusammen und wir sahen uns zwei Sekunden an, ehe wir uns wieder an Matt wandten.
»Nein«, sagte ich, gleichzeitig mit Davis, der ein »Ja« von sich gab.
Das Chaos war perfekt und als wir die anderen ganz offensichtlich verwirrt hatten – genau wie uns selbst auch – sahen wir uns ein zweites Mal in die Augen, lächelten und antworteten dann gleichzeitig mit einem:
»Vielleicht.«
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