4 »BONUSKAPITEL« || XX


[Nach Ewigkeiten und einigen Fragen zu einer Fortsetzung, hier endlich die Erlösung vom Trigger, den ich vor einem guten Jahr verursacht habe. 😂
Ich hoffe, es freut sich jemand. Einen wunderschönen Tag noch und einen herzlichen Dank für jede*n treue*n Leser*in!

Übrigens ein Hinweis: Dieses Kapitel hat verschiedene POVs. Vielleicht errät ja jemand, welche Personen hier ihre Geschichte erzählen (?!)]

[Nicht überarbeitet]

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XX

Und wir stehen dort, wo alles anfing und dort, wo alles endete.

Und wir stehen dort, wo alles begann und alles seinen Schluss fand.

Und wir stehen dort, wo das Licht der Sonne aufging und dort, wo es am Horizont wieder erlosch.

Und wir stehen dort eine ganze Weile.

Und wir stehen dort für immer.

Es gab Tage, da war die Welt so düster, als hätte man seine Augen niemals aufgetan und würde noch immer durch geschlossene Lider nichts als Schwärze erblicken.
Tage, an denen es schien, als wäre man gar nicht aufgewacht. Als würde man noch immer träumen und sich im völlig falschen Film befinden.

Dann gab es Tage, die sich endlos in die Länge zogen und die man zur selben Zeit an sich vorbeirasen sah, als wären mehrere Tage nur wenige Stunden und Minuten und viel zu schnell gezählte Sekunden.

Es gab Tage, an denen dieses Leben nicht lebenswert erschien.
Weil einem der Verlust und die Realität ins Auge fassten und allen Dingen, die Sinn ergaben, keinen Sinn mehr zuordneten. Und wer keinen Sinn sah, der hatte nicht mehr lange zu leben.

Wer keinen Sinn sah, der war verloren.
Der hatte nicht verstanden, wie man dieses Leben spielte.
Der hatte nicht verstanden, dass es nicht um das Gewinnen ging.
Denn Gewinn war in jedem endgültigen Fall immer eine Illusion.
Am Ende des Lebens gewann niemand, außer der Tod.

Der Tod. Das unweigerlich scheußlich scheinende Etwas, das einem das entriss, was man am liebsten hatte und niemals wieder zurückgab.

Am Ende des Tages hieß es also immer verlieren.
Traurig sein.
Verloren sein.
Hoffnungslos.

Und bevor es verloren war, traurig und hoffnungslos, da war es grau und leer und unwissend.

Der psychische Tod vom physischen nicht zu unterscheiden.

Ich wusste, dass dieses Leben ziemlich schnell vorbei ging.
Ich wusste, wie schnell es gehen konnte und ich wusste, wie hässlich die Schmerzen waren.
Ich wusste, wie man starb.
Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen.
Mehrmals.
Oftmals täglich.

Wie in endlos Schleife lief es mir durch den Kopf.
Die Bilder.
Die Umgebung.
Die Gesichter.
Die Tränen.
Die Asche.

Wie gewalttätig war es doch, einen Menschen zu verlieren.
Verlust zu erleiden.
Wie zerberstend.
Und wie unfassbar war es doch mit anzusehen, wie alles, was einmal gewesen war, in sich zusammenfiel wie ein Kartenhaus.

Totalschaden.
Totaler Schaden.
Aus.
Und.
Vorbei.

So erschien es doch.
So wollte man es.
So wollte man es so oft.

Dass es endlich aufhörte.
Weil es genügte.
Weil es zu viel war.
Weil es reichte, alles um sich kaputt zu sehen, aber selbst noch nicht kaputt zu sein.

Und doch – wenn man nicht selbst Hand anlegte – war es nie vorbei.
Es ging immer weiter, bis man aufgab.
Immer.
Und.
Immer.
Weiter.

Und es quälte sich das Leben.
Und es quälte der Anblick vom Tod.
Und es quälte der Anblick des Todes das Leben und der Tod quälte sich durchs Leben.

Was für ein Teufelskreis, wenn man ihn nie durchbrach.
Wenn man ihn niemals aufhalten konnte.
Wenn man ihm dabei zusehen musste, wie er, willkürlich scheinend, seine Spielchen trieb und hämisch grinsend alles zerstörte, bis man sich selbst zerstörte und alles zerstört blieb, weil niemand mehr da war, der es reparierte.

Ja, das war das Leben.
Und ja das war der Tod.

Und ja das war mein Leben ... nach dem Tod.

xxxx

DAVIS

»Und? Wie sehe ich aus?«

»Wie der vorzeige Schwiegersohn, den jede Mutter sich für ihre Tochter wünscht und jeder Vater nicht ausstehen kann!«

»Perfekt.«

Matt zupfte sorgsam an der Fliege, die um meinen Hals gebunden war und zeigte mit der Hand einen Daumen nach oben an.
Ich atmete angespannt meine Luft aus, während er mir grinsend auf die Schulter klopfte und sich dann mit erhobener Augenbraue zu einem widerstrebenden »Pff« aus dem Hintergrund wandte.

»Gibt es Einwände?«, fragte er an meiner Stelle.

»Ob es Einwände gibt? Absolut nicht! Aber sind wir mal ehrlich ... du siehst scheiße aus, Alter! Wo ist der Umhang? Der Bart? Und wo verdammt ... ist der Hippogreif, den ich bestellt hatte?!«

Sich ernsthaft aufregend erhob sich Brian schmollend und deutete mit Gestik und Mimik an, wie unzufrieden er mit meinem schlichten schwarzen Anzug war.

Matt und ich warfen uns einen kurzen Blick zu, ehe wir schallend zu lachen anfingen.

»Bei Himmel und Erde und ich dachte schon, du hättest ernsthaft ein Problem!«, lachte mein Freund und hielt sich den Kopf.

Ich lachte Tränen, unsicher, ob Brian nicht tatsächlich Probleme hatte.

Mit Sicherheit hatte er die!

»Ihr seid bescheuert! Eine Harry-Potter-Hochzeit wäre so viel besser gewesen, als dieser öde Kitsch! Ich meine ... eine Lichtung im Wald? Seid ihr jetzt Schlümpfe, oder was?«

»Anscheinend«, grinste ich schulterzuckend und warf mich auf das Sofa neben meinen besten Freund, der demonstrativ von mir abrückte wie ein kleines Kind.

»Ich bitte dich! Überleg doch mal ... Du und sie, Hagrids Hütte, der Hippogreif auf dem ihr zum Altar geschwebt kommt und der sprechende Hut, der euch vermählt. Das Magische, das sich bei einer Hochzeit doch immer alle wünschen, wäre mehr als nur da! Du trägst einen Umhang von Dumbledore – Das ist eine Ehre, Bruder! – sie hat ... keine Ahnung was an und wenn ihr beide brav ›Ja‹ gesagt habt, gibt es Butterbier und Schokofrösche! Klingt das nicht fabelhaft?«

Das Glitzern in seinen Augen verriet, dass er so eine Hochzeit ernsthaft in Erwägung zog.

Ich will dir ja nicht dein Herz brechen, aber ...

»Das klingt nicht nur bescheuert, es ist tatsächlich auch bescheuert! Denn abgesehen davon, dass die Hochzeit steht und unser lieber Freund in der nächsten halben Stunde längst unter der Haube ist, müssen wir doch beachten, dass es keine lebendigen Hippogreife gibt und all die Magie, die du da beschreibst, absolut fiktiv ist!«, sprang Matt mir bei und machte die kleinen Träumchen meines Kobolds von bestem Freund zu nichte.

Wie nicht anders zu erwarten, sprang Brian auf und hob drohend einen Finger.

»Du bist herzlos! Ich hoffe dich Frist heute Nacht ein Todesser! Oder nein ... am besten gleich auf der Feier, damit du gar nicht erst auf die Idee kommst, Maia auch einen Antrag zu machen, wenn du gesehen hast, wie wunderschön Tears aussieht!«

Brian stürmte aus der Tür, Matt ihm absolut empört hinterher.

»Nimm das sofort zurück! Am Ende sterbe ich wirklich noch!«

»Ach ... glaubst also doch an Magie!«

Die Stimmen verloren sich.
Und dann war es ruhig.

Unglaublich ruhig.

Seufzend atmete ich die aufgestaute Luft aus meinen Lungen, lehnte mich vor und rieb mir die Schläfen.

Matt hatte verdammt recht ... in einer guten halben Stunde würde ich draußen unter den hohen Birken im Wald stehen, auf die faszinierenden Blumenranken und Lampions rund um das Gelände sehen und darauf warten, dass meine baldige Frau aus dem Gebäude trat, in dem auch ich mich momentan befand.

Wir hatten das Gelände per Zufall entdeckt. Es lag weit außerhalb von Seattle mitten im Wald und eignete sich perfekt für eine kleine Hochzeit.
Das Holzhaus mit weitläufiger Terrasse hatte einen großen Saal für den Empfang nach der Trauung, die bei dem guten Wetter draußen auf dem Terrain zwischen Bäumen und Blumengewächsen stattfinden konnte.

Ich hatte für diesen Tag gebetet.
Ich hatte ihn herbeigesehnt, wie selten andere Tage, denn der Wunsch, Tears zu meiner Frau zu machen, war nach ewigen Monaten vielmehr zu einem Traum geworden.

Einem Traum, der heute in Erfüllung gehen würde.
Einem Traum, der heute wahr werden würde.
Einem Traum.

»Na Harson?«

Die Tür schwang mit einem leisen Knarzen auf und schloss sich hinter dem grinsenden Mann wieder.
Fein herausgeputzt, wie jeder der anwesenden Freunde und Angehörigen, hatte auch Jason sich in einen Anzug geworfen, der leicht knitterte, als er sich neben mich in einen Sessel warf.

»Ich hab deinen werten Trauzeugen gerade schmollend aus dem Haus rennen sehen und dachte mir, für die letzten Minuten könntest du seelische Unterstützung gut gebrauchen. Zittern dir schon die Knie?«, fragte er feixend und warf sich eine Weintraube in den Mund, die auf einem Beistelltisch zwischen uns stand.

»Ich bitte dich, Jas. Ich warte seit über einem Jahr auf diesen Tag, habe zwischenzeitlich gedacht, er würde bei all den schrecklichen Dingen, die uns wiederfanden sind, niemals kommen und nun ist er doch da. Nein, ich habe absolut keine kalten Füße, es gibt nichts, das mich heute schocken kann.«

»Nichts? Das ist gut, dann kann ich dir ja ohne Sorgen mitteilen, dass die Band im letzten Moment noch abgesagt hat und wir somit ohne Soundtrack dastehen.«

Erschrocken sprang ich auf.

»Die Band hat was?!«

Jason begann laut loszulachen.

»Kein Schock also ... ah ja, mein Freund!«

Ich brauchte einige Sekunden um zu verstehen, dass er nur Witze gemacht hatte.

Fassungslos warf ich mich wieder zurück.
Diese Idioten!
Nicht einen Tag, nicht einmal an meinem Hochzeitstag, konnten sie mich in Frieden lassen.

Jason lachte immer noch.
Ich gab ihm einen Schlag auf den Hinterkopf.
Sein Schock-Test war absolut nicht witzig gewesen.

»Arschloch«, raunte ich ihm eine Beleidigung zu und schloss dann die Augen, um mich zu besinnen.

Es ist alles gut, Davis.
Keine Komplikationen.
Es ist alles perfekt.

Das war es wirklich.
Als ich eine halbe Stunde später über die Wiese schritt und mich neben Brian vorne auf die provisorische Holzbühne stellte, auf der ein Bogen aus Blumen und Kräutern geflochten war, unter dem wir getraut werden sollten, erschien jede Blume und jede Schleife perfekt platziert und reihte sich hervorragend in die Harmonie ein.

Bedächtig sah ich über die Stuhlreihen und warf einen Blick auf unsere Gäste, die sich keiner Mühe zu schade gewesen waren und aus aller Welt für diesen Tag eingeflogen waren.
Neben diversen Tanten und Onkeln, die ich teilweise ein halbes Jahrzehnt nicht mehr gesehen hatte, waren allen voran meine Eltern und Daniel aus Britannien eingeflogen und hatten sich die besten Plätze in der ersten Reihe gesichert.
Mum saß strahlend vor mir und lächelte mich an.
Zugleich hatte sie Tränen in den Augen – ihr zweiter Sohn war tatsächlich endlich bereit sich fest zu binden.

Für eine Zeit lang hatte sie das für nicht möglich gehalten.
Dann war Tears gekommen und plötzlich schien der Horizont ein anderer.
Und er war anders.

»Showtime«, raunte mir eine Stimme ins Ohr und ich warf einen kurzen Blick auf Brian, der seine Augen gespannt auf die Türen des Hauses richtete, aus dem Tears gleich treten sollte.
Leise Klaviermusik setzte ein und tatsächlich ... es war so weit.

Jetzt würde es wirklich passieren.
Ich würde heiraten.
Ich würde eine Einheit bilden.
Eine Familie.

Ich konnte Männer verstehen, die vor der Hochzeit keine Versprechungen machten.
Es gab die selbstsichere Variante unserer Art, die sich sicher waren, niemals weinen zu müssen, wenn ihre Braut auf sie zu trat, die tatsächlich so verrückt war und unsereiner zu heiraten. Einen Bund für die Ewigkeit einzugehen.
Aber das war nur ein gering geschätzter Teil der Männer.
Der Großteil – zu dem auch ich mich zählte – ging das Risiko der Überheblichkeit lieber nicht ein, denn an einem solchen Tag konnte alles passieren und so mancher Kerl konnte seine Emotionen nicht mehr kontrollieren.

Ähnlich erging es mir, als ich die Blumenkinder aus der Tür treten sah.
Wie auf Knopfdruck veränderte sich der Schlag meines Herzens und ein Gefühl unbändigen Stolzes erklomm mich von meinen Beinen hinauf bis in den Kopf.
Ich konnte spüren, wie mein Blut anders durch meine Adern floss, wie die Luft, die ich einatmete, einen anderen Weg ging.

Ich wurde zu einem neuen Menschen beim Anblick des dreizehn Jahre alten Mädchens mit den blondesten Locken, die ich jemals gesehen hatte.
Wie wunderschön sie doch war mit ihren großen grünen Augen und den Sommersprossen auf ihren Armen und den Wangen.
Ein bildhübsches, liebenswertes Mädchen in einem weinroten Kleid, das mich sehr stark an jenes erinnerte, das meine Frau zu eigentlich jedem Anlass über ihren Körper warf.

Ohne Frage, aber ich würde jedem zukünftigen Jungen das Genick brechen müssen, wenn er sich diesem kleinen Mädchen näherte.
Aber nur diesem Mädchen?

Nein.

Dem kleinen Engel, der an der Hand neben ihr lief, galten meine besonderen Sorgen und ich würde niemals aufhören, sie zu umsorgen und auf sie aufzupassen.
Ich wusste, dass niemand das besser konnte, als ich und das ich nur sehr, sehr schwer diese Mauern um sie einreißen können, wenn sie mich jemals darum bitten würde.
Glücklicherweise blieben mir noch einige Jahre, in denen ich nichts dergleichen würde tun müssen.
Denn noch war sie mein kleines Baby. Wenn sie älter würde ebenfalls, aber dann musste ich vermutlich eine andere Bezeichnung finden, weil Jugendliche irgendwann in diese Phase kamen, in denen alles, was ihre Eltern sagten, scheußlich und falsch war.

Aber an meine Angst davor, wollte ich heute nicht denken.
Denn eigentlich war die Zukunft etwas sehr schönes. Eigentlich sah ich in den Augen der Mädchen und denen des Jungen, der ebenfalls neben ihnen war, eine Vision, die sich in mehr als Erfüllung auszeichnete.

Ich hörte Kindergelächter in meinem Kopf hallen, sah Spieleabende, Familienausflüge und zahlreiche Urlaube vor meinen Augen und all die kleinen und großen Dingen, die ich meinen Entdecker noch würde beibringen müssen, weil das eben meine Aufgabe als ihr Vater war.

Ich würde Carla Zöpfe flechten, ihr beibringen, dass sie sich nicht zu schminken brauchte, um sich schön zu fühlen, musste ihr klarmachen, dass Sex oder gar Jungs bis zu ihrer Rente tabu waren. Ich würde zusammen mit ihr Italienisch lernen, weil sie Italienische Wurzeln hatte, würde ihr das Kochen beibringen, ihr ihr erstes Auto kaufen und ihr bis zum Ende meines Leben beweisen, dass sie alles Gute wert war, was ihr im Leben widerfuhr und dass ich für sie da sein würde, egal, ob sie in ihrer tiefsten pubertären Phase versunken war oder mir alles recht zu machen versuchte.

Ich würde ihr und Theo eine Konstante sein.
Denn ich hatte gelernt, dass ein Fels in der Brandung manchmal alles war, was einen am Leben hielt.
Ich war dieser Fels.
Ich war zu diesem Fels geworden.
Und ich würde immer dieser Fels sein, auch, wenn ich nur die Zweitbesetzung in dieser Realität war.
Denn irgendwo da draußen lebte ein anderer Mann, der ich sein würde, wenn er einmal in seinem Leben die richtige Entscheidung getroffen hätte.
Aber vielleicht war es Schicksal, denn ich hatte jetzt die Ehre und ich war stolz.

Ich war stolz, dass mein fünfzehnjähriger Sohn ein Künstler wie seine Mum war und ein wahnsinniges Gemälde an die Wand des neuen Parks in Seattle-Mitte gemalt hatte.
Ich war stolz, dass er fleißig in der Schule lernte, dass er jeden Menschen in seinem Umfeld mit Anstand behandelte, obwohl das Leben ihm diesen Anstand niemals zurückgegeben hatte und er es nicht auf der Straße hatte lernen können.
Ich war stolz auf seine Stärke, auf seine Liebe zu seinen Geschwistern und sein vielseitiges Interesse.
Aber ich war auch stolz auf seine Tränen, seinen Frust und seinen Unmut.

Und mein Baby.
Meine kleine Ann.
Die Gefühle, die mich bei ihrem Anblick durchflossen, waren gar nicht immer zu beschreiben. Sie waren oftmals so übernatürlich, das ich glaubte, über dem Boden zu schweben.
Vielleicht weil ich ihr frohes Leben für eines der größten Wunder in meinem eigenen empfand.
Vielleicht, weil sie so schnell Blumen auf ein Acker voller Schmutz pflanzen konnte, das Vergesslichkeit mich schneller befasste, als jemals zuvor.
Vielleicht, weil sie von einem Schatten der Sonne zu ihrem hellsten Strahl geworden war und das einfach nur phänomenal war.

Oh, wie sehr ich sie liebte.
Wie sehr ich sie immer und immer lieben würde.
Wie sehr.

»Bro, du heulst und sie ist noch nicht mal aus der Tür getreten!«, bemerkte Brian neben mir und reichte mir ein Taschentuch.
Ich tauchte langsam aus der Blase, in die ich gefallen war und lachte, während ich mir die tauben Tränen von den Wangen wischte.

Nein, heute hätte ich keine Versprechungen machen können.
Denn ich hätte sie alle gebrochen.
Außer eines vielleicht.

»Ich werde sowas von niemals heiraten ... Außer meine Katze vielleicht ...«, sprach Brian neben mir mehr zu sich selbst. Ich grunzte halbherzig und drehte meinen Kopf in seine Richtung.

»Du hast nicht mal eine Katze, Alter. Was auch gut so ist, weil du absolut nicht fähig bist, dich um ein Lebewesen zu kümmern. In deiner Nähe stirbt sogar eine künstliche Zimmerpflanze.«

Kein Scherz.
Dieser Mann war gefährlich.

»Du bist doch nur neidisch, dass du nicht fähig bist, dich selbst so sehr zu lieben, wie ich mich selbst liebe.
Und übrigens ... ich bin auch ein Lebewesen und ich kümmere mich hervorragend um mich selbst.«

»Ich glaube die Pickel auf deiner Stirn sagen da etwas anderes.«

Ich lachte und er lachte, während er mir auf die Schultern schlug.
Ich liebte diese kleinen Momente, denn sie erinnerten mich daran, wieso ich Brian so sehr in meinem Leben schätzte.
Er verlor niemals seinen Humor, konnte stets fröhlich sein und obwohl ich das gar nicht immer von ihm erwartete, war er eine Erfrischung, wenn es mir selbst einmal nicht so gut ging.

In meinem Leben gab es eine Menge Dreck, der sich unterschiedlich schmutzig zeigte. Es gab vieles, das kaputt war oder angeschlagen, vieles heikles.
Aber Brian war immer eine sichere Haltestelle.
Er war nicht umsonst mein bester Freund.
Nein, er kontrastierte, ebenso wie viele andere Menschen in meinem Leben, das Schlechte und gleichte es aus.
Ich würde ihm ewig dankbar sein und hoffte innigst, das ich ihm der Freund war, den er verdiente.

»Wow«, kam es plötzlich neben mir und mein Blick folgte Brians, der sich zurück auf die Tür gerichtet hatte, aus dem meine Kinder zuvor stolziert waren.
Nun kam dort ein Mann zum Vorschein, der seine Hand nach einer Frau in einem weißen Kleid aus Seide ausstreckte und ihr mit dem langen Rock und den hohen Schuhen die Treppenstufen zum Haus hinab half.

Mir blieb die Luft weg, als ich mein Mädchen erkannte.
Sie war wunderschön.
Das Kleid schmeichelte ihrem Köper, schmiegte sich eng um ihren Oberkörper, ehe es in einem weiteren Rock fiel, der wie um sie zu schweben schien.
Kleine silberne Strasssteine und Blumenmuster zierten ihr Dekolleté. Passend dazu trug die Ohrringe und ein Armband am Handgelenk.
Ihre Haare hatte sie zurückgebunden, um niemandem ihr lächelndes Gesicht vorzuenthalten, das selten so glücklich ausgesehen hatte, wie heute.

Die Hochzeitsgesellschaft erhob sich – beinahe ehrfürchtig.
Ich richtete mich auf und suchte nach Tears Augen, die mich längst erfasst hatten, als ich sie ansah.
Sie lächelte breiter und in ihren Pupillen konnte ich alles lesen, was ich erwartet hatte.

Sie hatte diesen Tag ebenso herbeigesehnt, wie ich.
Sie hatte ebenfalls davon geträumt, hier zu stehen und dementsprechend genoss sie die Perfektion, die sie scheinbar umfasste.

Mein Herz machte einen Sprung.
So sehr hatte ich mir gewünscht, dass sie so viel Glück über diesen Tag empfinden würde und einmal in meinem Leben schien etwas richtig gut zu laufen.

Ich hatte Bedenken gehabt, dass sie an ihrer Hochzeit besonders das vermissen würde, was sie nicht mehr hatte.
Ihr Dad konnte sie nicht zum Altar begleiten, Jane konnte nicht ihre Brautjungfer sein und ihre Mutter nicht die verrückte Oma, wie meine es war.
Aber tatsächlich war meine Frau seit einigen Monaten von einem wundersamen Frieden umgeben.
Es war, als hätte sie die Vergangenheit hinnehmen können und mehr Kraft darin geschöpft, in die Zukunft zu denken.

Sie war voller Hoffnung.
So sehr, wie noch nie und das steckte alle um sie herum an.

Die Bedenken, die ich gehabt hatte, hatte sie besser weggesteckt, als ich vielleicht sogar selbst.

Wie selbstverständlich hatte sie Peter nach dem Posten ihres Dads gefragt und er hatte nur zu gerne versprochen, sie zum Altar zu führen.
So wie er es jetzt tat.

Ich war unfassbar dankbar, dass wir ihm vor Jahren begegnet waren.
Er war meiner Frau ein unglaublich guter Freund, er bestärkte und half ihr bei allem, was sie tat und ich war froh, dass er und ich stets dieselben Ziele verfolgten.
Nie hatte ich mich von ihm bedroht gefühlt. Ich wusste er liebte Tears, aber er liebte sie anders, als ich es tat.
Und ich wusste auch, dass die beiden sich in ihrem Leben brauchten. Ich kam damit klar.

Peter war ein klasse Mann.
Man konnte sich hervorragend unterhalten, er war nicht schnell aus der Unruhe zu bringen und er liebte Kinder – und meine Kinder liebten ihn.

Es gab nichts zu meckern.
Und es gab auch nichts zu bedenken.
Denn Tears hatte neben Peter mit Ann zu einem weiteren Pol ihrer Freude gefunden.

In vieler Hinsicht konnte man unsere Tochter als ein Wunder beschreiben.
Sie war ein Wunder.
Und sie war gefüllt mit unserer Hoffnung, denn sie war das Mädchen, das lebte.

Ich wollte es nicht bestreiten, aber vielleicht war Ann, neben Carla und Theo, der größte Grund dafür, dass Tears nicht abermals am Krebs eines Menschen zerbrochen war.
Warum sie nach endlos langer Zeit wieder wirklich in ihrem Leben kämpfte, sorglos und zufrieden war.
Vielleicht – sehr sicher sogar – war sie der Grund, warum Tears an Todestagen ihrer Familienmitglieder nicht mehr weinen musste, sondern stattdessen mit Blumentöpfen und guter Musik nach San Francisco fuhr und ihrer Familie von ihrer neuen Familie berichtete, ohne eine Träne zu vergießen.

Es war die Symbolik, die durch Ann wieder in ihr Leben getreten war.
Die Hoffnung, die Lebensfähigkeit.
Denn Ann war wie Jane krank gewesen, hatte am Tiefpunkt und an der Schneise zwischen Tod und Leben gestanden.
Aber sie hatte überlebt.
Sie hatte die Dunkelheit besiegt.
Sie hatte sich für das Licht entschieden und Tears mit sich gerissen, je kräftiger sie geatmet hatte, je lauter sie jeden Tag lachte.

Und jetzt sahen wir ein kleines Mädchen aufwachsen.
Ein kleines Mädchen, das mit ihren zwei Jahren einem anderen kleinen Menschen ähnelte, den ich so jung nur aus Fotoalben und Erzählungen kannte.
Ein kleines Mädchen, das nicht das kleine Mädchen war, das Tears jahrelang wie eine Mutter großgezogen hatte und schließlich viel zu früh verloren.
Nein. Diese Version würde leben und ihre Träume verwirklichen können und sie würde ihrer Mutter immer ein großer Sonnenschein sein, der all ihre Ängste zunichte gemacht hatte.

Der ihr alle Ängste genommen, den Fluch genommen, den sie sich vielleicht selbst aufgebürdet hatte.

All die Dunkelheit war fort.
Seit dem Tag, an dem die Ärzte uns versichert hatten, dass das schwarze Monster im Körper unseres Babys nicht siegen würde.
Dass es gehen und mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht mehr heimkehrte.
Alles war fort, seit das Schicksal sich für dieses kleine Mädchen, mit demselben Blut geändert hatte.

Ann war ein Teil der guten Zukunft, die wir haben würden und sie würde ihre Mutter immer erinnern, wieso es sich lohnte, auf den nächsten Tag zu warten.

Wunder geschahen, wenn man sie am wenigsten erwartete.

Aber sie geschahen.

Als erstes kamen die Kinder vorne an und setzten sich neben meine Mutter in die erste Sitzreihe auf der Lichtung.
Ich lächelte die drei Menschen meines Herzens an und lachte leise, als ich Ann
ein quietschendes »Papa« über die Lippen gleiten hörte.
Alle lachten wir unisono.
Tears eingeschlossen, die wenige Sekunden später den Gang zwischen den Stühlen durchschritten hatte und deren Hand schließlich von Peters über in meine gereicht wurde.

Wärme durchfloss mich, als wir endlich direkt voreinander standen, neben uns der Standesbeamte, der uns trauen würde.

»Du siehst wunderschön aus«, flüsterte ich Tears zu und konnte es mir nicht nehmen lassen, sie auf die Stirn zu küssen.
Tears lächelte.

»Du siehst auch nicht schlecht aus, Papa«, kicherte sie und füllte mein Herz mit Schmetterlingen und Glückseligkeit.

Verrückt, was dieses Wort in einem Menschen auslösen konnte.
Für mich trug dieser Spitzname unheimlich viel Gewicht. Er stand für die Menschen, die ich mehr liebte, als mich selbst und die, denen ich helfen würde, irgendwann selbst einmal dort zu stehen, wo ich mich heute befand.
Denn das Papasein war jetzt mein Job, meine Lebensaufgabe und ich trug sie mit stolz.

Genau an diesem Punkt des Lebens hatte ich immer stehen wollen.
Auch wenn mir das früher nicht bewusst gewesen war.

»Ich liebe dich«, formte ich mit den Lippen, während der Beamte neben uns die Gesellschaft zum Sitzen aufforderte und anfing, seine Rede zu halten.

»Ich liebe dich mehr«, hauchte Tears zurück und lächelte dann in Richtung unserer Kinder, die sie ebenso liebte wie ich.

Über Adoptionen hatten wir uns früher schon oft unterhalten.
Seit Ann waren wir uns dem Wunsch von noch mehr Kindern immer bewusster geworden und schließlich hatten wir Carla kennengelernt und waren uns unserer Entscheidung sicher gewesen.

Einen Teenager zu adoptieren geschah nicht häufig. Auch bei der Vermittlung hatten sie uns darauf hingewiesen.
Aber wir hatten niemals die Kinder gewollt, die jeder wollte und die die besten Chancen hatten, ebenfalls in ein liebevolles Heim zu kommen.

Wir hatten Carla und Theo gewollt. Die, die Hoffnung auf ein eigenes Zimmer und die Achtung zweier Eltern eigentlich schon aufgegeben hatten.
Dabei verdienten sie ihre Träume und die Freude am Leben und ich würde ihnen alles geben, was ich konnte.

In unserer Familie waren sie sofort aufgenommen worden.
Ann liebte ihre beiden Geschwister und sie liebten Ann noch mehr.
Es bestand kein Neid, darüber, dass wir immer ein besonderes Auge auf unser Sorgenkind hatten oder sie leiblich unsere Tochter war.
Ann hatte als jüngste von Tag eins unter dem besonderen Schutz ihrer älteren Geschwister bestanden und sie gab den beiden ihre Liebe doppelt und dreifach wieder.

Auch meine Eltern und meine Geschwister hatten den Familienzuwachs mit höchster Freude zur Kenntnis genommen und meine Mom blühte als Oma voll auf.

Es hatte sich alles dem Guten gefügt.
Auch in den Reihen meiner Freunde.
Peter war glücklich verheiratet und erwartete nun ebenfalls sein erstes Kind.
Matt war seit einigen Jahren glücklich mit seiner Freundin Maia zusammen und Jason hatte letztens endlich sein Studium komplett abgeschlossen und seinen Abschluss glorreich gefeiert.
Bei Brian schien alles so wie immer. Seine Bar lief hervorragend und er war der lustige Kobold wie immer.
Nur seine Partenonkelrolle war neu(er) und die nahm er sehr persönlich und ernst.
Die Kinder vergötterten ihn, ebenso wie Daniel, der alle paar Monate vorbeischaute, während er die Welt bereiste und seinen Freigeist auslebte, den er in der Highschool hatte einsperren müssen.

Ich wusste er suchte nach seinem Weg und er würde ihn finden.
Ich war unheimlich stolz auf ihn und den Mann, den er aus sich gemacht hatte.

»Darum frage ich dich, Davis Harson, möchtest du die hier anwesende Tears Miller zu deiner rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen? Wirst du sie lieben und ehren in Krankheit und Gesundheit, in Licht und Dunkelheit, in guten Zeiten, wie auch in schlechten bis das der Tod euch scheidet? Dann sage jetzt: Ja, ich will.«

»Ja, ich will.«

Nie hatte ich etwas mehr gewollt, als diese närrische, verrückte, liebevolle Frau, die mein Leben seit etlichen Jahren bereicherte und mich zu dem Menschen gemacht hatte, der ich heute sein durfte.
Ich würde immer zu ihr Ja sagen.
Denn sie war mein.

»Und möchtest du, Tears Miller, den hier anwesenden Davis Harson zu deinem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen? Wirst du ihn lieben und ehren in Krankheit und Gesundheit, in Dunkelheit wie auch Licht, in guten Zeiten und ich schlechten, bis das der Tod euch scheidet? Dann sage jetzt: Ja, ich will.«

»Ja, ich will.«

Der Standesbeamte klappte sein Büchlein zu und verkündete feierlich.

»Dann erkläre ich sie hiermit zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut jetzt-«

Ich tat es, bevor er die Worte ganz aussprechen konnte.
Zog meinen Engel an mich, umarmte ihn, während ich ihre süßen Lippen an meine presste.

Der tosende Applaus drang nur mäßig zu mir durch. Vielmehr war ich auf das Lächeln meiner Frau fokussiert und sie Kinderkörper, die uns einige Sekunden später umrannten und an meinem Hosenbein zerrten.

Lachend lösten wir uns voneinander und während ich die quengelnde Ann auf meine Arme hob und Theos Schulter klopfte, während er sich an mich lehnte, nahm Tears Carla in die Arme, die tatsächlich Tränen in den Augen stehen hatte.

»Du bist wunderschön, Mom«, hauchte sie und schon weinten sie beide.

»Das war das erste Mal, dass du mich Mom genannt hast!«, weinte Tears und wir lachten alle.

Glück.
Pures Glück, als die Sonne auf die Lichtung im Wald fiel.

xxxx

XX

Und sie stehen dort, wo alles anfing und dort, wo alles endete.

Und sie stehen dort, wo alles begann und alles seinen Schluss fand.

Und sie stehen dort, wo das Licht der Sonne aufging und dort, wo es am Horizont wieder erlosch.

Und sie stehen dort eine ganze Weile.

Und sie stehen dort für immer.

Auf dein Glück, meine liebe Schwester.

Ich werde ewig den Schatten von deinem Licht fernhalten.

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Vielen Dank fürs Lesen! ❤️
Und na? Hat jemand die XX erraten?

Ich wünsche jedem da draußen das Glück, das Tears und Davis gefunden haben.
Hört niemals auf zu träumen und an das Gute zu glauben.

Tschüss. ✨

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