3« Davis
Mit einem selbstgefälligen Grinsen sah ich auf meine Armbanduhr und zählte die Sekunden hinunter.
Der Sekundenzeiger überschlug sich vor meinen Augen und ich lachte, als er mich doch tatsächlich eine ganze Minute warten ließ.
Er hatte Angst. Schiss, meine Handynummer zu tippen und mit mir persönlich zu sprechen.
Bestimmt zitterten seine Finger gerade über den Tasten und vertippten sich, während er begann auf seinen Fingernägeln zu kauen.
Dass er wartete, würde ihn aus der Situation nun auch nicht mehr retten, denn er hatte sich mit dem falschen Kontrahenten angelegt.
Der Doktor hatte seinen Spaß gehabt, jetzt konnte er mit saftigen Folgen rechnen, denn mein Jackett roch noch immer nach dem widerlich herben Rotwein, den die Bedienung auf seine Kosten über mich gegossen hatte.
Ihr Erschrecken über den Löffel, der das Tablett in ihrer Hand getroffen hatte, war der Auslöser für den miserablen Ausgang des Abends gewesen. Nun zog Wilson dafür die Konsequenzen.
Auf der Fahrt zu meinem Loft hatte ich bereits mit meinen Anwälten telefoniert und für meine eigene Sicherheit gesorgt. Kein einziger Kommentar über diesen Abend würde in den Medien auftauchen und ich war erleichtert von diversen Mitmenschen, die an diesem Abend ebenfalls anwesend gewesen waren, eine E-Mail erhalten zu haben, in der sie mir ihre verschlossenen Münder versicherten.
Darauf baute meine Macht, denn würde auch nur einer in einem Interview über mich herziehen, wäre er ein toter Mann. Mir schien, als würden das so gut wie alle bereits wissen. Und der Doktor würde genau jetzt davon erfahren. Er hatte lange genug mit dem Feuer gespielt. Nun würde er elendig darin verbrennen.
Das Klingeln meines Smartphones riss mich aus den Gedanken und ein breites Lächeln zog auf meinen Lippen auf, als ich den Anrufer wahrnahm. Er hatte sich sehr viel Zeit gelassen, jede Sekunde war nun zu seinem Ersticken.
»Ach, nein, Wilson? Was verschafft mir die Ehre?«
Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte über meinen scheinheiligen Ton nicht zu sehr zu lachen. Ich war schadenfreudig und das schon immer.
»Ich habe es verstanden, Harson.«
Die Stimme am anderen Ende glich nur einem Flüstern und anscheinend versetzte ihn meine E-Mail in eine Woge aus Unsicherheit. Vom nervtötenden Unterton und seiner geldgierigen Art war bei diesem Gespräch nichts mehr übrig.
Er hatte verloren und das wussten wir beide – ich schon etwas früher.
»Was genau haben Sie verstanden? Ich verstehe nicht?«
Ich kostete es grundlegend aus, diesen Mann auf den Boden zu fegen. Und das nicht nur zu meinem Wohl, sondern auch dem der allgemeinen Bürger.
Wilson war ein Dreckskerl.
Er vergriff sich an Frauen, spielte mit ihnen und belästigte sie.
Er hatte jeden Funken meines Hasses verdient.
»Was bezwecken Sie damit, Harson? Sie drücken mich zu Boden - schön - Sie haben gewonnen! Ich habe es verstanden.« Er klang verzweifelt, aber noch nicht verzweifelt genug.
»Ich glaube nicht, dass Sie irgendetwas verstanden haben!«, beteiligte ich mich am Gespräch und versank in der ledernen Couch. Dieses Gespräch hatte gerade erst angefangen.
»Sonst wäre es schließlich nicht zu dem missverständlichen Vorfall gekommen. Ich glaube, Sie wissen noch nicht gut genug, auf welchen unterschiedlichen Ebenen wir stehen und wer von uns beiden die Zügel in der Hand hält.« Es wurde still am Hörer und mit jeder meiner Worte fühlte ich mich sicherer.
»Ich darf Sie doch sicher an die Schuld des Weins erinnern und mir ist nicht entgangen, wie unverschämt Sie sich verhielten.
Glauben Sie mir Wilson, ich war nie Ihr Freund und auch Ihr Alptraum wollte ich nicht sein. Aber Sie zwingen mich förmlich dazu, Ihnen ein klein wenig auf die Sprünge zu helfen.«
»Was ... was wollen Sie?«
Na endlich. Jetzt schien auch er den Ernst in meinem Leben zu verstehen und hatte es kapiert.
Diese Flasche hatte nicht nur den Wein vergossen, sondern auch sein Ansehen. Es war das letzte Geschäftsessen, an dem man sein widerwärtiges Gesicht hatte sehen müssen.
»Ach, haben Sie etwa Angst? Bitte weinen Sie nicht.« Ich klang freundlich, aber das war ich nicht und das wusste er.
»Lachen Sie noch immer über meinen begossenen Anzug?«
»N-nein«, stotterte er und klang tatsächlich weinerlich. Er war ruiniert.
»Schön. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Abend, Wilson. Ich hoffe, mich in der E-Mail klar ausgedrückt zu haben. Mit mir haben Sie sich leider den falschen Feind ausgesucht und ich hoffe, Sie verstehen, dass ich diesen Vorfall nicht einfach ruhen lassen kann.«
Ich hörte seinen unkontrollierten Atem. Er war außer sich, aber hatte doch keinen Mucks mehr zu sagen.
»Wiederhören«, flötete ich in den Hörer und legte mein iPhone dann zur Seite. Damit hatte ich auch dieses Problem vom Tisch und gleich morgen dürfte Wilson sich über einen blanken Artikel in der Zeitung freuen.
Anders als bei mir, gab es über den schmutzigen Doktor so einiges zu erfahren und nicht einmal knapp waren meine Leute auf ein kleines dunkles Geheimnis gestoßen, das die Presse mit Freude fressen würde.
Wer hätte auch geglaubt, was für Geschäfte in den vermeintlichen Luxushotels vor sich gingen und wie langwierig die Gäste über den Tisch gezogen wurden. Da hatte unser Doktor seine Gäste doch schamlos betrogen und sich damit selbst in eine Pleite geritten. Schon morgen würde er deswegen von bestimmt Hunderten eine Anzeige schlucken müssen und es war nur eine Frage der Zeit, bis er an seinen Schulden erstickt war. Damit war seine Karriere beendet.
Es sollte ihn lehren, mit Ehrlichkeit sein Geld zu verdienen, denn Betrug war ein eitler Schachzug mit immensen Folgen. Das galt auch für seine perversen Seiten Frauen gegenüber. Ich hoffte doch inständig, dass sich einige seiner Opfer an die Öffentlichkeit wagen würden, jetzt hatten sie die beste Möglichkeit.
»Was für ein Skandal!«, würde es in der Zeitung heißen und ich freute mich schon auf das bleiche Gesicht, das sich morgen über einen Besuch bei mir reißen würde.
Wilson hatte ja keine Ahnung auf was ich gestoßen war, spätestens morgen Mittag hatte er eine Vermutung, welche Person sich hinter dem Unbekannten befand, aber kein Beweis und keine lebende Seele würde ihm noch glauben.
Mit diesem Wissen setzte ich mich entspannt an mein Mac und überprüfte die letzten Dokumente. Morgen hatte ich diverse Reden zu halten, aber ansonsten hielt sich der Stress in Grenzen. Das Geschäft funktionierte wie am laufenden Band und nichts stand mir im Weg, um auch meine nächsten Ziele zu ermöglichen. Es lief alles perfekt und kein Zwischenfall hatte noch eine Möglichkeit mich aufzuhalten. Nicht bei diesen Kunden, diesen Kooperationen und den, sich sekündlich verdoppelnden, Zahlen. Ich konnte nicht anders, als zufrieden sein.
***
»Na. Wie geht's meinem Lieblingspizza-Bruder?« Brians Stimme hallte gut gelaunt wie immer durch die Gegensprechanlage und mit einem tiefen Seufzer ließ ich ihn den Fahrstuhl besteigen. Kaum drei Minuten später öffneten sich die Türen und der Brünett setzte einen Fuß in mein Apartment.
Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, als ich auf ihn zulief und bei ihm einschlug.
»Pizzabruder? Dein Ernst?«
Ich hatte schon so einige Spitznamen über mich ergehen lassen, aber Pizzabruder nahm nochmal an Level an.
»Lieblings-Pizza-Bruder!«, betonte er lachend und schmiss sich auf meine Couch.
»Will der ungebetene Gast etwas trinken?«, fragte ich den Quälgeist und bewegte mich zurück in die Küche um mir selbst ein kühles Glas Wasser zu besorgen.
»Nö, aber ich hätte Bock auf Pizza!«
Ich rollte mit den Augen, als ich mit dieser Antwort zu ihm zurückkam. Da saß dieser Fettklops schon auf meinen teuren Möbeln und verlangte, dass ich ihn belieferte. Das konnte er sich gehörig hinter die Ohren schreiben.
»Vergiss es, du bist bis auf Weiteres auf Diät«, bestimmte ich und ließ mich neben ihn fallen.
»Du bist ein Arsch«, begann er zu schmollen und brachte mich damit zum Lachen. Wie war es möglich, dass es sich bei diesem Lappen, um meinen besten Freund handelte? Ich kniff ihm in die Wange und lachte haltlos, als er meine Finger wegschob und sein Handy zückte.
»Ich will Hawaii«, klärte ich ihn auf und stellte mein Glas weg, um nach der Fernbedienung zu greifen. Leise fuhr die Leinwand an der Glasfront meines Wohnzimmers hinab und verdeckte damit einen Teil der bezaubernden Aussicht.
Die Dunkelheit tauchte Seattle in die Nacht und nur die vielen verschiedenen Lichter aus Restaurants und Bars, sowie von Straßenlaternen und Autos erhellten einen Teil meiner Heimat.
Städte in der Nacht waren wunderbar anzusehen und ich genoss es, mich am Sonnabend auf die Dachterrasse zu begeben und den Wind um meine Ohren wehen zu lassen. Davon bekam man herrlich den Kopf frei.
»Wie lief dein Tag so?«, fragte ich Brian und wandte meinen Blick wieder ihm zu. Er hatte unsere Pizza bestellt und schien nun wieder einigermaßen zufrieden.
»Gut. Die Kundschaft heute war überragend, auch wenn mich eine dumme Blondine stundenlang über ihre Katze voll getextet hat. Sag mal, hast du 'ne Flasche Wein gesoffen?«
Sein Blick glitt irritierend zu mir, während er sich die Nase rümpfte und ich innerlich seufzte.
»Stinke ich so offensichtlich?«
Er hielt sich die Nase zu und nickte schließlich.
»Sag mir nicht, dass du wieder begonnen hast, zu trinken.«
Ich schüttelte den Kopf und zog mir stattdessen mein Wein getränktes Hemd aus, um es ihm zuzuwerfen.
»Mich hat man heute in einer Flasche Wein baden lassen.« Ich seufzte und ließ mich oberkörperfrei zurücksinken. Meine Feierabendfaulheit hatte Besitz von mir ergriffen.
»Auf dem Geschäftsessen?«
Ein mir bekanntes Grinsen breitete sich wieder auf seinem Gesicht aus, nachdem er das Hemd achtlos hinter das Sofa geworfen hatte.
»Genau da. Mein Gegenüber hat es sehr amüsant gefunden die Kellnerin mit einem Löffel abzuwerfen und sie damit so zu erschrecken, dass sie alles fallenließ. Mann, die war am Ende.«
Ich seufzte und nippte an meinem Wasser, als ich an das Himmelblau ihrer Augen zurückdachte und ihren zittrigen Körper am Boden sah. Ihr rotes Kleid wollte mir nicht mehr aus dem Sinn gehen.
»Da du gute Laune hast, scheint dein Gegenüber sich auf seinen sicheren Untergang gefasst machen zu müssen. Was hast du wieder vor?« Brian hob fragend eine Augenbraue und ich war immer wieder überrascht, wie gut er mich eigentlich kannte.
»Er hat sich mit dem Falschen angelegt und morgen wird einiges unschönes über ihn in der Presse stehen.«
Nun zuckte er mit den Schultern. Er hatte nichts gegen mich zu sagen und Brian wusste genau, dass alles was er morgen – so wie alle anderen auch – lesen würde, der absoluten Wahrheit entsprach. Bei so etwas machte ich nie einen Fehler – die gab es bei mir gar nicht – und meine Quellen hatten ihren sicheren Ursprung. In gewisser Weise machte ich Menschen zurecht fertig.
»Ich denke, er wird es verdient haben.«
»Wenn man die vielen Vergewaltigungen miteinbezieht, dann hat er es mehr als nur verdient.«
Ich nickte und schaltete endlich den Beamer ein, um die Live-Übertragung des Football Spiels ansehen zu können.
»Ach, so ein Drecksgesicht also. Mann, dafür, dass du Frauen üblicherweise wie Luft behandelst, tust du ihnen damit wirklich einen Gefallen.«
Ich zuckte nur mit den Schultern – Frauen waren mir in Hinsicht von Liebe und Beziehungen vollkommen egal – doch irgendwie kniff mir der Gedanke, an die blutige Hand der Kellnerin und ihr so verletztes Gesicht, wieder in die Seite und ließ mich einen Moment wegtreten.
So bekam ich das Eintreffen der Pizza nicht mit und sah nur unterbewusst, wie sich Brian an meinem Portemonnaie vergriff und den Lieferanten bezahlte, ehe er mit zwei Kartons wieder neben mir Platz nahm und mir meine Schachtel auf den Tisch stellte.
»So, wie du jetzt gerade guckst, sieht es aus, als hättest du diesen Typen nicht nur aus Eigeninteresse verpfiffen, sondern auch noch einen zweiten Grund dafür.«
Ich riss mich von dem Himmelblau los und drehte meinen Kopf in seine Richtung. Das Pizzamonster hatte bereits sein erstes Stück verdrückt und grinste mir frech entgegen.
»Was auch immer du jetzt sagst, ich weiß, dass du lügen wirst.«
Sein Grinsen wurde breiter, als ich nach besseren Worten suchte, um mich nicht ertappt zu fühlen.
»Manchmal ist es besser, nicht zu viel zu wissen«, murmelte ich irgendwann und schnappte mir meine eigene Pizza um mich abzulenken.
»Wenn du meinst.«
Belustigt boxte er mir in die Seite und widmete sich dann dem Spiel.
Ich meinte es ganz so, ja.
Es ging ihn schließlich nichts an, welchem Farbspektakel ich in Gedanken meine Aufmerksamkeit schenkte.
Himmelblau, blutrot und ein Hauch von wässrigen Tränen.
Er würde es sowieso nicht verstehen. Ich tat es selbst nicht.
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