28« Tears


Als ich Stunden später aufwachte, begann ich unwillkürlich zu lächeln. Durch die riesigen Panoramafenster starrte ich von einer beachtlichen Höhe über ganz Seattle und war den Wolken so nahe, dass ich ihre dunkelgraue Farbe beinahe spüren konnte.

Ich lächelte wegen der Millionen kleinen Regentropfen, die sich auf die Glasscheibe bequemt hatten und langsam daran hinabflossen.
Ich war froh wieder etwas Abstand zu San Francisco bekommen zu haben. Ich liebte die Stadt und meine verbrachte Zeit dort, aber der verbundene Schmerz war im Moment so unerträglich, dass ich nicht einen Tag länger hätte dort bleiben können.

Ich vermisse dich, Jane.

Gestern lag sie noch neben mir und heute war ich allein in unserer kleinen Wohnung. Das Schicksal war ein mieser Verräter.
Ich war kurz davor wieder in Tränen auszubrechen, als mich ein Gedanke ganz plötzlich zusammenfuhr.

Wir haben gar keine Panoramafenster in der Wohnung.

Erst jetzt richtete ich mich aus den Kissen auf und starrte an die weiß gestrichene Wand gegenüber.
Ein große schwarz-weiß Leinwand hing mir gegenüber und ich wusste augenblicklich. in wessen Bett ich mich hier befand.
Oh, oh.

Er sah abgöttisch gut in der gerissenen Jeans und der dazu passenden Jacke aus. Er wirkte wie ein Teenager und nicht wie der strenge Geschäftsmann. Mein Herz schlug ein wenig schneller.
Davis war wirklich ein unglaublich attraktiver Mann. Heute schämte ich mich nicht für den Gedanken.
Und auch die Tatsache in seinem Bett geschlafen und mit Sicherheit in seinen Armen geträumt zu haben, machte mir plötzlich nichts aus. Mich erregte viel mehr die Neugierde, wie es wohl im restlichen Apartment aussah.

Ich biss mir auf die Unterlippe, als ich mich erhob und mir das Schlafzimmer genauer ansah. Die Wände waren cremeweiß und immer wieder mit farblosen Leinwänden behangen, die Davis selbst oder Objekte zeigten und bestimmt teuerer als meine gesamte Wohnung waren.
In einer kleinen Ecke stand ein grauer Sessel aus Stoff auf dessen Beistelltisch sich Bücher stapelten, von denen ich noch nie gehört hatte.
»Wieso Schmetterlinge Engel sind.«

Um eine Ecke reihte sich an langen Kleiderstangen der Kleiderschrank von Davis Harson und ich strich mit angehaltener Luft an den vielen Anzügen entlang, die maßgeschneidert und fein säuberlich aufgehängt waren.
Der hat mehr Krawatten als ich Haare auf dem Kopf.

Auch das Zimmer mit einer Unmenge an Kleidung bot mir eine herrliche Aussicht auf Seattle und ich vermochte darin zu versinken. Ich liebte diese Aussicht.

»Na, schon gezählt wie viele Boxershorts ich habe?«
Ich zuckte zusammen, als ich eine freche Stimme hinter mir hörte.
Als Davis zu lachen begann, drehte ich mich um und zuckte innerlich ein zweites Mal zusammen, denn er stand mit nacktem Oberkörper und in Jeans vor mir und seine nassen Haare schlossen nur darauf, dass er gerade geduscht hatte.

Seine Haut war sonnengebräunt und er war genauso muskulös, wie ich es mir wegen seiner engen Hemden immer gedacht hatte.
Dunkelblaue Adern stachen hervor und verliefen in Schlangenlinien an seinen Armen hinab.
In Kombination mit seinen Haaren sah sein Körper einfach perfekt aus und die vielen kleinen Muttermale auf seinen Schultern und am Rücken machten ihn noch besser.

»Ich finde mich auch nicht schlecht«, raunte er mit einem Grinsen auf den Lippen und rang mir damit ein drittes Zusammenzucken ab. Ich spürte meine Wangen, als er sich lachend abwandte, einen Pullover überzog und gleich nach einem zweiten suchte.

»Ich schätze mal, dass du auch duschen und vielleicht etwas anderes anziehen möchtest.«
Ich nickte ein wenig benommen. Wie konnte er so etwas sagen und gleich danach voller Ernst weitersprechen?
»Komm, ich zeige dir das Badezimmer und wenn du möchtest wasche ich währenddessen dein Kleid.«

Ich nickte noch einmal.

***

Dicke, flüssige Tropfen flossen über meinen Körper hinab zu Boden.
Ich wusste nicht, ob es meine Tränen oder die Strahlen der Dusche waren. Mich überrollten die letzten Tage und ich war noch immer unglaublich müde und ausgelaugt.

Meine abgelenkte gute Laune war zusammen mit Davis verschwunden und ich vermisste seine behüteten Arme um meinen Körper.
Langsam schaltete ich das lauwarme Wasser der Regendusche ab und lief zittrig zu den bereitgelegten Handtüchern und dem Pullover den Davis mir gegeben hatte.
Er war mir ein wenig zu groß, aber da die Boxershorts wie eine kurze Hose für mich war, machte mir die etwas nackte Bekleidung nichts aus.
Mit geröteten Augen betrachtete ich mein fahles Gesicht im Spiegel und begann kläglich meine zerzausten Wellen mit den Fingern zu kämmen.

Wie hatte Davis es geschafft bei diesem Anblick ernst zu bleiben?
Wäre ich nicht am Tiefpunkt meines Lebens hätte ich womöglich selbst zu lachen begonnen, aber mir war nicht danach. Wann hatte ich das letzte Mal sorgenfrei lachen können?

Ich vermisse dich, Jane.

***

Als ich aus der Badezimmertür trat, stand ich in dem langen Flur durch den mich Davis vom Schlafzimmer aus geführt hatte. Auch hier waren die Wände in gleichmäßigen Abständen mit Leinwänden behangen und mir war noch nicht die Zeit geblieben sie näher anzusehen.

Wärme kroch von meinen Zehenspitzen durch meinen Körper und erhitzte meine Knochen, die von den langen Nächten unter freiem Himmel noch immer reichlich taub waren. Die letzte Nacht war die erste seit Wochen gewesen, die ich unter einer warmen Decke und in den Armen einer noch wärmeren Person verbracht hatte. Ich sehnte mich nach Davis und nach der Zeit in seiner Geborgenheit.
Es war absurd, aber mir schwirrte die seltsame Einbildung vor Augen, dass nur er in der Lage war, mich zu trösten.
Er, Davis, den ich für sein abstoßendes Verhalten hassen sollte, war es, der mir vom Boden aufhelfen konnte.
Wie war es möglich sich in den Armen eines Arschlochs wohlzufühlen?
Ich hatte mir diese Frage schon oft gestellt, aber es gab keine Antwort. Ich musste wohl wie immer daran festhalten, dass Davis eben nur ein kleines Arschloch war.

Davis Apartment war zweistöckig und lag in einer beachtlichen Höhe, sodass man aus eigentlich jedem Raum durch riesige Panoramafenster über ganz Seattle sehen konnte. Es regnete noch immer und ich hörte die Tropfen beinahe singen und auf dem Boden aufschlagen, direkt neben mir.

Regentropfen waren genau wie Tränen.
Vielleicht waren Regentropfen sogar Tränen. Vielleicht waren Regentropfen die Tränen meiner Familie, die zu mir hinabsah und meine Tränen ebenso wenig ertrug, wie ich die ihre. Ich hatte meine Eltern nie ansehen können, wenn sie geweint hatten.
Janes Tränen hatten mir jedes Mal das Herz gebrochen.
Oh, wie grausam diese Welt doch war.

Ich hielt mich am Treppengeländer fest, als ich die ersten Stufen hinablief und von Oben herab auf den offenen Wohnbereich sehen konnte.
Eine riesige Glaswand erhellte das offene Wohnzimmer in dem eine graue Couch ihren Platz eingenommen hatte. In Regalen Stapelten sich Bücher und mir schien, als hätte Davis auch hier jedes einzelne nach Farbe sortiert.

Alles schien so stimmig. Die graue Küche auf dem braunen Parkettboden und die neutral weißen Wände, die auch unten mit beachtlich schönen Leinwänden behangen waren.

Ich liebte diese Wohnung. Sie erinnerte mich an ein Zuhause von dem ich nie geahnt hatte, dass ich es je wiederbekommen würde.
Es roch nach Heimkehr, nach  Samstagnachmittagen im Oktober, die ich auf dem Sessel am Fenster verbrachte und ein Buch in den Händen hielt.
Vor meinen Augen sah ich plötzlich wie ich zu Stift und Papier griff, mich in dunklen Nächten im Januar auf den Boden setzte und Musik durch die Anlage im gesamten Wohnbereich dudeln ließ, während meine Finger ein farbloses Bild zeichneten.

Die Akustik war ausgezeichnet und auch wenn ich den Song nicht kannte, der gerade in meine Ohren summte, so begann ich ihn zu lieben. Lächelnd lief ich auch die letzten Stufen hinab und blieb direkt vor Davis stehen, der am Absatz gewartet und mich beobachtet hatte.
Ich gestand mir ehrlich, dass ich seine Aufmerksamkeit in vollen Zügen genoss.
Seine feurigen Augen, die mich mit den unterschiedlichsten Gefühlen ansahen und mit ihrem dunklen Moosgrün in einen Bann rissen, dem ich mich nicht entziehen konnte.
Mir stockte der Atem, weil wir uns so unglaublich nahe gekommen waren, ich seinen Atem auf meiner Wange spüren konnte und die Hitze in mir Aufstieg, als er meine Hände griff und mich im Takte der Musik einmal um meine eigene Achse drehte.

Und plötzlich schwebte ich im Himmel. Meine Beine begannen von selbst neben ihm herzulaufen und sich von ihm führen zu lassen.
Seidig schwebten wir durchs Wohnzimmer, meine Hände auf seinen Schultern, seine um meine Taille geschlungen und immer darauf bedacht mich zu nichts zu drängen.

Ich spürte seine Vorsicht.
Aber was für eine Vorsicht?
Das Gefühl frei zu sein berauschte mich so unbändig, dass ich wie von selbst meinen Kopf an seine Brust lehnte und mit ihm tanzte. Und ich liebte diesen Tanz.
Wir waren Amateure, ohne Frage, doch das störte uns nicht.
Wie in jedem Film drehte er mich um mich selbst und wie in jedem Film ließ auch er mich nach hinten fallen und fing mich im letzten
Moment auf.

Und wieder waren wir uns so unbändig nahe. Meine Lippen begannen zu kribbeln und mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich seinen Blick flackern sah, der, wenn auch nur für Sekunden, zu meinen Lippen glitt.

»Mein Pullover steht dir fabelhaft.«

***

»Und du hältst diese Ordnung vollkommen allein?«
Ich war sichtlich überrascht.
»Ja, ich mag es nicht fremden Leuten meine privaten Lebensräume zu zeigen und sie hier putzen zu lassen. Fändest du den Gedanken nicht auch merkwürdig, wenn jemand fremdes deine Hausschlüssel hätte und einmal in der Woche einfach auftauchen und durch dein Haus putzen würde?«
Ich lächelte, als er sich demonstrativ schüttete und dann begann meine Haare zu flechten.

Wir hatten uns nach dem Tanzen und einem wirklich leckeren Frühstück, zu dem mich Davis mehr oder weniger gezwungen hatte, auf die Couch gesetzt und begonnen uns über das Leben zu unterhalten. Ich war entspannt, Davis hatte mich so lange in den Armen gewogen, unseren Tanz damit mehr oder weniger ruiniert, bis auch meine letzte Träne versiegt und mein Schluchzen in der Melodie des Liedes verklungen war.
Ich dankte ihm, dass er bis jetzt keine einzige Frage zu Jane gestellt hatte und mich stattdessen mit jedem Blödsinn ablenkte. Er hatte Erfolg mit seinen Versuchen mich zu trösten und ich dankte ihm im Stillen für wirklich alles.
Für jede Sekunde, die er mich nicht alleine ließ.

»Für mich wäre es ziemlich gruselig, aber ich dachte, das wäre so ein Reiche-Leute-Ding. Jeder Anzugträger hat doch eine Haushaltshilfe, oder nicht?«
»Nein, nur die, die nicht Söhne meiner Mutter sind. Du vergisst, Kleines, dass ich in vollkommen normalen Lebensverhältnissen aufgewachsen bin. Ich habe meine Klamotten in der Schulzeit selbst waschen müssen und auch Hausarbeiten sind nichts Neues für mich. Ich kann das auch sehr gut alleine, ich brauche dafür keinen Butler oder so etwas.«
Ich war wirklich überrascht.
Ich hatte erwartet, dass Davis sich auch diesem Klischee anschließen würde. Ich hatte mich getäuscht.

»Erzähl mir von deiner Mutter«, bat ich leise und sah ihn schwer schlucken, als er zögerte.
Er wollte mich nicht traurig machen.
»Sie ist eine große Träumerin«, fing er schließlich doch an, beobachtete mich dabei aber genauestens.
»Sie träumt von vielen Enkeln und einer großen Familie und das wir in zehn Jahren alle verheiratet in ihrem Garten sitzen und Kuchen essen. Eben wie eine große Familie mit vielen Ästen und Zweigen in den Kulturen. Meine Mutter liebt Menschen und besonders die, die auch etwas zu erzählen haben.
Sie ist sehr neugierig, aber gleichzeitig einer der rücksichtsvollsten Menschen, den ich kenne. Man kann mit ihr über alles reden und mir scheint es manchmal so, als würde sie gekippte Situationen aus vollem Instinkt wahrnehmen und sofort zu retten versuchen. Sie ist ganz explizit gegen Streit und hat keine Probleme damit meine Brüder und mich auszusperren bis wir uns wieder vertragen haben.«
Ich begann zu lachen und stellte mir die weibliche Version von Davis vor, die diesen arroganten Anzugträger in den Garten sperrte, bis er sich entschuldigt hatte.
»Hat es etwas gebracht euch Jungs auszusperren?«
»Nein, meistens nicht. Ich bin jemand der vor seinen Problemen am liebsten wegläuft, genauso wie Daniel. Noch dazu sind wir alle wirklich sehr stur und mit Stolz getrotzt, der uns meistens hat die ganze Nacht draußen verbringen lassen.«

»Klingt, als sei deine Mutter noch dazu sehr radikal.«
Er nickte nachdenklich und grinste dann.
»Manchmal haben wir uns auch entschuldigt und am nächsten Tag die ganze Zeit geniest, damit sie ein schlechtes Gewissen bekam.«
»Das sieht euch ähnlich.«
Ich stieß Davis verscherzt an und schüttelte zeitgleich mit dem Kopf.
Unmöglich.

»Wo wir gerade über deine Familie sprechen. Hattest du nicht eigentlich vor sie zu besuchen? Ich meine, wolltest du nicht mit Daniel zurückfliegen?«
Ich hatte ihn schon gestern fragen wollen, doch mir war keine Kraft gegeben und es war mir auch völlig egal gewesen.

»Oh, ich habe sie besucht, ich war ungefähr fünf Tage bei ihnen, aber dann musste ich aus einem dringenden Grund zurück nach Seattle.«
»Und wieso bist du mir gefolgt?«
Er lächelte leicht, ehe sein Blick ernster wurde und sich ein wenig in der Ferne verlor.
»Du hast nicht ganz verstanden«, begann er und regte sich nervös hin und her. Ich wollte von seinem Schoß aufstehen, doch er zog mich ruckartig zurück, als habe er Angst mich mit nur einem Schritt Entfernung zu verlieren, und legte die warme Decke wieder über uns.
»Der dringende Grund, zurückzukommen, bist du gewesen«, gestand er und sah unsicher zu mir hinab um meine Reaktion einzufangen. Ich war benebelt von seiner rauen Stimme über meinem Ohr, dass ich erst wenige Sekunden später überrascht zu verstehen begann.
Er war meinetwegen hier?

»Und ich weiß, dass du mir das vermutlich nicht glaubst, aber es ist die Wahrheit«, fuhr er fort. »Ich bin zurückgekommen, um mich zu erklären, aber als ich bei euch geklingelt habe, wart ihr bereits verschwunden. Du weißt nicht, wie wahnsinnig es mich gemacht hat, als ich dich und Jane nirgendwo finden konnte. Auf der Arbeit wusste niemand, wo du steckst, nur das du dir Urlaub nehmen wolltest, und in keiner Highschool war eine Jane Evens angemeldet. Auch Brian und Leah hatte keine Ahnung, wo ihr seid und mir ist mit jeder Stunde die Angst gestiegen, dass euch jemand entführt hat oder ihr einen Unfall hattet.«
Er fuhr sich nervös durch die Haare und ich lächelte gequält mit einer Mischung aus Freude, weil er sich Sorgen gemacht hatte, und Schmerz, weil ich aus einem traurigen Grund fortgegangen war.
Seine Stimme klang wirklich besorgt und ein naiver Gedanke schlich sich deswegen in meinen Kopf: Vielleicht mag er mich ja doch ein wenig mehr als andere ...

»Also habe ich, blind vor Sorgen, deinen Vermieter kontaktiert, mir die Tür öffnen lassen und in der Wohnung nach Hinweisen gesucht. Als ich dann das Strandbild auf dem Küchentisch entdeckt habe, konnte ich eins und eins zusammenzählen. Du hast immer von San Francisco geschwärmt und deine Augen leuchteten bei deinen Erzählungen immer, dass ich losgefahren bin und dich tatsächlich gefunden habe. Du weißt nicht, wie erleichtert ich war, als ich dein Kleid gesehen habe und wie erschüttert, als ich sah, wo ich es wiederfinde.«
Er schluckte und seine Augen verschleierten sich, als dachte er an einen der schlimmsten Tage in seinem Leben.

Ich war irritiert. Wieso in Gottes Namen hatte er mich gesucht und wieso war er erschüttert von meinem Anblick? Natürlich konnte ich nicht wirklich fröhlich ausgesehen haben, als er mich gestern auf dem Friedhof gefunden hatte, aber ich dachte vielmehr, dass ihm dieser Anblick womöglich Genüge getan hatte.

Wie viel war ich ihm wert?
Warum verbrachte er Zeit mit mir und begann dann ohne ein Wort mich zu ignorieren?
Er war schon immer ein Mann mit sehr schwankender Stimmung, aber so unfreundlich von heute auf morgen konnte nur jemand sein, der mich verletzen wollte.
Was auch sonst?

Oder etwa doch nicht?

»Ich mag es, wenn du in deiner Blase aus Gedanken davon schwirrst.«
Ich hob meinen Kopf und starrte in das unglaublich attraktive Gesicht des Mannes, in dessen Armen ich lag. Ich versuchte aus seinen Augen schlau zu werden, meine Fragen irgendwie anhand seines Blickes zu beantworten, aber Davis war Meister im Aufsetzten eines Pokerface – ich konnte gar nichts sehen. Weder ob er mit mir spielte, noch ob er mich aus Mitleid hier hielt oder weil er mich vorführen und dazu noch seine luxuriöse Wohnung obendrauf setzen wollte.
Ich wurde nicht schlau aus ihm und ich wollte ihm wegen seiner helfenden Hand vertrauen, aber wer vertraute mir, dass er mich nicht belog. Das hatte er so oft.

»Ich versuche nur aus dir schlau zu werden. Ich meine, ich bin dir so unglaublich dankbar, dass du mich gefunden und zurück nach Seattle gebracht hast. Ich habe die ganze Fahrt verschlafen und dein Hemd ruiniert und jetzt trage ich auch noch deine Pullover, ich weiß nicht wie ich dir jemals danken kann, aber ich weiß auch nicht, warum das alles überhaupt.
Ist das wieder einer von deinen Tricks, der mich zu Boden ziehen soll oder hilfst du mir aus reiner Freundlichkeit? Ich möchte dir so gerne vertrauen, aber als du gegangen bist und danach angefangen hast mich zu ignorieren, hatte ich ehrlich gedacht, dass wir uns nie wieder sehen würden.«

Meine Stimme klang gebrochen und hin- und hergerissen sah ich ihm verzweifelt in die Augen. Er sollte mir das alles endlich erklären, deswegen war er doch hier.

»Weißt du, was die Wahrheit ist?«
Er senkte seinen Blick von einem Gegenstand hinter mir auf meine Augen und durchdrang mit seiner Stimme all meine Sinne, als ich den Kopf schüttelte.
»Die Wahrheit ist, dass ich mir geschworen habe mir niemals das Herz brechen zu lassen.«

Es schien, als sei mit diesen Worten alle Last von ihm gewichen, aber gleichzeitig schien er mehr als verunsichert, wie ich auf diese Worte reagierte.
Ich musste sie erstmal in einen Zusammenhang fassen, um zu verstehen.

»Ich habe mir geschworen, niemals so gebrochen zu enden wie mein großer Bruder, als seine Freundin mit ihm Schluss machte. Ich wollte nicht weinen und mich von meiner Arbeit ablenken lassen und es hat immer funktioniert. Ich hatte keine Freundin, musste mich um niemanden kümmern und da gab es auch niemanden der mich zu wichtig wurde. Es lief alles gut, bis du gekommen bist.
Plötzlich hatte ich Alpträume von deinen Tränen und stand jede Nacht auf der Terrasse um die Welt so zu sehen wie du. Ich habe dich nicht leiden können, so wie du mich nicht, aber gleichzeitig war ich fasziniert von deiner Stärke und Wortgewandtheit.
Ich wollte in deiner Nähe sein, mich von dir anschreien lassen und nichts wollte ich mehr, als das du mir einmal dieses umwerfende Lächeln zuwirfst, dass du immer allen anderen schenkst.
Du bist mir mit jedem Tag ein bisschen wichtiger geworden und irgendwann stand ich in solcher Dunkelheit, dass ich Angst bekommen habe. Ich bin feige, das ist die Wahrheit und genau wegen dieser Feigheit habe ich mich zurückgezogen und begonnen dich zu ignorieren.
Ich dachte, nur so sei es möglich meinen Schwur zu halten und mein Herz zu bewahren, aber mit jedem Meter Abstand wurden die Schmerzen in meiner Brust viel schlimmer, als das Gefühl der Vollkommenheit, wenn ich in deiner Nähe war. Ich habe gedacht so sei es besser für uns beide und vielleicht ist es das, aber ich kann und will mich nicht von dir fernhalten.«

Er verstummte bei meinem Blick und schluckte seine schnelle benommen hinunter.
Ich war benebelt von seinen Worten und benebelt von diesem Geständnis.
Er hatte sich geschworen sich niemals das Herz brechen zu lassen und weil genau ich in der Lage war ihm das Herz zu brechen, hatte er sich zurückgezogen. Aus Unsicherheit.
Ich war wahrhaftig gerührt und geschmeichelt davon, dass er zurückgekommen war und mich anscheinend ebenso gerne hatte, wie ich ihn.

Mein Herz begann zu flattern, als mich die Erkenntnis in lauten Worten traf.
Hier auf seinem Schoß, in seinem Apartment, in seinen Armen.

»Für Abstand ist es längst zu spät, Davis.«

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