24« Davis
»Du bist echt einer der größten Volltrottel, die ich je gesehen habe!«, krähte Daniel als er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ und genau wie ich die Mädchen durch den Rückspiegel beobachtete.
Jane winkte und klammerte sich an Tears, die mir wie eine erstarrte Salzsäule hinterher sah.
Ihre Augen schimmerten voller Enttäuschung und Verletzen und es schmerzte mir in der Brust nicht sofort eine Vollbremsung hinzulegen und sie in meine Arme zu ziehen.
Das Himmelblau in ihren Augen hatte einen viel matteren Schimmer angenommen und es verschwamm dunkel mit jedem Meter den wir uns voneinander entfernten.
Sie sah unglaublich hübsch in ihrer engen Jeanshose und der geblümten Bluse aus, die ihr flatternd um den kurvigen Körper wehte. Ihre Haare waren zu einem Fischgrätenzopf seitlich zusammengeflochten und glänzten in der Abendsonne.
In mir pulsierte ein Kampf zwischen unbändigem Verlangen und plärrender Wut. Wut auf mich selbst, Wut auf den Abstand zwischen uns und Wut auf den Hass in ihrem Blick. Ich hatte verdient, was ich von ihr zu spüren bekam, an unserer Lage war alleine ich schuld, aber es tobte in mir dies nicht wahrhaben zu wollen.
Ich wollte ihr nur nahe sein. Mein Herz verzerrte sich seit einer ganzen Woche nach der Wärme ihres Körpers und ihrem zarten Gelächter in vollkommener Ruhe.
Ich wollte ihre Hand halten, durch ihre himmelblauen Augen in ihre Seele blicken und ihr die Welt zeigen.
In meinem Kopf wusste ich, dass diese Sehnsucht niemals ihren Platz bekommen durfte. Ansonsten würde ich noch anhängiger werden und wo sollte mich das hinführen. Im Umgang mit Frauen war ich, ganz offensichtlich, eine Niete. Wie sollte es dann erst werden, wenn Tears womöglich mehr als nur eine Freundin wäre?
Ich würde ihr niemals geben können, was sie verdiente.
Ich verdiente sie nicht.
»Ich verstehe dich einfach nicht. Du magst sie, sie mag dich - fertig! Warum bist du so hohl und lässt sie einfach stehen?«
Daniels Stimme wurde wieder lauter und wütender und ich konnte ihn verstehen. In seinen Augen sprach nichts dagegen eine Beziehung mit Tears einzugehen. Er konnte sie gut leiden, aber auf eine andere Weise nervte er mich mit diesem Belehren auch maßlos.
Seit einer Woche hörte ich mir seine Standpauken an, sobald ich mittags von der Arbeit kam.
Er war sauer, weil durch meinen Kontaktabbruch auch der seine zu Jane geblockt wurde. Trotzdem sollte er endlich aufhören sich in Dinge einzumischen, die ihn nicht die Bohne anzugehen hatten.
»Reiß dich endlich am Riemen und nimm sie mit nach England. Denk doch mal nach!«, forderte er mich ein letztes Mal auf, als wir uns am Flughafen in die Sicherheitskontrolle einsortierten.
In mir brodelte es. Angestaute Luft platzte und ich drehte mich ruckartig zu ihm um.
»Das tue ich doch. Seit einer Woche mache ich nichts mehr, als an sie zu denken. Ich denke nur noch an sie und mich, aber ich komme nie auf einen Nenner. Und du hast mir deswegen keine Vorwürfe zu machen! Ich schätze deine Meinung, aber diese Angelegenheit geht dich echt nichts an, Daniel, also halt dich da raus!«
Meine Stimme war aufbrausend und gefüllt mit Verzweiflung, Frust und Wut. Ich wollte schreien.
Die Woche über hatte ich Daniel dumm reden lassen, jetzt reichte es mir. Er war mein kleiner Bruder und ich schätze seine Meinung wirklich sehr, aber es gab Dinge aus denen er sich lieber raushalten sollte.
Mit einem letzten Blick wies ich ihn an weiterzugehen und folgte ihm stillschweigend zum Flugzeug.
Die dreizehn Stunden Flug saßen wir, ohne ein Wort zu reden, nebeneinander und starrten in die Ferne. Vor meinen Augen kicherte Tears, als sie das erste Mal in meinem Auto saß und sich über das schnelle Tempo freute, mit dem ich über die Straßen gebrettert war.
Ihre himmelblauen Augen hatten an dem Tag so unglaublich schön geglänzt, dass mehrere Schauer über meinen Rücken geflossen waren und meine Glieder aufkochten. Sie war so bezaubernd und ich konnte nicht verhindern zu lächeln, wenn ich meine Gedanken bei ihr ließ.
So fiel mir vor lauter Gedanken auch gar nicht auf, dass wir landeten und sich die anderen Fluggäste schon längst aus dem Flugzeug bewegt hatten. Eilig schnappte ich mir mein Handgepäck und folgte Daniel nach draußen.
Er bestrafte mich mit Schweigen, aber das war mir recht.
Die Taxifahrt über sagten wir kein Wort zueinander und als wir endlich vor dem kleinen Haus im verregneten Bath ankamen, stieg Daniel eilig aus und lief ohne Begrüßung an Mum vorbei ins Haus nach oben.
Ich hörte seine Tür knallen, als ich unsere Koffer im Flur abstellte und mich dann erst an meine überraschten Eltern wandte, die mich erfreut über mein Kommen in die Arme schlossen.
Erleichtert, endlich Daheim zu sein, umarmte ich meine Mutter und begrüßte Gray, der bereits heute Morgen abgeflogen war und dementsprechend gute Laune hatte. Nach meiner Vermutung hatte er entweder den gesamten Flug oder den Tag über geschlafen.
Das letzte Mal hatte ich meine Eltern im Februar gesehen und das war Monate her. Ich vermisste die Zeit, in der ich noch hier gelebt und zur Schule gegangen war, selten, aber immer, wenn ich erst nach Monaten wieder herkam, fiel mir doch auf, dass ich mich nach einem Aufenthalt gesehnt hatte.
Es war, wie ein Sack voller Aufwand der von meinen Schultern fiel, sobald ich englischen Boden betrat und mich Zuhause aufhielt.
Von einer Sekunde auf die andere war ich ein vollkommen normaler Mensch, der sich weniger auf die Öffentlichkeit zu konzentrieren hatte.
Natürlich kannten die Briten mich und meine Ware lieferte sich auch hierher, aber der Andrang von Paparazzi war auf der Insel nur halb so groß und das fiel sofort auf.
Ich liebte England und war froh hier aufgewachsen zu sein. Einige meiner Freunde waren nach London gezogen, aber die meisten hatten sich in ihrer Heimat niedergelassen. Ich wollte die nächsten Tage nach ihnen sehen.
»Sag mal, täusche ich mich oder ist Daniel nicht nur müde, sondern auch wütend?«
Gray öffnete mir eine Flasche Bier und reichte sie mir lächelnd, während ich ihm und meinen Eltern in den Garten folgte. Auf der Terrasse standen leere Teller und sie schienen schon eine Weile hier gesessen zu haben. Ich holte mir ein Sitzkissen und setzte mich neben meinen Bruder nur um dann erst mal die unglaubliche Stille zu genießen.
Grillen zirpten und von ganz weit weg hörte man ein Auto, aber ansonsten war es einfach ruhig. Keine lauten Touristen, keine Krankenwagensirenen und keine Reporter. Hier war ich einfach nur Davis Harson und das Gefühl von Freiheit ließ mich sogar Tears für eine Weile vergessen. Endlich.
»Soll er doch sauer sein«, brummte ich und trank einen Schluck Bier.
Meine Augen hielt ich genüsslich geschlossen und konnte so nicht sehen, ob meine Eltern mich tadelnd musterten.
»Hattet ihr Streit?«, fragte Mum schließlich und hob eine Augenbraue, als ich den Kopf schüttelte.
»Nein, wir hatten keinen Streit. Ich habe Daniel lediglich aufgeklärt, dass ich erwachsen bin und selbst weiß, was ich zu tun und zu lassen habe und was gut und schlecht ist«, antwortete ich und sah erstaunt auf, als mir sofort jemand ins Wort fiel.
»Das, was du hier veranstaltest, ist alles andere als erwachsen.«
Ich rollte mit den Augen.
»Daniel, ich bin einfach nicht gut für sie, okay? Sie hat wegen mir nur zu leiden, das hat sie nicht verdient.«
»Wenn du nicht willst, dass sie weint, dann nimm deine Beine in die Hand und flieg auf der Stelle zurück, ansonsten leidet sie auch wegen dir!«
»Ich werde ganz bestimmt nicht zurückfliegen!«, protestierte ich ärgerlich und verstand kaum noch, warum es ihm überhaupt so wichtig war. Lag das alles nur an Jane?
»Sorry, Jungs, aber wovon sprecht ihr überhaupt?«
Mum, Dad und auch Gray sahen verwirrt zwischen uns her und blieben schließlich an mir hängen. Ich seufzte.
»Ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander.« Gray begann zu schmollen, als ich meinen Mund öffnete und ihn dann wieder schloss. Wenn ich jetzt erklären würde worum es ging, konnte ich mich auf eine Woche voller Fragen gefasst machen.
Mum würde mich jeden Morgen damit konfrontieren und ich konnte gut auf ihre Lehren verzichten. Ich wollte erst einmal selbst verstehen, was Sache war.
»Ach, Gray-Mausi, bist wohl ein wenig auf dem Schlauch stehen geblieben«, triezte Daniel seinen älteren Bruder plötzlich voller Freude und lachte, als ich Gray in die Backe kniff.
»Selber schuld, wenn du dich nicht mal meldest«, brachte ich ein und verschränkte meine Arme vor der Brust, ganz sicher, dass ich heute Abend kein Wort über Tears verlieren würde. Sie war tabu.
***
»Willst du mir jetzt endlich erzählen was dir auf die Seele drückt, Davis?«
Ich erschrak fürchterlich, als ich die Gestalt im Liegestuhl unseres Gartens wahrnahm und bei näherem Hinsehen meinen Bruder in Boxershorts unter dem bewölkten Sternenhimmel identifizieren konnte.
Sein Blick war starr auf die Hecke gerichtet, die unseren Garten vor neugierigen Blicken schützte und das gesamte Grundstück umgab. Seine Arme umschlangen seinen nackten Oberkörper als sei ihm kalt, dabei war die Nacht ungewöhnlich windstill und so trüb, dass ich ohne Gänsehaut ebenfalls nach draußen trat und mich in einen Stuhl neben seinem fallen ließ.
Eine Weile sagte niemand etwas und ich genoss das stille Gefühl, endlich wieder neben meinem Bruder sitzen und mich von der Außenwelt abspeisen zu können, einen Moment frei sein.
Gray und ich hatten uns immer schon gut verstanden. Er war mein Vorbild und ich fühlte mich damals wie auch heute von seinen Erfahrungen belehrt und vorgelebt.
Vielleicht war das der Fehler.
Vielleicht lag darin das Problem, dass ich mich selbst so blockierte und mich nicht mehr in Tears Nähe traute.
Obwohl trauen wohl das falsche Wort für die Beschreibung unserer Situation war.
Grays Highschool Leben entsprach meiner Meinung nach einem Klischee. Wir Harson-Drillinge waren alle, ohne dabei eingebildet klingen zu wollen, mit ausgezeichneten Genen geboren, die die Frauenwelt ein wenig Karussell fahren ließen, aber während Gray das damals ausgenutzt hatte und auch Daniel im Kontakt mit Mädchen stand und genoss, dass sie ihn anhimmelten, war ich schon immer verklemmt und verschlossen gegenüber den Mädchen, die mir hübsche Augen machten.
Mir kam einfach nie in den wollenden Sinn, warum ich mich in das Klischee einzureihen hatte, um wie alle anderen als Player durchzugehen. Sich durch die Schule zu vögeln, schien mir schon damals nicht wirklich reif und mir gefiel auch nicht, in welche Schublade Jungen wie ich gesteckt wurden.
Wir waren Hormon gesteuerte Typen, die jedes Mädchen nach Lust und Belieben anbaggerten und sie am nächsten Morgen fallen ließen.
Aber so wollte ich nicht sein, so trügerisch und notgeil.
Und das war wieder ein Grund, warum ich allen Mädchen allerhöchstens meine Distanz angeboten hatte. Um sie selbst zu schützen und um mich vor Vorurteilen und Tuscheleien zu bewahren.
Es gab nie etwas daran zu bereuen und auch meiner Mutter, die oft sehr verletzt wegen meiner Frauenabneigung gewesen war, konnte es letztendlich nur recht sein, dass ihr Sohn kein Player war.
Mum hatte schon immer klar gestellt, dass sie sich eine große Familie mit zahlreichen Enkeln wünschte. Ihr erster Enkel war eine grelle Freude, doch ihre Stimmung hielt sich wegen meiner miesen Einstellung immer in Grenzen.
Es enttäuschte sie auf eine Weise, dass ich nie auch nur ein Mädchen mit nach Hause brachte oder gar ausging, aber das würde sie nie und nimmer zugeben.
»Mir drückt nichts auf die Seele.«
Das war nur eine halbe Lüge, denn der eigentliche Schmerz zog sich mitten durch mein Herz.
Ich wollte es nicht wahrhaben.
In mir schrie es danach eine unergründliche Erklärung für meine Schlaflosigkeit zu finden, dabei lag offen auf der Hand, dass mich ganz bestimmte Augen und ein ganz bestimmtes rotes Kleid die ganze Nacht auf Trab hielten.
Heute war Dienstag und das bedeutete, dass ich schon seit vier Tagen ununterbrochen wach lag und darüber nachdachte, was zwischen Tears und mir war.
Ich spürte eine unbändige Anziehungskraft, deren Sehnsucht und Verlangen ich gerne genauer definieren wollte, aber es war nichts von meiner Zuneigung gegenüber dieser Frau zu erklären.
Es war einfach so.
Es war einfach so, dass Tears das erste Mädchen in meiner Lebensgeschichte war, die mir ein wenig mehr als nichts bedeutete.
Ein wenig viel mehr als nichts.
Ich dachte in jeder freien Sekunde an sie. Die Zeit in England ließ mich stärker über sie nachdenken, obwohl ich mit dem spontanen Flug das Gegenteil hatte bewirken wollen, und sie schwirrte mir ununterbrochen im Kopf herum.
Es war so viel in so kurzer Zeit geschehen und mir klappte noch heute der Mund auf, wenn ich an ihre Reinheit und Unschuld dachte, mit der sie mich umhaute.
Wie oft hatte sie mir meine Dummheiten schon verziehen?
Wie oft war sie von meinen Fehlern aufgestanden und hatte über sie hinweggesehen, um bloß nicht das Lächeln auf den Lippen zu verlieren?
Ich hatte Angst vor ihrer Stärke, denn es war wie Jane es gesagt hatte: »Tears ist unglaublich tapfer, aber wie lange noch?«
Ich hatte ihr geschadet, seit wir uns das erste Mal begegnet waren und auch wenn das nicht der ursprüngliche Auslöser meines Gehens gewesen war, fiel mir diese Tatsache wie Schuppen von den Augen.
Ich war nicht gut für Tears. Sie verdiente jemanden, obwohl mich dieser Gedanke allein verrückt machte, der ihr mit Liebe und Offenheit gegenüberstand, wusste, wann er sie in den Arm zu nehmen und wie er sie zu küssen hatte, um sie alles vergessen zu lassen.
Wie sollte ich ihre Tränen vergessen lassen, wenn ich noch nie ein Mädchen geküsst hatte?
Ich hätte von Anfang an meine kalten Augen spielen lassen sollen, als mir ihre Worte zu Herzen zu nehmen und dem Aufbau von Kontakt entgegenzubeten.
Ich hatte wieder und wieder Fehler gemacht und jetzt steckte ich in einem Dilemma, dass mir oder ihr von allen Seiten und Optionen Schmerzen zufügte.
Wir waren schon viel zu weit herausgeschwommen, als umkehren zu können. Jetzt ertrank einer von uns beiden darin.
»Und warum bist du dann hier?«
»Weil ich nicht schlafen kann.«
»Warum kannst du nicht schlafen?«
»Weil ich schlecht geträumt habe.«
»Und was war es, dass es dir wie ein Alptraum vorkam?«
Ich richtete mich auf und musterte Gray von der Seite. Er starrte noch immer auf die Hecke. Seine Lippen waren leicht geöffnet und er schien sich seit Tagen nicht mehr rasiert zu haben. Er sah wie immer aus. So, wie ich meinen Bruder kannte.
Ein lebensfroher Mann.
Doch auch ihn schien die Nacht nicht schlafen lassen zu wollen, denn er war nicht vollständig bei der Sache.
Er wunderte sich nicht einmal, als ich ihm nicht antwortete und fuhr nach einer Weile der Stille selber fort.
»Hattest du schon mal das Gefühl in einer Zwickmühle zu stecken und nicht mehr zu wissen, was du als Nächstes tun sollst, um eine gekippte Stimmung zu retten?«
Meine Erinnerung fiel viel zu schnell auf die Nacht, in der ich Tears das zweite Mal nach Hause gebracht hatte.
»Kannst du mich umarmen?«, hatte sie gefragt und mir damit viele meiner Fragen im Kopf beantwortet. Ich hatte nichts sehnlicher tun wollen und doch war ich unsicher gewesen, wie sie auf meine Nähe reagieren würde. Ich hatte in Gedanken mit einem Haufen von Abfuhren und Ohrfeigen gerechnet, dazu wüste Beschimpfungen, die ihre Nase gefärbt und mich damit köstlich amüsiert hätten.
Es war doch niedlich, wenn Tears sich aufregte, obwohl wir uns bisher wirklich nur über satte Dinge gestritten hatten, bei denen Belustigung keine Rolle zu spielen hatte.
»Ein Gefühl der Unsicherheit, ob du mit einer bestimmten Aktion alles retten oder ruinieren wirst?«
Ich nickte unmerklich. Ich kannte dieses Gefühl und je mehr Gray davon sprach, desto überdeutlicher blinkte ein Schild in meinem Inneren auf und verdeutlichte fest, dass ich schleunigst über meine Abreise nachzudenken hatte.
Die Frage war nur, ob ich mit einer Entschuldigung alles zwischen Tears und mir richten oder ruinieren würde. Ein Stich stach mir in der Brust.
»Ich habe mich mit Mira gestritten«, gestand er ehrlich und klang plötzlich unglaublich verletzt.
Und wieder sah ich den weinenden Gray vor mir, der voller Herzschmerz Kristen hinterher weinte, und verband mich seiner Situation.
Schon wieder war er traurig wegen einer Frau und erinnerte mich damit, aus reiner Sicherheit, an meinen Schwur.
»Ich weiß gar nicht mehr worum es ging, wir waren einfach wütend und haben uns angeschrien und jetzt bin ich weg und weiß nicht was ich machen soll. In mir schreit alles sie anzurufen, aber was, wenn sie mir dann nur noch mehr Vorwürfe macht und mich anschreit ihr mehr Zeit zu geben?«
Er raufte sich durch die Haare und seufzte laut. Ich wusste nicht, dass er Probleme in seiner Ehe gehabt hatte und mich ließ nicht kalt, dass ihn dieser Streit so hinabzog.
Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich nicht zu Gray hinauf und schaute mir seine Probleme von der Ferne an, dicht bedacht nie wie er in eine Pfütze zu treten, nein, heute standen wir auf einer Stufe und sahen uns gegenseitig in die Augen. Wir standen in einer Pfütze, die uns gleich machte.
Er war mir keinen Schritt voraus, er stand direkt neben mir.
»Ich habe wenig Erfahrung mit Frauen, Gray, aber aus reinem Bauchgefühl bin ich mir sicher, dass Mira gerade jetzt am anderen Ende der Welt sitzt und sich dasselbe Fragt: Sollte ich ihn anrufen, oder lieber nicht?
Sie hasst dich nicht Gray, worum auch immer es geht, ich bezweifle, dass dieser Streit eure Liebe trennen wird. Ihr seid verunsichert voneinander, aber jeder von uns sucht nach Frieden und wenn du ehrlich bist, dann wird sie deinen Anruf sofort entgegennehmen. Niemand will sich freiwillig streiten.«
Er sah mich einige Sekunden voller Unglauben an. So, als sei es unmöglich, dass diese Worte von mir stammen konnten. Als er dann aber sprach, schien er mir doch ohne Umschweife Glauben zu schenken.
»Dafür, dass du so wenig Kontakt zur Außenwelt gehalten hast, bist du wirklich ein Alleswisser, Kleiner.«
Er grinste schief und schien weiter über meine Worte nachzudenken.
»Streitereien sind normal in Beziehungen. Erst durch Streit und folgende Versöhnung spürt man wieder, warum man einen Menschen wirklich liebt. Erst wenn Vergebung die Räume füllt«, philosophierte ich kitschig und rollte lachend mir den Augen, als Gray mich verständnislos ansah.
Ich schien die Situation lächerlich ruiniert zu haben.
»Ich nehme alles zurück«, patzte er schmollend und starrte wieder Löcher in die Hecke.
Ich grinste noch eine Weile in die Stille und fasste mich schließlich wieder.
»Ich will eigentlich nur sagen, dass sie ganz bestimmt schon darauf wartet, dass du anrufst und ihr euch versöhnen könnt. Aber wenn du Mist gebaut hast, Gray, dann komm nicht auf die Idee dich zu entschuldigen, sondern darauf, dass du niemals denselben Fehler zweimal machst.«
Ich lächelte über meine eigenen Worte und dachte wieder nur an Tears. Genau das hatte sie mir an einem Abend eingeflochten, als ich schlecht über Frauen gesprochen hatte. Sie hielt nichts von Entschuldigungen, weil sie angeblich nicht mit Ernste gefüllt waren. Tears hielt mehr von einer Verbesserung auf Lebzeiten und irgendwo machte das sogar Sinn.
Ich mochte Entschuldigungen von dort an auch nicht mehr.
»Bevor ich irgendwas mache, erzählst du mir erstmal, wer dir das eingeflaust hat und wann ich diesen Jemand kennenlerne. Du bist ja ein völlig neuer Mensch, Davis, alles gut bei dir?«
Mein Grinsen verschwand.
»Gut« war ein Begriff mit dem ich mich in letzter Zeit weniger identifizieren konnte. Gut ging es mir ganz und gar nicht.
Meine Welt war alles andere als gut.
»Sie heißt Tears«, flüsterte ich nach einer Weile in die Stille.
In mir war sich plötzlich alles sicher, Gray von ihr erzählen zu müssen. Er war schließlich der Hintergrund meines Single-bleiben-Schwurs und somit auch der einzige, der mich davon endlich abbringen konnte.
»Ich habe sie vor einigen Wochen kennengelernt, als sie mir eine ganze Flasche Wein auf den Anzug gekippt hat. Wir haben uns von diesem Zeitpunkt an gehasst. Gleich am nächsten Tag sind wir ineinander gelaufen und haben angefangen zu streiten, Tage später hat sie mir meinen Cocktail geklaut und wir haben uns wieder gestritten, bis sie mich sogar aufgefordert hat, sie mit Besteck zu bewerfen. Da hat alles irgendwie angefangen. Sie hat geweint und die Gabel in ihrer Hand hat gezittert und tief in mir drin hat sich alles plötzlich wie ein Puzzle ineinander gefügt.
Ich habe sowas noch nie gespürt, aber seitdem denke ich ununterbrochen an sie. Ich wollte ständig in ihrer Nähe sein, sie beobachten, ihre Tränen fallen hören, mich ihres Lebens vergewissern. Sie hat von Tag eins jegliche Interesse auf sich gelenkt. Ich habe noch nie von einem Menschen so viel über das Leben gelehrt bekommen, und überall wo sie war, wollte ich auch sein.
Eines nachts habe ich sie vor einem Typen gerettet und von dort an hatten wir diverse Gespräche über das Leben.
Wir sind uns näher gekommen. Daniel und ihre Schwester sind Freunde geworden und wir sind ein paar Mal zusammen ausgegangen.
Sogar unsere Freunde sind mittlerweile befreundet.«
Ich machte eine kleine Pause, um mir dieser Revue bewusst zu werden. Gray hörte stumm zu und zeigte mir nur durch seine Ruhe die Anteilnahme dieses Monologs.
»Vor anderthalb Wochen habe ich sie einfach stehen lassen. Ich habe mich nicht von ihr verabschiedet oder es hinter mich gebracht ihr zu erklären, warum aus dieser nie begonnenen Sache nichts werden kann. Ich habe sie einfach sitzen lassen und sie begonnen zu ignorieren. Verdammt feige, ich weiß, aber ich konnte nicht anders.
Wie soll ich ihr vertrauen?
Mein Herz schreit jede Nacht nach ihr, aber mein Kopf misstraut ihr wie jeder anderen. Was, wenn sie nur mein Geld will? Nur Erfolg und meine finanzielle Absicherung?
Mir fehlt einfach das Vertrauen, um mich auf sie einzulassen.«
Auch ich war heute Nacht ehrlich. Und es tat gut. Es tat verdammt gut sich alles aufgestaute von der Seele zu reden.
»Da ist noch mehr«, stellte Gray bei einem Seitenblick auf mich fest.
Er war wirklich gut.
»Mir fehlt Vertrauen und der Mut meinen Schwur endlich zu brechen.«
Die Luft wich mir aus den Lungen. Ich hatte nach satten acht Jahren endlich ausgesprochen, was mich mein halbes Leben schon prägte.
Gray zog seine Augenbrauen zusammen.
»Was für ein Schwur?«
Ich lächelte bitter und sah verloren in die Hecke.
»Hast du dich nie gefragt, warum ich keine Interesse an Mädchen habe?«
Er zuckte mit den Schultern und starrte verständnislos in meine Augen.
»Ich habe Frauen nicht nur uninteressant gefunden, sondern mich außerdem bewusst von ihnen ferngehalten, weil ich mir geschworen habe niemals an Herzschmerz zu ertrinken.«
Mein Blick glitt zurück zu meinem großen Bruder und als sich unsere Augen in der Dunkelheit trafen, legte ich klar auf den Tisch, worum es mir in meiner Rede ging und vor allem um wen. Gray war Grund für all die Folgen, die ich mir selbst zuschusterte.
Und er wusste es nicht einmal.
»Ich habe mir geschworen niemals so zu enden wie du, als Kristen mit dir Schluss gemacht hat.«
Jetzt war es raus.
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