2« Davis


Die Konferenz verlief tatsächlich gut und ich nickte in die Runde, als meine Partner den Saal verließen.
Der angehende Deal war nun gesichert und die gemachten Baupläne waren soweit dingfest, dass die Abrissarbeiten gleich nächste Woche beginnen würden.
Nach meiner gesunkenen Laune hatte mich dieses qualifizierte Gespräch wieder an die Mitarbeiter erinnert, die es wirklich verdient hatten, an meiner Seite zu stehen.
Ich war zufrieden und ließ für den restlichen Arbeitstag Gnade vor Recht walten. Morgen würde sich der Wind bestimmt ändern und vielleicht kam mir der nächste Trottel vor die Augen, der das Stehen auf dieser Ebene nicht verdient hatte.
Sie sollten über Nacht zu beten beginnen, dass es morgen zu regnen beginnen würde, denn dann konnte ich am ehesten von einer Kündigung absehen.

Ätzend, diese Sonne.
Ich verzog angewidert das Gesicht, als ich durch die automatisch öffnenden Glastüren der Firma nach draußen trat. Der Asphalt hatte sich erwärmt und kein Flecken dieser Erde blieb mit Schatten vor der Hitze verschont.
Die Sonne blendete, sobald ich das Gelände verließ und über den Bürgersteig direkt auf den haltenden Wagen zulief.

Einmal mehr dankte ich James für die weißen Firmenwagen und ließ mich erleichtert auf die Rückbank des Mercedes fallen.

»Guten Abend, Sir.«

Ich nickte dem Fahrer bloß zu und ließ ihn seine Arbeit tun.
Bei diesem schwülen Sommerwetter hatte der Abend keinen Unterschied zum Nachmittag. Kein Lichtunterschied, keine gesunkene Temperatur. Ein Grund mehr, warum ich auch helle Tage hasste.
Es sollte endlich Herbst und kühler werden, frühe Dunkelheit, kalte Vormittage und Regen ohne ein Ende. Ich vermisste diese Zeit maßlos.

»James, ich will Sie um neun Uhr vor dem Restaurant stehen sehen und bitte halten Sie mir die Presse vom Hals.«
»Verstanden, Sir. Niemand wird sie heute Abend belästigen. Machen Sie sich keine Sorgen.«

Mit ruhigen Augen sah mich James durch den Rückspiegel an und nickte versichernd, als ich die Tür zum Aussteigen selbst öffnete.
Ich verließ mich auf ihn und ich konnte nicht behaupten, mich jemals an ein leeres Versprechen von ihm erinnern zu müssen.
Er wusste, was er tat und nur darum war er mein persönlicher Fahrer und Bodyguard. Ich vertraute ihm und es lohnte sich.

»Ich mache mir keine Sorgen.«
Der Spruch glitt über meine Schultern nach hinten und ohne ihn anzusehen, wusste ich, dass er mich gehört hatte.
Ohne Kommentar ließ ich ihn in der Dämmerung stehen und betrat das zierliche Restaurant in Downtown, in das man mich eingeladen hatte.

Ich mochte Geschäftsessen nicht sonderlich. Die meisten Tischnachbarn hatten zwar verhältnismäßig gute Tischmanieren, allerdings unterhielt man sich meistens über die Belange des Lebens und ich hatte wenig Lust mich über Autos und mein Geld zu unterhalten.
Am abwegigsten schienen mir die Gespräche über Frauen und das vergangene Football Match.
Mir kam nicht in den Sinn, Fremde zu bewerten, schon gar nicht die Begleitungen meiner Geschäftspartner. Diese hatten in meinen Augen nicht mehr, als meinen Namen zu kennen, immerhin standen wir in keinerlei Bindung zueinander und hatten uns deswegen nicht über Privates zu unterhalten.
Ich war kein Mensch, der gerne von sich selbst sprach, schon gar nicht in solchen Kreisen.
Mein Leben ging niemanden etwas an und man hatte in Gesellschaft zu lernen, seine Zunge zu hüten. Es war erstaunlich, wie freundlich man doch miteinander umging, nur um am nächsten Tag in einem Interview Rache zu schieben.
Aus Sicherheitsgründen ließ ich darum viele Fragen offen stehen und trank ohne Worte meinen Wein, damit keine meiner Antworten gegen mich selbst verwendet werden konnte.
Ich hatte mir damit schon einiges an Ärger erspart und war sichtlich zufrieden, in den Medien als sehr wortkarg bezeichnet zu werden.
Die Leute kannten mich nicht.

Keine Lebensdaten standen im Internet über mich vermerkt, weder mein Alter noch vergängliche Beziehungen oder Familienbezüge. Meine Herkunft war ein Rätsel und auch geschichtlich gab es nicht vieles über mich zu wissen.
Es gab einige Gerüchte, natürlich, aber keine Beweise, die sich aus meiner Person schließen ließen.

Ich war unantastbar und das verschaffte mir den nötigen Respekt und Ruhm in der Branche.
Meine Partner und Konkurrenten hatten Furcht vor meinem Erscheinen, denn sie kannten nicht mehr als meine Spielzüge und die Direkte, mit der ich Geschäfte anging und damit erfolgreich war, um das beste Ergebnis zu erzielen. Ich spielte in der obersten Liga und dabei war ich manchmal bis zu dreißig Jahre jünger als meine Gegner. Sie liefen auf kaltem Eis, wenn ich mich in den Raum begab und jedem war klar, dass sich mein Unternehmen mehr und mehr von der Konkurrenz abhob. Ich wusste, was ich tat und auch mein Ruf war rein, dass mich nichts aufhielt.

Ruhe kehrte an den besetzten Tischen ein, als ich dem Kellner meine Karte vorhielt und mich von ihm durch den Saal dirigieren ließ.
Gespräche verstummten, das Geschirr hörte auf zu klappern und kaum ein Auge ersparte sich meinen Anblick. Ich seufzte innerlich und schlug meine Augen zu Boden, um die stillen Betrachter, nervige Mitbürger, aus meinem Blickfeld zu sperren. Ich hatte keine Lust, mich ihrer anzunehmen und auch den Kellner ließ ich ohne Dank im Türrahmen stehen, als ich mich in den extra Saal an die Tafel begab.
Auch hier verstummten Gespräche, aber ich konnte mich vor niemandem retten.

Stühle zogen sich zurück, sperrige Anzugträger schoben sich vor mich und streckten mir ihre Hand zur Begrüßung aus. Ungern nickte ich und grüßte zurück, um meine Augen dann zum Nächsten gleiten zu lassen und auch seine schwitzigen Hände entgegenzunehmen. Ich lächelte sekündlich in die Runde, als man mich an die Tafel bat und ich mir in der Mitte des Tisches einen Platz anbot.

Ein fremdes Ehepaar saß neben mir und ich ersparte es mir, aus Höflichkeit, die Hand der Dame zu küssen, als man mich über den Teller hinweg begrüßte.
Ihre anzüglichen Blicke entgingen mir über den Verlauf des Abends hinweg nicht, aber daran war ich mittlerweile gewöhnt.
Hätte ich Interesse gehabt, hätte sie an meiner Seite gesessen und ich konnte auch, ohne es je probiert zu haben, genau sagen, dass sie mir mit jeder Aufforderung um den Hals gefallen wäre. So waren Geschöpfe wie sie. Sie fraßen einem aus der Hand. Naiv – durch und durch.

»Also, Harson. Was hast du schlaues Köpfchen in Ausblick?«
Ich hob meinen Blick und sah mich nach meinem Gesprächspartner um. Links gegenüber.
»Dr. Wilson, schön Sie in der Runde zu sehen.«
Ich zog meine Lippen für ein Lächeln in die Höhe.
»Was sollte ich in Ausblick haben?«, stellte ich ihm eine Gegenfrage und entging damit einer direkten Antwort. Ich kannte ihn. Der pummelige Schnauzbart hatte, seit wir einander vor Monaten auf einer Gala vorgestellt wurden, ein, gieriges Glitzern in den Augen und ich konnte die Hoffnungen in seinen Augen förmlich spüren. Er war auf Geld aus. Grüne Scheine beglückten seine widerliche Persönlichkeit und auch wenn ich ihn nicht sonderlich gut leiden konnte, unterhielten wir uns verhältnismäßig oft. Das Gespräch ging nie von mir aus, doch er merkte nicht, wie unangebracht und nutzlos sein Kommen war. Ich würde ihm auch in naher Zukunft keinen Cent geben und auf eine Kooperation mit seiner schmierig schmutzigen Hotelkette war ich auch nicht aus.
Es gab bei ihm einfach nichts zu holen. Er hatte keinen Nutzen in meinem Geschäft, wünschte sich vermutlich aber das Gegenteil dieser Tatsache.

»Nun, gibt es keine nahen Ziele? Woraus schöpfst du gerade im Geschäft? Läuft's gut?«
Es ist nie besser gelaufen, mein Lieber.

Ich spürte seine Verlogenheit. Er suchte sich selbst einen Nutzen aus meinen Antworten, aber die würde er nicht bekommen.
Ich war es leid, die Leute glauben zu lassen, ich sei ihr Freund. Wir waren keine Freunde, wir waren Kontrahenten und die lächelten nicht.

Selbstsicher lehnte ich mich in dem mit samt überzogenen Stuhl zurück und sah ausdruckslos zu Wilson. Das Weinglas in meiner Hand kippte von links nach rechts und die offensichtliche Pause des Gesprächs ließ mein Gegenüber stockend schlucken. Genau an diesem Punkt wollte ich ihn haben.

»Natürlich habe ich Dinge in Ausblick und ich kann Ihnen versichern, dass man sich um die Existenz meiner Firma in Zukunft keine Sorgen zu machen braucht. Es ist alles in Ordnung.«
Ich hob das Glas auf Höhe meiner Lippen und trank genüsslich einen Schluck, als man meine Andeutung verstanden hatte.
Nun schien dem Doktor das Essen und auch unser mickriger Smalltalk vergangen zu sein.

»Das klingt doch sehr vielversprechend.«
Seine gute Laune sank und in seiner Stimme schwirrte ein unsicherer Unterton. Nun war ich es, der innerlich zu lächeln begann.
Davon bekam Wilson jedoch wenig mit. Dieser machte sich vermutlich gerade Gedanken, auf welches seiner Gebäude ich es abgesehen hatte. Auf keines – Igitt!
Aber das musste ja niemand wissen.

»Wenn Sie meinen«, führte ich unbeirrt fort und stellte mein Glas zu Tisch.
»Und wie sieht es bei Ihnen aus? Haben Sie vor, demnächst neu zu bauen?«
Es interessierte mich wenig, doch ich wollte keinen unglaublich schlechten Ruf hinterlassen und zu meiner ungenierten Art auch noch unhöflich sein. So lief das Geschäft nicht, man hatte Manieren zu haben.

»Nein, nicht so schnell. Ich will mich in nächster Zeit auf Bestehendes konzentrieren und Fehler im System decken. Das wird vor einem neuen Bau nötig sein«, erzählte er mir und wandte sich dann wieder an seinen noch gefüllten Teller.
»Du willst also renovieren, Charles?«, amüsiert und mit erhobener Augenbraue beteiligte sich nun auch meine direkte Sitznachbarin am Gespräch.
Ihr blaues Kleid war mit unzähligen Pailletten übersehen und es stach mir glatt in den Augen, sie nur für Sekunden anzusehen. Ich sah weg, aber konnte dennoch ihr verzogenes Lächeln sehen, mit dem sie sich ihren Lippenstift versaute, als sie fortfuhr.

»Das hat deine kleine Kette auch wirklich nötig«, bemerkte sie und zog sein nicht vorhandenes Ansehen damit einmal durch den Dreck, ehe sie sich zu mir drehte und mir die Hand hinhielt.
»Entschuldigen Sie, Mister Harson, dass ich Ihr Gespräch so tadellos unterbrach, ohne mich vorzustellen, Marilyn Towers mein Name.«

Nun kam ich um einen Handkuss nicht mehr herum und so führte ich ihren Handrücken entgegen meiner Lippen, ehe ich ihre Hand losließ und versuchte, mich ihrem Grinsen zu entziehen.
Towers. Dieser Name war ein Begriff und so hatte ich also die Ehre neben der Frau eines minder erfolgreichen Bauingenieurs zu sitzen. Oh, Freude.

»Machen Sie sich um ihr Verhalten keine Sorgen. Ich freue mich, mit ihnen Bekanntschaft machen zu dürfen. Dabei scheinen Sie mich bereits zu kennen.«
Ich gewann mich eines freundlichen Blickes und versuchte mich von dem schrecklichen Kleid nicht zu sehr blenden zu lassen.
Es brannte mir in den Augen.

»Oh, wie könnte ich nicht. Ich denke, jeder in diesem Raum ist sich Ihres Namens sicher.«
»Meinen Sie?« Der Doktor ergriff wieder das Wort und brach somit die Schmeicheleien ihrerseits ab. Er klang verbittert und hämisch und unser Gespräch schien ihn auf eine Weise zu ärgern, die mir vollkommen egal war.
»Was ist mit der dümmlichen Bedienung?«, fragte er weiter und ergriff amüsiert einen Löffel.

Ich konnte gar nicht reagieren, da warf er ihn schon über den Tisch in meine Richtung. Der Löffel flog an mir vorbei und landete unweit hinter mir. Ein breites Lächeln zog über seine Lippen und ehe ich verstand und das Zurückschieben meines Stuhls verhinderte, um zu sehen, was er damit hatte bezwecken wollen, flog mir die geöffnete Flasche Wein bereits auf den Schoß.

Rote Flüssigkeit sickerte mir über die Hose und die Flasche fiel ohne meine Kontrolle zu Boden und brach in Scherben auseinander. Ich erstarrte und stand entgeistert und reflexartig von meinem Sitz auf. Meine Hose und auch das weiße Hemd waren von der roten Flüssigkeit ruiniert und die Kälte verschaffte mir eine ungewollte Gänsehaut.

»Ich ... Es ... Es tut mir so unglaublich leid.«
Eine hektische Stimme unterbrach die eisig ausgebrochene Stille und mit ihr flog plötzlich die Empörung.
»Passen Sie doch besser auf!«, zischte eine junge Dame vom Tisch aus und nahm mir damit die Worte aus dem Mund.
»Wie ungeschickt kann man sein?«, empörte sich ein anderer und schob nun ebenfalls den Stuhl zurück um aufzustehen.
»Hören Sie mal, ich bezahle hier ganz sicher kein Ungeschick! Gehen Sie gefälligst und erledigen Sie ihre Arbeit!«, entrüstete sich Mister Troys, der zu diesem Essen geladen hatte und sich nun, wie einige andere, über die schlechte Bedienung aufregte. Ich spürte seine Hand an meiner Schulter, hörte wie er sich entschuldigte, konnte mich wegen meiner nassen Kleider aber nur halb auf ihn konzentrieren.

»Ist Ihnen eigentlich klar, wem Sie da gerade Wein auf die Hose gekippt haben?«, fragte nun Miss Towers persönlich und reichte mir ein Taschentuch. Sie schien ehrlich untröstlich und erdolchte die ungeschickte Bedienung mit wutentbranntem Blick, den sich diese mit dem eigentlich Schuldigen teilte. Der Doktor spielte mit einer Grimasse, aber er sollte noch bemerken, wer am Ende lachte. Das hätte er nicht machen dürfen.

»Bitte ... Das ... Das wollte ich nicht. Es ... tut mir so unglaublich leid.«
Meine Aufmerksamkeit wandte sich an eine Person neben mir, die ich unter dem Tumult noch nicht wirklich wahrgenommen hatte.
Das Tablett in ihrer Hand zitterte und die Weingläser, die sie wohl gerade hatte neu aufstellen wollen, waren, wie auch die gefüllte Flasche, umgekippt.

Ich betrachtete ihr rotes Kleid und sah, dass sich die rote Flüssigkeit wohl nicht nur auf meinem Körper ergossen hatte. Auch ihre Kleidung triefte davon und sie machte es noch schlimmer.
Kaum kam der Ober in unsere Richtung und schlug ihr, nicht gerade unauffällig, auf die Finger, ging sie zitternd auf die Knie und begann die Scherben der Flasche wieder aufzusammeln.

Meine Augen folgten ihr. Ich konnte einen Moment nicht anders. Dann aber begann ich sie zu ignorieren und richtete mich an den Ober, der sich untröstlich und aufgebracht bei mir zu entschuldigen begann.
»Mister Harson, Sir, es tut mir so unglaublich leid. Wie kann ich das wieder richten? Brauchen Sie etwas?« Seine Hand begann mir den Wein vom Anzug zu tupfen.
Man unterbrach ihn harsch und wieso auch immer, doch es fehlte mir an Worten.

»Sagen Sie mal, auf welche Idee kommen Sie, einen solchen Tölpel dienen zu lassen? Haben Sie und auch Ihre schlechte Bedienung eine Ahnung, auf wessen Kleidung Ihr billiger Wein hier getroffen ist? Fehler passieren, aber so etwas nicht! Ich sage Ihnen, das war das letzte Geschäftsessen in Ihren Diensten - unmöglich diese Inkompetenz!«

Fluchend und stocksauer begann die Werkschaft den Ladenbesitzer und vor allem die junge Kellnerin zur Schnecke zu machen und ich stand nur noch mittels zum Zweck daneben. Entschuldigungen drangen an mein Ohr und ich sah den Ober nervös mit den Händen gestikulieren, doch er hatte keine Macht mehr in diesem Hass und konnte sich mit dem abrupten Abgang auf eine Menge Kritik freuen.

Mit Schweißperlen auf der Stirn sah er dabei zu, wie nach und nach jeder aufstand und sich ohne Trinkgeld auf den Heimweg machte. Viele sahen entschuldigend zu mir auf, boten mir ihr Jackett an, doch ich war in einer miserablen Lage. Der Wein begann langsam zu trocknen und zu kleben und ich konnte noch nicht einschätzen, ob ich sauer oder einfach fassungslos sein sollte.

Der Hieb mit dem Handtuch, den die junge Kellnerin am Boden abbekam, als ich Minuten später aus dem Badezimmer zurück zum Eingang des Saals trat, löste mich aus meiner Fassade und mit steinernen Lippen beobachtete ich das Schauspiel.

Die Gäste waren gegangen. Der Saal war bis auf den Ober und die Kellnerin leer und ich konnte die Anspannung spüren.
Es war unangenehm.
»Ungeschicktes Ding, du!«, zischte der Ober und raufte sich verzweifelt die Haare.

»Es tut mir leid.« Ich hörte sie schluchzen. Ihr Körper bebte und ihr Kleid zierte nun auch noch ein dritter Rotton. Blut.
Es sickerte aus einer Schnittwunde an ihrer Handfläche und quoll eifrig hervor, was nur bestätigte, wie tief der Schnitt war.

»Diese blöde Entschuldigung kannst du dir sparen! Wie kann man nur so unglaublich dumm sein? Wieso lasse ich so etwas wie dich hier überhaupt arbeiten?«
Der Ober schien außer sich, sein Gesicht war zornesrot und immer wieder streifte sein Handtuch ihren Rücken. Es interessierte ihn nicht, ob er ihr damit wehtat.
Es schien ihm auch gar nicht aufzufallen, wie kaputt die Scherben ihre Haut gemacht hatten und wie das Blut ihr Kleid ruinierte. Er schlug bloß auf sie ein, beleidigte sie nicht gerade freundlich und ließ dann von ihr ab.

»Scheiße!«, fluchte er und stützte sich an der Lehne meines Sitzplatzes ab.
»Das war mit der wichtigste Besuch für diesen Monat und du hast alles ruiniert!«, schnauzte er sie abermals an und wollte nach ihr treten, doch ich hielt ihn zurück.

Das war genug. So ging man nicht mit seinen Angestellten um. Dann sollte man ihnen lieber fristlos kündigen und sie herauswerfen.
Es brauchte keine Gewalt für Wut, schon gar nicht, wenn das Opfer sich verletzt hatte.

»Es genügt!«, unterbrach ich den neben sich stehenden Mann und stellte mich zwischen ihn und die am Boden liegende Frau.
Nun zuckte er zurück.
»Mister Harson, ich hatte nicht mehr mit ihrer Anwesenheit gerechnet. Ich kann mich nur abermals für dieses Missgeschick entschuldigen.
Es tut mir unglaublich leid, das mit dem Wein. Tears ist neu hier und sie ...«

Seine Gestik nervte mich innerlich und ich rollte bei der nächsten Entschuldigung nur mit den Augen. Er sollte gefälligst die Klappe halten.
»Schon gut«, unterbrach ich ihn harsch und sah sein Zusammenzucken mit Genüge.
Nickend trat er einen Schritt zurück und ließ mich meinen Mantel von der Stuhllehne nehmen.

»Ich will kein Wort mehr hören, denn fachlich fehlt es hier vielen Ecken an Professionalität, damit meine ich aber nicht explizit ihre Bedienung.«
Mein Blick wandte sich an die zitternde Frau am Boden und ich starrte sie einen Moment lang an, ehe ich mich wieder an den Ober wandte.

»Könnten Sie bitte meinen Fahrer benachrichtigen?«
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe, als er sich erst Sekunden später in Bewegung setzte und sich beim Verlassen des Saals die schweißbedeckte Stirn abwischte.

Nun legte sich Stille über den Saal und ich betrachtete das zittrige Bündel am Boden eine Weile. Sie hatte die Scherben der vergossenen Flasche in ihrem Schoß aufgehäuft und lag darin, offensichtlich in der Angst, im nächsten Moment wieder einen Schlag über den Kopf zu bekommen.

»Stehen Sie auf!«, forderte ich und rollte bei ihrer langsamen Rührung mit den Augen.
»Schneller!«
Und damit zog sie sich zittrig wieder auf die Beine und stand nun mit gesenktem Kopf direkt neben mir.

Ihre langen Haare fielen ihr wirr ins Gesicht und verdeckten mir damit die Sicht in ihre Augen.
»Sehen Sie mich an!«, forderte ich abermals und wartete, bis sie sich endlich traute, mir entgegenzusehen.

Ihr Kopf legte sich in den Nacken, um mich ansehen zu können, und mir gefror das Blut im Körper. Eisig und bedeckt mit einem Schleier aus Tränen sah sie mir in die Augen und schien Angst vor jeglicher Regung zu haben.

Ich war unfähig mich zu rühren, als ihre Pupillen sich weiteten und das Blau ihrer Augen sich von einem dunklen Teint in einen merklich helleren Klecks aus Himmelblau wandelte.
Ihre Gesichtszüge waren verjüngt und vom Weinen leicht verzogen. Ich erkannte den Schmerz hinter ihren Augen, den Drang nach Rückzug, der sich in ihr breit machte.

Es war keine Kunst, sie anzusehen und von ihrem Gesicht zu lesen.
Die eben passierten Schläge waren nicht die ersten, sie musste also eine von diesen Mitarbeiterinnen sein, die ich immer Tölpel nannte.
Nur das ihr Job viel weniger Anspruch verlangte.

Ihre goldbraunen Locken hingen ausgerollt auf ihrer Schulter und umrandeten ihr Gesicht so perfekt, dass ich sekündlich vergaß, was ich zu sagen hatte.

Mir fiel ihre Hand wieder ein und auch meine Vergeudung der Zeit. Und nachdem ich es endlich schaffte mich zu lösen und einen Schritt zurückzugehen, drückte ich ihr ein Taschentuch in die Hand.

»Das haben Sie nötiger als ich.«

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