19« Tears
»Und er hat dir wirklich nicht erzählt was wir machen?«, fragte Jane mich zum bestimmt zehnten Mal und wieder schüttelte ich den Kopf.
»Nein, er hat mich nur gewarnt, dass es kein Zurück mehr gibt«, wiederholte ich seine Worte.
»Dann muss er etwas richtig Cooles geplant haben.«
Dass Jane das Wort "cool" in den Mund nahm, war etwas Besonderes. Sie sprach selten in einer solchen Umgangssprache.
Cool war etwas nur, wenn sie aufgeregt war und sich freute.
Sie gab mir zum zehnten Mal die Bestätigung, dass das gestrige "Ja" zu dieser Aktion die richtige Entscheidung gewesen war. Als ich ihr erklärte, was Davis vorgeschlagen hatte, war ihr vor Freude ein Jauchzen entwichen und sie war ein Weile versonnen herumgetanzt, ehe sie sich schon mal ein Outfit für den heutigen Tag ausgesucht hatte.
»Wir werden es sehen«, sagte ich mit gedämpfter Stimmung, weil ich noch nicht recht wusste, ob wir uns tatsächlich zu freuen hatten. Vielleicht wollte Davis mit uns ja auch in eines dieser albernen Gruselhäuser, die ich immer als Blödsinn abstempelte.
»Ach, Tears. Jetzt spiel hier nicht den Kritiker, tief in dir drinnen ist es dir doch egal was wir machen, Hauptsache Davis ist dabei. Streite nicht ab, dass du ihn magst.«
Jane kam aus dem Badezimmer und stellte sich neben mich an die Theke in der Küche.
Sie lächelte aufgeregt und sah mich an, als hätte sie mich bei etwas bösem erwischt.
»Ich streite gar nichts ab, aber mögen definiert sich nicht mit lieben. Ich finde ihn okay«, sagte ich schlicht weg und wusste, dass sie mir kein Wort glaubte.
Sie stieß mir in die Seite.
»Jo, klar und Weihnachtsmänner wachsen an Weihnachtsbäumen. Mir kannst du nichts vormachen, Tears. Ich sehe, wie glücklich du in seiner Gegenwart bist. Du hast keine Angst, wenn er da ist.«
Und damit hatte sie die Mitte getroffen. Sie beschrieb im knappsten Sinne das, was mir immer durch den Kopf ging, wenn Davis neben mir stand. Ich fühlte mich wohl, dabei war er es doch, in dessen Nähe ich mich vor einigen Tagen schmutziger denn je gefühlt hatte.
Seit seiner Entschuldigung war er allerdings anders. Er zeigte sich von einer natürlicheren Seite und die gefiel mir wirklich.
»Ich weiß, dass ich recht habe.«
»Und wenn schon. Davis ist der Junggeselle dieser Stadt. An jeder Ecke schwärmt eine Dame von seinem Körper, da haben Leute wie ich keine Chance.«
»Aber keine dieser Damen hat heute eine Verabredung mit diesem Junggesellen, nur du«, verbesserte sie mich und es fühlte sich tatsächlich gut an, genau diese Worte zu hören.
Davis hatte nämlich mich eingeladen und nicht sonst jemanden oder ich ihn. Dieses Treffen ging von ihm aus und warum auch immer, er wollte seine Zeit mit mir und meiner Schwester verschwenden. Ob er sich vielleicht aus Mitleid diesem Treffen hingab? Gehörte das zu seiner Entschuldigung und er würde mich fallen lassen, sobald wir quitt waren?
Jetzt packte mich der Zweifel.
»Und was ist, wenn er das alles nur als Spiel sieht? Ich bin niemand, Jane. Vielleicht will er sich mit diesem Ausflug nur entschuldigen«, zweifelte ich mir die gemachte Hoffnung aus dem Kopf und sah traurig zu Boden.
»Tears, ich kenne diesen Jungen nicht und ich war auch nicht dabei, als er dich zu Tränen verletzt hat. Aber wenn ich ihn jetzt beobachte und sehe, wie er dich ansieht, dann glaube ich nicht, dass er dieses Treffen aus Mitleid geplant hat. Ich glaube, er möchte wirklich, dass du ihn magst.«
Sie lächelte aufmunternd und es half tatsächlich sie so reden zu hören.
Jane war immer schon die zuversichtlichere von uns Schwestern. Sie sah das Gute in Menschen und glaubte gar nicht daran, dass diese die Absicht hatten sie zu verletzten. Auf eine Weise war das naiv, aber wegen ihrer minderen Erfahrung wurde sie nie enttäuscht und ich hoffte, dass sie mit dieser Sicht von uns Menschen gehen würde.
Sie sollte Lächeln, wenn sie im Himmel an ihre Mitmenschen dachte, besonders wenn sie an Daniel dachte.
»Apropos mögen. Was genau ist das mit dir und Daniel?«
Verschwörend drehte ich den Spieß um und sah, wie sie mit den Schultern zuckte.
»Ich mag ihn. Er ist nett und ich mag es, wenn er mir von seinem Leben erzählt. Irgendwie fühlt es sich dann so an, als würde ich auch etwas über mein Leben erfahren. Mehr als Freundschaft sollte allerdings nicht zwischen uns sein, denn ich will ihn nicht stärker verletzten, als ich es tun werde.«
Ehe ich auf diese nüchternen Worte etwas sagen konnte, klingelte es an der Tür und Janes Stimmung krempelte sich sofort wieder um.
»Da sind sie! Los, Tears! Lass und los!«
Eilig rannte sie zur Tür und verschwand im Treppenhaus nach unten. Ich war immer noch benommen von diesen Worten. Es brach mir das Herz, dass ein fünfzehnjähriges Mädchen so viel zurückstecken musste und ihr Glück wegen einer Krankheit an zweiter Stelle stellte. Sie schützte die Menschen um sich herum, weil sie wusste, dass sie diese früher oder später verletzten würde.
Janes Tod war wie ein Wirbelsturm und sie schien es genau zu wissen.
Vielleicht sogar zu genau...
»Komm, Tears!«
Ich hörte Janes Stimme von der Haustür aus nach oben betteln und folgte ihr schnell. Als ich die Wohnungstür hinter mir zuzog, atmete ich tief durch und trat langsam hinab. Ich war aufgeregt. Den Morgen über hatte ich es vor Jane überspielen wollen, doch innerlich war ich aufgewühlt und gespannt auf diesen Tag.
Mit einem aufgeregten Prickeln im Körper trat ich aus dem Haus und sah mich um.
Ein matter Mercedes parkte am gegenüberliegenden Straßenrand und wurde neugierig von den Passanten betrachtet. Einige waren stehen geblieben und tuschelten über den Besitzer des Wagens, der sich lässig gegen die Fahrertür lehnte.
Eine schwarze Sonnenbrille verdeckte seine Augen und er hatte die Kapuze seines schwarzen Pullovers so tief über dem Gesicht hängen, dass nur vereinzelte Locken darunter hervorlugten.
Davis hatte seine Hände in den Taschen seiner Jeansjacke vergraben und aus dieser Entfernung sah er nicht nur unglaublich heiß, sondern auch deutlich jünger aus. Er sah aus, wie eines dieser Model aus den Zeitschriften, die Jane sich gerne kaufte.
Bei seinem Anblick biss ich mir auf die Lippe und fühlte mich augenblicklich von seinem Ansehen beschattet. Er sah unglaublich aus. Einfach hübsch.
Dabei war seine Kleidung von einer Jeans und einfachen Sportschuhen nichts Spektakuläres und meinem eigenen Outfit sogar sehr ähnlich. Er sah trotzdem gut aus.
Sehr gut...
»Madame?«, rief seine raue Stimme von der anderen Straßenseite und ich sah, wie seine Lippen zu zucken begannen, als ich über diese Anrede kicherte.
Dass Passanten mich anstarrten und ihre Augen zwischen mir und ihm hin und her schwenkten ignorierte ich beflissentlich, als Davis seine Sonnenbrille vom Gesicht nahm und mit seinen grünen Smaragden jeden meiner Schritte genauestens verfolgte.
Er stützte sich vom Auto ab, als ich knappe drei Meter vor ihm stehen blieb und voller Erwarten zu ihm aufsah.
»Du hast es dir nicht anders überlegt«, stellte er fest und ich nickte. »Ich sagte doch, dass ich nicht kneifen würde.«
»Das wird sich zeigen, Kleines.«
Schon wieder dieser Spitzname.
Dass er mich so nannte verwirrte mich auf eine eigenartige Weise, doch ihm schien gar nicht aufzufallen, wie verlegen ich deswegen war.
Mit lässigen Schritten umrundete er das mattgraue Auto und öffnete mir die Beifahrertür. Es war Jahre her, dass ich das letzte Mal Auto gefahren war und es war noch nie passiert, dass ich einen solchen Schlitten hatte betreten dürfen.
Vorsichtig ließ ich mich auf den Sitz sinken und traute mich kaum die Tür zu schließen, aus Angst, sie würde abfallen.
Die schwarzen Ledersitze waren erwärmt und ich hätte genügend Platz für meine Beine.
Die Ausstattung sah unheimlich teuer aus, kein Staubkorn hatte sich auf dem Armaturenbrett verfangen und der Wagen sah aus, als wäre nie jemand mit ihm gefahren.
»Zier dich nicht, Tears, du kannst deine Füße gerne auf der Matte abstellen«, informierte mich Daniel, der auf der Rückbank neben meiner Schwester saß und nicht ganz verstand, warum meine Schuhe in der Luft schwebten.
Mit geröteten Wangen stellte ich sie auf den Boden und fing mir deswegen einen fragenden Blick von Davis, der sich neben mich ans Steuer setzte und die Tür ohne Vorsicht zufallen ließ.
»Ihr zwei seht aus, als wärt ihr noch nie Auto gefahren«, stellte Davis fest, als er erst mich und dann Jane im Rückspiegel betrachtete.
Ich sah ebenfalls zurück und bemerkte erst jetzt, dass auch sie sich in ihrem Sitz möglichst klein gemacht hatte und nicht einmal traute sich zu räuspern.
»So...ist das nicht, aber es ist schon lange her. Außerdem ist dieses Auto bestimmt teuer gewesen und wir wollen halt nichts kaputt machen«, erklärte ich meine Schwester und mich und sah verlegen zu dem Lockenkopf auf.
»Du vergisst, neben wem du sitzt, Tears. Dieser Mann spuckt Geld, also darfst du das Auto voller Freude demolieren, es interessiert nicht«, beruhigte mich Daniel und erntete einen bitterbösen Blick von Davis.
Er schien wirklich nicht zu wollen, dass ich einen falschen Eindruck mehr von ihm bekam.
Das war irgendwie süß.
»Was denn?«, Daniel zuckte bloß mit den Schultern und warf sich in seinen Sitz zurück.
»Natürlich hat das Auto nicht nur zwei Dollar gekostet«, wandte sich Davis an mich und war sichtlich erleichtert, dass Daniel und Jane schon wieder zu albern begannen und uns ignorierten.
»Aber es ist wirklich nicht schlimm, wenn hier etwas dreckig oder schmutzig wird. Du brauchst also keine Angst haben, dass ich sauer bin, wenn du einen Becher oder sowas umwirfst.«
Sein sanftes Lächeln beruhigte mich und ich glaubte ihm, dass er wirklich nicht sauer sein würde.
Zu dem Umsturz eines Bechers hatte ich es trotzdem nicht kommen lassen wollen.
Als er sah, wie ich mich langsam in meinem Sitz zurücklehnte und mich schließlich anschnallte, startete er den Wagen und fuhr mit einem Ruck vom Bürgersteig auf die Straße. Leise heulte der Motor auf, als er an Tempolimit zunahm und ich stellte schnell fest, dass er trotz der Geschwindigkeit mit Leichtigkeit durch die Straßen fuhr.
Es machte riesigen Spaß im Sitz ein wenig herumgewirbelt zu werden und ich begann glücklich zu lächeln, als ich zu Jane nach hinten sah und sie mit einem breiten Grinsen einen Haken in die Luft malte.
So eine Autofahrt war also auch auf der Liste ihrer Wünsche gewesen.
Davis schien bemerkt zu haben, dass wir Spaß hatten. Er fuhr wie ein Wilder, aber sehr sicher, durch die Straßen und ignorierte, wie intensiv die Fußgänger sein Auto anstarrten. Sie schienen zu wissen, dass er hinter den getönten Scheiben saß und ich war froh, dass man mich nicht von außen sehen konnte.
Neben Davis fühlte ich mich wie eine graue Maus und immer wenn ich ihm gegenüber offener war, rief mich mein Kopf zurück.
Schließlich war es Davis gewesen, der mich so sehr an meinem Leben hatte zweifeln lassen. Er hatte mich verletzt und seinetwegen hatte ich nächtelang geweint.
Er hatte mich zu Boden gedrückt und mir nicht aufgeholfen, als ich es nötig hatte. Er hatte mich erniedrigt und ich verzieh ihm ohne weiteres. Das war naiv und womöglich das Dümmste was ich je getan hatte. Vielleicht war das alles eine Falle. Vielleicht versuchte er mich damit noch tiefer sinken zu lassen, noch mehr auszunutzen.
In seinem Leben war ich bloß die Fußmatte an der Haustür.
Eine graue Maus hatte nichts neben einem Löwen zu suchen und ich konnte nicht hindern, dass ich mich in seiner Gegenwart für mein Leben schämte.
Er war gutaussehend, hatte Geld, eine Familie, eine eigene Firma, ein Leben!
Neben ihm war ich magere Bettlerin ein Witz.
Ein Witz, über den er gelacht hatte und dem er gerade eben die Türen zu seinem Auto geöffnet hatte.
Wieso machte er all das?
»Also, Big D, willst du uns nun endlich erzählen, was du geplant hast?«
Daniel klopfte seinem Bruder von hinten auf die Schulter und ich sah ihn in den Rückspiegel grinsen.
»Big D? Willst du mich verarschen?«, fragte Davis und schien gar nicht erfreut über diesen Spitznamen. Seine Meinung über eben diese Namen hatte er mir ja bereits erklärt und ich konnte verstehen, dass zwischen seiner Autorität und nötigem Respekt ein schmaler Grat lag. Er wollte nicht, dass sich jemand, der nicht zu Angehörigen oder freundschaftlich zu ihm gehörte, über ihn lustig machte.
Vielleicht fand er Spitznamen auch einfach albern und kindisch.
Wieso nennt er mich dann »Kleines«?
»Immer.«
Jane und ich begannen leise zu lachen, als Daniel mit diesem
Wort die Diskussion der beiden öffnete. Während Davis sich wirklich verärgert zu erklären versuchte, speiste ihn sein Bruder mit witzigen Bemerkungen in den Boden, bis er schließlich seufzend gegen das Lenkrad schlug und den Kopf schüttelte.
»Warum schieben Mum und Dad dich immer wie einen Obdachlosen zu mir? Ich will das nicht mehr«, quengelte Davis wie ein Kleinkind und lächelte mich amüsiert an, weil ich mir ein Lachen nicht mehr verkneifen konnte.
»Sie glauben halt, dass ich mich hier besser benehmen würde, was ich grundsätzlich auch tue.«
»Was heißt hier besser? Du hast hier halt einfach keine Freunde, die du nerven kannst und deswegen mobbst du mich!«
Jetzt begann Daniel zu meckern.
»Ich habe hier sehr wohl Freunde. Tears und ich sind Freunde und Jane sowieso. Außerdem ist Brain...«
»Mein bester Freund«, unterbrach ihn Davis und hatte in all seiner Belustigung plötzlich einen warnenden Blick aufgesetzt.
Anscheinend hatte das angesprochene Thema eine Begrenzung des Spaßes.
»Du bist gemein«, schmollte Daniel und verschränkte die Arme.
Jane tätschelte ihm ironisch auf die Schulter, um ihn zu trösten, während Davis sich auf Daniels vorgeschobenen Lippen eine imaginäre Träne von der Wange wischte und mich damit wieder zum Lachen brachte.
»Du liebst mich trotzdem, Little D«, sagte Davis zu seinem Bruder und schien sich dessen sicher.
Daniel nickte. »Hast recht.«
Harson International lag im Stadtteil Queen Anne.
Wolkenkratzer waren auch in diesem Teil von Seattle nicht unüblich, doch schon von weitem
sah man, dass sich der Hauptsitz von Amerikas erfolgreichstem Medienunternehmen von einigen anderen Gebäuden abhob.
Die Vorderfront war komplett verglast und in einigen der Fenster sah man aus Entfernung, wie sich die eingesetzten Solarzellen im Sonnenlicht spiegelten.
Dass wir die letzten Wochen so gutes Wetter gehabt hatten, war für Seattle ziemlich untypisch.
Das Wetter schlug hier sekündlich um, doch meistens blieb es bei einem niesenden Regen und das, dass gefühlte Jahr über.
Viel Sonnenenergie konnte die Firma in Seattle also nicht auffangen, aber in den Zeitschriften berichteten sie fast täglich über Davis und seine Investitionen, sodass auch ich wusste, dass dieser Wolkenkratzer nicht der einzige auf Erden war.
Harson International war ein Begriff in der Branche von erneuerbaren Energien und dem umsetzten von nachhaltigen Medien. Ich wusste, dass Harson sich speziell auf Sonnen- und Windenergie spezialisierte und diese Ressourcen in alltägliche Dinge zu implantieren versuchte.
Und damit schienen sie Erfolg zu haben.
Smartphones, die sich, wenn man sie in den Einfall von Sonnenlicht legte, von selbst aufluden, waren eines der erfolgreichsten Projekte in seiner Karriere. Das alles funktionierte mit speziellem Glas des Touchscreen, unter das man Solarzellen platziert hatte. Während das extra dicke Glas das Smartphone vor Hitze schützte, zogen die Solarzellen darunter so gut wie jeden Lichtstrahl erfolgreich an und wandelten ihn in Akkulaufzeit, die sich sehen ließ. Es war genial und das es funktionierte war ein riesiger Schritt in Richtung Umweltschutz.
Davis konnte über seinen Erfolg wirklich stolz sein und irgendwo konnte ich die Menschen auch verstehen, wenn sie ihn wegen seiner Intelligenz und Erfolge beneideten. Er war wirklich ein sehr intelligenter Mann und in nicht mal vier Jahren hatte er sich an die Spitze aller gekämpft.
Ich konnte verstehen, warum Frauenherzen sich in seiner Nähe überschlugen, warum sie sich über ihn unterhielten und sogar die Männer nur gut von ihm sprachen.
Wenn man in Restaurants arbeitete, schnappte man eine Menge auf und nicht selten war der attraktive Junggeselle Mr Harson Gesprächsthema des gesamten abends. Vor einigen Tagen noch hatte ich deswegen die Augen verdreht und hatte mich verzogen, aber seitdem ich wegen gerade ihm meinen Job verloren hatte, war irgendwie alles anders.
Ich redete plötzlich mit ihm. Ich hörte ihn meinen Namen sagen und ließ mir von ihm ohne weiteres Spitznamen geben.
Ich unternahm mit ihm Dinge und lachte mit ihm. Das alles passte nicht ins Schema von einem so unbedeutenden Menschen wie mir.
Und doch war es die Realität.
Ich saß in Davis Wagen, der das riesige Hauptgebäude von Harson International mittlerweile erreicht hatte und direkt vorm Haupteingang anhielt. Ohne den Wagen vernünftig zu parken oder den Schlüssel aus dem Schloss zu ziehen, stieg Davis aus dem Auto und hielt mir Sekunden später die Tür auf.
Ich ignorierte seine helfende Hand und stellte ihm stattdessen eine Frage: »Willst du den Wagen nicht vernünftig parken?«
Er begann zu schmunzeln und öffnete, nachdem ich ausgestiegen war, Jane die Tür.
Als wir unseren jüngeren Geschwistern dann Richtung Haupteingang des sechzig stöckigen Glaskastens folgten, antwortete er mir.
»Glaube mir, wenn du wieder kommst, wird er nicht mehr hier stehen und stören. Jemand anderes parkt ihn für mich.«
»Wieso parkst du ihn nicht selbst?«
»Weil es mich unnötige Zeit kosten würde. Dieser Mercedes hat seinen Parkplatz in der Tiefgarage unter uns, wenn ich mit Firmenwagen zur Arbeit komme, dann parke ich auch gerne selbst.«
»Wo liegt denn da der Unterschied?«, fragte ich weiter und missbilligte den arroganten Milliardären Unterton in seiner Stimme. Er sprach so, als hätte er für jede Kleinigkeit einen Handlanger und mir gefiel nicht, dass es vermutlich genauso war.
Davis war stinkreich, das wusste jeder. Seine Geldscheine konnten meine Wohnung von oben bis unten füllen und wieder einmal fühlte ich mich unwohl in einer Nähe zu stehen. Wieso machte er das? Wollte er mir vorführen, wie gut es ihm ging? Wollte er mich so verletzten, indem er mir zeigte, wie wenig Wert mein Leben besaß?
Auf meinen Schultern saßen der Teufel und ein Engel und redeten gut und schlecht über Davis auf mich ein. Wem sollte ich glauben? Wie weit konnte ich Davis überhaupt vertrauen?
»Firmenwagen sind weiß. Meine privaten Autos sind alle schwarz oder grau. Die einzige Gemeinsamkeit der Wagen liegt an ihren signierten Radkappen. In jedem Autoreifen ist ein "H" graviert, damit man sie erkennt.«
Jetzt verstand ich wie die Leute uns auf den Straßen hatten identifizieren können. Luxusschlitten waren in einer Großstadt wie dieser schließlich nichts Besonderes.
Es war unglaublich, auf welche Details reiche Leute ihr Geld bauten. Nur damit man sie noch mehr bewunderte. Ich kam mir lächerlich vor, denn auf eine Weise himmelte auch ich Davis an.
»Guten Morgen, Mr Harson«, grüßten zwei Frauen in schwarzen Kleidern, die in der großen Halle an einem Empfangstresen aus Marmor standen und ein breites Lächeln aufsetzten, als ihr Chef das Gebäude betrat.
Unsere Schritte hallten von den gläsernen Wänden wieder. Imposante Säulen aus Marmor, zierliche Pflanzenkübel und lederne Sessel verliehen dem Eingangsbereich an Flair und einem Charme wegen dem man sich willkommen fühlte.
Ich war von der Einrichtungsweise fasziniert und alles schien so perfekt aufeinander abgestimmt, dass mein Mund zu einem 'O' geformt war, als wir zu viert den Fahrstuhl betraten.
Jane und Daniel stellten sich vor uns in den Aufzug und zogen Grimassen an die verspiegelten Wände des Fahrstuhls. Davis stand dicht neben mir und hatte sich lässig an die Wand gelehnt.
Durch die Spiegel betrachtete ich sein Profil.
Sein Körper war schlank, aber breit und muskulös. Würde er vor mir stehen, sähe man nicht einen Fleck von mir. Das lag schon daran, dass er einen guten Kopf größer war als ich.
Ich dachte darüber nach, was wohl passieren würde, wenn ich mich etwa zehn Zentimeter nach links beugen würde. Mein Kopf läge dann an seine Schulter gelehnt.
Wie er das wohl fände?
Vermutlich abstoßend.
Ich sah zu Boden. Dieser Gedanke war dümmlich.
Ich machte mich zum Affen, sobald er in der Nähe war.
»Meinst du nicht, es ist Zeit uns endlich einzuweihen?«, fragte Jane und himmelte Davis mit einem Welpen Blick an, den er mit einem Lachen quittierte. Ich war verwirrt über Janes Verhalten.
Ich hatte nicht geglaubt, dass sie so schnell Vertrauen in ihn fassen würde. Sie verhielt sich, als würde sie ihn in- und auswendig kennen und als wäre er schon längst ein Teil unserer Familie. Dabei kannte sie ihn genau zwei Tage und wusste, was er mir alles ins Gesicht geworfen hatte. Wieso mochte sie ihn? Was machte sie so sicher in seiner Gegenwart und in der von Daniel?
Am liebsten würde ich sie genau jetzt fragen, aber in Anwesenheit der Herren war das unmöglich und außerdem unterbrach in diesem Moment ein Gong des Aufzugs meine Gedanken.
Kühle Luft strömte durch die sich öffnenden Türen des Aufzugs und ich wurde augenblicklich mit einer Gänsehaut überrascht.
Das flache Dach des Wolkenkratzers war mit einem Geländer aus Glas umrandet und nicht besonders spannend.
Wie erstarrt sah ich mich um und konnte meine Freude beim Anblick des Helikopters nicht einmal in den Ansätzen zur Oberfläche bringen. Meine Augen weiteten sich, als ich den schwarzen Helikopters sah, der ganz offensichtlich Davis Überraschung gewesen war.
Männer in schwarzen Anzügen standen neben den geöffneten Türen und sahen emotionslos in unsere Richtung.
Sie nickten Jane und Daniel mit starren Gesichtern zu, als diese mit leuchtenden Augen und ungläubigen Blicken näher traten.
Jane schien hin und weg von dieser Möglichkeit.
Während Daniel und sie sich schon Helme und Kopfhörer aufsetzten und sich voller Freude alles erklären ließen, stand ich noch immer voller Schock im Aufzug und lehnte mich mit einem flauen Gefühl im Magen an die Spiegelwand hinter mir.
Ich hatte keine Angst. Nicht vor dem Helikopter, nicht vor der Höhe. Ich hatte Angst, dass das hier ein Traum war und Davis mir damit bloß zeigen wollte, was er besaß und ich nicht. Ich hatte Angst, dass er mich vorführen wollte, mich am Boden sehen wollte und mir am Ende hämisch ins Gesicht sagen konnte, wie naiv ich doch gewesen war, zu glauben, dass er mich tatsächlich mögen könnte.
Ich wollte ihm so gerne vertrauen.
Aber ich konnte nicht.
Ich war niemand der schnell vergaß. Ich trug Fehler niemanden nach, ich erinnerte bei Gelegenheit nur daran und zeigte meinem Gegenüber damit, dass ich nicht alles sofort vergab. Ich war nicht naiv. Ich wollte es nicht sein.
Aber war es nicht schon naiv, überhaupt hier zu sein?
»Tears?«
Seine Stimme war so unsicher, so sanft, so weich. Sie schmolz augenblicklich in der Sonne und ließ sich vom Wind verwehen.
Sie rührte mich, ließ mein Innerstes aufgehen und ich hasste mich für meine wässrigen Augen.
Warum weinte ich?
Wieso zeigte ich ihm in jedem Moment des Lebens, wie leicht er mich erdrücken konnte?
Ich war schwach.
Davis stand unmittelbar vor mir. Seine Körperwärme strömte von meinen Fingerspitzen direkt in meinen Körper und wieder bekam ich eine Gänsehaut. Seine Nähe hinterließ wie immer ein Kribbeln unter meiner Haut und ich sah mich dazu gezwungen meinen Kopf zu heben und ihm in die Augen zu sehen.
Über meine Tränen schien er unermesslich verletzt. Als wäre ihm nichts wichtiger gewesen, als eine positive Reaktion über diesen Ausflug. Aber wie sollte ich reagieren? Wie stellte er sich das vor? Glaubte er ehrlich, ich wäre eine von diesen Frauen, die sich so leicht kaufen ließen?
»Glaubst du, ich sei naiv?«, fragte ich ihn und klang fordernder, als ich wollte.
»Nein«, antwortete er und biss sich kurz danach auf die Zunge.
Er war mir unglaublich nahe.
Es fiel schwer ihm nicht augenblicklich in die Arme zu fallen und ihm die Sorgen des Lebens anzuvertrauen.
Mich überfiel schon oft das Gefühl mich in seiner Nähe grenzenlos fallen zu lassen, ohne Sorge zu haben, er würde mich nicht auffangen. Aus lauter Leichtsinn würde ich Davis spontan alles erzählen.
Was in mir vorging, was Jane betraf, was mit meiner Familie passiert war und wie sehnsüchtig ich manchmal hoffte, ich sei es, die vor Jahren gestorben wäre.
Ich würde ihm erzählen, dass ich jedes Mal das Gefühl hatte, selbst zu sterben, dann wieder aufzuwachen und wieder zu sterben. Als würde das Leben mich damit noch mehr demütigen wollen.
Aber ich konnte ihm nicht von mir erzählen. Ich traute Davis einfach nicht. Ich wollte gerne. Doch wer versprach mir, dass er nicht gekommen war, geschickt von diesem teuflischen Leben, um mir wieder beim Sterben zu helfen.
»Du bist nicht naiv, Tears.«
Seine Stimme war leise, rau. Mir gefiel seine Stimmfarbe schon immer. Sie erschauderte meinen Körper, durchdrang ihn und füllte ihn schließlich von innen nach außen.
Eigentlich durfte das nicht sein. Das wusste ich.
»Wieso bin ich dann hier?«
»Weil es kein Zurück mehr gibt.«
Er sah mich wissend an und nahm dann ganz sanft meine Hand.
Langsam, als würde ich scheuen und zurück in den Fahrstuhl rennen, zog er mich hinter sich her in Richtung des Helikopters, mit dem wir gleich über ganz Seattle fliegen sollten.
Spannung und ein Funken der Freude keimte in mir hoch, unabhängig davon, wie falsch das alles hier war. Seine Hände waren warm.
»Es gab schon kein Zurück mehr, als wir uns das erste Mal in die Augen gesehen haben«, erzählte Davis und als wir uns in die Augen sahen, das Flaschengrün zu glänzen begann, wusste ich, dass er damit recht hatte.
Es gab kein Zurück mehr.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top