17« Davis
Sie sah verloren aus, als sie aus dem Flur zu den Toiletten trat und einer jungen Frau beim Tanzen zusah. Über ihren Augen lag ein matter Schimmer und sie verfolgte das tanzende Mädchen so aufmerksam, als würde sie sie irgendwann aus den Augen verlieren und nie wieder sehen.
Starr blieb sie stehen. Regungslos stand der Rock ihres roten Kleides von ihrem Körper ab. Ihre Hände krallten sich in den Stoff, als müssen sie sich festhalten und tatsächlich sah sie einen Moment aus, als würde sie gleich auf dem Boden liegen.
Als das Mädchen zu kichern begann, legte sich ein wässriger Schleier über ihre groß gewordenen Pupillen und ich sah sie kräftig schlucken, ehe sie ihren Blick in Richtung des Tisches schwenkte und ihre offensichtliche Trauer überspielte.
Ihre Augen sahen mich emotionslos an. Keine Regung, kein Gefühl der Freude, nichts.
Ich fragte mich, ob sie mich wohl jemals so ansehen würde, wie sie die anderen ansah. Lächelnd, glücklich, so als würde sie sich wahrhaftig über ein Wiedersehen freuen. Konnte sie mich je anlächeln - ehrlich und aufrichtig?
Oder hatte ich es mir mit ihr und ihrer Aufmerksamkeit endgültig verspielt?
Ich hatte Angst. Es war ein kühler Schauer, der mich bei ihrem Anblick durchfuhr und mein Körper vereiste. Dass sie sich nicht regte, jagte Emotionen durch meinen Körper, die sich in alle Richtungen verströmten. Für einen kurzen Augenblick hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle. Aber davon bekam sie nichts mit. Sie sah mich nur an. Starr. Als erwarte sie, dass ich mich im nächsten Moment in Luft auflösen würde. War es falsch herzukommen?
Hatte ich ihr den Abend verdorben, weil ich aufgetaucht war? Ich wünschte mir augenblicklich nie aufgetaucht zu sein. Ich hätte Daniel nach Hause bringen und mit ihm reden sollen, aber stattdessen war ich wegen dringlicher Impulse hierhergefahren. Es war falsch. Sie wollte mich nicht sehen und ich konnte es ihr nicht verübeln.
Sie hasste mich. Ja, nicht mal eine Entschuldigung konnte daran etwas ändern.
Mein Erscheinen in ihrem Leben hatte sie von einem auf den anderen Tag ruiniert. Sie hatte meinetwegen Schläge ihres Chefs und danach eine Kündigung ertragen müssen. Ich hatte sie so gedemütigt, dass ich es nie wieder gerade biegen konnte und sie es niemals vergessen würde.
Kein Mensch würde so etwas je verzeihen können. Niemand. Auch sie nicht. Nicht einmal sie, mit dem roten Kleid in dem sie aussah wie ein schwebender Engel, den der Himmel gesandt hatte.
Nicht einmal sie, die Frau mit den langen geschwungenen Wimpern und den dunkelblauen Augen, die mich mit ihrem goldenen Schimmer mit sich rissen.
Nicht einmal Tears konnte mir das verzeihen.
Ihr Name verdiente meine Gänsehaut und Ehrfurcht. Sie verdiente meine Scham und meine Reue für alles, was ich je getan hatte, gesagt hatte.
Es war neu für mich in die Augen eines Mädchens zu sehen und mich danach schlecht zu fühlen.
Es war schon komisch sie überhaupt anzusehen. Ich ignorierte Frauen grundsätzlich, weil sie in mir schlicht weg keine Interesse weckten.
Sie waren alle uninteressant. Alle gleich, alle dumm.
Seit meiner Highschool Zeit hatte ich das Thema »Frauen« vergessen. Ich sah keinem Kleid hinterher, wenn ich auf der Straße war, ich lud keine Mädchen auf Dates ein, geschweige denn je zu mir nach Hause. Ich ging nicht feiern und dann tanzen - eng umschlungen. Ich umarmte keine Frau.
Hatte ich nie, brauchte ich nie, wollte ich nie.
Ich wollte nie eine Freundin, wollte es noch immer nicht, aber vergessen wollte ich sie auch nicht.
Konnte ich nicht.
Mein Ziel war immer der Erfolg gewesen. Ich hatte mit meiner Firma durchstarten wollen und vor sie an die Spitze treiben. Ich hatte sie genau dort haben wollen, wo sie jetzt war. Um erfolgreich zu sein, hatte mich nie jemand ablenken dürfen. Ich konnte es nicht gebrauchen mir wichtige Daten zu merken und meiner Freundin ab und an Zeit zu widmen. Sie wäre nur verletzt gewesen, weil ich nicht genügend Zeit für sie gehabt hätte. Den folglichen Streit hatte ich mir auch sofort sparen wollen. Es wäre unmöglich gewesen ein Leben dieser Lage zu führen, wenn ich in der Highschool eine Freundin, die mir am Ellenbogen gehangen und mich eingeschränkt hätte, gehabt hätte.
Es war gut, dass die Mädchen immer nur mir hinterher sahen und es nicht andersherum war. Gefühle brachten das Leben doch bloß unnötig durcheinander.
Zum Glück war Tears nicht auf meiner Highschool gewesen.
Ich wollte nicht bezweifeln, dass die Welt womöglich anders aussähe, wenn sie in England gewesen wäre.
Unter all meiner Desinteresse wäre sie mir vermutlich sofort aufgefallen. Die Lage sähe dann vielleicht anders aus. Vielleicht würde sie mich dann heute nicht hassen und so ausdruckslos ansehen, wie sie es jetzt tat.
Unter dem Blick einer Frau war mir nie so unwohl, wie jetzt.
Nie interessierte es mich wie ich aussah, nie interessierte es mich, was sie von mir dachte. Es tat nie weh. Jetzt schon. Es war immer egal. Jetzt war es unerträglich. Es war immer dasselbe. Jetzt war es anders.
Ich fragte mich, was wohl in ihr vorging. Zu gerne wollte ich sie an der Hand nehmen und draußen zum Reden bringen. Unmerklich sehnte ich mich nach ihrer Stimme. Ich hatte vergessen wie sanft und klar sie sprach, dabei hatten wir uns nur drei Tage lang nicht gesehen.
Und ich habe sie nicht vermisst.
Nein, aber ich habe an sie gedacht. In voller Ehrlichkeit würde ich gestehen müssen, dass ich an sie gedacht hatte.
Jede Nacht.
»Du starrst.« Daniel flüsterte mir leise ins Ohr und betrachtete Tears von oben bis unten.
Sie hatte sich abgewandt, stand immer noch Meter vom Tisch entfernt und sah wieder zurück zur Tanzfläche. War das etwa ihre Schwester, die dort tanzte? Jane hatte Brian sie am Telefon genannt.
Jane.
»Und da du nie ein Mädchen anstarrst, ist das wohl Tears«, folgerte Daniel und folgte ihrem Blick.
Seine Augen verharrten einige Sekunden an dem jungen Mädchen, die auch Tears die ganze Zeit im Auge behielt, die noch immer mit dem Rentner tanzte.
Jason hatte sich dessen Gattin mit hochrotem Kopf entzogen und kam langsam aus der Masse zurück zu unserem Tisch.
Neben Tears blieb er stehen, legte ihr eine Hand auf die Schulter und sagte etwas, was sie zum Lachen brachte.
Und wie sie lachte.
Ihre geschwungenen Lippen lösten sich und verzogen sich zu einem Sonnenaufgang, der mir im Magen kribbelte. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich ihr Kichern leise zu hören bekam und sie sich endlich aus ihrer Miene wandte und emotionaler wurde.
Gemeinsam mit Jason setzte sie sich wieder in Bewegung und kam mit ihm zurück zu uns.
Bereitwillig rutschten wir auf der Bank zusammen und damit saß Tears Daniel und Jason mir gegenüber. Erfreut über mein Kommen schlug mein langjähriger Freund bei mir ein und begrüßte auch meinen Bruder mit einer erhellten Miene. Der allerdings schenkte seine Aufmerksamkeit, sobald sie von ihrem Kleid aufsah, Tears.
»Ich glaube wir kennen uns noch nicht. Ich bin Daniel«, stellte er sich freundlich vor und streckte eine Hand nach ihr aus.
Zögernd und irgendwie außer acht hob auch sie ihre Hand und bemerkte gar nicht, dass er sie, anstatt sie zu schütteln, küsste.
Reflexartig stieß ich ihm in die Seite und zog seine Hand von ihrer weg. Der Anblick störte mich gewaltig und ich dachte auch, ihr sei es peinlich, doch sie hatte ihre Finger ohne Kommentar zurückgezogen und blickte in das Weinglas vor sich.
Sie schien betrübt. Etwas lastete auf ihrer Seele und etwas ließ sie nicht mehr zur Ruhe kommen. Ich spürte ihre Traurigkeit und ihren Drang sich dieser Gesellschaft zu entziehen. Es versetze mir einen Stich, denn so ausgelassen wie Brian am Telefon geklungen hatte, mussten sie vor meinem Kommen noch Spaß gehabt haben.
Dabei dachte ich, dass wir mittlerweile vielleicht etwas besser aufeinander zu sprechen wären.
Wie man sich doch täuschen konnte.
Sie mag mich nicht.
»Tears, kannst du mir das Glas mit Wasser reichen?«
Nicht nur Tears zuckte bei der lauten Stimme ihrer Schwester zusammen, auch ich schreckte hoch und fühlte mich zugleich ertappt. Brain, Daniel und Jason sahen mich alle mit einem bedeutungsvollen Du-magst-sie-Blick an, Leah, die sich mir als Tears Freundin vorgestellt hatte, blickte ebenfalls zwischen uns her und nur Tears selbst ignorierte mich und schien nichts mitbekommen zu haben.
»Natürlich«, murmelte sie und reichte ihrer Schwester das Glas.
Gierig trank Jane daraus und rang völlig außer Atem nach Luft. Sie hustete geschwächt, hielt sich ihre Hand an den Hals und sah aus, als würde sie jeden Moment zusammenklappen.
Ich sah, wie Tears jegliche Farbe aus dem Gesicht wich und sie reflexartig aufstand und ihre Schwester nach draußen zog.
Verblüfft und fragend sahen wir ihr nach. Am intensivsten ich.
»Was...was war das?«, fragte Brain und ich sah die Sorge in seinem Blick.
»Jane sah nicht gesund aus«, stellte Matt fest und erinnerte sich wohl genau wie ich, an ihr kreidebleiches Gesicht und ihren schweren Atem.
»Jemand sollte ihr nach!«, forderte Jason in die Runde und ehe ich mich versah, hatte mich Daniel aus der Bank geschubst.
Böse sah ich meinen frech grinsenden Bruder an und folgte den beiden Damen dann doch nach draußen.
Sie standen wenige Meter abseits.
Im Lichte eines vorbeifahrenden Autos erkannte ich Tears in ihrem Kleid, das ihr in der Kälte um die Beine wehte. Ihre Haare lockten sich und Strähnen hingen ihr ins Gesicht, während sie ihre Hände auf die Wangen ihrer Schwester legte und diese leise zu beruhigen versuchte.
Ich hörte sie nicht. Aber sie schienen mich gehört zu haben.
Im Glas der großen Schaufenster spiegelte sich mein Körper und versteift drehte Tears sich zu mir um.
Der Moment war mir unangenehm. Ihr Blick auf meinem ratlosen Gesicht. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich sie einzuschätzen hatte. Würde sie mich gleich anbrüllen? Würde sie weinen? Würde sie gehen? Mich wegschicken?
Ich konnte noch nie so wenig aus dem Blick einer Frau lesen. Nichts.
Ihre Augen gehörten zu keiner offenen Seele. Irgendwo gab es einen Schlüssel und den besaß ich nicht.
Wir schienen beide reden zu wollen. Immer wieder öffnete sich mein Mund, doch ich schloss ihn wieder. Auch sie suchte nach Worten, doch schien ihr keine gescheite Erklärung einzufallen.
Schließlich war es Jane, die mittlerweile weniger keuchend zu sprechen begann.
»Ich habe Asthma. Das gerade eben war ein kleiner Anfall, weil ich mich beim Tanzen so angestrengt habe. Passiert manchmal.«
Sie ging einen Schritt auf mich zu und lächelte urplötzlich.
»Und du bist wohl Davis, das kleine Arschloch von dem Tears mir erzählt hat.« Ihr Lächeln zerfiel und sie sah mich ernst an.
»Ich will dir eins sagen: Wenn du ihr das Herz brichst, dann wirst du mir qualvoll nachfolgen und das wird nicht schön für dich. Meine Schwester hat es verdient glücklich zu sein und wenn du derjenige sein willst, dem sie ihr Lächeln schenkt, dann streng dich ein bisschen an. Sie verdient nur das beste und das für immer. Ich hoffe du weißt das und schätzt sie, liebst sie und akzeptierst sie, wie sie es verdient hat. Sie hat genug zum Weinen, sei nicht auch noch ein Grund für ihre Tränen.«
Ein Schatten huschte über Janes junges Gesicht und ich konnte bloß benommen nicken, als sie mir auf die Schulter klopfte.
Ihr Blick war müde. Sie sprach mit einer solchen Ruhe, dass ich es mit der Angst bekam. Es war beinahe gruselig in ihr Gesicht zu sehen und all diesen Schmerz zu sehen. Für zwei Sekunden ließ Jane mich sehen, was sie sah und es reichte, um mich auf ewig zu erschrecken.
Was war bloß los mit mir? Mit ihr?
»Ich mag dich.«
Ihre Stimmung schwankte augenblicklich und ich stotterte, als sie sich abwandte und zurück in die Bar schritt.
Ihre Haare wirbelten auf und ich sah sie durch die Tischreihen zurück zu unserer Sitzecke gehen.
Daniels Gesicht hellte sich bei ihrer Begegnung auf und lächelnd setzten sich die beiden zusammen und begannen ein Gespräch.
Ich wandte mich ab.
Mit blasser Nase und geröteten Augen stand Tears etwa drei Meter von mir entfernt und sah ihrer Schwester sprachlos hinterher.
»Ich...Es...Normalerweise ist sie anders. Entschuldige, dass sie so harsch war.«
Leise stotternd senkte Tears den Blick und ich fragte mich, ob seit unserem letzten Treffen etwas vorgefallen war, dass sie plötzlich so einschüchterte.
Von ihrer Schlagfertigkeit ganz zu Anfang, war nichts mehr zu erkennen. Sie schien viel eher erschöpft und kraftlos, um sich mir gegenüber noch respektlos zu verhalten. So gefiel sie mir nicht.
Ich wollte in ihren Augen wieder den Himmel sehen und was auch immer es war, was das Blau aus ihren Augen hinaus geweint hatte, ich wollte es augenblicklich umbringen.
»Sie hat recht. Du verdienst jemanden, der dich zum Lachen bringt und der dir den Himmel auf die Erde holt. Du verdienst jemanden, der sich um dich sorgt, der dich umarmt und dir niemals dein Herz bricht. Du verdienst Glück und Liebe und Geborgenheit. Jemanden, der dich akzeptiert, der selbst weint, wenn es dir schlecht geht und der stirbt, wenn er deine Tränen sieht. Du hast einiges mehr verdient, als diese farblosen Tränen.«
Darauf schien sie nichts sagen zu können. Ihre Lippen waren einen Spalt weit geöffnet und ihre schwarzen Pupillen sahen mich ungläubig an.
Ich wischte ihr einen losgelösten Tropfen von der Wange und mir war gar nicht aufgefallen, dass ich ihr näher gekommen war.
Langsam streichelten meine Finger über ihre Haut und zogen sich schließlich zurück.
In meinen Fingerspitzen brannte es. Sie pochten, als hätten sie urplötzlich ihren eigenen Herzschlag und es brauchte eine Weile ehe sie zu kribbeln aufhörten.
»Warum weinst du?«, flüsterte ich in unsere Nähe und ich spürte, wie nervös sie diese machte.
Unsere Körper trennten Zentimeter und ich war nicht gewillt, das zu ändern. Mir war warm. Ihre Anwesenheit brannte sich in meine Seele und ich wollte gerade nirgendwo anders sein.
»Weil es so einfach ist«, flüsterte sie kratzig zurück und erwiderte meinen intensiven Blick in ihre Augen. Wir erstarrten in unserem Ansehen. Niemand wagte sich zu rühren. Es war unglaublich.
»Hast du es gerne so leicht?«, fragte ich sie und grinste spitz auf.
»Manchmal.«
»Wie langweilig, dabei ist das Leben doch schwieriger, als es aussieht.«
»Und Weinen ist befreiender, als es scheint«, konterte sie.
»Das heißt, du weinst gerne?«
»Nein. Es heißt, dass es einfacher ist seine Tränen fallen zu lassen, als sie zurückzuhalten. Wenn ich traurig bin, dann weine ich lieber sofort, als es bewusst nicht zu tun.«
»Das heißt, du weinst oft?« Ich lehnte meine Stirn an ihre. Unsere Herzen schlugen höher, als sie sich berührten.
»Ich weine immer, Davis.«
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