10« Davis
Mein Herz schlug unregelmäßig.
Wut pulsierte durch meine Adern und ich wollte schreien.
Ich wollte den Betrunkenen anschreien, seine Finger von dieser Frau zu lassen, aber er war bewusstlos und würde ihr nicht mehr zu nahe kommen.
Ich wollte sie trotzdem rächen.
Ich wollte, dass er büßte sie angefasst zu haben. Sie.
Verwahrlost lag Tears am Boden, ihre Hände hielten sich selbst fest, versuchten ihren Körper vor den Blicken zu schützen, die auf mich und sie gerichtet waren.
Eine Kapuze verdeckte mein Gesicht, doch ich zweifelte nicht, dass sie mich erkannt hatte.
Zögerte sie deswegen? Wollte sie meine Hand nicht greifen, weil ich es war?
Ich wollte mir einreden, dass es verdient war. Das war es.
Und dennoch schmerzte es.
Jede Träne kroch in mein Herz und schnitt eine Ader auf. Blut floss in meine Brust und erstickte mich innerlich. Es tat weh. Unglaublich schmerzte es, wie sie mich ansah.
Verständnislos. Misstrauisch. Wehrend.
Ihre Angst machte mir Angst.
Meine Hand zitterte, so wie ihr zusammengekauerter Körper.
Sie sollte reden.
Ich wollte ihre Stimme hören.
Sie sollte mir sagen, dass es ihr, den Umständen entsprechend, gut ging.
Ich wollte ihre Stimme hören.
Sie sollte aufstehen.
Ich wollte ihr aufhelfen.
Sie selbst hielt mich zurück.
Ich war ich und das letzte Mal hatte sie unglaubliche Furcht vor meinem Gesicht.
Sie war vor mir zurückgewichen.
Das tat weh.
Ich senkte meinen Kopf.
Ich konnte ihren Augen nicht standhalten, weil sie so traurig, so gebrochen und so verweint in meine schrien.
Dieser Wasserfall sorgte in mir für unglaubliche Schmerzen - ihre Tränen brannten in mir und flammten auf, was ich immer zu ersticken geglaubt hatte.
Es war verrückt.
Ihr Schluchzen wimmerte im still gewordenen Raum.
Das Licht flimmerte noch immer, aber die Musik war verstummt und niemand traute sich der Situation gerecht zu werden. Keiner hatte sie bemerkt.
Keiner hatte das Schwein bemerkt, dass es gewagt hatte sie zu berühren.
Aber ich hatte sie gesehen.
Meine Augen beobachteten sie schon den gesamten Abend. Tears hatte schon zuvor geweint. Ihre Tränen tränkten den Stoff ihres Kleides und sie wirkte nicht bei der Sache, wenn sie den Leuten das Getränk gereicht hatte.
Etwas schwirrte in ihr.
Nicht der Schock, den sie nun empfand. Da lag so viel mehr in ihren wässrigen Augen.
So viel mehr von ihrer Geschichte und es tötete sie so traurig zu erleben. Ich mochte das nicht.
So, wie sie mich nicht mochte. Zurecht.
Wärme floss in meiner Hand hinauf und umgab mein Herz augenblicklich. Gänsehaut floh über meine Haut und wie automatisch verschränkte ich unsere Finger.
Mein Kopf schoss in die Höhe und meine Augen suchten den Haken dieser Situation.
Da war aber keiner.
Ihre kleinen Finger lagen in meinen. Sie malte Kreise auf meinen Handrücken und lächelte gesonnen, als mein schockierter Blick sie traf.
Für Sekunden war ich erstarrt.
Hatte sie das wirklich getan?
Sie gab mir diese Möglichkeit?
Ihre Finger lagen in meinen.
Da lag keine Angst in ihren Augen. Nicht, wenn sie mich ansah.
Für jetzt vertraute sie mir.
Und ich wartete nicht.
Mit einem Ruck erhob ich mich und zog sie damit ganz plötzlich auf die Beine.
Sie hatte keine Möglichkeit sich zu sammeln, ihre Beine aufzustellen oder ihr Gleichgewicht zu finden, denn sie würde ihre Füße nicht brauchen.
Ohne Zögern hob ich ihren Körper auf meine Arme und drehte mich zurück zur Menge.
Meine Kapuze hing tief in meinem Gesicht, sie erkannten mich nicht und so sollte es bleiben.
Eilig schritt ich über die Tanzfläche, geradewegs auf den Ausgang der Diskothek zu.
Die Leute machten mir Platz, niemand sagte etwas.
Auch ich nicht.
Ich wusste, dass James und Peter meine Prügelei mitbekommen hatten und alles in die Wege leiten würden, damit Zuschauer ihre Klappe hielten und der Perverse seine gerechte Strafe bekam. Er würde Tears nie wieder zu nahe kommen, dafür würde ich persönlich sorgen.
Stumm lief ich mit Tears in meinen Armen zum Ausgang und damit nach draußen.
Die Nacht trug den Himmel und ich genoss den kühlen Wind, der nach einem Aufenthalt in dieser stickigen Hitze, mehr als angenehm war.
Auch sie schien einen klaren Gedanken zu brauchen.
Ihre Hände hielten sich noch immer vor ihrem Körper verschränkt, doch sie beschwerte sich in meinen Armen nicht.
Ihr Blick lag auf mir.
Sie musterte mein Gesicht und konnte nicht wissen, wie viele Schauer mich deswegen überliefen. Wohlig genoss ich ihre Aufmerksamkeit und konnte nicht erklären, wieso dem so war.
Ich mochte Blicke nie, doch wenn der ihre nicht auf mir lag, kochte Wut in mir auf. Eifersucht.
Nein, das wäre ja lächerlich. Woher?
»Ich mag die Nacht«, erzählte sie der Stille und brach damit endlich das Schweigen.
»Wenn es dunkel ist, leuchtet Seattle immer so schön, so, als wäre alles in Ordnung.«
Ich blieb stehen. Mein Blick hob sich von ihrem mittlerweile entspannteren Körper und ich beäugte ihr Gesicht.
Die Tränen waren versiegt.
Keine Schminke verunstaltete ihr hübsches Gesicht - es gab gar keine.
Ihre rosigen Lippen waren zu einem gequälten Lächeln verzogen und sie versuchte sich damit wohl selbst abzulenken. Ich konnte verstehen wieso. Sie wollte nicht nachdenken. Denken, wie sie eben angefasst worden war und was alles geschehen wäre, wenn ihr niemand geholfen hätte.
Sie lag nur aus Zufall in meinem Arm und ich dankte dafür.
Es war nicht soweit gekommen. Das Schlimmste hatte ich verhindert.
»Es ist alles Illusion«, hauchte sie, als wir beide uns ansahen und in den Augen des anderen ein kleines Licht funkeln sahen. Ich fand einen Funken Silber, der eine Ader ihres Auges durchzog und aufblitze wie ein Bach aus Edelsteinen.
Der Moment blieb nur für Sekunden, Spannung zog sich zwischen uns beiden auf und platzte, als sie sich abwandte.
Ich lief weiter. Wo auch immer, aber ich würde sie noch nicht loslassen. Ich wollte nicht, konnte nicht.
»Aber eine schöne.«
»Ja, man könnte glauben eine Großstadt sei bei Nacht dem Frieden verfallen, dabei hetzt die Dunkelheit erst zum Krieg.« Sie seufzte und musste sich räuspern, ehe ihre Stimme an Ton erlangte. Ich lauschte ihr stumm.
»Glaubst du das?«, fragte ich und sah einen Moment in die Ferne.
Der Gehsteig wurde nur von uns beiden belaufen und keine dritte Seele störte meinen Genuss.
Ihr Körper wärmte meinen und Stromschläge schossen von meinen Armen hinauf durch meinen Hals und dann hinab bis in meine Beine.
Ich genoss diese Nähe - unseren Körperkontakt.
»Ja, die Nacht ist böse. Aber wir Menschen lieben das Böse - es zieht uns magisch an - und deswegen lieben wir auch die Nacht.«
»Und was ist mit all jenen, die Nachts weinend in ihren Betten liegen?«, fragte ich wieder und wollte einfach nur ihre Stimme hören. Es interessierte mich, wie sie die Augen auf Dinge warf. Denn so, wie ich mir immer gedacht hatte, Menschen würden die Welt sehen, sah sie sie nicht.
»Diese Menschen weinen nicht wegen der Nacht oder ihrer Furcht davor. Diese Menschen haben bloß Angst vor Dunkelheit.«
Eine Straßenlaterne erhellte ihr Gesicht und ich bewunderte ihre Augen und diese Worte. Wieso fiel mir erst jetzt auf, wie schön sie eigentlich war?
»Und du? Hast auch du Angst vor der Dunkelheit?«, fragte ich sie und senkte meinen Kopf, um ihr genau in die Augen sehen zu können.
Sie starrte an mir vorbei.
»Manchmal, ja, da habe ich Angst. Aber nicht vor der Dunkelheit, die ich sehe. Ich habe Angst vor der Dunkelheit, die in mir drinnen tobt.«
Darauf erwiderte ich nichts. Keine Frage. Ich musste einen Moment nachdenken.
Meine Schritte schlurften über den Asphalt und wir liefen durch Gassen, die ich noch nie zuvor betreten hatte. Wohin wir gingen - keine Ahnung. Meine Beine trugen uns durch die Stadt - irgendwohin. Es schien ihr zu gefallen.
»Wieso hast du mir heute geholfen?«, fragte sie nach einer Weile dann. Mein Körper verspannte sich und sie schien es zu spüren. Meine Hände klammerten sie fester und erst ihre großen Kulleraugen beruhigten mich wieder.
Das, was ich vor Augen sah - seine Hand in ihrem Ausschnitt, seine Finger an ihrem Kleid, seine Lippen auf ihrer Haut - brachte mich zur Weißglut.
»Ich konnte nicht sehen, was er mit dir gemacht hat. Niemand hat es verdient so widerwärtig angefasst zu werden, auch jemand wie du nicht.«
Diese Abweisung bereute ich sofort. Auch sie schien die Deutlichkeit zu hören und ich sah den Schimmer von Verletzlichkeit in ihren Augen knien.
»So jemand wie ich also«, murmelte sie und wandte sich in meinen Armen.
Ungehalten drückte ich sie enger an mich, ignorierte, dass sie mich nicht mehr so nahe an sich spüren wollte.
»So sollte es nicht klingen«, murmelte ich und hasste mich für den Moment.
»So klang es aber.«
Wut keimte in ihrer Stimme.
»Und wie sollte es klingen? Soll ich es hinnehmen? Willst du, dass ich mich zurücksinken lasse und lache, obwohl du mich schon wieder wie den letzten Dreck betitelst.«
Sie war sauer und ich konnte den Funken von Belustigung nicht verhindern. Er stieg auf, wenn sie ihre Augenbrauen so trotzig hob und wenn sie ihre Arme so verschränkte, wie sie es tat.
»Ich weiß nicht was ich will«, entfloh es mir, denn ich hatte tatsächlich keine Ahnung.
Was genau tat ich denn hier? Ich hielt sie in meinen Armen, konnte sie nicht loslassen und gleichzeitig beleidigte ich ihr schönes Gesicht.
Was war denn los mit mir?
Welche Entscheidung fiel mir so schwer?
Was konnte ich am Ende dieser Straße nicht sehen? Warum?
Woher diese Verwirrung?
»Und warum nicht? Was hindert dich, dass du nicht weißt, was dir den Weg verwehrt?«
Ihre Stimme wurde trockener, belastbarer und entspannter.
Ich seufzte. Sie verstand nicht.
»Ich weiß ganz genau, was mir den Weg verwehrt!«, erklärte ich aufgebracht und hielt in meinen Schritten inne. Ihre Augen starrten in mein Gesicht, aber ich konnte ihrem Feuer nicht kalt standhalten. Ich sah zu Boden.
»Aber ich weiß nicht, warum es mir den Weg verwehrt.
Mir hat sich nie etwas in den Weg gestellt, doch seit gestern und vorgestern und dem Gestern davor lässt es mich nicht mehr los. Ich kann mich nicht lösen, kann nicht mehr schlafen und weiß nicht, wie ich das zu ändern habe. Mein Körper sucht etwas, manchmal habe ich es, aber dann entgleitet es mir wieder und ich irre, ja, ich irre, obwohl ich noch nie zu irren hatte. Ich wusste immer, was ich wollte und ich nahm mir, was ich wollte, aber nun kann ich das nicht mehr. Es geht nicht einfach so und ich weiß nicht warum, denn das, was mir den Weg verwehrt, wollte ich nie!«
Der letzte Satz widmete sich nun doch ihren Augen. Ich schluckte bei ihren glühenden Wangen und ihrem sanften Blick. Woher kam er? Wo war ihr Zorn?
»Beantworte mir nur eines«, bat sie und legte urplötzlich ihre Hand an mein Herz. Nun begann es erst recht höher zu schlagen.
Was tat sie da?
»Jetzt, gerade hier, hast du da, was dir manchmal entgleitet?«
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top