»28«
[Taehyung]
„Ich glaube ich verstehe das nicht ganz richtig. Wie genau meinen Sie das?", fragte ich den Mann in Polizeiuniform vor mir perplex und riss dann die Augen auf, während meine Fäuste sich automatisch zu Fäusten ballten.
„Sie waren die letzte Person, die Herrn Jeon Jungkook wohl gesehen haben muss, denn laut der Aussage seiner Mutter, sollte er nach der Schule bei Ihnen etwas abgeben. Wir verdächtigen Sie nun nicht wegen einer möglichen Entführung, jedoch wollen wir unsere Fragen auch alle beantwortet haben, also wären wir Ihnen für jegliche Kooperation sehr dankbar", meinte der ältere Herr noch, der in meiner Wohnung stand und holte dann einen kleinen Notizblock heraus.
Noch immer überwältigt von der ganzen Situation, musste ich mich an einem der Stühle vor mir stützen, weil die Kraft in meinen Beinen nachließ.
„Jungkook ist eigentlich ein sehr guter Schüler, der nie eine Regel bricht oder unachtsam mit dem ist, was man ihm aufträgt. Letzt Woche hatten wir einen Ausflug, bei dem er aber zum ersten Mal gegen mein Wort handelte, dabei zweimal versuchte irgendwie zu entkommen, wegzulaufen oder wie auch immer man es nennen möchte. Die Situation, die das verursachte, ist nun aber geklärt, weshalb ich nicht denke, dass das noch einmal in Erwägung käme", erklärte ich hier geduldig, obwohl etwas in mir sagte, es sei die beste Idee, selbst nach draußen zu rennen und zu suchen. „Wir vereinbart, auch mit seinen Eltern, brachte er die Aufgaben seiner Klasse zu mir, da ich selbst nicht in die Schule kommen konnte. Wir hatten eine kurze Diskussion, von der ich aber nicht wusste, dass er sie sich so sehr ans Herz nähme, dass er deswegen weglaufen würde. Jedenfalls denke ich das nicht."
„Um was für eine Art von Diskussion sprechen wir hier?", hinterfragte der Schwarzhaarige noch. Für einen Augenblick hielt ich inne, weil ich dem Polizisten und somit dann wohl auch seinen Eltern nicht einfach die Gefühle offenbaren konnte, die er für mich empfand, also ließ ich mir schnell etwas einfallen.
„Ah, lediglich darüber, dass er seine Aufgaben nicht erledigt hatte", meinte ich nur und fühlte hinterher Schlecht beim Gedanken daran, dass Jungkook der Einzige gewesen war, der wirklich alles gemacht hatte und sich dabei wohl auch Mühe gab.
„Also gut. Wenn Sie irgendetwas hören oder sehen, dann sagen Sie bitte umgehend bescheid. Wenn Sie Zeit haben, dann suchen Sie ihn, wir könne jede helfende Hand gebrauchen, immerhin geht es hier gerade um einen Jugendlichen!", schilderte der Polizist und gab mir eine Bescheinigung dafür, dass mit seiner Station in Kontakt getreten war. „Vielleicht wissen Sie ja etwas mehr als wir, Sie kennen ihn schließlich als sein Lehrer."
Mit einem leichten Nicken verabschiedete ich mich schon dem Beamten, der meine Wohnung dann auch endlich verließ. Ohne einen einzigen Moment lang hier zu verweilen, vielleicht erstmal durchzuatmen, griff ich schnell nach Jacke und Handy, nahm ebenfalls meinen Schlüssel in die Hand, zog mir noch Schuhe an und rannte dann hinaus zum Auto.
„Was machst du nur?", fragte ich leise in Besorgnis, mit rasendem Herzen, als ich den Motor startete und losfuhr. Auch wenn ich nicht wusste, in welche Richtung ich fahren sollte, zog ich durch die ganze Stadt und fuhr durch jede Straße, wo ich mit dem Auto hindurchfahren konnte, schließlich war es meine Schuld gewesen, dass Jungkook weggelaufen war und hiermit verstand ich auch, wieso er es damals machen wollte, als wir an der Tankstelle waren und er von meiner Freundin, jetzt ehemaligen Freundin, erfuhr.
Von Anfang an war ich allein das Problem, aber suchte es bei allem und jedem anderen.
Immerzu trug er ein schwaches Lächeln auf seinen Lippen, wenn er mich sah, obwohl ich in all der Zeit wohl derjenige gewesen sein musste, der ihm am meisten Schmerz zufügte als jeder andere. Jede nette Geste die ich ihm erwies, war sicherlich ein weiterer Stich mit einem Dolch in sein Herz, aber ich war zu Blind, um zu erkennen, was ich diesem armen Jungen antat. Und dass ich Freitag sein Herz auch wortwörtlich brach, machte alles nicht gerade besser.
Mir war wohl bewusst, dass ich ein nicht sonderlich emotionaler Mensch war und meine Stärke nicht bei Gefühlen lag, jedoch philosophierte ich immer viel herum über Vernunft und Anstand, den ich selbst aber nicht einmal zu haben schien.
„Wo kann er bloß sein?", fragte ich mich selbst wieder und versuchte an Orte zu denken, zu denen er sich hätte treiben können, aber dafür kannte ich ihn nicht gut genug und wir hatten auch wirklich wenig über sowas geredet. Weiterhin aber fuhr ich zu Orten, an denen er hätte sein können. Vergebens.
Erst zum späten Abend, kehrte ich zurück Nachhause, wo ich letztendlich in meinem Auto sitzen blieb. Mein Herz schmerzte bei dem Gedanken daran, wie sehr ich Jungkook verletzt hatte und wie ignorant ich gewesen war, als ich dachte ich würde alles besser machen, wenn ich ihm nur noch mehr das Herz breche. Man konnte gar nicht mehr in Worte fassen, was ich gerade fühlte und ich wusste nicht, wie ich das jemals wieder gut machen würde, bei ihm und auch seiner Familie, sofern man ihn fand.
Und da fiel mir wieder in den Sinn, was der Polizist über sein Handy sagte. Als Jungkook an der Tankstelle weglaufen wollte, ließ er sein Handy wohl absichtlich zurück, da man ihn darüber finden würde und daher ging ich davon aus, dass es dieses Mal vielleicht auch so sein würde. Sicherlich war er es direkt losgeworden, nachdem er aus meiner Wohnung stürmte, weshalb ich nicht länger zögerte und sofort nach draußen rannte in den strömenden Regen, um sein Handy im und außerhalb des Gebäudes zu suchen.
Ich ließ keine Ecke aus, suchte unter Gebüschen und auch etwas weiter entfernt, überall, wo es hätte sein können, was jedoch nicht sehr leicht war, da es bereits ziemlich dunkel geworden war und die Taschenlampe an meinem Handy bei dem Wetter nur so von jeder noch so kleinen Pfütze gespiegelt wurde, somit alles aussah wie ein Bildschirm, der auf dem Boden lag.
Da ich in einer etwas teureren Gegend lebte, war der Eingang des Gebäudes von Kameras überwacht und da der Polizist nichts in die Richtung erwähnte, erschloss ich mir, dass Jungkook bestimmt einen anderen Weg nach draußen gefunden haben musste. Wenn er schon schlau genug war, um nicht sein Handy mitzunehmen, war er es auch, um zu wissen, sich nicht von einer Linse auffangen zu lassen.
Und da fiel mir nur die Tür des Hausmeisters in den Sinn, diese stand nämlich immer offen, für Leute die ihren Müll nach draußen bringen wollten, weshalb er sie wahrscheinlich gesehen hatte und die Chance ergriff, dadurch zu verschwinden.
Ohne mir eine weitere Sekunde Zeit zu lassen, ging ich sofort dorthin und wie es mein Schicksal so wollte, fand ich sein Handy tatsächlich dort, gerade wenn man aus der Tür ging hinter einem kleinen Gebüsch und bereits von Matsch umhüllt. Weil diese Stelle hier überdacht war, hatte es glücklicherweise kaum etwas von dem Regen abbekommen und musste somit auch funktionieren.
Ich versuchte es anzuschalten und tatsächlich funktionierte es. Ehrlich gesagt, kannte ich mich nicht richtig mit solcher Technik aus, aber sein Handy war ausgeschaltet und dazu der Flugmodus auch noch eingeschaltet, was doch sicher hieß, dass man es nie hätte orte können. Raffiniert.
Weil ich vorerst die Suche alleine auf mich nehmen wollte, ließ ich den Flugmodus weiterhin an und ging schnell zu mir in die Wohnung, wo ich das Handy entsperrte, da ich schließlich wusste, dass der Code mein eigenes Geburtsdatum, 301287, war.
Verzweifelt suchte ich nach irgendwelchen Hinweisen darauf, wo er vielleicht sein konnte, aber nachdem ich, außer einiger Bilder von mir, nichts in seiner Galerie fand, ging ich die Nachrichten durch. Vor allem die, die er mit der neuen Schülerin ausgetauscht hatte.
-
Acelya
Triff mich am Sonntag um Mitternacht. Ich warte hinter der Schule auf dich. Komme was wolle, erzähle niemandem davon oder von dieser Nachricht.
-
Acelya hatte ihm danach noch einige besorgte Nachrichten geschrieben, letztendlich aber zugesagt. Da heute Sonntag war, gingen bei mir gleich alle Alarmglocken los, immerhin würde es in bereits zehn Minuten schon zu diesem Treffen kommen und somit blieb mir nicht mehr sonderlich viel Zeit, um zur Schule zu gelangen.
Auch wenn es mit dem Auto bei dem Wetter und dem wahrscheinlich Verkehr länger dauern würde, hieß es natürlich nicht, dass ich ihn da nicht noch auffinden könnte. Also verschwendete ich keinen weiteren Moment, ging raus und fuhr wieder los, dabei einige Male auch fast einen Unfall bauend, weil meine Gedanken überall, nur nicht bei irgendwelchen Verkehrsregeln waren.
„Bitte, sei einfach da, unversehrt."
Und zum ersten Mal, war mir jemand Anderes wichtiger als ich mir selbst. Mich kümmerten nicht wohlmögliche Folgen oder was noch passieren konnte, denn mir ging es nur darum, Jungkook sicher aufzufinden und ihn zu seiner Familie zu bringen, weil meine Ignoranz und ich die Schuldigen seines Verschwindens waren.
---
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top