»24«
[Jungkook]
„Hier", sagte ich ganz leise und gab Taehyung das Glas Wasser in die Hand, dass ich soeben aus seiner Küche geholt hatte.
„Dankeschön", murmelte er nur und trank sofort daraus, in großen und gehetzten Schlücken, als hätte er seit Tagen nichts mehr getrunken. Mir fiel dabei auch auf, dass es ganz speziell nach dem Whiskey roch, den auch mein Vater am Abend öfter mal trank, der einen ziemlich penetranten Geruch hatte, den ich gar nicht ausstehen konnte. Das erklärte jedenfalls, wieso er so getaumelt hatte, als er mir die Tür öffnete.
„Sie haben bestimmt so Durst, weil Sie den Whiskey getrunken haben, oder? Alkohol zieht Flüssigkeit aus dem Körper, deswegen...", meinte ich lediglich und nahm das Glas wieder an, um es auf die nächst beste Stelle abzulegen, damit ich mich neben Taehyung setzen konnte. Es war ein ziemlich hohes Bett, weshalb ich bei meiner Körper Größe den Boden mit den Füßen nicht erreichen konnte, wodurch ich mich fühlte wie ein Kind. Ich wollte größer sein, aber ich wuchs einfach nicht mehr, was mich total nervte.
„Es tut mir leid, dass ich deiner Familie und dir so viel Stress mit meinen Problemen bereite, wo ich das doch nicht sollte, da ich dein Lehrer bin", merkte er irgendwann an, nachdem wir uns wieder über einen längeren Zeitraum einfach nur angeschwiegen hatten. Diese Momente waren die Schlimmsten, denn wir saßen nebeneinander und es gab definitiv Bedarf zum sprechend, aber keiner wagte es den Mund zu öffnen und zu sprechen. Ich für meinen Teil tat es nicht, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte, da ich Angst hatte, Taehyung in irgendeiner Weise mit meinen Worten zu verletzen und er tat es wahrscheinlich nicht, weil er sich so schlecht damit fühlte, dass ich überhaupt hier war und ihn in dieser Verfassung sah.
„Sie haben selbst gesagt, dass man einem Menschen helfen soll, wenn man sieht, dass dieser Hilfe benötigt. Ich hätte jetzt sowieso nichts mehr gemacht und meine Eltern genauso wenig", erzählte ich und schaute zur Seite, zu ihm. „Wir machen das wirklich gerne, vor allem ich! Sie haben mir auch oft geholfen und das hier ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann. Ich habe die ganze Zeit schon überlegt, wie ich Ihnen dafür danken soll, was Sie in einem so kurzen Zeitraum für mich gemacht haben."
„Habe ich dir nicht schon gesagt, dass es selbstverständlich für mich, als dein Lehrer, ist, dir in jeglicher Situation zu helfen, vor allem wenn du unter meiner Verantwortung stehst? Ich habe es nur gemacht, weil mein Beruf es so wollte", erwähnte er plötzlich und wandte seinen Blick zur Seite ab. Etwas verwundert darüber, woher sein plötzlich gereizter Ton kam, senkte ich meinen eigenen Blick nur und seufzte, traurig.
„Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht verärgern", nuschelte ich im Flüsterton vor mich hin und spielte mit meinen Fingern. „Es ist nur, dass ich Ihnen in Seoul jedes Mal wieder so viel Stress gemacht habe, vor allem als ich weglaufen wollte, dass ich mich einfach sehr schlecht fühle und nicht weiß, wie ich das gutmachen soll."
Einige Augenblicke verweilten wir so und keiner von uns dachte daran zu sprechen, bis Taehyung sich letztendlich aber dann doch dazu entschied. Er schaute mich während er sprach sogar auch an, aber ich konnte diesen Blick nicht wirklich deuten. Es verwirrte mich.
„Wieso willst du es wieder gutmachen? Schließlich ist ja nichts daran, dass du dich total daneben benommen hast, kaputt gegangen. Hätten wir jegliche Art von Relation, könnte ich es verstehen, du bist aber nichts als ein Schüler für mich und ich nichts als ein Lehrer für dich. Es gibt nichts, das du wieder gutmachen musst oder sollst", entgegnete er und stach mir damit mitten ins Herz. Nur leicht nickend, machte ich mich immer kleiner und hob meinen Blick nicht mehr von meinen Händen, neigte meinen Kopf jedoch noch etwas zur Seite, in der Hoffnung der Mann würde meine Tränen nicht sehen.
Aber wie es schien, hätte es ihn so oder so nicht interessiert, selbst wenn er sie sähe. Taehyung machte es mir gerade klar und deutlich, dass er nur mein Lehrer war und vor allem, dass ich nur ein Schüler für ihn war. Wieder jeder Andere auch. Nichts Außergewöhnliches. Nichts Besonderes.
Ich wischte mir einmal schnell durch mein Gesicht, als würde ich mich kratzen oder so, und schaute dann wieder zu ihm, presste die Lippen etwas aneinander.
„Dürfte ich einmal schnell Ihr Bad benutzen?", fragte ich unsicher, rannte dann auch sofort dort hinein, als er mir zur Antwort nur ein Nicken gab und sperrte mich ein. Ich atmete einmal tief ein, weil ich im Schlafzimmer neben Taehyung das Gefühl hatte noch zu ersticken, wobei mir auch immer mehr Tränen über die Wangen liefen. Allmählich kam in mir immer weiter das Gefühl auf, nicht mehr auf meinen eigenen Beinen stehen zu können, weshalb ich mich an dem Waschbecken abstützte und versuchte mich zu beruhigen, da mir bereits schwarz vor Augen wurde.
Mit meiner Hand fest an die Stelle meiner Brust gedrückt, an der sich mein Herz befand, welches raste und kurz davor war zu explodieren, stand ich da und übte Atemtechniken aus, die mich wieder auf ein beruhigtes Level bringen sollten. Schnell wischte ich mir nochmal durch das Gesicht, wobei ich vorher meine Hand aber in kaltes Wasser getan hatte. Ich trocknete mich noch ab und schaute in den Spiegel, in dem ich erkannte, dass meine Augen bereits rot geworden waren durch meine ganzen Tränen. Meine Haut war blass, meine Augenringe etwas angeschwollen. Aber vielleicht würde es Taehyung nicht auffallen.
Es war nicht die Zeit, dass hier alles um mich drehen zu lassen. Jetzt gerade war nur er wichtig, weil er derjenige war, der wirklich litt, was auch immer zwischen ihm und seiner Freundin passiert war.
Ich putzte mir noch die Nase und wollte gerade das Taschentuch in den Mülleimer werfen, jedoch stockte ich ein wenig, als ich diesen öffnete und hineinschaute. Er war eigentlich vollkommen leer und bis auf einer Verpackung für einen Schwangerschaftstest, befand sich nichts darin. Weil ich Taehyungs Freundin vorhin gesehen hatte, die ja eigentlich schon offensichtlich schwanger hätte sein müssen, bekam ich immer mehr Neugier und holte den Test hinaus einfach hinaus, auch wenn ich das nicht hätte tun sollen.
„Mal schauen", murmelte ich ganz leise für mich selbst und öffnete die Verpackung. Tatsächlich befand der Test sich noch darin und als ich ihn hinaus holte, erkannte ich sofort, wo das Problem hier war. Seine Freundin war nicht schwanger und wäre sie es jemals gewesen, hätte sie niemals diesen Test gemacht, je nachdem, wie lange der hier schon drinnen lag. Etwas erschrocken über die Situation, schluckte ich einmal laut und packte alles wieder dorthin, wo es hingehörte, bevor ich zurück in das Schlafzimmer ging. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass meine Eltern in circa einer Stunde da sein würden, weshalb ich leise seufze, weil ich nicht wusste, was wir in dieser Zeit hier noch machen sollten.
Da ich nun ungefähr wusste, warum es Taehyung schlecht ging, hatte ich mehr Erleuchtung in der ganzen Situation und setzte mich mit ziemlich viel Mitleid neben ihm. Ich verstand jetzt auch, weshalb er so gereizt war und seine Stimmung so schwankte, denn erst weinte er nur und jetzt schien er wieder wie der emotionslose Mann, den ich kennengelernt hatte.
„Du warst ziemlich lang im Bad", sagte er irgendwann, jedoch wusste ich nicht darauf zu antworten. „Was hast du darin gemacht? Ich habe dich kramen hören."
„Sie müssen sich verhört haben, ich habe lediglich mein Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen, weil ich mich sehr müde fühle", nuschelte ich unsicher und nervös vor mich hin, versuchte mein Gesicht wieder ein wenig aus seinem Blickfeld zu neigen, damit er nicht sehen konnte, dass es rot angelaufen war. Ich saß mit dem Rücken zu ihm, weshalb Taehyung es gar nicht hätte sehen können, aber trotzdem wollte ich sichergehen.
„Ich mag Lügen und Lügner nicht, Jungkook", gab er von sich. Seine Stimme war wieder so tief und so bedrohlich, es machte mir schon richtig Angst, wenn er so sprach, denn jedes Mal, wenn er so sprach, klang es für mich nun wie in jener Nacht, als er seine Kontrolle verlor und auf Daniel, einen minderjährigen Schüler, losging und au diesen einprügelte. Natürlich war mir klar, dass das eine einmalige Situation war, aber irgendwas in mir hatte dennoch Angst davor, ebenfalls auf dieser Weise mal unter ihm liegen zu müssen.
„Ihre Freundin war gar nicht schwanger", stieß ich irgendwann einfach heraus und drehte mich in einer Bewegung zu ihm um. Ich hatte seinen Blick auf mir gespürt und konnte es nicht länger ertragen, da ich ohne nur wirklich ungern log und vor allem, wenn es Taehyung war, machte ich es noch weniger gern, obwohl ich schon seit Monaten eine Lüge vorlebte und ihm nie davon erzählte, wie sehr ich litt, dass mein Herz sich ihn ausgesucht hatte. „Im Mülleimer im Badezimmer war ein negativer Schwangerschaftstest und deswegen weiß ich jetzt, dass sie nicht schwanger war. Weil Sie sagten, dass sie sogar beim Arzt war, um das Geschlecht herauszufinden und ihr beide offensichtlich Streit miteinander hattet, konnte ich mir selbst erschließen, dass sie Sie wohl angelogen haben muss oder so."
Anders als erwartet, schlug er nicht auf mich ein wie er es mit Daniel gemacht hatte, nachdem ich ihm erzählte, dass ich in seinem Müll wühlte und er schaute mich nicht einmal verwundert an. Seine Augenbrauen waren nur leicht gehoben und er schien zu staunen darüber, dass ich das alles alleine herausgefunden hatte, ohne dass er mir auch nur ein Wort erzählen musste. Und dann kam ihm wieder so eine Trauer in den Blick, der sich senkte, und seine Augen füllten sich mit Tränen, aber er weinte nur stumm.
„Du hast recht, sie hat mich in dieser Sache betrogen und mir nicht einmal erzählt, dass ich der Grund dafür bin. Ich kann wohl keine Kinder zeugen, da an ihr alles stimmt und sie hat es mir verheimlicht, weshalb ich sie aus meinem Leben geschlossen habe, das auch tun musste, für mich", erzählte er beschämt. Ich zog die Luft scharf ein und schaute Taehyung mit weit aufgerissenen Augen an. Meine Reaktion war nicht die Beste, denn sie schien ihn nicht gerade glücklicher zu machen, weshalb ich schnell wieder versuchte mich zu beruhigen und auf einen Nenner mit ihm zu kommen, jedenfalls was die Ruhe in seinem Verhalten anging.
Aber ich schaffte es nicht, denn einerseits tat er mir viel zu sehr leid, weil ich damals allein an seinem Blick erkennen konnte, wie sehr er sich auf das Kind gefreut hatte und wie groß somit auch sein Kinderwunsch war und andererseits spürte ich so viel Wut in mir gegenüber dieser Frau, dass ich die Hände zu Fäusten geballt hatte, die ich fest in das Bett drückte.
„Diese kleine Schlampe", entkam es mir zähneknirschend und ich erschreckte mich tatsächlich vor mir selbst, als ich realisierte, dass ich das laut gesagt hatte. Sofort schaute ich zu Taehyung und schüttelte hastig den Kopf. „So meinte ich das nicht!"
Aber er lachte nur leise, in Tränen. „Keine Sorge, ich denke gerade nicht anders über sie", meinte er lediglich.
Zu sehen, dass er wenigstens ein wenig lachen konnte, in einer solchen Situation, in der die meisten Menschen wohl einem vollkommenen Zusammenbruch erleiden würden, machte mich unglaublich glücklich. Vor allem, weil er es meinetwegen tat. Er lachte durch die Worte, die ich gesagt hatte.
Ich. Der unbedeutende und anstrengende Schüler.
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