Vierte Szene

"Noch ein bisschen höher, ja, genau - autsch!"

Ich glaube, mehr brauche ich nicht sagen, wenn ich kopfüber an einem Zaun, mit den Füßen verheddert, dranhänge, oder? Ich plumpse wie ein nasser Sack zu Boden und hinter meinen Augen sehe ich auf einmal eine ganz neue Galaxie.

Als ich mich aufrappeln möchte, kann ich das Weghüpfen einiger Kröten wahrnehmen und wie erstarrt bleibe ich sitzen.

"Und, was hörssu?", fragt Jamie und ich kann seine Fahne bis hierhin riechen, obwohl die breiten Lattenpfosten dazwischen sind. Vielleicht waren die drei Shots am Ende doch zu viel.

"Nur die ängstlichen Fröschis!" Ich muss mir ein Kichern verkneifen und auch Jamie schnauft, was wohl eher darauf zu führen ist, dass er sich mühsam über den Zaun hievt, als meinen etwas eingerosteten Witzen zuzuhören.

"Und welcher davon is jess deiner?" "Keine Ahnung." Ich spüre, wie es mir ein bisschen die Kehle zuschnürt bei dem Gedanken, dass ich meine drei treuen Kröten, Kevin, Stuart und Bob, hier ausgesetzt habe, und ich vergrabe meinen Kopf in meiner Jacke. Ich glaube ja, dass Stimmungsschwankungen zum Alkohol dazugehören. Mehr oder weniger.

"Jamie?" "Hm?" "Ich hab' dir immer was verschwiegen." "Okay." Es ist kein vorwurfsvolles oder fragendesokay, es ist eher so ein typisches Jai-Okey.

"Ähm, ja..." Mit einem Schlag ist die Trunkenheit aus mir verschwunden. Und die Nervosität da. "Also, ich hatte da so eine kleine Trauerrede für Hanni vorbereitet. Und für dich. Und für mich. Und für meine Katzen. Falls wir sterben und niemand anderes das gemacht hätte." Ich starre auf meine schwitzenden Hände.

"Darf ich sie jetzt lesen?" Ich halte den Atem an und warte gespannt auf seine Antwort. "Ja." Im Mondlicht kann ich seine hellen Augen erkennen, wie sie noch heller werden und vor Freude glitzern und ich krame schnell in meinem Rucksack nach dem Zettel.

"Ja, also, hmhm!" Ich räuspere mich noch einmal, bevor ich zu lesen beginne:

"Wie ihr alle wisst, ist Hanni Krankenpflegerin und Hebamme gewesen.

Ich hab' mich und sie oft gefragt, wie man das aushält, so jeden Tag mit dem Tod, und sie meinte dann:

"Du hältst es nicht aus. Du rettest nur."

Und ab da ist sie dann meine persönliche Heldin gewesen.

Ich war bis jetzt noch nie stationär im Krankenhaus, aber wenn, dann hätte ich mich zu ihr legen lassen.

Selbst wenn ich nicht schwanger wäre.

Oder eine neue Hüfte implantiert bekommen hätte."

Ich sehe ein Grinsen auf Jai's Gesicht und muss auch lächeln.

"Aber auch privat hat sie mich inspiriert.

Ich meine, ohne sie wäre ich nie auch nur auf die Idee gekommen, Graphik zu studieren.

Oder überhaupt zu zeichnen.

Oder die Pille zu nehmen. Ist ja auch egal.

Auf jeden Fall hat sie mein kleines Leben bereichert. Was jetzt ziemlich scheiße ist, weil sie nicht mehr da ist.

Und mich nicht mehr nach einer großen Party nach Hause fahren kann, obwohl sie selbst entweder stoned oder komplett betrunken war.

Noch so ein Punkt.

Ich muss wahrscheinlich allen Ernstes den Führerschein machen. Ohne Hanni.

Wie so vieles auch."

Ein Schniefen von meiner linken Seite holt mich in die Realität zurück und ich höre Jamie leise zu sich selber sagen: "Jetzt habe ich mich noch einmal in sie verliebt."






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