13 | Letzte Chance?
Ihr schönen Menschen, das vorvorletzte Kapitel. Eigentlich waren es zwei, aber ich habs geteilt, damit wir am Ende auf 15 kommen. Es war eh so lang, dass es locker zwei sein könnten :) Ich wünsche euch viel Spaß, es ist auch extra lang geworden :D
Kaia sah unauffällig zu Nio herüber. Der große Blonde saß neben seinem Vater auf der Couch und lachte über irgendwas. Seine breite Brust drückte sich durch den Stoff des schwarzen Hoodies, dessen Kapuze er sich über die Snapback auf seinem Kopf gezogen hatte. Als er sich in die weichen Polster zurücksinken ließ, trafen sich ihre Blicke kurz. Ein heißkalter Schauer lief Kaia über den Rücken, selbst, wenn der Ausdruck in seinem Gesicht nicht verriet, was er gerade dachte.
Seit er vor zwei Monaten ihre Kommode aufgebaut hatte, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Umso unangenehmer war es ihr, dass sie ausgerechnet den Jahreswechsel mit ihm verbringen und so tun musste, als wäre alles wie immer. Doch als ihre Mutter sie mit ihren Plänen, eine Silvesterparty zuhause zu geben, regelrecht überfallen hatte, hatte Kaia es nicht übers Herz gebracht, ihr zu sagen, dass sie den Übergang viel lieber bei Alisha gefeiert hätte, so wie jedes Jahr. Und so saß sie nun hier, im großen Wohnzimmer ihrer Eltern, und versuchte, sich ihren Unmut darüber nicht anmerken zu lassen. Ihre Mom hatte sich gerade neben John auf die Couch gesetzt und ihm das Getränk aus der Hand genommen, um davon zu probieren. Aus den Boxen der Anlage dudelte irgendein alter Song, der von der lauten Stimme ihres Vaters übertönt wurde.
„Ey, hol dir deinen eigenen Drink, man", lachte er und nahm Cassie den Becher wieder ab.
„Animier sie nicht zum Trinken, das ist noch nie gut ausgegangen", warf Marten trocken ein. Cassie bedachte ihn mit einem finsteren Seitenblick.
„Musst du gerade sagen", schoss sie unbeeindruckt zurück, bevor sie sich suchend umschaute. „Wäre Nika hier, könnte sie das bestätigen."
„Willst du die Geschichte von damals erzählen, als ich dich besoffen vor dem Club aufgelesen habe, nachdem ihr euch gestritten habt, oder soll ich?", konterte Marten überlegen.
„Und willst du die Geschichte erzählen, als du im Suff beinah die Tür meiner Wohnung zertrümmert hast, in dem Glauben, du würdest zart anklopfen?"
Nika, die aus dem Flur zurückkehrte, grinste Marten frech ins Gesicht. Der ließ sich von ihrer Stichelei jedoch nicht aus der Ruhe bringen.
„Vielleicht sollten wir vorher die Story raushauen, wie du damals sturzbetrunken im Dolls aufgeschlagen bist, um dich mit den Mädels über mich zu unterhalten – oder von der Razzia, bei der du unfreiwillig dabei warst, weil du dich mit mir auf dem Kiez abgeschossen hast", erwiderte er lässig. Nika, die sich gerade wieder zu ihm auf die Couch gesetzt hatte, zog eine Augenbraue hoch.
„Du meinst die, bei der du mir hektisch Scheine in den Schlüpfer gesteckt hast, damit die Bullen die Kohle nicht konfiszieren?", schoss sie belustigt zurück.
„Oh, jetzt wird's interessant", grinste Nio. Cassie lachte.
„Ja, die Geschichte war super. Erzähl die mal", forderte sie und lehnte sich an John, der sofort seinen Arm um sie legte. Kaia seufzte lautlos. Ob sie wohl auch mal einen Mann finden würde, mit dem sie in zwanzig Jahren noch so glücklich sein würde? Es erfüllte sie mit einer wohligen Wärme, zu sehen, wie sehr ihre Eltern sich nach all der Zeit noch liebten. Dennoch spürte sie einen kleinen Stich in ihrem Herzen. Automatisch sah sie noch einmal zu Nio, der einen Schluck von der Mische trank, die John ihm vorhin gemacht hatte. Selbst jetzt, als er einfach nur so dasaß, lässig in die Kissen der Couch gedrückt, den Becher in seinen tätowierten Fingern, übte er eine nahezu magische Anziehungskraft auf sie aus. Er leckte sich über die vollen Lippen, während er sich seiner Mutter zudrehte.
„Hau raus...", forderte er ungeduldig. Nika hob abwehrend die Hände.
„Niemand, wirklich niemand will das hören."
„Das sagst du nur, weil du so schlecht dabei wegkommst...", kommentierte Marten und nippte an seinem Drink.
„Sollen wir vielleicht mal mit den Geschichten anfangen, bei denen du schlecht wegkommst?", hielt Nika unbeeindruckt dagegen.
„Ich hatte jedenfalls die glorreiche Idee, deine Mutter mal mitzunehmen, damit sie sieht, was auf dem Kiez so abgeht. Sie hat sich ein paar Cocktails reingehauen. Auf dem Weg zurück zum Auto hat Joker mich angerufen, musste alles schnellgehen. Also hab ich ihr gesagt, sie soll mit dem Taxi nach Hause fahren und bin ins Dolls. Aber ich hab in der Hektik ihr Handy und ihre Kohle eingesteckt. Dann ist sie also um Laden aufgetaucht, weil sie nicht nach Hause kam. Auf einmal sind die Bullen in den Club gestürmt, haben alle auf den Boden geworfen und die Schränke aufgerissen, um da drin rumzuwühlen. Ich hab das auf den Kameras gesehen und wusste, wir haben noch Kohle da liegen. Also hab ich ihr das kurzerhand in den Slip gesteckt, weil ich keinen Bock hatte, dass die Bullen die Tasche finden, Fragen stellen, das Geld mitnehmen und ich denen erklären muss, wo das herkommt..."
„Die Knarre hast du unterschlagen", warf Nika trocken ein.
„Was für ne Knarre?", platzte es aus Lia heraus. Nios Schwester, die bis gerade eben teilnahmslos auf ihrem Smartphone herumgetippt hatte, schaute nun aufmerksam zu Marten herüber.
„Hatte Joker unterm Tisch."
„Er ist hektisch auf den Schreibtisch gesprungen, hat die Deckenverkleidung abgerissen und die dort reingeworfen", erzählte Nika bissig. „Später hab ich erfahren, die war nicht registriert und keiner da hätte die besitzen dürfen."
Während Marten die Anekdote weitererzählte, hörte Nio ihm gespannt zu. Kaia hingegen hatte das Gefühl, etwas frische Luft zu brauchen. Die Erzählungen aus Martens Vergangenheit hielten ihr nur einmal mehr vor Augen, dass Nio möglicherweise doch mal einen ähnlichen Weg einschlagen würde wie sein Vater. So sehr sie Marten auch liebte und als Patenonkel respektierte – sie konnte damit rein gar nichts anfangen. Sie mochte Nio, aber sie musste sich von ihm fernhalten. Dass er schon mittendrin war, Marten nachzueifern, hatte er wieder unter Beweis gestellt, als er in ihrem Beisein die Beherrschung verloren hatte. Kaia hatte keinen Bock auf einen Freund, auf den sie aufpassen musste wie auf ein Kind.
Sie warf einen letzten flüchtigen Blick zu ihm herüber. Noch immer hörte er seinen Eltern neugierig zu. Kaia stand auf und machte sich auf den Weg nach oben. Von ihrem alten Kinderzimmer, aus dem sie kurz nach ihrem Streit mit Nio in ihre eigene Wohnung gezogen war, gelangte sie direkt auf den kleinen Balkon. Sie schnappte sich die weiche Kuscheldecke, die noch immer auf ihrem alten Bett lag, und schob die Balkontür auf. Sofort hüllte die eisige Kälte sie ein, also hüllte sie sich in die Decke und fiel in ihren Hängesessel, in dem sie früher oft in der Sonne gesessen, Hausaufgaben gemacht oder einfach nur nachgedacht hatte.
Inzwischen hatte sie aufgehört zu zählen, wie häufig sie sich dabei auch über Nio den Kopf zerbrochen hatte. Sie kannten sich seit ihrer Geburt, waren praktisch miteinander aufgewachsen. Je älter sie geworden waren, desto häufiger hatte er sich wie der große Bruder aufgeführt, den sie nie gehabt hatte. Und Kaia hatte ihn immer gemocht. Nio hatte nicht nur einen tollen Humor und brachte sie so zum Lachen, dass ihr Tage später noch der Bauch wehtat, er hatte auch immer ein offenes Ohr für sie und war für sie da, wenn sie mal nicht weiterwusste. Doch mit der Zeit war seine Fürsorglichkeit in tiefere Gefühle umgeschlagen. Trotzdem hatte sie gegen ihre eigenen angekämpft. Ganz egal, wie sehr sie ihn vermisst hatte – es sprach einfach zu viel dagegen, ihm eine neue Chance zu geben; zum Beispiel, dass er ein schrecklicher Hitzkopf war oder sie immer wieder ghostete und sich dann mit anderen Frauen traf, weil er nicht wusste, was er eigentlich wollte. Dafür war sie sich einfach zu schade.
Ein leises Rascheln riss sie aus ihren Gedanken. Erschrocken fuhr sie zu der Geräuschquelle herum und sah geradewegs in Nios Gesicht. Die Kapuze seines Hoodies noch immer über die Snapback auf seinem Kopf gezogen stand er mit unergründlichem Gesichtsausdruck im Türrahmen und schaute auf sie herab. Seine Augen funkelten geheimnisvoll in der Dunkelheit, als er neugierig den Kopf schieflegte. „Versteckst du dich vor mir?"
Kaia seufzte schwer.
„Ja. Und ich wäre gern allein. Geht das?"
Nio atmete tief durch, doch statt ihrer Bitte nachzukommen, trat er zu ihr auf den Balkon. Kaia verdrehte die Augen.
„Ich mein's ernst, okay?"
„Wir sollten aber reden", hielt er dagegen, seinen Blick noch immer in ihre Augen gerichtet. Sie biss sich auf die Zunge, als sie Gefahr lief, sich in seinen zu verlieren, und ignorierte das wohlige Kribbeln in ihrem Bauch, je näher er ihr kam. Zwei Monate hatte sie ihn nicht gesehen, und doch war seine Wirkung auf sie noch dieselbe.
„Es ist alles gesagt, Nio."
„Nein, ist es nicht", widersprach er kopfschüttelnd, dann ließ er sich ungefragt auf den freien Platz neben ihr fallen. Kaia zog wütend die Augenbrauen zusammen und drehte ihm genervt den Kopf zu.
„Gott, Junge, was ist dein Problem?"
„Du ignorierst mich seit Wochen und fragst mich ernsthaft, was mein Problem ist?"
Er zog eine Augenbraue hoch und sah ihr anklagend ins Gesicht, doch Kaia hatte nicht vor, sich auf eine Diskussion mit ihm einzulassen. Statt ihn anzusehen, ließ sie ihren Blick wieder in die Nacht schweifen. Er seufzte leise.
„Ich weiß, du bist sauer, aber-"
„Ich bin nicht sauer", fiel sie ihm ins Wort. „Ich habe bloß ernstgemeint, was ich gesagt habe – solang du so bist, kann ich mit dir nicht zusammen sein."
Noch immer schaute sie ihn nicht an, sah aber in ihrem Augenwinkel, wie er seine Kiefer fest aufeinanderpresste.
„Ich weiß. Deshalb werde ich auch an mir arbeiten. Ich versprech's dir."
Aw, ein bisschen süß ist es schon, oder? Und, glaubt ihr ihm das? Also, dass er an sich arbeiten will? Würdet ihr ihm eine letzte Chance geben?
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