06 | Secrets, Flirts and Lies
Ihr lieben, heute gibt es ein extra langes Kapitel. Eigentlich sind es zwei, aber ich habe es nicht fertiggebracht, es irgendwo aufzuteilen. Ich wünsche euch viel Spaß :D
Zu schlicht. Zu freizügig. Zu langweilig. Kopfschüttelnd betrachtete Kaia die Auswahl ihrer Outfits, die sie auf ihrem Bett ausgebreitet hatte, seufzte und blies sich frustriert eine verlorene Locke aus der Stirn. Bereits eine halbe Stunde beschäftigte sie sich nun damit, was sie zu ihrer Verabredung mit Nio anziehen sollte, dabei wollten sie bloß ins Kino gehen. Bevor sie noch mehr Zeit damit verschwenden konnte, mit sich zu hadern, schlüpfte sie in eine hellblaue, an den Knien zerrissene Jeans und zog sich ein weißes T-Shirt mit buntem Print über. Nachdem sie den Saum seitlich in den Hosenbund gesteckt und den Stoff ein wenig in Form gezupft hatte, betrachtete sie sich skeptisch im Spiegel neben dem Kleiderschrank. Einmal mehr an diesem Abend schüttelte sie über sich selbst den Kopf.
„Reiß dich mal zusammen", sagte sie zu sich selbst. „Es ist ein blöder Kinobesuch, nichts weiter."
Bevor sie es sich nochmal anders überlegen konnte, huschte sie ins Bad, um sich zu schminken; nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Sie war nie Fan davon gewesen, sich übermäßig viel Make-Up ins Gesicht zu schmieren, aber sie liebte es, die Vorzüge hervorzuheben; ihre großen Augen, ihre runden Wangen und ihre vollen Lippen. Als sie ihre Locken in Form gezupft hatte, schnappte sie sich ihr Handy und ging die Treppe herunter, um dort auf Nio zu warten. Da sie noch ein wenig Zeit hatte, holte sie sich in der Küche etwas zu trinken.
Sie hatte gerade ein Glas aus dem Schrank genommen, als ihr Vater in Shirt, Shorts und Schlappen den Raum betrat. Seine blonden Locken standen wirr von seinem Kopf ab.
„Wo willst du denn hin?", fragte er mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen, als er neben sie an die Anrichte trat. Kaia, die gerade dabei war, sich Orangensaft einzuschütten, drehte ihm den Kopf zu.
„Ich treffe mich mit Nio", erzählte sie bereitwillig. John runzelte skeptisch die Stirn.
„Für den hast du dich so aufgebrezelt?"
Kaias Ohren wurden heiß, doch obwohl sie sich ertappt fühlte, schnitt sie lässig eine verständnislose Grimasse. Wenn sie mit den Jahren etwas von ihrem Vater gelernt hatte, dann, ihre wahren Emotionen zu verbergen. Natürlich kannten ihre Eltern sie besser als sonst jemand, doch in letzter Zeit gelang es ihr immer öfter, auch ihnen etwas vorzumachen.
„Ja, ein T-Shirt und eine Jeans. Hab lang nicht mehr so viel aus mir herausgeholt", kommentierte sie triefend vor Sarkasmus. Er lachte.
„Was wollt ihr machen?", fragte er, holte sich ebenfalls ein Glas aus dem Schrank und nahm ihr die Flasche aus der Hand.
„Wir gehen ins Kino", antwortete sie bereitwillig. Er beobachtete sie von der Seite.
„Welcher Film?"
Kaia nippte an ihrem Saft.
„So eine neue Action-Komödie", sagte sie.
„Aha."
„Du könntest Mom ja auch mal wieder einladen", sinnierte sie, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Anrichte und trank einen weiteren Schluck. John grinste bedächtig. Als sie verstand, dass er vorhatte, sich in ihrer Abwesenheit eine gute Zeit mit ihrer Mutter zu machen, verdrehte sie die Augen.
„Oh mein Gott, ist ja ekelhaft", stöhnte sie angewidert. „Sowas will ich nicht wissen, okay?"
„Ich habe doch gar nichts gesagt", lachte er, schraubte die Flasche wieder zu und stellte sie zurück an ihren Platz.
„Eigentlich wollte ich dich fragen, was ihr heute Abend vorhabt, aber irgendwie ist mir die Lust dazu vergangen", kommentierte sie trocken, trank einen weiteren Schluck und stellte das Glas zur Seite. Dann öffnete sie den Kühlschrank, um noch einen kleinen Snack einzuschieben. Das Hähnchen, das ihre Mom gestern Abend gemacht hatte, kam ihr gerade recht. Kurzerhand griff sie nach der Schüssel mit den Resten.
„Würde ich dir eh nicht verraten", konterte John überlegen. Sie schmunzelte, nahm sich ein Stück Curry-Hühnchen heraus und biss herzhaft hinein. Es schmeckte köstlich, obwohl es kalt war.
„Puh, keine Ahnung, wie ich heute Nacht schlafen soll", schoss sie zurück, grinste frech und schob einen zweiten Bissen hinterher. Als sie die Schüssel in den Kühlschrank zurückräumen wollte, nahm John sie ihr aus der Hand.
„Bist du zu Nio auch so frech?", wollte er wissen und musterte sie belustigt von der Seite. Kaia, die sich gerade das letzte Stück Fleisch in den Mund geschoben hatte, griff nach der Küchenrolle, um sich die Finger abzuwischen. Durch ein Geräusch alarmiert sah sie aus dem Fenster. Der signifikante Klang des röhrenden Motors verriet ihr Nios Eintreffen schon einige Sekunden, bevor sie seinen blonden Kopf endlich durch die Frontscheibe seines schwarzen Wagens sehen konnte.
„Der kann das ab", sagte sie überzeugt. John lachte.
„Falls er dich heute Abend irgendwo am Straßenrand aussetzt, ruf mich nicht an."
Mit den Worten schnappte er sich sein Glas und verließ mit seiner Beute die Küche. Kaia sah ihrem Vater kopfschüttelnd hinterher und grinste. Sie liebte ihn so sehr, dass es wehtat. Schon immer hatten sie ein gutes Verhältnis zueinander gehabt und sie war froh, dass sie mit ihm über alles reden konnte; sogar über ihre Probleme mit Jungs – auch, wenn sie das tunlichst vermied. Dennoch machte es sie glücklich, wie gut sie sich verstanden.
Lächelnd drehte sie sich wieder zum Fenster, vor dem Nio gerade seinen Wagen abgestellt hatte. Sie ging in den Flur, überprüfte ein letztes Mal ihr Erscheinungsbild in dem großen Spiegel an der Garderobe und schlüpfte in ein Paar weiße Sneakers, dann schnappte sie sich eine kleine Tasche, ließ ihren Schlüsselbund darin verschwinden und zog die Haustür auf.
Nio, der in der Zwischenzeit aus dem Auto gestiegen war, stand unmittelbar vor ihr und sah überrascht auf sie herab. Seine blauen Augen funkelten geheimnisvoll, seine Lippen glänzten ein wenig. Wie sie selbst trug er ein beigefarbenes Shirt, das seinen sonnengebräunten Teint zur Geltung brachte, lässige Jeans und helle Sneakers.
„Hey", begrüßte sie ihn, ein wenig unschlüssig, ob sie ihn nun in die Arme schließen oder auf Distanz halten sollte. Er nahm ihr die Entscheidung ab, indem er einen Arm um ihre Taille schlang, sie zu sich heranzog und sie an sich drückte. Als ihr der holzig-moosige Duft seines Parfums in die Nase stieg, biss sie sich auf die Zunge.
„Hey", sagte er, als er sich viel zu schnell für ihren Geschmack von ihr löste. „Bist du fertig?"
„Klar. Wir können direkt los."
„Eigentlich wollte ich kurz deinen Eltern Guten Tag sagen, so, wie sich das gehört", widersprach er. Kaia grinste schief.
„Seit wann weißt du denn, was sich gehört?"
Er runzelte mürrisch die Stirn.
„Warum wollte ich doch gleich mit dir ins Kino?"
Sie kicherte, dann griff sie nach seinem Arm, zog die Tür hinter sich zu und schleifte ihn hinter sich her zu seinem Wagen.
„Ich weiß, wie das endet, wenn wir jetzt zusammen da rein gehen. Du verquatschst dich mit meinem Dad und ich kann meinen Film vergessen", kommentierte sie, ehe Nio sich seinem Schicksal fügte und auf der Fahrerseite einstieg. Sie ließ sich unterdessen auf den gemütlichen Beifahrersitz fallen und drückte sich in die weichen Polster. Als er den Motor startete, röhrte dieser laut auf und schnurrte wie ein großer Löwe, als er ihn aus der Einfahrt lenkte.
Nur wenig später fand Kaia sich neben ihm in der Schlange an der Kinokasse wieder. Nachdem sie die Tickets geholt hatten, folgte sie ihm nach oben, wo sie sich noch einen Snack besorgten. Vor ein paar Tagen waren ein paar gute Filme angelaufen, dementsprechend viele Menschen zog es heute hierher. Der Duft von frischem Popcorn und anderen leckeren Knabbereien stieg Kaia in die Nase, als sie sich an einer der beiden Schlangen anstellte. Nio nahm die andere. Es dauerte nicht lang, bis sie an der Reihe waren. Bis unter die Zähne bewaffnet mit Getränken, Knabberzeug und Süßkram machten sie sich anschließend auf die Suche nach ihrem reservierten Sitzplatz.
„Ich war ewig nicht im Kino", schwärmte Kaia vorfreudig, als sie sich in den gemütlichen Sitz fallenließ. „Ich auch nicht", sagte Nio, als er sich neben sie gesetzt hatte, und stellte Popcorn und Nachos vor sich ab. Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu.
„Weil du dir die Nächte in irgendeiner Tittenbar um die Ohren geschlagen hast?", stichelte sie schief grinsend. Er zog die Augenbrauen hoch und beugte sich ihr ein Stück entgegen.
„Und wenn?", probierte er, sie mit einem frechen Schmunzeln aus der Reserve zu locken, doch sie hatte nicht vor, sich von ihm provozieren zu lassen. Also lehnte sie sich betont entspannt in die weichen Polster und trank einen Schluck aus ihrem Strohhalm, bevor sie ihren Getränkebecher in die dafür vorgesehene Halterung steckte.
„Juckt mich das nicht die Bohne", schwindelte sie.
„Natürlich nicht", zog er ihre Antwort ins Lächerliche und warf ihr einen wissenden Seitenblick zu.
„Nee, im Ernst. Wenn du das brauchst, bitte. Weder bin ich in der Position, dir da reinzureden, noch würde ich das tun", gab sie sich gelassen und machte es sich bequem. Er tat es ihr gleich.
„Also stört es dich nicht, wenn ich mir da ab und zu mal ein paar Mädels anschaue?", bohrte er weiter und musterte sie prüfend mit gerunzelter Stirn.
„Wieso sollte es? Ist doch nichts dabei", sagte sie. Seine Augen funkelten, als er eindringlich in ihre schaute.
„Du musst dir keinen Kopf machen, okay? Ich weiß, was ich will."
Sein Blick war plötzlich so intensiv, dass ihre Wangen regelrecht zu glühen schienen und ihr Bauch verräterisch kribbelte. Ihr Mund wurde von einer Sekunde auf die andere staubtrocken, also schluckte sie, um das Gefühl loszuwerden, doch es half nichts. Gerade, als sie über einen rettenden coolen Kommentar nachdachte, ging zu ihrer Erleichterung das Licht aus. Sie glaubte zu erkennen, dass ihm ein Schmunzeln über die Lippen huschte, als er sich zurücklehnte und nach den Nachos griff. Kaia bediente sich unterdessen am Popcorn. Plötzlich lehnte er sich ein Stück zu ihr herüber. Augenblicklich wurde ihr wieder ganz warm.
„Muss dir nicht unangenehm sein", raunte er, den Blick auf die große Leinwand gerichtet, auf dem gerade die Werbung begonnen hatte. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf.
„Keine Ahnung, was du meinst", gab sie sich ahnungslos, ohne ihn anzusehen. Er lachte amüsiert auf und legte dabei den Kopf in den Nacken. Sie hasste, dass er ganz genau wusste, was für eine Anziehungskraft er ausstrahlen konnte. Statt etwas zu erwidern, hielt er ihr unschuldig die Schale mit den Nachos hin. „Willst du?"
„Nein, danke. Ich bleibe bei Popcorn", nuschelte sie. Beherzt steckte er seine Hand in die Tüte und zog etwas davon heraus. Kaia drehte ihm fassungslos den Kopf zu.
„Du hast dein eigenes Knabberzeug", sagte sie und zog die Tüte zu sich heran. Er grinste.
„Was meins ist, ist auch deins. Und umgekehrt. Kannst du dir schonmal merken", schmunzelte er und schob sich demonstrativ das Popcorn in den Mund. Sie schüttelte schmunzelnd den Kopf.
„Willst du vielleicht auch noch was von meiner Cola?", hakte sie trocken nach, nahm den Becher aus der Halterung und hielt sie ihm hin. Ohne zu zögern, trank er einen Schluck aus dem Strohhalm. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie hätte gelogen, wenn sie behauptet hätte, dass seine freche Art ihr nicht gefiel. Bevor sie seinem Charme jedoch vollends erliegen konnte, begann zu ihrer Erleichterung der Film. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als er plötzlich seinen Arm ausstreckte. Doch statt ihn, wie erwartet, um ihre Schultern zu schlingen, legte er ihn lässig wie selbstverständlich auf der Rückenlehne ihres Sitzes ab und ließ ihn die gesamte Vorstellung dort liegen. Irgendwie gefiel es ihr, dass er auf diese Weise seine Zugehörigkeit zeigte, auch, wenn sie es nur ungern zugab.
Sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart und war sich noch nicht sicher, ob sie das nun als gutes oder schlechtes Zeichen deuten sollte. Der Film und damit die gemeinsame Zeit mit ihm waren jedenfalls viel zu schnell vorbei. Umso mehr freute sie sich darüber, dass Nio im Anschluss vorschlug, noch etwas essen zu gehen. Der Einfachheit halber machten sie sich auf den Weg zu einem nahgelegenen Dönerladen unweit des Kinos.
Das Viertel war um die Uhrzeit gut besucht, in vielen der umliegenden Bars und Restaurants waren die Tische voll besetzt und aus den zahlreichen Läden drang leise Musik der verschiedensten Richtungen auf die Straße. Als sie den Laden Imbiss betraten, stiegen ihr unmittelbar der Duft von gebratenem Fleisch, Pommes und verschiedenen Gewürzen in die Nase. Augenblicklich lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Ein paar der hinteren Tische waren noch frei.
„Was möchtest du?", fragte Nio und musterte sie aufmerksam.
„Einen Döner und eine Cola", antwortete sie. Er nickte.
„Okay. Setz dich schonmal, ich komme gleich nach."
Während er das Essen bestellte, suchte Kaia sich einen der freien Tische aus und ließ sich auf die gemütliche, mit braunem Leder bezogene Sitzbank fallen.
„Hier."
Nio tauchte neben ihr auf und reichte ihr eine Dose Cola, ehe er sich ihr gegenübersetzte und seine eigene mit einem lauten Zischen öffnete.
„Danke", lächelte sie und drückte ihr Getränk ebenfalls auf.
„Also, erzähl. Du willst also echt von zuhause raus?", griff er ihr vorangegangenes Thema wieder auf und musterte sie neugierig. Kaia hatte ihm auf dem kurzen Fußweg hierher erzählt, dass sie plante, bei ihren Eltern auszuziehen.
„Auch, wenn du dir das nicht vorstellen kannst, aber ich sehne mich einfach nach meinem eigenen kleinen Reich, am besten in Uninähe", erzählte sie, während er einen Schluck trank.
„Hast du dir schon was angeschaut?", wollte er wissen. Sie strich sich die Locken nach hinten und seufzte.
„Ich habe mir ein paar Wohnungen rausgesucht. Nächste Woche fahre ich hin, um sie mir anzusehen", antwortete sie und nippte an ihrer Cola. Nio runzelte die Stirn.
„John gibt dir sicher was dazu, oder?", spekulierte er. Sie schüttelte energisch den Kopf.
„Wenn es nach ihm ginge, würde er mir eine Eigentumswohnung schenken. Das will ich aber nicht."
„Weil?"
„Gerade du, der nicht mal einen Kaugummi von seinen Eltern annehmen würde, fragst mich das?"
Nio winkte ab.
„Das ist was anderes, Kay. Ich bin ein Mann", antwortete er. Sie verdrehte grinsend die Augen.
„Was ist denn das für eine veraltete Einstellung?", fragte sie belustigt. Er zog die Augenbrauen zusammen.
„Wieso?", fragte er verständnislos.
„Schon gut. Ich vergesse einfach manchmal, was du für ein riesiger Macho bist."
Nio lachte auf. Seine Augen funkelten schelmisch.
„Ich weiß, dass du das ganz besonders an mir magst", erwiderte er selbstsicher und trank einen weiteren Schluck. Kaia wollte gerade etwas sagen, als eine der beiden türkischen Servicekräfte zwei Teller an ihren Tisch brachte. Das hübsche Mädchen stellte sie in der Mitte ab und reichte ihnen Besteck und Servietten dazu.
„Guten Appetit", lächelte sie, bevor sie sich wieder entfernte. Das Essen duftete herrlich. Während Kaia ihren Döner auspackte, griff Nio, der sich einen Dönerteller bestellt hatte, nach dem Besteck, um den Reis zu probieren.
„Also", führte er das Gespräch fort. „Keine Eigentumswohnung von John..."
„Auf keinen Fall. Ich weiß, dass er mir gern etwas schenken möchte, weil er die Möglichkeit dazu hat. Aber bevor ich das annehme, möchte ich trotzdem lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Und das kann ich nur, wenn ich erstmal eine gewisse Zeit für mich selbst sorge. Mir reicht eine kleine Wohnung, in der ich lernen, essen und schlafen kann. Wenn ich irgendwann mit der Uni fertig bin, freue ich mich immer noch über die Eigentumswohnung. Aber fürs Erste behalte ich das alles schön für mich", erzählte sie und biss von ihrem Döner ab. Er schmeckte köstlich.
„Sie wissen gar nicht, dass du suchst?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich will es ihnen sagen, sobald ich etwas gefunden habe; auch, wenn meine Eltern besser wissen, worauf ich bei der Besichtigung achten sollte, als ich. Davon habe ich echt überhaupt keine Ahnung."
„Wenn du willst, kann ich ja mitkommen", bot er an und aß ein wenig von seinem Dönerfleisch. Sie lächelte.
„Wenn ich mit einem volltätowierten, breit gebauten Typen wie dir da auftauche, stehen meine Chancen bestimmt direkt um ein Vielfaches besser", grinste sie frech.
„Und ob – weil dann direkt jeder weiß, dass er mit dir besser keinen Scheiß macht, Prinzessin", konterte er überlegen. Sie schmunzelte.
„Du würdest echt mitkommen?"
Er zuckte mit den Schultern.
„Klar. Besser, ich begleite dich, als dich zieht irgendwer über den Tisch und dein Vater hält es mir mein Leben lang vor. Denn im Gegensatz zu ihm wusste ich ja Bescheid. Da kann ich dich wohl schlecht ins Unglück laufen lassen."
„Richtig gnädig von dir", grinste sie. Er hingegen blieb ernst und sah ihr entschlossen ins Gesicht. Ihr Bauch kribbelte verräterisch, als er ihr fest in die Augen sah.
„Irgendjemand muss schließlich auf dich aufpassen", erwiderte er entschieden. Seine Worte gaben ihr das Gefühl von Sicherheit und das gefiel ihr. Ein Schmunzeln huschte ihr über die Lippen.
„Was?", fragte er und musterte sie mit schief gelegtem Kopf.
„Weiß nicht. Ich mag das irgendwie", gestand sie und biss noch einmal von ihrem Döner ab. Nio lächelte zufrieden.
„Und ich mag, dass du jetzt keinen blöden pseudo-feministischen Spruch geklopft hast, du würdest mich nicht brauchen, oder sowas", erwiderte er und trank einen Schluck. Sie grinste schief.
„Wieso sollte ich?"
Er verdrehte lachend die Augen.
„Weil du das ständig machst."
„Was mach ich ständig?", hakte sie verständnislos nach und nahm einen weiteren Bissen.
„Meine Aussagen mit dummen Kommentaren ins Lächerliche ziehen", sagte er und schob sich ein wenig Dönerfleisch in den Mund. Sie schmunzelte.
„Ach, du kannst das ab", gab sie lässig zurück. „Aber da du mich heute zu allem eingeladen hast, kann ich wohl schlecht gemein zu dir sein."
Er lachte empört auf.
„Ganz schön vorlaut für eine, die den halben Döner im Gesicht hängen hat", grinste er frech und deutete mit einem Nicken in ihre Richtung. Kaia hielt in ihrer Bewegung inne. Ihr war selten etwas peinlich, aber vor ihm war ihr die Vorstellung, ihm mit saucenverschmiertem Gesicht gegenüberzusitzen, doch unangenehm. Gerade, als sie sich in die Kamera-App ihres Smartphones klickte, um ihr Erscheinungsbild zu überprüfen, verriet das schelmische Funkeln in seinen Augen, dass er sie bloß hochnahm.
„Pfff", machte sie, während sie zur Sicherheit trotzdem einen Blick in die Kamera warf, während er sich belustigt noch etwas Reis auf die Gabel lud. Sie schob den leeren Teller von sich. Einen Moment beobachtete sie ihn schweigend.
„Wahnsinn, wie viel du essen kannst", kommentierte sie schließlich. Er schmunzelte.
„Lia beneidet mich um meinen Stoffwechsel", erzählte er und wischte sich mit der Serviette den Mund ab.
„Irgendwie verstehe ich sie", erwiderte sie. Nio runzelte die Stirn.
„Weil?"
„Keine Ahnung. Wenn ich so viel essen würde wie du, würde ich wahrscheinlich durch die Gegend kugeln", sagte sie. Er grinste frech, stand auf und hielt ihr seine Hand hin.
„Komm. Wir machen noch einen kleinen Spaziergang, dann läufst du das direkt wieder ab."
Sie seufzte lautlos. Er konnte schließlich nicht wissen, dass sie hin und wieder mit sich haderte. Also schluckte sie ihren Ärger über sich selbst herunter, nahm seine Hand und erhob sich ebenfalls. Ihre Finger kribbelten, als er seine um ihre schloss. Es war das erste Mal, dass sie Händchen hielten, und sie hätte gelogen, wenn sie behauptet hätte, dass es sich nicht gut anfühlte. Ihr Herz klopfte wie wild, während er sie vor sich her nach draußen geleitete. Die kühle Abendluft schlug ihnen entgegen, doch ihm schien im Gegensatz zu ihr nicht kalt zu sein. Sie hingegen fröstelte, hatte aber nichts zum Überziehen eingepackt.
„Also...", griff er das Gespräch wieder auf, als sie nebeneinanderher an ein paar Geschäften vorbeischlenderten. „Wann hast du den Besichtigungstermin für die Wohnung?"
„Nächste Woche Dienstag", antwortete sie.
„Wenn du mir die Uhrzeit schickst, hole ich dich ab und wir fahren zusammen hin", sagte er. Sie lächelte. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Bauch aus. Die Vorstellung, dass er sie begleitete, löste einmal mehr unmittelbar das Gefühl von Sicherheit in ihr aus.
„Okay. Gerne."
„Nio?"
Kaias Kopf fuhr überrascht zu der Stimme herum. Ein blondes Mädchen, sie schätzte sie auf Anfang zwanzig, stand vor ihnen und schenkte Nio einen skeptischen Blick. Ihr knappes Mini-Kleid, das ihre gute Figur gekonnt in Szene setzte, ließ vermuten, dass sie auf dem Weg in einen der nahgelegenen Clubs war. Nio wirkte im ersten Moment so perplex, dass er sich kaum rührte. Die schöne Unbekannte stürmte unterdessen auf ihren High Heels geradewegs auf ihn zu. Kaia entging nicht, wie sich seine Körpermuskulatur verkrampfte, bevor er ihre Hand losließ.
„Das letzte Mal hast du dich mehr gefreut, mich zu sehen", sagte die Fremde anklagend, als sie schließlich vor ihnen stehenblieb. „Wolltest du nicht anrufen?"
Kaia hob skeptisch eine Augenbraue.
„Hatte viel zu tun", erwiderte er knapp. Seine Stimme war so kühl, dass selbst Kaia Luft holen musste. Doch noch viel mehr erschreckte sie die Erkenntnis, dass er genau dasselbe auch zu ihr zu sagen pflegte, wenn er wieder mal länger nichts von sich hören ließ. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie sich fragte, ob er diese Nummer mit allen Mädchen abzog und sie – genau wie die Granate ihr gegenüber – für ihn bloß ein Zeitvertreib war, dem er sich entledigte, wenn er begann, sich zu langweilen. Noch während sie die Puzzleteile der unangenehmen Unterhaltung zusammensetzte, warf die Blondine ihr einen frostigen Blick zu. Ihre grünen Katzenaugen durchbohrten sie regelrecht. „Oder ist sie der Grund dafür, dass du dich auf einmal nicht mehr gemeldet hast?"
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