05 | Wiedersehen

Ihr Süßen. Bevor es mit dem Kapitel weitergeht - die Vorgeschichte dazu findet ihr in meinem letzten Adventskalender "All I want for Christmas 2" in Kapitel 30 und 31. Ihr müsst es nicht gelesen haben, weil dieses Kapitel die Handlung dort zusammenfasst, aber wer es ausführlich lesen möchte, kann gern in dem Kalender vorbeischauen. Hier jetzt viel Spaß mit einem neuen Kapitel mit Kaia und Nio :)

Nio ließ seinen Blick die Einkaufsmeile hinunter schweifen. Die Sonne schien am strahlend blauen Himmel, nur hier und dort zeigte sich ein watteartiges Wölkchen. Das schöne Wetter lockte die Menschen auf die Straße und in die Außenbereiche der vielen Cafés und Bistros in der Fußgängerzone. Er war da keine Ausnahme. Die Mädels am Nebentisch steckten kichernd die Köpfe zusammen. Er nippte an seinem Espresso und warf dabei durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille einen kurzen Blick herüber. Tatsächlich war keine von ihnen sein Typ. Unbeeindruckt stellte er die Tasse wieder auf dem runden Tisch vor sich ab und zog sein Smartphone aus der Tasche. Ein wenig Zeit hatte er noch, bis er Lia von ihrer Freundin abholen musste. Er konnte also noch ganz entspannt-.

„Nio?"

Stirnrunzelnd sah er vom Display seines Handys auf, geradewegs in Kaias Gesicht. Ihre blauen Augen funkelten im Sonnenlicht, die Sonnenbrille hatte sie lässig in ihre Haare geschoben. Sie trug ein beigefarbenes, knielanges Sommerkleid, das ihre Kurven locker umspielte. Den Tüten in ihrer Hand nach kam sie gerade von einem kleinen Shopping-Ausflug. Augenblicklich wurde sein Hals trocken. Seit sie ihn auf der Party bei Cassie und John spielerisch hatte abblitzen lassen, hatte er sie nicht mehr gesehen, ihre Anrufe ignoriert und sich nicht mehr bei ihr gemeldet.

„Hey... Wie geht's dir?", überspielte er seine Gedanken mit einem Lächeln. Sie stand noch immer an seinem Tisch und schaute mit unergründlichem Gesichtsausdruck auf ihn herab.

„Das sollte ich wohl eher dich fragen", erwiderte sie, ohne eine Miene zu verziehen. Augenblicklich kroch das schlechte Gewissen wieder in ihm hoch.

„Alles gut. Viel zu tun, wie immer", log er. „Und dir?"

Kaia winkte seufzend ab.

„Frag nicht...", antwortete sie und ließ frustriert die Schultern sinken. Nio runzelte skeptisch die Stirn. Für einen Moment war er hin- und hergerissen. Einerseits wollte er nicht mehr als nötig mit ihr sprechen, um die guten Vorsätze nicht direkt wieder einreißen zu lassen, andererseits wollte er wissen, was los war. Also deutete er mit einem Nicken den freien Stuhl gegenüber.

„Willst du dich setzen? Ich lad dich ein", schlug er diplomatisch vor, bereute seine Idee allerdings direkt wieder, als sie ein wenig ratlos darüber nachzudenken schien.

„Okay", nickte sie schließlich, setzte sich, stellte die Tüten neben sich ab und schlug die Beine übereinander. Dann schob sie sich die Sonnenbrille auf die Nase.

„Also, erzähl", setzte er das Gespräch fort. „Was war los?"

Kaia verzog ihr hübsches Gesicht zu einer Grimasse.

„Ich habe fast den ganzen Tag damit verbracht, mich um mein Auto zu kümmern", erzählte sie vage.

„Wieso? Was war denn damit?", wollte er wissen. Sie zog die Augenbrauen düster zusammen.

„Die Scheißkarre ist einfach nicht mehr angesprungen. Dad habe ich nicht erreicht und ewig auf einen Pannendienst gewartet. Der hatte aber keine neue Batterie dabei, also hat der mich abgeschleppt. In der Werkstatt hatten die so viel zu tun, dass ich stundenlang warten musste und mich zu Tode gelangweilt habe", antwortete sie.

„Warum hast du mich nicht angerufen?", fragte er. Schließlich hätte er die Sache in ein paar Minuten für sie erledigt. Kaia zog verblüfft die Augenbrauen hoch.

„Nachdem du mich wieder mal geghostet hast? Meinst du, die Blöße gebe ich mir?", fragte sie bissig und schüttelte dann wie zur Bestätigung den Kopf. Er wusste, dass sie recht hatte, aber es fiel ihm schwer, das zuzugeben.

„Hab ich nicht. Ich hatte einfach nur viel auf der Arbeit zu tun", behauptete er, auch, wenn das nicht stimmte. Nach ihrer Unterhaltung in der Küche hatte er zunächst angenommen, es würde bloß an seinem Ego kratzen, dass sie einen Typen wie Leander ihm vorzog. Er hatte sich beweisen wollen, dass sie auf ihn stand, und es hatte ihn verletzt, dass sie sein Interesse nicht erwiderte und sein eigenes Verhalten der Grund dafür war. Obwohl sie die einzige war, mit der er sich so etwas wie eine Beziehung vorstellen konnte, hatte er also seine Konsequenzen gezogen und sich von ihr ferngehalten, um sie beide vor einer Enttäuschung zu bewahren. Sie brauchte keinen Mann, der sich von einer Schwierigkeit in die Nächste hineinmanövrierte, und er war nun einmal prädestiniert dafür, immer in Probleme zu geraten. Ganz egal, wie sehr er sie mochte – das mit ihnen hatte einfach keinen Sinn.

„Ach, komm schon, Nio. Wir wissen beide, dass es so war", seufzte Kaia und verdrehte die Augen. „Oder arbeitest du neuerdings auch nachts?"

Er biss sich unmerklich auf die Unterlippe und verschleierte mit seinem ausdruckslosen Pokerface, wie ertappt er sich eigentlich fühlte. Vor ein paar Tagen hatte er sich mit seinen Freunden im Laden seines Vaters getroffen und einen draufgemacht, um nicht an Kaia denken zu müssen. Ausgerechnet in dieser Nacht hatte sie probiert, ihn zu erreichen, aber er hatte schweren Herzens ihren Anruf ignoriert. Im Nachhinein hatte er erfahren, dass sie zusammen mit Lia auf dem Kiez gestrandet war.

„Ich war mit den Jungs unterwegs", gab er vage zurück. Kaia schüttelte energisch den Kopf.

„Das ist doch gar nicht der Punkt, Nio. Fakt ist, du hast gesehen, dass ich dich mitten in der Nacht erreichen wollte, und normalerweise rufst du immer zurück, weil du dich erkundigen willst, ob alles okay ist. Aber diesmal hast du dich einfach gar nicht gemeldet. Glaubst du echt, dann rufe ich dich auch noch an, wenn mein Auto streikt?"

„Weil ich schon weiß, dass du sicher nach Hause gekommen bist", versuchte er noch immer, den Schein zu wahren. „Sag mir lieber, warum du überhaupt im Velvet rumhängst und so viel trinkst, dass mein Vater dich abholen muss."

Sie verdrehte ächzend die Augen.

„Oh mein Gott, dein Ernst?"

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich finde die Frage völlig legitim."

„Und ich finde, du versuchst gerade, von dir selbst abzulenken", schoss sie treffsicher zurück. Er seufzte lautlos, als klarwurde, dass sie ihn durchschaute. Doch bevor er etwas dazu sagen konnte, trat zu seinem Glück die blonde Kellnerin an den Tisch heran und musterte die beiden aufmerksam. „Kann ich Ihnen etwas bringen?", erkundigte sie sich höflich. Kaia bestellte einen Milchkaffee, anschließend wandte die Blondine sich Nio zu. Der schüttelte dankend den Kopf. Erst, als die Kellnerin sich wieder entfernt hatte, setzte er das Gespräch fort.

„Hör zu, ich weiß, wie das aussah. Und ja, es stimmt. Ich habe mich nicht mehr bei dir gemeldet. Aber nur, weil ich Rücksicht nehmen wollte", redete er sich um Kopf und Kragen, in der Hoffnung, dass Kaia ihm seine Notlüge abkaufte. Doch sie stieß lediglich einen verächtlichen Laut aus.

„Lang nicht mehr so was Jämmerliches aus dem Mund eines Mannes gehört", kommentierte sie, lehnte sich gegen die Stuhllehne und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Nio fiel es schwer, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Ob sie wusste, wie süß sie war, wenn sie sich ärgerte?

„Man, Kay. Du hast diesen Typen auf die Party eingeladen. Ich wollte dir einfach etwas Zeit geben, ihn besser kennenzulernen, nachdem du so von ihm geschwärmt hast – obwohl er Leander heißt", redete er sich heraus, dann zog er eine Zigarette aus dem Päckchen, das neben dem Aschenbecher auf dem Tisch lag, und zündete sie an. Kaia schüttelte schief grinsend den Kopf.

„Klar, du hast das nur für mich getan", spottete sie triefend vor Sarkasmus. Nio blies den Rauch aus und legte den Kopf schief.

„Ich habe es einfach gut mit dir gemeint", betonte er. „Und du versuchst jetzt, mir daraus einen Strick zu drehen."

„Versuch nicht, Victim Blaming mit mir zu betreiben. Das zieht bei mir nicht", schoss sie zurück. Nio runzelte ratlos die Stirn.

„Victim was?"

Kaia seufzte, schüttelte den Kopf und strich sich durch die wilden Locken.

„Ich habe dir gesagt, dass Leander nicht mein Typ ist und ich nicht vorhabe, mit ihm auszugehen. Wieso also solltest du mir den Freiraum geben wollen, ihn weiter kennenzulernen?", hinterfragte sie und setzte dabei das Wort „Freiraum" in imaginäre Gänsefüßchen. Es ärgerte ihn, dass sie schlau genug war, ihn zu durchschauen und sich von ihm nichts vormachen ließ. „Gib doch einfach zu, dass du nach der Party entschieden hast, Naomi doch zu daten. Ist ja vollkommen in Ordnung. Nur lass dieses peinliche Ghosten sein. Das steht dir einfach nicht, Nio. Sei mal ein bisschen erwachsen."

Dass sie sich dermaßen über ihn lustig machte, ärgerte ihn nur noch mehr.

„Naomi und ich sind Freunde. Das habe ich dir auch in der Küche gesagt", kommentierte er kühl. Kaia runzelte die Stirn.

„Und warum hast du dich dann wieder wochenlang nicht bei mir gemeldet? Hast du schon wieder ne neue Schnitte kennengelernt?"

Nio biss sich reumütig auf die Zunge. Kaia hatte recht und es gab nichts, dass er ihr entgegensetzen konnte – außer der Wahrheit vielleicht. Doch er konnte ihr unmöglich sagen, dass er sich wahnsinnig zu ihr hingezogen fühlte und sie deshalb versucht hatte, aus der Reserve zu locken. Er atmete innerlich auf, als genau in diesem Augenblick die Kellnerin mit Kaias Milchkaffee zurückkehrte und ihn auf dem Tisch abstellte. Während Kaia sich höflich bedankte, dachte er in Bruchteilen von Sekunden über eine gute Ausrede nach.

„Vielleicht hab ich mich darüber geärgert, dass du mich ausgelacht hast", legte er schließlich ein Teilgeständnis ab, als er erkannte, dass er aus der Nummer sowieso nicht anders herauskam. Kaia, die gerade in ihrem Milchkaffee herumrührte, hielt in ihrer Bewegung inne und zog die Augenbrauen hoch.

„Weil ich gesagt habe, ich würde keinen Typen wie dich wollen?", platzte es ungläubig aus ihr heraus.

„Weil ich dich gefragt habe, was, wenn es anders wäre, und du mich dafür belächelt hast", korrigierte er sie, zog an der Zigarette und sah ihr erwartungsvoll ins Gesicht.

„Wie soll ich dich denn ernstnehmen, wenn du immer diese Playboy-Masche raushängen lässt? Meinst du, ich habe nicht gemerkt, dass du mit meinen Antworten nur dein Ego streicheln wolltest?"

Er lachte unwillkürlich auf.

„Warum fragst du dann, warum ich mich nicht gemeldet habe, wenn du es sowieso schon weißt?"

„Weil's lächerlich ist", sagte sie entschieden. „Sonst haben wir ja auch immer über alles geredet und uns die Meinung ins Gesicht gesagt."

„Es tut mir leid, okay?", lenkte er schließlich ein.

„Mir auch", nuschelte sie genervt und nippte an ihrem Milchkaffee. Er spürte einen Stich in seinem Herzen und das Gefühl von Reue kroch langsam in ihm hoch. Sie war eine tolle Frau und verdiente es nicht, dass er so mit ihr umging. Wieso gelang es ihm nicht, sie einfach so zu behandeln, wie sie es verdiente und ihr zu zeigen, wie sehr er sie wertschätzte?

„Gibst du mir die Chance, es wiedergutzumachen?"

Sie zog eine Augenbraue hoch.

„Wozu, wenn du mich bei der nächstbesten Gelegenheit wieder ghostest?"

„Ich meine es ernst, Kaia. Ich weiß, ich habe mich wie ein Vollidiot verhalten, aber wenn du mich lässt, mache ich es wieder gut."

Sie legte nachdenklich die Stirn in Falten und sah in den blauen Himmel. Dann sah sie ihm schließlich entschlossen ins Gesicht.

„Da ist ein neuer Film ins Kino gekommen, den ich gern sehen würde."

Wie hat euch das Kapitel gefallen? Könnt ihr verstehen, dass Nio sich nicht mehr gemeldet hat? Oder wärt ihr auch sauer auf ihn an Kaias Stelle? Hättet ihr ihm überhaupt eine Chance gegeben, es wiedergutzumachen? 

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