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Nichts Ungewöhnliches mitten in der Nacht, würde ich jetzt mal so sagen. Irgendwer musste das Licht ausgemacht haben, denn eigentlich hatten wir das irgendwie total vergessen. Bestimmt der Butler, der nach dem Rechten gesehen hatte. Ich konnte nicht lang geschlafen haben.

Mit Sicherheit war bald Sonnenaufgang. Schließlich waren wir hier schon spät angekommen, hatten dann noch Tee getrunken und danach noch ziemlich viel Zeit zum Ins-Bett-Gehen drauf gehen lassen. Schon dumm, weil wir morgen ja eigentlich früh raus mussten, um noch einigermaßen weit zu kommen für unsere nächste Etappe. Mir wurde nicht gerade besser, wenn ich daran dachte.

Was war nur gestern in dem Tee gewesen, das Che und mich so mitgenommen hatte? Irgendwie hatte ich den leisen Verdacht, dass es mehr als nur Alkohol gewesen war. Zum Glück fühlte ich mich jetzt nicht mehr so schlecht, von daher konnte es mir eigentlich egal sein. Ob Che sich das wohl auch gefragt hatte? Doch der schien immer noch tief und fest zu schlafen.

Müde drehte ich mich auf die andere Seite. Aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Mir gingen diese leblosen Bilder nicht aus dem Kopf. Ich musste total übergeschnappt und übernächtigt gewesen sein.

Aus unerfindlichen Gründen, die mir damals total logisch und richtig erschienen schnappte ich mir einen Kuli, machte das kleinen Licht über jedem der Bilder an und begann zu zeichnen. Dass Che nicht aufwachte, war wirklich ein Wunder. Lärm gab es nämlich genug. Zuerst war die Burg an der Reihe.

Erst bekam sie einen kleinen Hund auf einen weiter hinten liegenden Abschnitt des Bildes. Nur so einen ganz winzigen. Der fiel kaum auf und dennoch machte er das Gemälde so viel lebendiger. War ja nicht wirklich verschandelt so was. Das war nur verbessert.

Das schien aber nicht zu genügen. Es fehlte immer noch etwas. Eine Kutsche stieß hinzu. Samt Jägern und Gewehren. Ja, so konnte ich damit leben. Natürlich war das jetzt ein komplett anderes Bild. Sei's drum! Wenigstens ist es so bedeutungsvoll! Keine Ahnung, wer außer mir das noch so sehen würde. Ich fragte auch lieber nicht.

So viele Geld hätte ich nie zusammen für die ganzen Bilder. Eines nach dem Anderen wurde nun verbessert. Der erste Sonnenstrahl blendete mich. Mein Meisterwerk war vollbracht. Zufrieden bestaunte ich die glitzernden Ölfarben in der aufgehende Sonne. Ja, jetzt konnte ich in diesem Zimmer schlafen.

Lange konnte meine Ruhe nicht gedauert haben. Dieses Mal wurde ich von Che geweckt. Der sprang auf dem Bett rum wie ein Wahnsinniger und fand es immer noch sensationell, dass es so federte. Ich presste einfach die Augenlider fest aufeinander. Half bei seinem Krach und Gehopse abzusehenderweise nicht viel. Ich war nur noch todmüde.

"Frühstück für die Herren.", kündigte sich da auch schon der Butler an. Na ganz super. Da musste ich ja wohl zumindest die Augen öffnen.

"Frühstück im Bett, wie geil!" Wieso schrie Che eigentlich so? Konnte der nicht mal fünf Minuten aufhören sich über Gott und die Welt zu freuen? Ich meine, nicht jeder kleiner Furz ist endtoll. Oder?

Aber an Che schien diese Erkenntnis zumindest an diesem Morgen völlig vorbeigegangen zu sein. Natürlich fiel er gleich über das Frühstück her.

"Was magst du?" Ich konnte kaum die Augen offen halten. Also war mit Essen auch nicht allzu viel. Vielleicht hab ich ein Brot gegessen. Mehr bestimmt nicht. Ich wollte nur schlafen. Che futterte sich voll bis zum Rand.

"Den Rest nehmen wir mit. Man weiß ja nie." Ich nickte nur, während Che uns einen Vorrat in seinem Rucksack anlegte. Erst mal alles ordnen im Kopf. Ok. Also. Ich bin hier bei Miss Cartwright. Miss Cartwright ist eine stinkreiche Bonze. So weit, so gut. Dann...

"Guck dir mal das an!" Was schrie Che denn jetzt schon wieder so rum? Was war denn nun schon wieder so Weltbewegendes los? "Ich wette, das war gestern noch nicht da." Mühevoll stand ich auf. Ist ja gut, ist ja gut. Ich komm schon.

Fasziniert betrachtete Che eines der Bilder nach dem Anderen. Und was war da jetzt? Mit einem Mal ging mir ein Licht auf. Die Kulizeichnungen. Fuck! Mir grinste von dem Schlossgemälde ein frecher Jäger entgegen, der da einfach so rumritt. Na super! Tief durchatmen. Dass war alles nie gewesen.

"Scheint wohl auf moderne Kunst zu stehen, unsere Lady. So malt ja niemand Antikes. Mit Kugelschreiber drüber und so. Schon abgefahren irgendwie. Findet du nicht?" Che schien aus dem Staunen nicht mehr herauszukommen.

"Doch, doch." Ich bemühte mich krampfhaft darum nicht aufzufallen. Bloß nichts Falsches sagen. Sonst bist du dran!

"Neo Rauch oder so ähnlich heißt doch der Typ.", überlegte Che.

Verständnislos sah ich ihn an. "Wie bitte?"

"Der macht doch solche Sachen, oder?" Ich zuckte mit den Achseln. Keine Ahnung. Von dem Kerl hatte ich noch nie was gehört. Kann wohl nicht allzu bekannt sein. Vielleicht hält der sich nur für so ein Genie.

"Aber Jonathan Meese ist ja ganz abgefreakt. Den hab ich mal im Fernsehen gesehen. Also so was Verrücktes findest du kein zweites Mal." Ich grinste nur dumm rum, weil ich nämlich keinen blassen Schimmer davon hatte, was Che damit meinte. Solche Mensch kenn ich nicht. Und die interessieren mich auch herzlich wenig.

Die Tür öffnete sich und der Butler trat herein, um abzuräumen. "Alles aufgegessen?" Er musste sich wohl darum bemüht haben, nicht allzu erstaunt zu klingen. Ich verstand seine Verwunderung nur zu gut. Wäre mir auch nicht anders gegangen.

"Ihr Wagen erwartet Sie bereits draußen vor der Tür. Aber lassen Sie sich Zeit. Der wird nicht wegfahren." Der letzte Satz musste wohl ein Witz gewesen sein, da sich die sonst so unbewegliche Mine des Butlers ein klein wenig verzog. Sollte wohl ein Lächeln darstellen. Dann musste ich jetzt wohl aufstehen.

So schnell waren wir sicherlich noch nie unten gewesen. Die schwarze Limousine stand direkt vor dem Eingang der Villa. Wir schritten raus wie die Könige. Nicht übel. Schade, dass niemand vorbeikam. Wir stiegen ein.

"In welche Richtung liegt ihr gewünschtes Ziel?" Sofort erkannte ich Jimmy wieder.

"In diese da." Ich glaube, Che zeigte wahllos in irgendeine Richtung, die er für die richtige hielt. Eigentlich ist es beinahe unvorstellbar, dass er bei so vielen Umwegen noch die Orientierung hatte.

Also fuhren wir los. Ich weiß nicht, was auf der restlichen Fahrt so geschehen war. Ich war so müde, dass ich sofort einschlief.

Irgendwann erreichten wir wohl den Zeitpunkt, an dem es für den Chauffeur wohl aller höchste Eisenbahn war, umzukehren und rechtzeitig wieder seine Lady bei ihrem Rendezvous abzuliefern. So weit ich das mitbekommen habe, hatte er zuvor bereist solche Andeutungen gemacht, die Che natürlich missdeutet hatte.

"Ich müsste dann jetzt zurückkehren. Mylady erwartet mich bereist.", versuchte der Butler es erneut.

"Ok." Che schien nachzudenken.

"Wie weit ist es denn noch bis zu Ihrem Ziel?" Wenn wir das nur selbst wüssten...

"Ah! Da ist es schon!", schrie Che plötzlich auf.

"Dort?"

"Goldrichtig. Lassen Sie uns einfach hier raus. Danke für's Fahren." Hä? Was wollten wir denn hier?

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