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Che setzte seinOh-Gott-Bin-Ich-Hilflos-Und-Verloren-Gesicht auf. Das zog.
"Ok. Noch eineStunde. Aber dann macht ihr den Abgang, ja? Es ist ja nicht so, als würdet ihrmir nicht leid tun. Aber ihr könnt hier nicht für immer bleiben. Wiegesagt.", versuchte der Mann seine Trauer über unsere aussichtslose Lage zu verbergen.
"Und wenn wir schwer krank wären?" Che sah den Manneindringlich an.
"Seid ihr nicht. Also kommt, Jungs."
Che nickte."Danke trotzdem."
Der Mann, der wahrscheinlich ein Arzt war, lächelteuns zu. "Gern geschehen, Che."
Entgeistert sah dieser ihn an. Woher kannteder den denn jetzt schon wieder?
"Heißt du wirklich so?", erkundigte sich der Arzt daraufhin. Na klar! Wenn Sie es für unmöglich halten, wieso nennen Sie ihn dann so?
Che nickte.
"Oh." Der Arzt grinste. "Ich dachte wegen deinem T-Shirt, SeanGarland."
Ich lachte und Che lachte auch. "Lieber Sean South. Der istschon Tod und ein Held."
Der Arzt lachte. "Vorfahren ausIrland?", fragte er uns daraufhin.
Wir redeten noch ein wenig über den Nordirlandkonflikt. Der Arztwar der festen Überzeugung, dass dieser Konflikt nur wegen der Gründung desFree States entstanden war. Damals wären nämlich die Einheit, das Ziel derRevolution von 1916, nicht erreicht worden. Damit wäre diese Frage nuraufgeschoben. Michael Collins wäre nur wegen seines frühen Tods zum Heldgeworden. Sonst nicht. Die Meinung des Arztes.
Er führte es noch weiter aus. Aber jemand, der nicht vom Fach war, verstand da nur noch Bahnhof. Ich hattefrüher immer geglaubt, mich da einigermaßen auszukennen, was diesen Konfliktbetrifft. Aber inzwischen weiß ich: Dem ist nicht so! Der Arzt wusste deutlich mehr als ich!
Aber dafür konnten wir länger belieben. Als wir fertig diskutierthatten, war es bereits fast eine Stunde nach der vereinbarten Zeit. Mit einemSchmunzeln sah der Arzt auf seine Armbanduhr.
"Ok, ihr Zwei. Da hattet ihrmal Glück. Also. Dann wollen wir mal." Er begleitete uns noch mit nach draußen.
"Wo geht ihr jetzt hin?", wollte er wissen.
Che zuckte mit den Achseln. "KeineAhnung. Wissen Sie was?"
"Wie wäre es mit der Lobby diesesNobelhotels da drüben. Die lassen meistens Jugendliche, die nicht betrunkensind und nichts genommen haben rein. Da müsst ihr euch keine Sorgen machen.Sonst seid ihr da mit der Empfehlung von Mister Outright. Dann lassen die euchin Ruhe. Glaubt mir. Sonst kommt ihr wieder. Wehe, ihr geht unter die Brücke!Sonst seid ihr morgen noch mal hier. Aber dieses Mal krank mit einer Überdosisoder einer Alkoholvergiftung. Und das macht ihr nicht! Dafür seid ihrhoffentlich zu schlau."
Wir nickten beide. Der Arzt sah uns hinterher.Anscheinend interessierte es ihn tatsächlich, ob wir wohlbehalten da drübenangekommen waren. Echt niedlich.
Che lächelte. "Egal, was passiert. Dernimmt uns zur Not mit zu sich nach Hause. Da wett ich mit dir! Und dann habenwir den schon beinahe so weit, dass der uns fährt. Das wäre natürlich genial.Mit Sicherheit hat der Kinder. Wahrscheinlich sogar welche in unserem Alter undwahrscheinlich sogar männlichen Geschlechts. Das ist für uns perfekt. Danndenken sich die Väter immer so: Oh Gott! Das könnte mein Kind sein! Und dannlieben die dich. Das passt bisher wunderbar." Ches Grinsen wurde immerbreiter.
Eine Übernachtung und mit etwas Glück sogar Mitfahrgelegenheit war unsin jedem Fall sicher. Was will man mehr? Der Eingang des Hotels an sich warschon Bombe. Nicht ganz so extravagant wie die des Reichenresorts, in dem wirübernachtet hatten, aber trotzdem besser als die Brücke. Und zwar allemal!
Derrote Teppich fühlte sich weich an. Die Sohlen der Turnschuhe schien echt nichtmehr allzu dick zu sein. Trotz allem besser als die Cowboystiefel, die durchdas Wasser unerträglich hart geworden waren. In der Lobby setzten wir unsgleich auf diese endbequemen Sofas. Die waren mit roten Samt ausgestattet. Richtig cool! Unddie Kissen davon waren mir auch sehr recht. Perfekt!
Wir legten uns jeder aufein Sofa. Wir gingen erst gar nicht zum Schalter. Was sollten wir denn noch dahin? Wir wollten in keinen Fall einchecken. Damit wir nicht allzu vielblockierten, legten Che und ich uns auf zwei Sofas, die an einem Tisch standen.Ich glaube nicht, dass allzu viele Menschen freiwillig mit einem Schlafendenein Sofa oder einen Tisch teilen wollten. Natürlich belegten wir komplett einen von den drei Tischen. Aber war doch egal. Um diese Uhrzeit kam eh kein Schwanz mehr.Also.
"Entschuldigen Sie!" Es war ein sehr unhöfliches Entschuldigen.Wir setzten uns mit verschlafenen Augen auf.
"Was fällt Ihnen eigentlichein einfach so unser Mobiliar der Lobby als Schlafstätte zu benutzen? Siekönnen doch hier nicht einfach so reinplatzen und hier schlafen! Wir sind hierkein Obdachlosenheim! Da müssen Sie sich an andere Leute wenden. Tut mirleid." Richtig kratzbürstig die Frau. Was war denn daran so furchtbarschlimm? Kam doch jetzt eh keiner, der sich hier hinpflanzen wollte.
Wenn wirnoch zur Rushhour hier reingekommen wären und alles vor den Augen der Kundeblockiert hätten. Ok. Dann hätte ich das ja auch nur halbwegs verstanden. Abermitten in der Nacht. Da ist doch klar, dass wir nichts belegen würden.
"Wir machen auch nichts kaputt." Aber meine Aussage schien auchnichts mehr zu retten. Die Frau war stinkig und dabei blieb sie.
"Ihr gehtjetzt sofort raus hier." Sie schrie fast.
"Aber..."
"Sofortraus hier, hab ich gesagt! Was ist an dem Wort raus so wahnsinnig schwer zuverstehen?"
"Wir haben eine Empfehlung von Mister Outright."Netter Versuch, Che.
"Raus!" Sie packte Che am Arm. Irgendwie fiel ergegen eine der Vasen. Zum Glück blieb alles heil. Bloß Che bekam es ab. Ausseiner Nase schoss Blut. Natürlich machte das die Hotelangestellte totalverrückt. Sie brachte Unmengen an Taschentücher, während Che den teuren Bodenmit seinem Blut voll tropfte. Die Frau drehte beinahe durch.
"Wie kann sowas denn passieren?", murmelte sie immer wieder vor sich hin. Ich wusstewie. Aber mit Sicherheit wusste sie das selbst nur zu gut. Sie hatte lediglichAngst vor der Wahrheit.
Ches Nase hörte schneller auf zu bluten, als mir liebwar. Ich hätte die Tussi gerne noch ein bisschen weiter leiden sehen. Cheschien es nicht weh getan zu haben. Er lachte nämlich noch.
"Dürfen wirjetzt bleiben?", fragte er mit einer engelsgleichen Stimme.
"Warum denn?" Die Frau klang versöhnlicher undgleichzeitig auch wieder immer noch gereizt.
"Als Entschädigung?"Ches Blick war einfach zu süß! Die Dame musste unbeabsichtigt lächeln.
"Nein. Das wäre wohl eine zu große Entschädigung. Ich bekomm Ärger mit derLeitung, wenn ich so etwas zulasse. Da könnte ja jeder kommen." Der letzteSatz betonte wieder, wie dumm wir doch waren.
"Aber wir haben eineEmpfehlung von Mister Outright!" Dieses Mal hörte sich Che schon deutlichbestimmter an.
"Na und?" Che sah sie beinahe böse an. "Wer solldas denn bitte schön sein?" Fast angewidert verzog sich das Gesicht derHotelangestellten.
"Ein Arzt.", erwiderte er nur trocken.
"Aha. Kennt den wer?"
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