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Was? Verschlafen rieb ich mir die Augen. Viel zu hell, das ganze Licht hier. Was war denn nur los? Ich für meinen Teil hatte gut geschlafen. Und ich wollte nicht aufstehen. Mir fehlten noch so viele Stunden Schlaf von gestern und überhaupt allen anderen Tagen. Warum musste denn irgendjemand so einen Krach machen? Müde rappelte ich mich auf und sah mich um.
"Ich bin ja so blöd!" Der entsetzte Aufschrei, der mich so dermaßen unsanft geweckt hatte, stammte eindeutig von Che.
"Was ist denn?", murmelte ich missmutig vor mich hin.
"Schau doch!"
Da erst fiel auch mir der Grund seiner Aufregung auf. Unser Essen war fast vollständig geplündert worden!
Völlig zerwühlt lag unsere Picknickdecke auf dem Boden. Mit Sicherheit ein wildes Tier. Na super! Bloß noch ein kleiner Teil unserer Vorräte lag verstreut im Gras um uns herum. Obwohl wir direkt daneben geschlafen hatten, hatte keiner von uns beiden etwas von dem Angriff auf unser heiliges Gut mitbekommen.
Oh Mann! Jetzt hieß es erst einmal retten, was noch zu retten war. Aufsammeln und zusammensuchen unserer verbliebenen Nahrung war angesagt. Ein leiser Seufzer meinerseits. Darüber musste Che aus irgendeinem Grund lachen, als wollte er damit sagen: Halb so wild, Jay. Reg dich nicht auf. Und er hatte Recht. Schließlich hatte ich Che und mit ihm machte irgendwie alles Spaß!
Im Kofferraum verstauten wir die Essensreste. Alles, das wir irgendwie wiederfinden konnten, hatten wir eingesammelt, wo auch immer es sich zum Zeitpunkt, an dem es gefunden wurde, auch befunden hatte. Konnte man sicherlich noch essen. So sahen wir das inzwischen beide. Pech für uns. Wir hätten ja besser aufpassen können oder vorher nachdenken.
Am Cadillac schien jedoch niemand vorbeigekommen zu sein. Er stand samt Warnblinker genauso da, wie wir ihn vor ungefähr zwei Stunden zurückgelassen hatten. Selbst abgeschlossen hatten wir ihn nicht, obgleich Che doch tatsächlich den Schlüssel dazu besaß. Im ersten Moment hätte ich den Cadillac ja für geklaut gehalten. Kam mir irgendwie fast so vor wie in Polen oder zumindest wie das, was ich über Polen gehört hatte. Da sollte man seine Autos nicht abschließen. Sonst werden die geklaut, weil alle glauben, da wären Wertgegenstände drin. Sonst hätte man ja wohl kaum abgeschlossen.
"Gehört dir der Cadillac eigentlich?", forschte ich nach.
"Jip. Den hat mein Opa mir geschenkt. Hat den nicht mehr gebraucht. Der hat eh noch seinen Jeep, seinen Pick-Up und seine Pferde. Auf der Ranch braucht er keinen Cadillac. Da bringen einem nur Geländewägen was. Sonst fährt da absolut nichts. Aber frag mich nicht, warum der pink ist. War schon vor meiner Geburt so." Unwillkürlich musste ich grinsen. Der war also pink, nicht rosa!
Wir stiegen ein, Che drehte den Zündschlüssel im Schloss herum und schon ging es wieder los.
"Ich kann auch mal fahren, wenn es dir zu anstrengend wird", schlug ich vor.
"Passt, passt", wehrte Che ab, "Ich mach das öfters. Meinen Opa besuche ich schließlich schon manchmal." Ein Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen.
"Wie lange warst du eigentlich schon unterwegs, als du mich aufgesammelt hast?" Das hatte ich bereits die ganze Zeit wissen wollen.
"Vielleicht zwei Tage." Das Erstaunen in meinem Gesicht bemerkte Che natürlich sofort. "Ist ein guter Schnitt. Kein Stau. Kein gar nichts! Hab eine neue Route ausprobiert. Über das Land bis hin zum Chattahoochee. Hat bisher wunderbar geklappt. Normalerweise fahre ich auf dem Highway. Dann hätten wir uns nie kennengelernt. War also schon besser so."
Ich nickte. "Klaro. Auf jeden Fall!" Sonst müsste ich vielleicht immer noch am Treffpunkt stehen. So musste mein Onkel sehen, wie er das meinem Vater beibringen würde. Geschah ihm ganz recht. Schließlich war er nicht gekommen.
Che und ich folgten der Straße weiter und weiter. Wo auch immer wir landen würden. Aus unerfindlichen Gründen hatte ich das Gefühl, dass Che den Weg zu seinem Großvater genauso wenig von hier aus kannte wie ich. Aber man sollte sich nie von seiner Vorahnung täuschen lassen. Daher verdrängte ich diesen Gedanken ganz schnell wieder. Sollte ein Guter darauf folgen!
Ich sah weiter aus dem Fenster. Musik dudelte im Hintergrund. Unverkennbar Jambalaya.
"Sollen wir das Dach öffnen?" Che kurbelte das Dach seines Cadillacs runter. Nun saßen wir in einem schicken Cabriolet. Ich war noch nie zuvor Cabrio gefahren. Der Wind verwuschelte einem die Haare, doch ein gewisses Gefühl von Freiheit blieb an mir haften. Laut war es auch, weil Che so schnell fuhr. Aber das störte alles gar nicht. So wie es war, war es in diesem Moment einfach perfekt!
Langsam aber sicher wurde es Abend. Die Sonne hatte beinahe ihren Tiefstand erreicht. In der Luft lag bereits ein bisschen Nächtliches. Alles roch so unverbraucht. Ein klein wenig vergleichbar mit dem Geruch nach Regen. Vielleicht würde es auch Regen geben, was ich allerdings nicht hoffte, denn dann müssten wir beide, wie es momentan aussah, im Cadillac übernachten. Eine Unterkunft war nämlich weit und breit nicht in Sicht.
Che parkte den Cadillac am Straßenrand. "Wir haben einen zu gesunden Schlaf. Sonst hätte ich ihn auf der Straße abgestellt. Dann wäre es leichter gewesen mit dem Losfahren."
Wir stiegen beide aus. Nach einer so langen Fahrt musste ich mich erst mal strecken. Alle meine Glieder schienen eingerostet zu sein. Es knackte an allen Ecken und Enden. Das soll nicht gut sein, aber ich konnte wirklich nichts dafür. Schon lange hatten die sich wieder bewegen wollen, doch nie die Gelegenheit dazu erhalten. Wie ich es hasste, wenn jemand irgendwas absichtlich knacken ließ. Bei mir war das auch kein Vorsatz gewesen. Somit war das hoffentlich noch verzeihlich.
Che lief los. "Wir brauchen Holz", erklärte er mir kurz.
"Wozu denn?" Ich war skeptisch.
"Um es warm zu haben. Oder willst du die ganze Nacht über einfach ohne alles daliegen. Da frierst du echt verdammt. Glaub mir. Hab's schon ausprobiert. Es kühlt echt schnell ab hier draußen."
Widerwillig folgte ich. Eigentlich wollte ich nicht unbedingt Holz von anderen Menschen klauen oder als vermeintlicher Wilderer dastehen. Wie wollte Che überhaupt an Holz rankommen?
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