82

"Und deine Eltern wissen nicht, wo du im Moment bist, richtig?" Mit durchdringendem Blick starrte Falk mich an.

"Schon. Eigentlich wäre ich ja bei meinem Onkel. Um amerikanisch zu werden. Aber der kam nicht, um mich abzuholen. Da kam nur Che. Und dann war ich schon so sauer, dass ich einfach weggefahren bin. Meine Eltern würden austicken, wenn du wüssten, wo ich jetzt bin."

"Warum?" Falk lachte. "Amerikanischer als hier kann man doch kaum noch werden. Ich frage mich nur, was Amerikanisch sein soll." Ich lachte auch. Irgendwie hatte er ja recht.

"Ich vermiss euch alle jetzt schon." Mit ganzer Kraft unterdrückte ich eine Träne, die so unbedingt ans Tageslicht wollte.

Falk lächelte. "Aber du kannst doch jeder Zeit zurückkommen. Abschied schließt kein Wiedersehen aus." Ich nickte.

Trotzdem war ich traurig. Keine Ahnung, warum das mir so schwer fiel. Sonst machte es mir nichts aus, zu gehen. Gehen ist schön. Dann sieht man neue Dinge. Aber von hier wollte nicht gehen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man sein Zuhause genauso suchen muss wie zum Beispiel den Sinn des Lebens. Und ich hatte meins gefunden. Und eine tolle Familie und neue Freunde dazu.

Hier waren mir alle viel näher als meine Blutsverwandten. Eigentlich sollte man lieber Familie als eine Gemeinschaft von Menschen, die sich wirklich nahestehen, definieren und nicht als eine Gemeinschaft von Verwandten. Mein Onkel passte schließlich kein bisschen zu mir. Und jetzt schon lange nicht mehr. Kilometer waren zwischen uns gerückt.

Ab jetzt war ich Viggo-Old-Shatterhand mit der Kurt-Cobain-Frisur! Ja. Und Che war mein Bill-Winnetou!

Auf dem Sessel im Wohnzimmer ließ es sich echt gut schlafen. Ich kuschele mich in das Polster.

"Ich vermiss dich auch schon.", flüsterte mir Falk zu, "Dann muss ich wieder alleine arbeiten."

Ich lächelte. "Ich komme wieder."

Er lächelte. "Das hoffe ich doch."

"Auf jeden Fall! Ich versprech's!" Ich schloss die Augen. So müde war ich selbst gestern nicht gewesen.

Doch mit einem Mal schreckte mich wieder etwas auf. Ich stand auf. Falk brauchte doch auch noch was.

"Ich komm gleich wieder." In der Küche lagen noch Stifte und Papier. Nach einer Weile war ich fertig.

"Bitte." Ich hielt Falk die Zeichnung hin. "Ist ein Geschenk. Vielleicht ersetzt das ja jeden Traumfänger, bis ich wiederkomme."

Falk betrachtet mit einem Strahlen in den Augen das Bild. "Wunderschön. Che hat nicht übertrieben. Eher untertrieben." Ich freute mich, dass es ihm so sehr gefiel.

Ich würde mal Künstler werden. Das nahm ich mit jetzt ganz fest vor. Es erfüllt einen, einen anderen Menschen so glücklich zu sehen. So was könnte ich jeden Tag haben. Besser als alles anderen auf dieser Welt. Künstler auf einer Ranch mit der Jay-Che-Show. Ja, so müsste ein erfülltes Leben aussehen.

Auf der Zeichnung war die Szene mit dem Mond, der durch das Fenster geschienen hatte, zu sehen. Die, von der ich geglaubt hatte, sie nicht einfangen zu können. Tatsächlich war es mir nicht so schön gelungen wie das Original. Aber dafür erzeugte der Eindruck mehr Gänsehaut. Vielleicht kommt es auf das Gefühl an und nicht auf die Perfektion.

Mit einem Mal hörte ich es neben mir sanft atmen. Ich sah hinüber zu Falk. Er schlief. Er schlief wie ein Baby und schien sich nicht mehr wecken zu lassen. Zufrieden lächelte er vor sich hin.

So schnell war ich noch nie eingeschlafen. Die ganze Nacht träumte ich von zufriedenen Menschen um mich herum.

Zwei Kälte Hände drückten sich auf meine Augen.

"Guten Morgen!"

Die Hände verschwanden wieder.

Ich öffnete die Augen.Che lief durch die Küche und kam wieder ins Wohnzimmer.

"SchläftDad?" Für ihn musste das eine unglaubliche Neuigkeit sein.

"Schon. Erhat jetzt einen Traumfänger." Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.Che lächelte auch. Natürlich verstand er das nicht genauso wie ich. Leiseschlich er an seinen Vater heran und holte eine Decke von hinter dem Sofahervor. Vorsichtig breitete er sie aus und deckte Falk behutsam zu.

"Hoffentlich weckt den keiner. Sonst bin ich sauer." Er lachte beidem letzten Satz. Che war einfach zu scherzhaft, als dass er wirklich hätteernst sein können. Mit einem Lächeln drückte er mir einen Becher vollerIrgendwas-zu-Trinken in die Hand.

"Ich nehm uns was zu Essen mit. Nicht,dass wir wieder hungern müssen. Und dieses Mal passen wir auch besserauf.", sagte er belustigt.

Ich freute mich schon auf nächstes Jahr. Einganzes Jahr ohne Che war bestimmt furchtbar. Aber auszuhalten. Bisher hatte iches ja auch überlebt. Mit ein bisschen Countrymusik geht alles! Und mit einemLächeln. Pferde und Hunde einmal im Jahr war besser als nichts.

"Wenn dudas nächste Mal hierher kommst", meinte Che, während er sich neben michauf das Sofa fläzte, "gehen wir auf ein Pow-Wow. Und du kommst mit zumTrail. Das wirst du lieben!"

Würde ich! Garantiert! Eigentlich wollteich nie mehr mein altes Leben leben. Dieses hier würde ich dafür glatteintauchen.

Aber das würde alles gehen. Ab jetzt gab es mehr als nur Träume. Abjetzt war das alles echt! Richtig wirklich!

Trotzdem vermisste ich alle undalles hier jetzt schon unheimlich. Che schien das zu wissen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top