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"Du kannst dieTür ruhig angelehnt lassen."

Ich nickte nur völlig perplex. Wie hätte ichjetzt noch die Tür öffnen können?

In dem Sessel in der Nähe des Fensters saß...

Falk! Keine Ahnung, wie er hierher gekommen war.

Also klar, wahrscheinlich warer von seinem Zimmer hierher gelaufen, aber was machte er hier um diese Uhrzeit? Es war mitten in der Nacht! Da schlief man doch.

Komischerweise schienes ihn kein bisschen zu wundern, dass er Besuch bekommen hatte.

"Setz dichdoch." Er deutet auf einen Sessel neben ihm. Ich setzte mich.

Das Fensterwar gekippte. Die kühlte Nachtluft war angenehm. Ein leichter Windhauch strichüber meinen Arm. Seltsamerweise bekam ich schlagartig Gänsehaut.

"Bist dunicht müde?" Ich schüttelte den Kopf. So viel hatte ich Falk noch nie amStück reden hören.

"Geht." Just in diesem Moment musste ich gähnen.

"Also doch." Er lächelte. "Kannst du nicht schlafen?", erkundigte er sich besorgt.

"Nein. Leider."

"Ich auch nicht." Er seufzte leise.

"Wieso nicht?" Blöde Frage, aber wie war mir einfach rausgerutscht.

"Gibt viele Gründe." Ichnickte. Klar, dass der mir nicht sein Herz ausschütten wollte. Hätte ichschließlich auch nicht gemacht.

Kurz musste ich irgendwie an den Film FightClub denken. In dem hatte der Protagonist so lange an Schlafstörungen gelitten,dass er sich ein zweites Ich eingebildet hatte. Na ganz geil. Ich wollte jetztnicht allzu gerne schizophren werden. Naja. Vielleicht brauchte ich davor jaauch noch ein paar Selbsthilfegruppen. Und mein Krafttier. Unwillkürlich mussteich lächeln.

"Was ist so lustig?" Falk lächelte ebenfalls.

Mir fielwieder auf, wie jung er doch war. Er sah sogar noch viel jünger aus, als ereigentlich war. Das war ja gerade das Verrückte. Und Strongbow auch. Nur Josephwirkte älter, als in Wirklichkeit. Aber bestimmt würde sich das mit derZeit auch ändern.

"Ich musste nur an einen Film denken, den ich mit Cheangeschaut habe. Ist aber schon ein bisschen her.", erklärte ich schnell mein Lachen.

"Wie lange kennen Che und du euch denn schon?"

"Vielleicht eine Woche." Ich war mirdarüber überhaupt nicht mehr im Klaren.

"Ach so." Falk seufzte leise.Irgendwie tat er mir leid.

In seiner Hand erkannte ich einen Traumfänger. Er stellteihn selbst her. Echt hübsch. Viele Lederschnüre, Perlen und Feder fügten sichzu einem Zauberding zusammen, mit dem man angeblich besser schlafen würde.Bestimmt hatte Che so eins.

Nur bei dem Künstler selbst schien seine Kunstnicht zu wirken. Ich betrachtete Falk noch länger.

"Glaubst du anTraumfänger?" Er sah mich an. Ich zuckte mit den Schultern. "Dasfunktioniert nur, wenn man daran glaubt. Aber dafür dann richtig. Es gab mal soein Experiment in dem man Menschen unterschiedliche Tablette verabreicht hat.Die einen enthielten tatsächlich einen Wirkstoff. Die anderen enthieltenkeinen. Beiden Gruppen wurden die Tabletten für echt verkauft. BeidePatientengruppen nahmen die Pillen ein. Und alle wurden gesund. So funktioniertdie meiste indianische Medizin. Natürlich gab es auch viele Wirkstoffen, dieunsere Vorfahren kannten. Aber sie wussten auch, wie man ohne Psychopharmakaheilt. Das sollte die amerikanische Gesellschaft erst mal wieder lernen.Manchmal glaube ich, die Menschen früher waren weiter als die Menschen heute.Also, in gewissen Hinsichten. Man kann seine Kinder nicht mit Zeug mit tausendunerforschten Nebenwirkungen vollstopfen. Das geht doch nicht. Natürlich sindmeine Kinder nicht perfekt. Aber zumindest gesund. Ist das nicht mehr wert alsein einfacheres Leben?"

"Doch." Ich war mir nicht sicher, obdiese Frage rhetorisch gewesen war.

"Denke ich auch. Natürlich würde ichmir manchmal wünschen, sie wären anders." Er seufzte leise. "Vor allembei Che."

"Wieso?" Ich hätte lieber nicht fragen sollen. Mir kamdas irgendwie unhöflich vor.

"Bei Che ist das alles einfach sokompliziert. Als ich in seinem Alter war, habe ich mich so bemüht, einen gutenAbschluss zu machen. Und er tut einfach nichts. Ich wollte mal Professorwerden. Für Geschichte. Ich konnte nicht. Nicht weil ich zu schlecht gewesenwäre. Aber ich war und bin Cherokee. Da kam ich nicht rein. Klar. Und jetzt binich nicht mehr als ein besserer Mechaniker. Ich repariere jetzt alles Mögliche.Bringt kaum Geld ein. Dann geb ich hier noch manchmal Reitunterricht. Bedienein einem Restaurant. Nur so kommt man über die Runden. Ist nicht einfach, aberegal. Es wäre mir wichtiger, dass meine Kinder nicht so enden müssen wie ich.

Ich glaube, Joseph hat tatsächlich bessere Chancen als ich. Vielleicht nichtals Pilot. Aber hoffentlich als Fensterputzer. Da kann man auch eine größereFirma leiten. Oder ein Casino. Oder im Bau, wenn es um Höhen geht. Da sindviele indianische Arbeiter. Das wäre zumindest mal ein Fortschritt.

Aber beiChe klappt gar nichts. Er ist ja nicht dumm. Auf gar keinen Fall. Er wäre schonbeinahe von der Schule geflogen, weil er sich immer so unmöglich benommen hat.Ein Mal ist er einfach so auf einen Mitschüler losgegangen, weil dieser einenschlechten Witz über die Cherokee gemacht hat. Oder über die Indianer imAllgemeinen. So was kann er gar nicht leiden.

In Geschichte hat er sich malfurchtbar mit seinem Lehrer gestritten, weil dieser behauptet hatte, dieGeschichte Amerikas würde erst mit den Pilgrim Fathers anfangen. Davor hätte esja nichts Bedeutendes dort gegeben. Dann war er sauer wegen der, seiner Meinungnach, Verfälschung der Persönlichkeit Massasoits. Eben häufig wegen so was. Erhat ja nicht Unrecht. Die Geschichte wird hier mehr als nur verfälscht.Zumindest meistens.

Ich verstehe das schon. Hat mich immer geärgert. Deshalbwollte ich auch Geschichte unterrichten, um die Erkenntnisse zu revidieren. Hatdann leider nicht geklappt. Ich hätte schon zu dieser Uni gehen können. Alsonach einer Wartezeit. Ging dann aber nicht mehr. In der Zwischenzeit hatte ichgeheiratet und meine Frau war schwanger. Da konnte ich schließlich schlecht anKarriere denken. Sie wollte unbedingt aus dem Reservat raus. Deshalb habe ichmich vor allem darum bemüht. Im Endeffekt hat das auch alles geklappt.

Abernach unserem Umzug hatte Che schlagartig keine Freunde mehr. Er hat sich niemit irgendwelchen "Bleichen", wie er sie immer genannt hat,verstanden. Er wollte sie auch nie verstehen. Für ihn war klar, dass dieAnderen gefälligst auf ihn zuzugehen hätten. Schließlich glaubte er sich imRecht, da die Cherokee schon länger in den Staaten leben würden als alle Weißenzusammen. Tja. Deshalb war ich auch ziemlich überrascht, dass er dichangeschleppt hat.

Vielleicht hat er sich auch geändert, seitdem er imRestaurant arbeitet. Ich sehe ihn jetzt kaum noch. Das ist schon schade. Aberalles läuft immer schlechter. Ihm bedeutet kaum noch etwas viel. Nicht so wiefrüher. Da war er immer so glücklich. Und jetzt gar nicht mehr. Irgendwann hater mal zu mir gesagt, dass er sich nur mit Outlaw verstehen würde. Und sonstmit niemandem. Ich wünsche mir ja schon gar keine Freundin mehr. Hauptsache, erhätte überhaupt mal Freunde.

Wahrscheinlich schafft er jetzt noch nicht malseinen Abschluss. Im Reservat war er immer deutlich besser gewesen. Und amAnfang nach dem Umzug auch. Ich würde ihm ja gerne helfen. Aber ich weiß nichtwie. Bestimmt ist Che einfach anders.

Ich frage mich bloß, was man mit demAmerican Dream mal werden kann. Das ist doch eine Utopie. Vor allem beiuns. Aus unserer Familie hat es bisher noch niemand geschafft. Ich glaube ja,dass er so viel erreichen könnte. Bloß die Wahrscheinlichkeit ist ebenunglaublich gering. Da kann jeder Nicht-Indianer besser Chancen verzeichnen alser. Was soll man machen."

Er seufzte leise. Irgendwie tat er mir leid. Nur leider wusste ich nicht, wie ich im helfen sollte.

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