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Ein Blick auf die Uhr. Seit beinahe zehn Stunden hatte ich nichts mehr zu mir genommen. Mein Hunger war also mehr als nur berechtigt. Che ging es bestimmt zumindest ähnlich, obwohl ich nicht annahm, dass er so endlos lange nichts mehr gegessen hatte wie ich. Die unnötige Warterei an einer Bushaltestelle hatte er sich jedenfalls gespart.
"Hast du auch so einen Hunger?", erkundigte ich mich dennoch vorsichtig. Nicht, dass Che noch denken würde, ich wäre furchtbar verfressen und würde ihm alles wegessen. Denn, dass ich selbst nichts bei mir trug, war nach dieser Frage einfach ersichtlich. Daran hatte ich beim besten Willen nicht gedacht. Zugegebenermaßen hatte ich auch nicht mit einem solchen Trip gerechnet. Sonst hätte ich das sicherlich nicht so leicht vergessen einzupacken.
In meinem Rucksack auf der Rückbank war in jedem Fall nichts Essbares. Wusste ich ohne nachzusehen. Immerhin war ich davon ausgegangen, dass mein Onkel mich einigermaßen pünktlich am Treffpunkt abholen würde. Vielleicht war er ja gerade eben angekommen. Wenn ja, Pech für ihn. Hätte ihm auch früher einfallen können.
"Dann lass uns mal eine Vesperpause einlegen", meinte Che, "Muss mir ohnehin mal wieder die Beine vertreten. Und du sicher auch." Glück gehabt!
Mitten auf der Straße hielt Che abrupt an und schaltete den Warnblinker an. "Falls jemand kommt. Wenn wir nicht da sind, haben wir halt gerade das Werkzeug gesucht oder so was."
"Logisch. Ich such mein Werkzeug auch immer mitten im Niemandsland." Che hatte manchmal wirklich seltsame Ideen.
"Egal. Wird schon niemand kommen. Mir glaubt man eh alles. Zur Not mache ich einen auf dummen Sturkopf." Er lachte. So nach dem Motto: Wozu brauch ich einen Führerschein, wenn mich der Polizist eh kennt und glaubt ich besäße einen?
Wir stiegen aus. Nachdem Che einen meiner Meinung nach großen Rucksack aus dem Kofferraum geladen hatte, begann er in eine x-beliebige Richtung zu laufen. Was auch immer er dort wollte. Ich folgte ihm. Schließlich wusste ich auch nicht, was ich Besseres hätte tun können. Es kam mir echt wie eine halbe Ewigkeit vor, bis wir Ches Ziel erreichten.
Mein indianischer Freund lief wirklich unglaublich flink. Man musste aufpassen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Mithalten war unmöglich, wenn man nicht gerade Usain Bolt hieß. Auf der Wiese, die im Übrigen nicht sonderlich viel anders aussah als diejenige, neben der wir unser Auto mitten auf der Straße hatten stehen lassen, breitete Che eine Decke aus, die er zuvor umständlich aus seinem Rucksack gefischt hatte. Ich schaute nur verwundert zu. Er schien sichtlich zufrieden zu sein und sang immerzu vor sich hin. Blanket on the Ground, hieß das Lied, wie ich später erfuhr. Auch recht.
Auf der Decke breitete er das mitgebrachte Essen aus. Ich muss zugeben, die Decke war wirklich sehr groß, weswegen sie schon von Anfang an mindestens die Hälfte des Rucksacks für sich in Anspruch genommen haben musste. Die Menge an Essbarem, die letztlich daraus zum Vorschein kam, war leider enttäuschend gering. Dennoch schaffte Che es, dass die gesamte Decke mit Lebensmitteln bedeckt war. Die Frage blieb bloß, wie er das fertiggebracht hatte.
"Setz dich doch." Che hatte sich direkt vor der Decke niedergelassen. Jeder normale Mensch hätte sich selbst auch noch auf die Decke gesetzt, aber diese hier schien für das heilige Essen bestimmt zu sein. Gewöhnliche Menschen wie wir fanden darauf leider keinen Platz mehr. Ich setzte mich einfach neben Che ins Gras. Immerhin war es warm und trocken. Und bequem war es eigentlich auch, wenn ich es mir so recht überlege. Sah auch sehr gut aus, was Che so aufgetischt hatte.
Um ein Haar hätte ich ihm einen guten Appetit gewünscht und hätte begonnen zu essen. Welch eine fatale Angewohnheit. Che kniete sich nämlich vor die Decke und fing an zu, na ja vielleicht kann man es beten nennen? Auf jeden Fall schloss er dazu die Augen, murmelte ein paar unverständliche Worte auf irgendeiner Sprache und senkte abwechselnd den Blick oder sah zum Himmel hinauf. Sobald er den Himmel ins Visier nahm, öffnete er die Augen. Was auch immer das darstellen sollte.
Nach der Hälfte seines Gebets hielt er plötzlich inne. Mit glänzenden Augen sah er mich an. War er in Trance gefallen? Braucht man bei solchen Handlungen einen Arzt, Medizinmann, Schamanen oder dergleichen? Von Religion hatte ich wirklich überhaupt keine Ahnung. Ich wusste kaum, wie man als Christ betet oder wie ein Gottesdienst abläuft. Religiös war ich nicht gerade sonderlich. Wie sollte ich mich da mit den Gewohnheiten fremder Kulturen auskennen?
"Alles gut?" Bestimmt hatte ich jetzt die heilige Stimmung für immer zunichte gemacht. Doch Che schien gar nicht wütend auf mich zu sein. Er starrte mich bloß weiterhin erwartungsvoll an. Was sollte ich denn nun machen? Verständnislos blickte ich fragend zurück. Und jetzt?
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