"Che!" Der ältere Herr lächelte über sein ganzes Gesicht. In seine ausgebreiteten Arme ließ sich Che fallen. Der Mann sah Che unglaublich ähnlich. Seine Gesichtszüge und seine Haar- und Hautfarbe. Aber vor allem die Augen ähnelten sich ungeheuerlich.

"Das ist übrigens Outlaw." Che sah mich grinsend an. Ok... Ich nah diese Information jetzt einfach mal zur Kenntnis. Was für ein komischer Name für einen Erwachsenen.

"Also nicht er!" Che deutete auf den Mann. "Sondern er!" Sein Finger wanderte hinüber zu dem Pferd, das brav und regungslos das ganze Spektakel betrachtet hatte. Aus seiner Perspektive musste das sicher äußerst merkwürdig erscheinen: Besitzer schmust mit Fremdling rum. Hey! Dabei bin ich doch auch noch da. Ich stehe hier daneben. Huhu! Aber niemand hörte ihn.

Der Mann lächelte mich an. "Ich bin Ches Großvater." Er reichte mir die Hand. "Freut mich dich kennen zu lernen." Ich nickte nur dumm rum. "Und dein Name ist?" Ach stimmt, vorstellen musste man sich ja auch noch.

"Jay. Also in Wirklichkeit James."

Der Großvater schien sich wieder prächtig zu amüsieren. "So ist's recht. Wir haben hier fast alle Spitznamen. Aber meine Schwiegertochter mag diese Tradition nicht sonderlich. Mein Sohn wird für sie wohl immer Russel bleiben. Und Che Ernest. Bloß an Abby für Abigail hat sie sich gewöhnt. Schien den Namen wohl schöner zu finden. Recht hat sie. Abigail ist ja auch nicht gerade der hübscheste Name der Welt." Irgendwie verstand ich den Großvater. Hier schienen wohl die meisten etwas eigentümliche Namen zu haben. Und ich hatte James immer für übertrieben altmodisch gehalten. Also gegen Ernest oder Abigail war das ja nichts. "Nenn mich einfach Strongbow. So nennen mich alle hier." Erneut nickte ich.

Strongbow klang gut. Starker Bogen. "Hat nichts mit dem irischen Strongbow zu tun. Ist nur mein Opa." Che lächelte. Zugegebenermaßen kannte ich den irischen Strongbow noch nicht mal. Also hätte ich ihn auch nie mit Ches Großvater verwechseln können. Hat doch manchmal einen Vorteil, ungebildet zu sein.

"Kommt ihr?" Ches Vater stand in der Tür. "Falk! Wie kommst du denn hierher?" Strongbow schien überrascht. Falk als Spitzname für einen Russel hatte ich auch noch nie gehört.

Erst in diesem Moment fiel mit auf, wie jung Ches Vater noch war. Vor allem sein Gesicht wirkte beinahe jugendlich. Wenn ich ihn mit meinem Vater verglich, trennten die beiden sicherlich bald zehn Jahre. Wahnsinn! Dabei war mein Vater gar nicht mal der älteste Vater mit Kindern in meinem Alter. Und Ches Vater hatte ja noch einen älteren Sohn. Hier schien man wohl mit vielem früher dran zu sein als bei uns.

Falk lächelte. Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, er sei schüchtern. So irgendwie unschuldig. In einem gewissen Maß passte er zu seiner Frau, obwohl ich die beiden für Menschen mit sehr unterschiedlichen Charaktereigenschaften hielt. Vor allem nach dem, was Che so erzählt hatte, musste er früher wohl doch ein wenig Draufgänger gewesen sein. Oder zumindest notgedrungen. Seine Frau war das definitiv nie. Er schien auch alles gelassener zu nehmen als sie.

Bestimmt waren beide wahnsinnig intelligent. Falk machte eine Geste und man folgte ihm. Beim Stalltor nahm er Che zu sich zur Seite. Ich blieb zur Sicherheit unbemerkt in Reichweite.

"Was war?" Seine Stimmte klang sehr bestimmt. Che drehte sich weg. Falk sah ihn beinahe streng an. "Ich möchte wissen, was war.", wiederholte er seine Frage. Trotz allem sprach er in ganz ruhigem Ton weiter. Che bemühte sich unentwegt seinem Vater nicht in die Augen zu schauen. Im Gegenzug sah ihn dieser nur noch mehr an.

Natürlich konnte Che diesen Blicken nicht Stand halten. Beinahe reumütig sah er seinen Vater an. "Es war nichts. Also wirklich nichts Schlimmes."

"Da hab ich aber Anderes gehört.", meinte Ches Vater nur ruhig.

"Sag das bloß nicht Mum. Die flippt sonst total aus. Ich will nicht, dass sie immer wegen mir traurig ist." Bildete ich mir das ein oder war Che in Panik geraten?

"Dann hör doch auf mit so was. Du weißt ganz genau, wie gefährlich das ist." Dass Falk noch nicht ausgerastet war, wunderte mich beinahe.

"Nein, weiß ich nicht.", erwiderte Che trotzig.

"Aber sicher. Lüg nicht rum."

Che wurde blass. "Mach ich doch gar nicht. Es ist nur so, dass man dem Anderen die Wahrheit nicht wie einen kalten Lappen um die Ohren schleudern, sondern ihm wie einen warmen Mantel anziehen soll. Hast du selbst gesagt." Ganz das schlaue Argument, Che. Wirklich großartig!

"Wenn du nicht lügen willst, dann sei ehrlich. Und zu mir kannst du das. Und das weißt du auch." Che sah zu Boden. "Also?" Zum ersten Mal in dem gesamten Gespräch klang sein Vater fordernd.

Che beugte sich nach vorne und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er flüsterte ziemlich lange. Man konnte kein bisschen verstehen. Schließlich schloss er mit den Worten:"Und der Cadillac steht jetzt noch an der Tankstelle. Den hol ich dann nächstes Jahr ab. Hab ich mit dem Chevy ja auch so gemacht."

Falk musste fast grinsen. "Du bist auch die Ruhe in der Person." Er grinste und legte einen Arm um Ches Schulter. In Ches Gesicht war zu erkennen, dass er gottfroh darüber wahr, keinen Streit entfacht zu haben.

Wir gingen wieder alle gemeinsam ins Haus.

Inzwischen gab es erneut Essen. Eine Art Kaffeemit wahrscheinlich indianischem Gebäck. Schmeckte auf jeden Fall auch. Ich wares kaum noch gewöhnt, so viel zu essen. Nach drei so Teilen machte ich schlapp.Die hatte ich aber auch nur geschafft, weil Abby auf meinem Schoß saß und michabgefüttert hatte.

Währenddessen hatte sie mir ihre Webarbeit gezeigt, die sie,die Betonung liegt auf ganz alleine, gefertigt hatte. Sah echt niedlich aus.

"Willst du auch mein Sandbild sehen?", erkundigte sie sich aufgeregt bei mir.

"Gerne." Sie freutesich, als wären Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen. Wobei ich michfragte, ob Cherokee so was überhaupt feierten.

"Ich geh's schnellholen." Mit diesen Worten sprang sie auf und endlich hatten meine Beine ein Gewicht weniger zu tragen.

Und schon war Abby im oberen Geschoss des Hauses verschwunden.

"Macht es dir nichts aus, dass sie die ganze Zeit so an die klebt?", fragte Che besorgt.