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"Chattahoochee, das bedeutet übrigens so viel wie bemalter Felsen. Ist aus der Sprache der Cherokee", stellte Che nach einer Weile fest. Gut, ich muss sagen, das wusste ich noch nicht. Dafür kannte ich aber ganz andere Sachen. Halt dich fest, Che! Du brauchst mich nicht über alles aufzuklären.

"Die Cherokee sind doch so ein Indianerstamm von der Ostküste, gehörten zu den fünf ersten zivilisierten Stämmen und haben eine eigene Schrift für ihre Sprache, nicht wahr?" Ich musste irgendwie ein wenig wie ein Geschichtsbuch klingen.

"Stimmt." Che schien irgendwie überrascht zu sein. "Nicht schlecht.", meinte er zufrieden, "Ich dachte die ganze Zeit, du wärst so ein Oberschichttyp, der nichts kennt außer seinen Lektionen. Also Schule und so. So jemand, der amerikanische Geschichte für umfangreiches Geschichtswissen hält. Ich meine schul-amerikanische Gesichte. Jemand, der noch nie was von Indianern gehört hat. Du bist nicht doof. Respekt." Nun musste ich grinsen. War es anmaßend oder albern, jetzt stolz zu sein?

"Wir können ja ein kleines Geschichtsquiz machen. Allround", schlug ich vor. Da schienen wir zumindest Gesprächsstoff zu haben.

"Egal welche Geschichte?" Ches Augen leuchten. Es war Zeit, mein gesamtes Wissen über die Ureinwohner Nordamerikas hervorzukramen. Locker würde ich Che schlagen. Ganz easy!

"Klaro", erwiderte ich.

"Keine Sorge. Ich fokussiere mich nicht nur auf die Indianer oder vor allem die Cherokee. Obwohl ich da, wenn ich es mir echt überlege, eine entschiedenen Vorteil hätte." Ein kleiner Lichtblick.

"Warum?", hackte ich nach.

"Weil ich einer bin. Ein Cherokee und demnach auch ein waschechter Indianer. Da staunst du was? Die meisten glauben ja, dass wir nur in Reservaten leben. Stimmt aber gar nicht. Mein Vater, meine Mutter, meine Geschwister und ich wohnen zum Beispiel in der Stadt. Außerhalb der Reservate und der Rez-Schools gibt es nämlich eine bessere Bildung. Im Reservat hab ich gelebt, als ich jünger war. Da lernst du bloß was von den Älteren. In der Schule kannst du's vergessen. Hoffentlich ändert sich die Situation da bald. Man bescheißt die Indianer da nämlich den ganzen Tag nur. Kann dir ja später mal mehr darüber erzählen. Jetzt nicht. Also, wollen wir starten?"

"Warum nicht jetzt?" Ches Dauerlächeln war ein kleines bisschen düsterer geworden.

"Weil man sich beim Fahren nicht aufregen soll. Sonst fährt man noch gegen einen Baum. Und das will doch keiner der Mitfahrer. Also Quiz oder nicht?"

"Fang an", antwortete ich schnell. Schlechte Stimmung wollte ich nicht aufkommen lassen. Che dachte nach.

"Frag ruhig was mit Indianern. Mal sehen, wie viel ich weiß." Natürlich hatte Che nicht wissen können, dass Indianer mein Steckenpferd waren. Zum Glück nicht. Dann konnte ich ihn ein wenig überraschen.

"Also, wer erfand die Schrift der Cherokee?" Sein Lächeln war wieder vollständig hergestellt.

"Sequoya. Der war der Sohn einer Weißen und eines Cherokees. Die Schrift entstand zwischen 1809 und 1821 und besitzt 85 Schriftzeichen. 1828 erschien die erste Zeitung in der neuen Schrift: die "Cherokee Phoenix". Das war doch einfach. Mach mal was Schwereres."

Erstaunt sah mich Che an. "Na gut, wenn du willst." Scharf dachte er nach, bis er endlich auf die seiner Meinung nach passende Frage gekommen war. "Was ist ein Coup?"

"Man muss mit einem Coup-Stab oder der flachen Hand seinen Gegner berühren. Dann kann man eine Feder verdienen. Zufrieden?"

"Sehr. Also, weiter geht's." Che schien keine gute Frage mehr einzufallen. Dennoch schien ich seinen Ehrgeiz geweckt zu haben.

"Wie wär's mit dem Pfad der Tränen?", schlug ich vor.

"Nein.", lehnte Che ab, "Zu traurig."

"Ok. Dann was Anderes. Egal was. Frag einfach." Che schien Gefallen daran gefunden zu haben, mich abzufragen.

"Was ist eine Stampede?"

"Wenn die Rinder bei einem Trail außer Kontrolle geraten, weil sie sich erschreckt haben. Dann rennen die alles um und stürzen sich manchmal sogar selbst aus Versehen einen Abgrund herunter. Kann mehrere Stunden dauern, bis die Cowboys die Herde wieder beisammen haben."

Che war sprachlos. "Alles klar. Jetzt wird's härter. Du bist zu gut. Verlassen wir Amerika. Wer oder was waren die Samurai?"

"Die japanischen, nenne wir es mal, Ritter. Die hatten aber schon Bogen, bevor die Ritter in Europa das hatten. Samurai trugen auch eine ganz leichte dicht gewebte Sorte Rüstung. Da kamen keine Pfeile durch. Tolle Erfindung, nicht?"

"Und was war 1989 in Deutschland?"

"Der Mauerfall der Berliner Mauer. Die trennte bis dahin West- von Ostdeutschland. Die parlamentarische Demokratie, die es in Deutschland immer noch gibt, von der kommunistischen Zone. War ja auch früher die russische Besatzungszone. Auf der anderen Seite haben sich die Engländer, Amerikaner und Franzosen als Siegermächte zusammengetan. Zum Glück ist Deutschland jetzt souverän. Weißt du, dass an der Mauer sogar Kinder erschossen wurden?"

Che war fassungslos. Für eine Weile sagte er gar nichts mehr. Bald hatte er sich wieder gefasst. "Wahnsinn! Ich dachte nicht, dass du dich auch mit Deutschland auskennst. Ich dachte, dass ist zu unbekannt."

"Und woher kennst du das dann?"

"Weil mein Opa mir davon erzählt hat. Als Soldat war er da mal eine Zeit lang stationiert."

"Achso."

"Und du?", fragte Che mich interessiert.

"Weil ich Deutsch lerne und weil mich Deutschland durch den Austauschschüler des Bruders meines Freundes interessiert." Mann, war das eine schwierige Beschreibung gewesen. Der Austauschschüler des Bruders meines Freundes. Dafür sollte ich einen Orden erhalten.

"Jetzt frag du mich mal was." Ches Augen glänzten. Jetzt wollte er mir beweisen, was er drauf hatte.

"Ich weiß nichts. Ehrlich." Meine Fantasie war meist sehr beschränkt.

"Ach, komm schon! Nur zwei Fragen. Bitte!" Che schien die Idee mit dem Quiz echt unwahrscheinlich gefallen zu haben. Leider hatte ich nun den dummen Job und musste mir Fragen ausdenken.

"Na schön", leitete ich meinen bevorstehenden Auftritt kunstvoll ein. Meine Englischlehrerinnen hätte mir dafür keinen einzigen Punkt gegeben. "Wo liegt Wilna?"

"Das ist doch viel zu einfach. Ist die Hauptstadt von Litauen. Mach mal was richtig Schweres!"

"Und wo liegt Litauen genau?" Mir fiel nichts besseres ein.

"Da bei Estland und Lettland. Das ist ein bisschen westlich von Russland." Ich bemerkte, wie Che leicht unruhig auf seinem Sitz herumrutschte. Offensichtlich forderte ich ihn nicht genug.

"Nicht übel", musste ich zugeben. "Woher weißt du das denn eigentlich, Che? Lernt man so was auch auf einer normalen Schule?"

"Keine Ahnung, ich kenne nur normale Schulen. Wenn ja, hab ich da gerade nicht aufgepasst. Hab's von meiner Tante gehört. Die war mal in Russland. Natürlich nicht zum Spionieren." Er lachte. Ich musste auch lachen. "Auf was für einer Schule bist du denn, wenn das andere "normale" Schulen sind? Auf einer unnormalen? Oder gehst du gar nicht mehr zur Schule?"

"Doch, doch. Ich geh schon noch. Aber ich bin auf einer privaten. So eine, die behauptet bloß für die Elite zu sein. In Wirklichkeit sind die ja immer für die Reichen. Da gibt es auch echte Holzköpfe. Aber deren Eltern zahlen gut."

"Verstehe", murmelte Che. "Wie alt bist du eigentlich?"

"17. Und du?"

"Ich auch." Mein Reisebegleiter grinste breit.

"Passt doch." Erneut mussten wir beide aus dem Fenster sehen, um nicht in einem Lachanfall zu enden. Mit Che war wirklich alles übertrieben lustig.

"Frag noch weiter", forderte mich Che auf, nachdem wir beide uns einigermaßen beruhigt hatten.

"Wenn du willst." Ich musste einen Seufzer unterdrücken. Was sollte ich nur fragen?

"Ja. Wollen wir doch mal sehen, wer mehr weiß. Der kluge Privatschüler oder der durchschnittliche Hick von der normalen Schule." Feuer und Flamme lächelte mich Che an.

Nun ging es abwechselnd. Einmal ich. Einmal Che. Die Präsidenten -hier beschränkten wir uns ausnahmsweise auf die amerikanischen, da wir beide von denen aus anderen Ländern nicht allzu viel Ahnung hatten- ein paar Matheaufgaben -Kopfrechnen war echt Ches Ding- und sogar ein bisschen Spanischvokabeln, denn auch Che lernte diese Sprache. Da weder ich der Sprache der Cherokee mächtig war noch Che der lateinischen oder der deutschen, mussten wir uns auf unsere zwei gemeinsamen Sprachen beschränken.

Irgendwie begann mein Magen zu knurren. Es war Zeit, etwas zum Essen zu besorgen.

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