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"Na ihr? Er kennt ihr uns noch? Seht mal nach gegenüber!" , stand auf dem Zettel geschrieben. Wie in solchen Filmen, in denen das immer so übertrieben gespielt wirkt, sahen Che und ich in genau diese Richtung.

Das schier Unfassbare war geschehen. Ich hätte geglaubt, sie frühestens morgen wieder zu sehen. Wenn überhaupt. Uns gegen über standen am Gitter Silvester und Deborah/Austin. Endtussihaft winkte Deborah uns zu.

"Ach ne." Ich hatte keine Ahnung, ob man Ches Reaktion als positiv oder als negativ werten sollte.

"Magst du die?", zischte ich ihm zu.

"Also Deborah ist ja schon ein bisschen seltsam. Silvester ist ok."

Ein zweiter Zettel erreichte uns. Darauf war zu lesen: "Lust auf Musik?"

"Hast du deinen Stift noch?" Ich gab ihn Che. Dieser schrieb mit einer unglaublich unleserlichen Schrift darauf: "Klar. Mögt ihr Country?" und schob den Zettel wieder zurück.

Drüben wurde die Nachricht erhalten und ausführlich diskutiert. Dann hielt Silvester eine Gitarre hoch und nickte heftig.

Der Zettel schoss erneut zurück. "Wie wär's mit Johnny Cash? Folsom Prison?"

Che nickte kräftig. Silvester schien die Antworten deuten zu können. Er hielt seine Gitarre hoch, um zu bedeuten, dass er gleich loslegen wollte.

Kräftig sangen er, Che und Deborah. Allerdings klang Deborahs Singstimme unglaublich nach einem Austin. "I hear a train a'comin. It's rolling down the lane. I hadn't see the sunshine since I don't when. Oooh. I'm stuck at Folsom Prison and time keeps dragging on. ..." Der Text passte zumindest zum Gefängnis. Wie ich später erfuhr, hatte Johnny Cash diese Lied tatsächlich in einem Gefängnis aufgeführt. Er war sogar mal ultrakurz im Knast gewesen. Kein Wunder, dass es in vielen seiner Lieder um Häftlinge geht. Wie zum Beispiel bei "Give my Love to Rose".

"Hey da! Hört sofort auf mit demKrach!" Na super. Jetzt kam auch noch so Wärter. Trotz allem sangen dieDrei das Lied noch fertig. War ja eh nicht mehr lang gewesen. Silvester gabnoch einen virtuosen Schluss. Che klatschte Beifall.

Mir war nur noch schlecht.Was, wenn uns die Gefängnisaufseher gleich verprügeln würden? Aber daran schiennur ich zu denken. Die Tür sprang auf. Die beide Wächter verdunkelten dieZelle. Hatte ich es nicht geahnt? Einer beugte sich zu Che runter. "Wenndu nicht sofort still bist, Freundchen, mach ich dir die Hölle heiß! Bloßdamit du's weißt. Und deinem Freund auch!"

Che sah ihn angriffslustig an.

Tu das nicht. Tu es nicht!

Der Wärter war ein wahrer Schrank von Mann. Sorichtig, richtig, richtig ultraendstark. Er fuhr die Hand aus. Nicht!

Ches Kopfflog voll zur Seite. Aber er sagte keinen Ton. Aus seiner Wange schoss Blut.Fuck! Die Gittertür schlug zu. Ich zitterte. Wortlos hielt sich Che ein Tuchvom Gefängnis vor seine Wunde.

"Ist nicht schlimm.", erklärte er mirdann, "Das hört sofort wieder auf, zu bluten. Meistens ist es eh schlimmer,wenn man nichts sieht." Meiner Meinung nach sah das trotzdem totalfurchtbar aus.

"Ich hatte schon schlimmere Wunden." Che hörte sichwirklich normal an, obwohl seine Wange unerträglich schmerzen musste."Wenn so jemand einen mundtot machen kann, dann war derjenige einfach nichtstark genug. Ich hätte zurückschlagen können. Hab ich aber nicht, weil derSchlauere dem Dümmeren keinen Gefallen tun sollte. Wer sich nur mit Gewaltwehren kann, ist in Wirklichkeit verdammt schwach." Ich bewunderte seineWorte. Che hätte mehr als nur die Auszeichnung für den tapfersten Indianerverdient.

"Woher kamen denn die anderen Verletzungen?" Irgendwie interessierte es mich dann doch.

"Von denIndianeragenten. Ich glaube, die wollen sich heute nicht mehr so nennen, aberegal. Früher hieß mal die Kontrollpolizei in den Reservaten so. Wenn du denenauf den Sack gehst, dann schlagen die zu. Du störst die allerdings schon, wenndu lediglich existierst. Da hast du halt die Arschkarte gezogen." Ichkonnte es kaum glauben. "Aber muss wohl auch ein bisschen an mir liegen.In der Schule haben die mich früher -also mit den Großen machen die das janicht mehr- immer in so eine Art Besenkammer gesperrt. Keine Ahnung, was dasdann bringen sollte. War halt so. Die haben mich dann immer erst am Ende derStunde wieder rausgelassen. Ich weiß echt meistens gar nicht, was ich denn sofurchtbar Schreckliches getan hatte. Vielleicht bin ich auch deshalb so dummgeblieben." Er grinste. "In jedem Fall bin ich's gewohnt. Scheintwohl die Art zu sein, wie die einen zu bestrafen versuchen."

"Unddein Vater?" Es war mir einfach so rausgerutscht.

"Mein Vater? Wie kommt's du denn da drauf? Der würdemich nie so anfassen. Niemals! Das macht man bei unserem Stamm nicht." Ichmochte seinen Stamm bereits, ohne ihn zu kennen. Die Regeln da hörten sichzumindest mal nicht schlecht an.

"Du warst bestimmt viel zu lieb fürirgendeine Bestrafung.", versuchte ich mich an ein wenig Humor.

"Dann wäre ich jetzt nicht hier." Chemusste lachen. Wie konnte er nur angesichts seiner offenen Wunde lachen? Aberwegen ihm musste ich auch lachen. Er sah einfach zu lustig aus.

"Scheintgehörig fehlgeschlagen zu sein.", grinste Che.

"Ja. Zum Glück. DerSchlauere tut doch dem Dümmeren keinen Gefallen." Ich musste noch mehrlachen. Ich glaube, dass gerade wegen Ches Einstellung zum Leben alles mit ihmweniger schlimm war. Alles konnte er ins Positive umwandeln. Meine wahreRettung.

"Seid sofort still!", schrie der Aufseher in unsere Zelle.

Nein! Komm bitte nicht zurück!

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