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Der Wärter sah Silvester an. Offensichtlich waren wir doch nicht gemeint worden.
"Raus.", antwortete dieser. Wir wurde gleich mitgenommen.
Das Außengelände war ebenfalls ein Betonplatz mit zwei Basketballkörben. Die Meisten hatten es sich auf dem Boden bequem gemacht. Wir setzten uns ebenfalls, denn es wäre witzlos, zu dritt Basketball zu spielen. Zudem war ich völlig unbegabt.
Sport zählte nicht gerade zu meinen Begabungen. Als die Koordinationsfähigkeit verteilt worden war, hatte mich der liebe Gott entweder bestrafen wollen oder aber ich hatte nicht sofort hier geschrien. Bestimmt hatte ich damals die Wichtigkeit dieser Gabe noch nicht erkannt. Manchmal hatte ich selbst Probleme rechts und links auseinander zu halten.
Immer, wenn wir in Sport etwas machten, wo man die Arme versetzt bewegen musste und dazu womöglich noch Seitgalopp machen musste, brachte ich immer alles durcheinander. Entweder meine Beine hörten völlig auf mitzuarbeiten oder meine Arme bewegten sich relativ willkürlich.
Danach verzweifelten die Meisten. Daher fiel es mir auch so schwer in Musik diesem komischen Cup-Song mitzumachen. Ich konnte mir den Rhythmus perfekt vorstellen. Bloß das Tasse hoch, Tasse runter, Tasse rechts, Tasse links brachte mich völlig durcheinander. Ich wusste nie genau, wie ich es schaffen sollte, mich sowohl auf die Richtung als auf das Hoch und Runter zu konzentrieren. Dann auch noch vor und hinter der anderen Hand durchgreifen. Das war für mein Gehirn einfach zu viel des Guten. So was ging einfach gar nicht.
Meine Finger zu bewegen war auch beim Trompete spielen immer ein Problem gewesen. Und ich meine, beim Klavier wäre das ja noch viel extremer. Da war das doch noch harmlos.
"Wieso seid ihr eigentlich hier?", wollte Silvester nach einer Weile wissen.
"Wir werden verdächtigt, eingebrochen zu haben. Haben wir abernicht.", erzählte Che. "Und du?"
"Kleinigkeit."Silvester schien nicht näher darauf eingehen zu wollen. "Hab mich einbisschen mit einem Freund geprügelt", gab er dann bald zu, "Der hatmir schon längst verziehen. Wir waren betrunken. Macht auch nichts. Immerhinkommt mich dieser Freund oft besuchen. Also."
Die Abendsonne erstrahlte inihrem schönsten Rot. Mir gefiel der Himmel. So bunt und so geheimnisvoll mitseinem Rot, das sich in Orange und schließlich in Gleb verwandelte. Ein wenigblau war auch noch zu sehen. Und alles schien auf einen Feuerball in der Mittezuzulaufen.
"Der Abend ist hier am schönsten. Schließlich liegen wir zumWesten hin. Da bleibt es lange warm im Sommer." Silvester grinste. Wiederzeigte er seine furchteinflößenden Zähne. Ohne Probleme und allzu viel tricksenhätte er die Rolle des Dracula oder eines anderen Vampirs bekommen können.Seine dunklen Haare hingen ihm in Strähnen ins Gesicht.
"Magst du CountryMusik?" Klar, dass diese Frage nur von Che stammen konnte.
"Schon.Aber am liebsten Johnny Cash. Ich finde es faszinierend, dass der so vieleMenschen im Gefängnis besucht hat und seine Lieder von ihren Schicksalenhandeln. Immerhin ist die Rechtsprechung in den USA schon seltsam. Da steigtman nicht durch. Offiziell gibt es keine Folter mehr. So sagen das diePolitiker doch immer. Aber inoffiziell schon, oder was? Man kann mehr als einmal zu lebenslanger Haftverurteilt werden? Und dann kommen am besten noch fünfhundert Jahre dazu. Dasist doch super unlogisch! Man lebt nur einmal. Außerdem kann man doch nichtjemanden sein ganzes Leben einsperren. Ich meine, die Chance, sich zu ändern,bleibt denen ja verwehrt. Das ist ungerecht! Das verstößt gegen dieMenschenrechte, finde ich. Das ist weder Freiheit noch Selbstbestimmung."
Ich verstand, was Silvester meinte. Aber, dass unsere Rechtsprechung menschenunwürdigwäre, fand ich dann doch ein bisschen heftig formuliert. Also ich meine, unserVerfassung kann doch nicht verfassungswidrig sein. Oder?
"Mit wenigerArmut und mehr Sozialgesetzen gäbe es sowieso weniger verbrechen. Da könnte mandann doch sparen. Man müsste die Leute nicht ihr Leben lang versorgen.",stellte Che fest. Endlich mal wer, der genau meiner Meinung war. Wenn das meinVater wüsste! Der würde sich grün und blau ärgern über meinen Urlaub. Warirgendwie toll! Ich lächelte vor mich hin.
"Lust auf eine RundeBasketball?" Ich konnte kaum glauben, dass diese Frage tatsächlich vonmir stammen sollte.
"Ja gerne." Schnell war ein Ball organisiert.
"Kommt! Macht alle mit!" Die Gefangenen versammelten sich in kleinenGruppen um mich. In ihren Gesichtern konnte man deutlich ablesen, wie daraufdie Frage stand: Was zum Henker tut er da? Wie kam der bloß auf eine so absurdeIdee?
Es musste sich wohl um unterschiedliche, nenne wir es mal, Clans handeln,denn einer aus so einer Gruppe kam auf Silvester zu und schlug ihm aus heiteremHimmel einfach mit voller Wucht auf den Arm. Silvester gab keinen Ton von sich,obwohl sein ganzer Oberarm sich schlagartig rot verfärbte.
"Habt ihr Lustauf Basketball?", fragte Silvester die anderen, die ihn nicht einfach so angreifen wollten.
"Gibt's so washier?" Viele Häftlinge schienen verwundert.
"Klar." Silvesterlächelte. "Hat unser Frischling gerade eingeführt. Dann ist es in denZellen vielleicht nicht mehr so stickig."
"Wieso soll das was an denZellen ändern?", wisperte ich ihm ins Ohr.
"Weil die meisten dort Sportmachen. Weißt du, an den Stäben Klimmzüge oder so was.", wurde mir erklärt.
"Achso." Spielerisch warf Silvester den Ball in die Luft und fing ihn wieder.Er konnte ihn sogar so auf dem Finger drehen, wie es die Fußballstars oftmachen. Richtig beeindruckend!
Mit einem Mal flog der Ball auf mich zu. Das riesige Monster wurdeimmer größer und größer. Ich hätte einfach ausweichen sollen.
Doch wie erstarrtblieb ich stehen. Schützend hielt ich die Hände vors Gesicht.
Bitte nicht auf mich! Ich hasse Bälle!
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