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Der Wärter schien uns abholen zu wollen. Schön.
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Tür sprang auf.
"Gibt Abendessen. Und anschließend habt ihr Freigang, weil ihr euch lieb anstellt." Freundlich, freundlich. Der Typ trat nicht ein und machte uns Handschellen durch die Tür dran.
"Ich hätte da eine Frage, Sir.", fragte Che mit einer bedauernswerten Miene.
"Ja bitte?" In der Stimme unseres Wärters lag ein Hauch Nettigkeit.
"Wie kommt es eigentlich, dass wir hier gelandet sind?" Che konnte schon echt gut den Unschuldigen spielen.
"Darüber können Sie gerne mit Mister Glotter diskutieren.", war die nicht gerade zufriedenstellende Antwort.
"Gerne." Und bitte sofort, wenn es geht!
"Aber erst nach dem Essen und dem Freigang, ja? Davor ist er beschäftigt."
"Vielen Dank.", bedankte sich Che höflich.
"Nichts zu danken." Der Wärter kam mir mit einem Mal wirklich sehr freundlich vor. Wahrscheinlich war es schon lange her gewesen, dass einer mal höflich zu ihm gewesen war. Da freute er sich über Abwechslung. Niemand auf unserer Seite konnte uns schaden. Von daher.
Wir liefen unendlich lange Gänge entlang. Überall sahen die Türen gleich aus. Genauso, wie man das aus den Filmen kannte. Schließlich musste man sparen. Wenn ich mir vorstellte, dass es Menschen gab, die ihr Leben hier zu verbringen hatten! Manchmal fällt einem erst, wenn man etwas Schlimmes erlebt hat, auf, wie gut man es doch eigentlich im Vergleich zu Anderen hat.
Auch ein paar Männer aus unseren Nachbarzellen wurden abgeführt. Wahrscheinlich aßen die mit uns. Der Speisesaal war ein ziemlich großer Raum mit vielen roten Einzeltischen. Ein wenig erinnerte mich das an die staatlichen Highschools.
Ob die wohl die gleiche Marke benutzten? Da könnten die Schüler echt stolz sein. Unsere Schule hat das gleiche Mobiliar wie das Gefängnis. Das hat schließlich nicht jeder. Vielleicht sponserte das hier ja auch Coca Cola oder Pepsi. Da hätte der Staat gleich gespart.
Wir wurden hingesetzt. Zum Glück durfte ich neben Che bleiben. An unserem Tisch nahmen noch zwei weitere Häftlinge Platz. Freundlich lächelte Che die Beiden an. Um ehrlich zu sein, hätte ich den Einen für eine Frau gehalten, wäre ich ihm auf der Straße begegnet.
"Hi." Er oder sie klang echt ziemlich weiblich. Musste ja ein Ursprungsmann sein. Sonst wäre er nicht hier. Der Andere war eindeutig männlich, schien aber sein/ihr Partner zu sein. Der Andere/die Andere sah nämlich ziemlich verliebt zu ihm rüber. Ob er seine/ihre Liebe erwiderte, war in meinen Augen fragwürdig.
Der männlicher Mann sah nett aus. Aber auf seinen Fingern waren wie bei vielen Knasties Buchstaben drauf tätowiert. Er musste unglaublich stark sein. Konnte er ihn/sie beschützen.
"Wie heißt ihr beiden Hübschen denn?" Gott, klag die Stimme dieses Mannes furchtbar. Ich könnte niemals so tun, als wäre ich eine Frau. Bestimmt war er/sie übertrieben zerbrechlich. Und sowas landet dann im Gefängnis. Ich meine, so jemandem traute ich keine Straftat zu. Dazu musste so ein Mensch doch viel zu ängstlich oder schuldbewusst sein. Zumindest nahm ich das an.
"Ich bin Che.", stellte uns Che vor, "Und das ist Jay."
"Kennt ihr euch?", wollte der eindeutig männliche Mann wissen.
"Ja. Wir sind Freunde." Che unterstrich seine Aussage mit einer Handbewegung.
"Ach so." Er lächelte. Mein Gott, hatte er schiefe Zähne. Ansonsten sah er nur ein bisschen nach Häftling aus. Aber die Zähne gaben ihm wirklich den Anschein eines Verbrechers.
"Und wer seid ihr?" Mich überraschte es selbst, dass ich fragte. Das Essen wurde gebracht. Sah eher aus wie bessere Matsche. Da gab es grüne, gelbe und braune Matsche. Der Unterschied außer der Farbe war nicht wirklich ersichtlich. Ich probierte. Schmeckte auch alles gleich. Aber dafür war es kostenlos. Zum Trinken bekamen wir Cola. Also doch der offizielle Sponsor dieser Anstalt!
"Das ist Deborah und ich bin Silvester." Also ohne dem Mann nahe drehten zu wollen, aber der Name Silvester passte wirklich zu ihm wie Faust aufs Auge.
"Deborah?" Che schien verwirrt. Wahrscheinlich hatte er eher an Verkleidung gedacht. Oder er wunderte sich, was eine Frau immer Männerknast machte.
"Ursprünglich hieß ich mal Austin. Aber seit ich hier bin, habe ich viel über das Leben nachgedacht. Ich denke, ich stehe dem weiblichen Geschlecht näher als dem männlichen." Sie lachte wie eine Diva. Alles klar.
"Das soll aber nicht bedeuten, dass ich Männer nicht schätze", fuhr sie fort," Ich beabsichtige auch nicht mein Geschlecht künstlich zu verändern. Aber warum sollte man sich immer regelkonform verhalten?" Nach dieser Frage konnte ich mir schon denken, warum sie einsaß.
"Und ihr seid zusammen?" Aus seinem Unterton konnte man ganz genau hören, dass Che eine solche Beziehung im tiefsten Inneren mehr als nur widerstrebte. Dennoch bemühte er sich, dies zu überspielen. Sonst war er ja immer so verständnisvoll und brachte Akzeptanz für alles entgegen. Bei dem Punk und dem Gothic hatte er nicht mal mit der Wimper gezuckt. Aber das schien dann doch zu viel für ihn zu sein. Hätte ich ihn kaum zugetraut.
"Nein. Wir sind nur Freunde." Die Betonung und Stimmlage von Deborah ging allerdings selbst mir auf die Nerven. Alleine wie sie dasaß, wirkte schon echt komisch. Es sah weder weiblich noch männlich aus. Irgendwie ein Mischmasch aus beidem.
Deborah beugte sich nach vorne und warf Che einen Kuss zu. Hastig drehte sich dieser weg. "Ich muss dann mal gehen. Einen kleinen Schönheitsschlaf halten. Ciao!" Sie winkte uns zu, während der Wärter sie unwirsch wegbrachte.
Ich hatte Che noch nie die Augen verdrehen und erleichtert aufatmen sehen.
"Das ist normal. Im Gefängnis werden manche nach einer Weile so. Stell dir vor, du siehst über fünf Jahre nur Männer. Irgendwann wollte er wahrscheinlich wieder. Dann ist das die einzige Möglichkeit." Silvester sagte das, als wäre es etwas völlig Normales.
Ches Verständnis dafür schien zuzunehmen, aber nicht allzu ausladend zu sein. "Ich glaube, jeder hatte schon mal mit ihr. Hier sind schließlich auch Leute mit zweimal lebenslänglich. Ich bin hier ja nur für ein halbes Jahr. Das kann man verschmerzen." Silvester lachte mit seinen furchteinflößenden Zähnen.
Der Wärter kam auf uns zu.
"Raus oder nicht?"
Juhu! Man würde uns endlich rauslassen!
Komisch nur, dass wir es gefragt worden...
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