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Es ertönte irgendwelche neuartige Musik, die ich nicht kannte. Sie gefiel mir auch nicht sonderlich.

"Kannst du bitte Country anmachen?" Ich wunderte mich selbst über meinen eigenen Mut, eine solche Frage zu stellen.

"Wenn ihr wollt. Ich wusste nicht, dass ihr auf so was steht." Er schaltete um. Es ertönte "On the Road Again". Gefiel mir. Jetzt konnte man vielleicht auch mal wieder schlafen. Ich schloss die Augen. Diese Nacht war ja leider auch ziemlich kurz gewesen.

Als ich wieder erwachte, standen wir bereits vor einem seltsamen Betonklotz, der sich ein bisschen Abseits einer Siedlung befand.

"Wo sind wir hier?", wollte ich von Che wissen.

"Keine Ahnung. Frag den Fahrer." Ok. Das genügte mir eigentlich.

Aber der Typ hatte unsere Unterhaltung wohl gehört, denn er erwiderte in meine Richtung gewandt." Hier sind wir an der Sporthalle der Florida Cherokee."

"Cherokee klingt schon mal gut." Che grinste. "Hier übernachten wir heute."

"Wunderbar." Ich war zufrieden.

"Und morgen schaffen wir es vielleicht bis zum Chattahoochee River, wenn ihr ein bisschen weiter mitarbeitet.", meinte unserer Fahrer mit einem Grinsen auf den Lippen.

"Hört sich gut an.", erwiderte Che.

Wir betraten die Sporthalle. Lustigerweise stand die Tür sperrangelweit offen. Ein gefundenes Fressen für alle Obdachlosen. Hier lagen auch schon echt viele Menschen auf irgendwelchen Matratzen, Matten oder Teppichen. In der Mitte saßen ein paar um einen billigen Grill herum. Feuermelder schien es hier keine zu geben. Vielleicht war auch wegen des Rauches die Tür geöffnet worden.

"Nehmt euch einfach da, was ihr braucht." Unser Fahrer deutete auf einen Stapel voller Matratzen und so Zeug. Ich hätte nie gedacht, dass unser Fahrer auch auf der Durchreise war und solche Plätze zu seinen Unterkünften erwählte. Wir nahmen uns von den Matratzen, denn an so was hatten wir freilich nicht gedacht. Unser restliches Zeug hatten wir aus dem Pick-Up genommen.

An einer der Wände der Sporthalle bauten wir unser Lager auf. Inzwischen hatten die am Grill angefangen zu grillen. Die Sachen rochen echt nicht schlecht.

"Kriegen wir was?" Wie immer war Che direkt.

"Wenn ihr wollt." Einer der Typen schmiss uns ein Würstchen zu.

"Noch eins für den Freund.", forderte Che ein. Jetzt hatte jeder eins.

Unser Fahrer war baff. "Macht ihr das eigentlich bei jedem so?"

"Jip." Che grinste. "Und damit fährt man gut, wie du siehst."

Wir aßen. Nun saßen wir sogar am Grill. Dort war es schön warm. Die Isolierung der Sporthalle schien nämlich einer solchen kalten Nacht nicht Stand halten zu können. Unser Bettenlager hatten sich auch in diese Richtung verschoben. Zusammengekauert lagen wir da und lauschten, was der jeweilige Redner zu berichten hatte. Jeder kam woanders her.

Unser Fahrer, der sich als ein gewisser Tyler vorstellte, war zum Beispiel wegen einer Prügelei kürzlich von der Schule geflogen. Im Grunde war er so alt wie Che und ich, obwohl ich ihn für deutlich älter gehalten hätte. Tyler kam mir unglaublich intelligent und freundlich vor. Mit der Ehrlichkeit hatte er es allerdings genauso wenig wie wir. Er war nämlich gar nicht unterwegs zu Freunden, sondern wollte sich in einer Großstadt bei einem angesehenen Unternehmen bewerben, um dort arbeiten zu können und endlich ein eigenes Leben zu beginnen.

Ich konnte ihn gut verstehen. Wie auch immer er es geschafft hatte, aber einen Teil seiner Einkäufe im überwachten Supermarkt hatte er beim billigen Einkaufen erstanden. Sollte er Che mal zeigen. Zum Spaß, versteht sich.

Die Anderen in der Sporthalle konnten sich ebenfalls keine teuren Unterkünfte leisten und waren deshalb hierher gekommen. Ein paar Studenten waren auch darunter. Wir tranken Bier und Whiskey. Vielleicht war ich angetrunken, aber keines Wegs betrunken.

Einer der Typen begann zu rauchen. Ich musste ihm dabei ziemlich penetrant zugesehen haben, denn er sprach mich an: "Willst du?" Damit reichte er mir die selbstgedrehte Zigarette hin. Ich nahm sie entgegen. Mal sehen, wie sowas schmeckt.

Erschreckt sah Che auf. Noch bevor ich irgendwie auf seine Blicke reagieren konnte, schlug er bereits mir die Zigarette aus der Hand. Leidenswürdig verglühte sie auf dem kalten, feuchten Sporthallenboden vor sich hin. Ohne jedes Geräusch. In diesem Moment war dieser Anblick für mich bereits anstrengend genug. So etwas konnte ich kaum begreifen. Ich glaube, das ist die bescheuerte Nebenwirkung von Alkohol. Selbst die einfachsten Zusammenhänge wirken unbegreiflich.

Che zog mich am Ärmel. "Wo ist hier bitte das Klo?" Seine Frage klang gestresst. So kannte ich Che gar nicht. Was war denn so urplötzlich mit ihm los?

Einer der Übrigen wies in eine Richtung. Dorthin zerrte mich Che.

"Was soll denn das?", fuhr er mich an. Wir standen überall, aber definitiv nicht auf einem Klo. Kam mir eher wie ein langer Gang vor.

"Was das soll?" Che blickte mich beinahe entsetzt und wütend zugleich an.

"Das weißt du doch selber ganz genau!", lallte ich.

"Nein, weiß ich nicht." Gereizt verschränkte Che die Arme vor der Brust.

"So? Du weißt schon, was da drin war?"

"Wo drin?" Bei besten Willen konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.

"Na in dem Joint." Wovon sprach Che nur?

"Joint?", brachte ich nach einer Weile heraus.

"Den wolltest du doch glatt rauchen. Leider kam ich dazwischen und hab dir den Spaß verdorben. Wie schade auch!" Er sagte es mehr als ironisch.

Ich war baff. "Woher wusstest du das?"

"Was?", schrie mich Che energisch an.

"Das das ein Joint war." Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Woher das Bedürfnis dazu kam, konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären. Eigentlich war an der Situation absolut nichts komisch.

"So was kenn ich halt.", schallte mir als Antwort entgegen.

"Aha.", machte ich nur.

"Geh mal dahin, wo die Leute nicht in Geld baden. Dann siehst du so was schon."

Wie gesagt, ich musste angetrunken gewesen sein. Sonst hätte ich das Folgende sicherlich niemals geäußert. "Du bist doch sonst nicht von so illegalen Sachen abgeneigt. Wieso tust du's dann jetzt nicht? Na los! Rauch doch so Zeug! Du betrügst ja auch jeden!" Fassungslos sah mich Che an.

"Du weißt gar nichts!", schrie er mich an, "Du weißt absolut nichts! Das hier ist für mich kein Urlaub wie für dich! So was mach ich nicht aus Spaß oder Adrenalinmangel wie du! Ich muss das machen! Du willst das machen! Da sieht man mal den Unterschied!" Er war wütend. Er war richtig wütend. Er war auf mehr als hundertachtzig, als er zuschlug.

In dem Moment hasste ich ihn dafür. Jetzt bist du dran, Che! Ein für alle Mal!

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