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Geschlafen hatte ich noch einmal wie in Baby. Ich hatte zwar nicht die geringste Ahnung wie lange, aber sei es drum. Endlich fühlte ich mich ausgeruht. Zum ersten Mal an diesem gottverdammten Elendstag.
Jetzt war ungefähr halb zehn. Um die genaue Uhrzeit festzustellen hätte ich länger auf meine Uhr gucken müssen. Aber im Moment war mir nach allem. Bloß nicht danach meine Zeit sinnlos mit meiner Uhr zu vergeuden. Ich streckte mich.
"Wir sollten mal was essen. Ich hab echt Hunger.", schlug Che vor.
"Mhm.", machte ich, wobei ich den Kopf hob. Autsch! Am liebsten hätte ich aufgeschrien. Nein! Aufstehen war unmöglich. Ich wollte gerade gar nichts. Auch nicht essen, obwohl ich Hunger haben musste.
"Willst du 'ne Tablette?" Besorgt beugte sich Che über mich.
"Hast du?" Ich konnte es kaum glauben. Che war wirklich mit allem Erdenklichen ausgestattet.
"Logisch." Che reichte mir eine.
Prüfend beäugte ich sie. "Nimmt man die einfach so?"
"Denk schon. Probier einfach mal aus."
Ich schluckte das Ding zur Sicherheit im Ganzen. Entweder es würde jetzt keine Wirkung zeigen oder es würde was geschehen. Wie gesagt: Schlimmer als der Tod kann es nicht kommen. Carpe diem!
Ich stand auf. Wenn man den Schmerz vergessen will, muss man ja, wie ich gehört hab, eins mit ihm werden. Sollte ich mal probieren. Mit konzentrieren, war im Moment allerdings trotzdem nicht allzu viel. Schon wollte ich zur Tür hinausgehen.
"Vielleicht sollten wir uns noch umziehen? Wäre vielleicht ganz clever." Wo Che recht hatte, hatte er recht. Müde begann ich mir wieder den Anzug überzuziehen. Sah nicht mehr ganz so gut aus wie gestern. Meine Augen waren ziemlich geschwollen und hatte hässliche Ränder. Außerdem wirkte ich voll bleich.
Irgendwie kam mir das Klo, dessen Tür sich direkt vor mir befand, echt wahnsinnig gelegen. Danach ging es mir tatsächlich entschieden besser.
Dafür hatte ich jetzt auch mal Hunger. War ja jetzt Platz. Zum Glück war der Anzug noch sauber. Das war im Wesentlichen das Wichtigstes.
Der Frühstücksraum war echt ominös. So richtiggigantisch mit echten Kronleuchtern und anderem Glitzerkram. Schon irgendwiegeil. Ich meine, so was hat man nicht alle Tage. Auf dem Büffet war echt vielZeug aufgereiht, das ich noch nie gesehen hatte. Passte alles eher zumMittagessen meiner Meinung nach. Aber vielleicht war es auch schon nach zwölf.
Ich nahm mir da einfach mal so einen Teller. An den Theken schlenderte ichvorbei. Mal sehen, was das hier im Detail war. Ich musste wohl ziemlich amEssen geklebt haben, denn gleich stand eine Bedienung neben mir. "Darf ichIhnen etwas anbieten?"
"Joa." Ich wusste nicht, was die miraußer dem Essen, das hier ausgestellt war, noch anbieten wollte. Aber sei'sdrum. Wenn's ihr Spaß macht. Vor mir bediente sich Che bereits. War echtseltsam, dass da nur ein Löffel lag. Da musste man eben mit einem alles nehmen.Ich hätte das nicht anders gemacht als Che.
Meine Bedienung schien von demVerhalten des Che mit Sonnenbrille mehr als nur geschockt zu sein. Ihr fielnämlich fast mein Teller, den sie mir abgenommen hatte, aus der Hand.
"Entschuldigen Sie, aber das darf man nicht.", wies sie ihn zurecht.
"Und wie soll mansich dann das Essen nehmen. Fliegt das einem jetzt zu oder was?" Che versucht es, möglichst witzig wirken zu lassen.
"Aber sehen Sie doch. Dafür sind wir doch da." Auch Che bekam ohneWeiteres seinen Teller abgenommen.
"Was hätten Sie denn gerne?" KeineAhnung, ob die Frage Che oder mir gegolten hatte.
"Das, was ichhabe." Zugegeben, Ches Teller war auch schon ziemlich voll.
"Und Sie?"Gerade wollte ich antworten, als Che mich unterbrach: "Gibt's hiereigentlich auch Nachtisch?"
"Aber selbstverständlich.", bemühtesich die Bedienung übertrieben zuvorkommend. "Folgen Sie mir dochbitte."
Da mich die nette Dame einfach so stehen ließ, lief ich ihreinfach ebenfalls wie ein kleiner Dackel hinterher. Immerhin hatte sie gerade meinen heiligen Teller entführt!
Che besah sich das Büffet für den Nachtisch. Esgab da lauter so Kleinigkeiten. "Ich hätte gerne ein so ein Schokoding undein so ein Vanillezeug.", bestellte er selbstsicher.
Wieder schien die Bedienung entsetzt. Was wardenn nun schon wieder los?
"Eins.", flüsterte sie. So einSchwachsinn! Che schien das noch mehr zu ärgern.
"Wieso darf ich mir hiernicht aussuchen, wie viel Nachtisch ich essen möchte?", fragte er dezent.
"Sprechen Sie doch mit dem Chef, wenn Ihnen unsere Hausordnung nichtzusagt." Verzweiflung und ein bisschen Wut schwang in der Stimme derBedienung mit.
"Ist ja schon gut." Che schnappte sich seine zwei Telleraus ihrer Hand, setzte das Schokoding auf den Nachtischteller und ging einfachweg zu einem Tisch.
"Sie dürfen da sitzen.", rief die Bedienung ihmnach. Als ob Che nach ihrer Erlaubnis gefragt hätte. Jetzt erst fiel mir das Schild auf: Wait to be seated.
"Danke, dassSie mir das doch tatsächlich erlaubt haben.", gab Che beinahe hochnäsigzurück. Für die Bedienung musste ein solcher Gast der pure Horror sein. Diehielt sich eben akkuratst an alle Regeln. Im Gegensatz zu uns.
"Entschuldigen Sie." Gestresst lächelte mich die Bedienung an."Wird nicht wieder vorkommen."
"Geht klar.", versuchte ich sie zu beruhigen.
Die Bedienungnickte nur schüchtern. "Was hätten Sie denn gerne?"
"Ich nehmenwas von diesen Frikadellen." Ich war stolz darauf, eine Bezeichnung fürdiese Dinger gefunden zu haben. Inzwischen war es mir wirklich egal, was ichessen würde.
Wieder verzog sich die Miene der Bedienung ins Entsetzte. Was wardenn nun schon wieder? Hatte ich nicht gerade eben standesgemäß ihre Fragebeantwortet? Aber sie fing sich glücklicher Weise wieder.
"Meinen Sie dieFischbällchen?"
"Ja." Ich klang schon leicht genervt. Ist mir doch egal, wie diese Dinger sich nennen.
Sie tatmir davon drauf. "Sonst noch etwas?"
Ich sah auf die fünfMiniteilchen vor mir. Aber natürlich! Davon wurde doch kein Mensch satt. Außervielleicht Lagerfeld. "Dann nehm ich noch was von den Keksen."
"Meinen Sie die Tartes aux Legumes?"
"Dann eben das." Ichglaube, ich bestellte jedes Mal mit dem falschen Namen. Sorry, dass ich mich danicht so auskenne. Bin eben kein Koch. Bestimmt fragte sich die Bedienung, wieman bloß die wunderhübschen Namen dieser herrlichen Speisen so dermaßenverstümmeln konnte. Wirklich skandalös! Tat mir echt kein bisschen Leid für sie.
Ichsetzte mich zu Che, noch bevor mich die Bedienung irgendwo anders hättehinsetzten können. Erneut erteilte sie mir die Erlaubnis dazu. Wie gütig von ihr.
"Ist ja alles ganz schön komisch hier.", meinteChe. "Irgendwie besteht jeder auf sein Recht. Das birgt doch auchnichts."
"Schon. Aber bring das mal lieber diesem Chef bei.", meinte ich nur.
"Nein." Che lachte. "Der ist sich sicher zu fein dafür."Auch wieder wahr.
Wir aßen unser mühevoll ergattertes Essen. Auf dem ganzen Wegwar es noch nie so schwierig gewesen an etwas Essbares zu kommen.
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