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"In Ordnung." Sie kam zurück mit zwei Anzügen in schwarz. "Ein nobles und gleichzeitig schlichtes Anthrazit." Ah, ok. Also doch kein Schwarz.

"Ja, ja. Kann man das in ein Hotel anziehen?" Langsam schien Che ungeduldig zu werden.

"Ich denke schon.", wisperte die Verkäufern eingeschüchtert.

"Na gut. Dann sage ich, Sie hätten gedacht." Wie unmöglich Che mit ihr sprach. Ich war auch nicht gerade viel besser gewesen. Bisher hatte ich noch gar nichts gesagt.

Die Verkäuferin war jetzt schon total fertig. Sie brachte uns weiße Hemden, schicke Schuhe, feine Gürtel und Krawatten zu dem Anzug. Wir zogen uns in den Umkleidekabinen um.

Stolz begutachtete ich mich im Spiegel. Ich gefiel mir. Sah wirklich nobel aus. Wie so ein endreicher Millionärssohn. Che stand das Zeug aber auch verdammt gut. So hätte er sich ohne Probleme als Manager ausgeben können. Er setzte eine Sonnenbrille auf, die er von so einer Ablage genommen hatte.

Natürlich glaubte die Angestellte, es sei seine Eigene. Sie wagte auch kaum, ihn anzusprechen. Daher hatte er alle Freiheiten dieser Welt. Schon fast krank, wie er immer die anderen Leute in seinen Bann zog und sie für sich arbeiten ließ, ohne dass sie es merkten.

Ich fragte mich irgendwie, ob er mit mir das Gleiche tat. Vielleicht hatte ich es bloß noch nicht bemerkt.

"Nicht übel.", meinte er mit einem kritischen Blick in den Spiegel. "So gefällt mir das."

"Freut mich zu hören." Die Verkäuferinentspannte sich wieder ein wenig. Immerhin war Che jetzt endlich zufrieden und demnach gnädig gestimmt.

"Dürfen wir uns bitte unseren Freunden zeigen?" Ich hatte keine Ahnung, wie Che so etwas hatte fragen können.

"Aber selbst verständlich.", säuselte uns die Verkäuferin zu.

"Aber die stehen draußen.", warnte er sie vor.

"Macht doch nichts." Freundlich lächelte die Verkäuferin uns an. Ohne jeden Anschein von Betrügerei verließen Che und ich den Laden.

Dann rannten wir los, Richtung Hotel. Ich hatte keinen Plan, warum wir rannten. Wahrscheinlich, weil wir beide zitterten wie Espenlaub. Es war unglaublich kalt geworden nach Sonnenuntergang und die Anspannung war uns ins Gesicht geschrieben.

In der Dunkelheit war ohnehin nichts oder alles auffällig. Man konnte trotz intensiver Straßenbeleuchtung kaum etwas erkennen. Schon gar nicht etwas entfernte Gestallten.

Das Hotel wurde in allen möglichen Farben von Leuchten angestrahlt. Es blitzte und funkelten richtig wie ein Diamant aus dem dunklen Meer der restlichen Häuser. Vor dem Eingang standen die Portiers. Ihre Uniformen blinkten ebenfalls.

Wir verlangsamten unseren Schritt. Che zog die Sonnenbrille tiefer ins Gesicht. Erst da fiel mir auf, dass er seine Haare ordentlich gescheitelt hatte. Er sah tatsächlich verdammt schick aus und wie einer dieser Bonzen aus den Filmen. Er lief auch so. Mit einem Mal.

Ich war nicht so talentiert. Ich konnte froh sein, dass es mich mit diesen Schuhen nicht noch hinlegte. Che trug einen schmucken Koffer in der Hand. Wo er den wohl her hatte?

"Sie hatten reserviert?" Mit diesen Worten wurden wir von einem der Potiers in Empfang genommen.

"In der Tat.", gab Che mit einer verstellten Stimme zurück. Man hätte ihn für einen Sänger halten können. Seine Stimme klang richtig schön. Er lächelte gespielt.

"Ich bringe Sie auf Ihr Zimmer." Eine freundliche Dame führte uns in den Trakt der wohlhabenden Leute. Ich erkannte sie sofort. Die Frau von vorhin. Che hatte noch genug mit ihr offen. Unglaublich, dass man uns einfach so reingelassen hatte. Bestimmt wurden wichtige Gäste erwartet. Die Armen würden jetzt wahrscheinlich draußen warten müssen oder strengstens kontrolliert.

"Also das Bild da an der Wand hängt aber extrem schief.", meckerte Che gleich im Flur.

"Oh. Das tut uns aber leid.", entschuldigte sich die Dame gleich bei uns.

"Uns? Entschuldigen Sie sich mit mir gemeinsam bei mir oder benutzen Sie vorzugsweise den Pluralis Majestatis?", meinte Che so erbost er konnte.

Die Dame blickte bestürzt zu Boden. "Mein Kollege wird sich gleich darum kümmern.", erwiderte sie kleinlaut.

"Um Ihre Sprechweise? Darauf freue ich mich aber schon sehr." Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht laut loszulachen. Selber Schuld, liebe Rezeptionistin. Wie du mir, so ich dir.

Wir erreichten das Zimmer. Sie überreichte uns die Schlüssel. Alles kam mir unglaublich surreal vor. Che schloss auf und wir traten ein.

Prüfend fuhr er mit der Hand über die obere Kante der Tür. Natürlich war diese volle Staub. Die kleine Dame würde dort auch nie rankommen. Für sie dennoch eine Blamage mehr.

"Also da habe ich aber schon gründlicher Reinigungen erlebt.", stellte Che beinahe triumphierend fest. "Von Anfang an habe ich an Ihrer Kompetenz gezweifelt."

Die Frauwurde röter als rot. Wahrscheinlich wünschte sie sich in diesem Moment nur ein Loch, in dem sie unbemerkt versinken könnte. "Wenn Sie noch Wünsche haben, melden Sie sich bitte unten an der Anmeldung.", murmelte die Dame als Floskel.

"Wieso putzen Sie den Staub hier nicht gleich weg? Ich bin allergisch.", sagte Che nur hochnäsig. Der Dame war das echt mehr als nur peinlich. Mit hochrotem Kopf verließ sie das Zimmer.

Che grinste mich mit seinem typischen Chegrinsen an. "Hab ich der's doch gut heimgezahlt. Das musste einfach sein."

Wenig später kehrte die Dame samt Lappen und Leiter zurück in unser Zimmer, um den wenigen, verbliebenen Staub zu entfernen.

"Ich hoffe so etwas kommt nie wieder vor.", ermahnte Che sie streng.

"Hoffe ich auch.", flüsterte die Dame mit gesenktem Kopf. Gebeugt ging sie aus dem Zimmer.

Kaum war sie verschwunden, hängte Che das Bitte-Nicht-Stören-Schild raus. Grinsend setzte er die Sonnenbrille ab.

"So geht billig einkaufen.", erklärte er mir stolz. Er grinste immer noch über sein ganzes Gesicht.

"Du hast echt schnell begriffen, wie so was geht. Wir sollten auf jeden Fall noch was für die Obdachlosen mitbringen. Von dem Essen hier oder so. Das wäre nur fair. Die Anzüge können wir gerne auch zurückbringen. Wir brauchen die ja nur ausgeliehen.", versuchte ich mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Immerhin hatten wir soeben zwei unglaublich teure Anzüge gestohlen und übernachteten gratis in einem Fünf-Sterne-Hotel. Da konnte man sich nur schlecht fühlen. Ungeheurere Mengen an Adrenalin sausten durch meine Adern. Immer noch zitterten meine Hände leicht.

"Aber wir haben doch keine anderen Anziehsachen mehr.", fiel mir mit einem Mal siedend heiß ein.

Wir konnten doch schlecht unsere Reise nackt fortsetzen.

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