39
"Magst du Smells like Teen Spirit?"
"Ich hab zuerst gefragt.", erwiderte ich bestimmt.
"Da gibt es doch das Album mit dem Baby, das einen Geldschein im Wasser jagt, vorne drauf.", plapperte Kurt einfach weiter.
"Hallo?" Wollte der mich jetzt verarschen?
"Was willst du denn hören?" Zum ersten Mal schien er mir zugehört zu haben.
"Die Wahrheit."
"Welche?" Verwundert sah ich ihn an.
"Gibt es da verschiedene?" Also bei mir gab es für gewöhnlich nur eine.
"Offensichtlich.", war die philosophisch klingende Antwort meines Gegenübers.
"Alter, was bist denn du für ein Komiker?"
"Wieso regst du sich so auf? Was interessiert dich das überhaupt?" Du darfst wissen, wie mein Freund und ich heißen, aber ich darf nicht deinen Namen erfahren? Was ist das denn für eine Logik?
"Weil. Welche ist die wahrste Wahrheit?"
"Am liebsten wäre ich Jack Wolf. Das ist wohl im gewissen Sinne das Wahrste." Ja, genau. Und ich der Kaiser von China.
"Das ist ein Wunschtraum.", stellte ich kühl fest. Irgendwie schien der Mann nicht ganz zu verstehen, was ich meinte.
"Jeder Mensch hat verschiedene Identitäten. Damit meine ich nicht dieses Borderlineding, sondern man verstellt sich ja vor jedem ein bisschen. Man versucht, es allen recht zu machen. Bürgerlich bin ich Jack Wolf. Auf der Bühne Clyde Wolfskin."
"Ist nicht wahr?" Mein Lachen klang verwundert und erstaunt zugleich. Hatte ich mit meiner vorherigen Vermutung doch Recht gehabt. Er sah dem Star nicht nur zum Verwechseln ähnlich. Er war es höchst persönlich. Warum um alles in der Welt... ?
Ich sah mich um. Die anderen Penner schliefen auch schon tief und fest wie Che.
"Ich wohne da drüben. Aber sag's keinem." Clyde deutete auf das Fünf-Sterne-Hotel.
Alles klar. Ich war überwältigt.
"Aber, ... Aber du kannst doch eigentlich gar nicht Clyde Wolfskin sein. Oder?" So recht wollte ich das immer noch nicht glauben. Ich mein, hallo, der Kerl war übertrieben berühmt. In sämtlichen Talkshows zu Gast. Überall mischte er mit. Stinkreich. Und jetzt!? Das konnte doch kaum sein! Wie konnte sich so jemand mit stink normalen Pennern abgeben?
Ich meine, mit gewöhnlichen Menschen wie Che und ich konnte ich mir ja noch vorstellen. Schließlich waren wir typische Repräsentanten seiner Fangemeinde. Aber die Penner wohl kaum.
Normalerweise hörten dem seine Musik eher Mittelklasse Jugendliche aus der Bürgerschicht. Es war irgendwie ein unbeschreiblicher Musikstil. Eine Mischung aus Metal, Rap, sanfter Musik mit Orchesterinstrumenten oder sanftem Gesang und vielleicht ein bisschen Grunge. Aber der Typ sang auchecht gut Country. Der konnte einfach alles. Seine Texte waren für gewöhnlich mehrdeutig und tiefsinnig.
So langsam wurde ich mir meiner Situation bewusst. Ich hatte Clyde Wolfskin getroffen!Und zwar persönlich! Get that!
"Ich dachte schon, dass mir das Gesicht irgendwoher bekannt vorkommt.", sprudelte es nur so aus mir heraus. Clyde oder Jack lächelte.
"Jack klingt schöner als Clyde, nicht? Clyde war mein Bruder. Er hätte groß raus kommen sollen. Kam er aber nicht. Dafür schaffte ich es. Und sieh dir mich an! Ein nullachtfünfzehn Mann. Tja. Zeiten ändern dich." Damit hatte er allerdings Recht. Ich hatte ihn mir immer bombastischer vorgestellt.
"Aber deine Stimme klingt besser als auf den LPs.", versuchte ich mich an einem Lob.
"Danke." Er lächelte beinahe verlegen. Eine Stofftüte drückte er mir in die Hand. "Solltest du mal ein Geschenk brauchen. Fanartikelaller Art. Damit kann jeder was anfangen. Und wenn's bloß der Kuli ist. Bist du eigentlich Fan?"
"Kein Hardcore, wenn ja. Die Musik ist nicht schlecht." Meine Schwester dafür schon, aber das erwähnte ich lieber nicht. So würde ausrasten, wenn ich ihr das erzählen würde. Einen der Fanartikel bekam sie auf jeden Fall zum Geburtstag.
"Ich mag deine Art. Nicht so dieses: Ich will zwanghaft XY gefallen. Hauptsache ich gefalle mir selbst. Das sollten wir alle. Wie ich das mache, bringt das auf jeden Fall gar nichts."
Ich hatte Durst wie Sau. "Darf ich da was von dem Bier nehmen?"
"Bestimmt. Zur Not zahle ich. Ich hab genug Geld." Das glaubte ich Jack aufs Wort.
Ich nahm einfach mal so eine unangebrochene Flasche und trank sie leer. "Trinkst du nichts?"
Er schüttelte den Kopf. "Verträgt sich nicht mit den Tabletten."
Ich verstand. "Ihr könnt alle nicht mit dem Erfolg umgehen, wa?" Ob es wohl der Alkohol war, der mich so sprechen ließ? Oder war ich immer so direkt?
"Sollte man eigentlich in der Ausbildung lernen. Hat man aber noch nicht verpflichtend eingeführt." Er lachte leicht über seinen eigenen Witz. "Ich muss dann aber gehen. Man sieht sich." Er machte so eine Art Check. In meiner Hand befanden sich zwei Karten für ein Konzert und Unterschrift.
"Für dich und deinen Freund. Das ist für ein Konzert eurer Wahl. Ich würde mich wirklich freuen, euch wiederzusehen. Die Unterschrift erlaubt euch, früher zu kommen. Verstehst du? Da gibt es noch einiges zu besprechen. Und dein Freund hat echt Talent. Als Vorband."
Ich lächelte. "Danke." Das würde Che vielleicht gefallen. Und wenn nein, war die Geste süß gewesen. Nur vor dem mit der Vorband graute es mir ein wenig.
Jack verschwand hinter den Bäumen im Dunklen.
Justin diesem Augenblick erwachte Che. "Alter, tut das weh am Rücken." Er machte komische Verrenkungen. "Komm mal mit. Hab was Gutes gefunden.", forderte er mich auf.
Che zerrte mich aus dem Park. Verrückt. Was wollte er denn jetzt so plötzlich? Hatte er gerade eben diesen genialen Einfall gehabt? Eigentlich ging ich nicht davon aus.
Irgendwie hatte ich auch keine Lust mehr, hier rumzurennen. Ich wollte schlafen. Und wenn es sein muss auch bei den Pennern. Das war mir echt egal.
Wie durch ein Wunder hatte der Bekleidungsladen noch offen, auf den Che zusteuerte. Allerdings gab es dort bloß übelst teure Sachen zu kaufen. So was könnten wir uns niemals leisten. Was machten wir denn dann überhaupt hier?
Zielstrebig ging Che in den Laden. Ich hinterher. Wer wusste schon, was da noch so passieren konnte.
"Guten Abend.", grüßte uns eine Angestellte freundlich.
"Guten Abend.", erwiderte Che mich einem breiten Colgategrinsen auf den Lippen. Vom Stil her passten wir schon mal gar nicht hier rein.
Schien der Verkäuferin auch gleich aufzufallen, denn sie beachteten uns nicht weiter, obwohl wir die einzigen Kunden in ihrem Laden waren. War auch verständlich um diese Uhrzeit. Da geht ja kein vernünftiger Mensch mehr shoppen. Vor allem nicht in einem noblen Männerbekleidungsgeschäft.
Anzüge, Hemden und Krawatten aller Art lagen hier vor uns. Ein Sakko an einer Schaufensterpuppe war sogar knallgrün. Also so was kann man ja auch nicht ernsthaft anziehen wollen. Und dann kostet dieser Spaß auch noch nur zweitausendfünfhundert Euro. Weil Designerstück. Fast geschenkt. Jawoll! Im nächsten Leben vielleicht.
Unterdessen sah sich Che fachmännisch um. Bestimmt hatte er genauso wenig Ahnung wie ich.
"Was können Sie uns denn raten?", fragte er die Verkäuferin. Diese war erst mal völlig perplex.
"Für welchen Anlass benötigen Sie denn einen Anzug?", erkundigte sie sich.
"Um ins Hotel zu gehen." Na der machte aus unseren Absichten ja auch kein Geheimnis.
"Für ein Hotel?" Die Angestellte verstand nicht ganz, wieso wir uns extra dafür neu einkleiden wollten. Aber sie nahm es stillschweigend zur Kenntnis. Zugegeben, hätte mich das an ihrer Stelle ja auch gewundert. Aber der Kunde ist ja bekanntlich König.
Sie suchte ein bisschen herum. "Benötigen Sie nur einen Anzug oder auch noch ein Hemd dazu?"
"Alles, was es gibt. Am besten auch noch Schuhe."
"Achso.", machte sie leise. Klar verstand sie nichts. Was sollte sie davon auch halten. Zwei verrückte Jungen kommen einfach so in ihren Laden -womöglich brauchte man hierfür normal auch noch eine Anmeldung- und wollen sich lediglich wegen eines Hotelbesuches einkleiden. Mit so teuren Sachen. Das konnte doch nicht mehr normal sein.
Vor allem, weil wir wegen unserer Kleidung nicht gerade vor Wohlstand zu bersten schienen. Für einen Nobelpreis wäre so etwas vielleicht noch im Entferntesten okay.
Trotz allem half sie uns natürlich gerne weiter. Sofort kam sie mit zwei Anzügen zurück. Einen reichte sie Che, den Anderen mir. "Probieren Sie diese mal wegen über Größe."
Che und ich brauchten beide eine Nummer größer. Die Verkäuferin war immer noch extrem schüchtern und verschreckt von unserem plötzlichen Auftauchen. Sie sah unglaublich reich aus.
Und sie war lediglich eine einfache Verkäuferin, denn an der Tür hatte ein männlicher Name den Inhaber angegeben.
"Was für eine Farbe würde Ihnen gefallen?", bemühte sie sich, den Service auf einem hohen Niveau zu halten.
"Egal. Soll halt gut aussehen.", meinte Che nur lässig.
Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass wir das hier durchziehen konnten, ohne aufzufallen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top