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Schon längst war der Bus abgefahren.

Der Nächste würde morgen kommen.

Eigentlich hätte mein Onkel bereits vor drei Stunden da sein müssen. Ich wartete allerdings schon eine halbe Stunde länger, weil der Bus ausnahmsweise mal zu früh gekommen war. Mitten in der Pampa war so etwas halt besonders toll. Was sollte ich denn hier bitte schön machen? Däumchendrehen oder was?

Was wäre eigentlich, wenn mich hier im Niemandsland irgendwelche wilden Tiere attackieren würden? Man weiß ja nie. Ein Grashüpfer kam an mir vorbei gespurtet. Ok, der würde mich wahrscheinlich nicht angreifen. Oder war der vielleicht hoch giftig?

Ich zückte mein Handy. Das war jetzt echt zu viel. Mann, warum schaltete sich das Ding bloß so übelst langsam an? Na endlich! Ich wählte die Nummer und drückte auf den grünen Hörer. Das Handy an mein Ohr gepresst, wartete ich.

Doch nichts geschah. Kein Empfang. So ein Mist! Kein Akku mehr, zusätzlich. Es konnte sich ja nur noch um Minuten handeln. Und da geschah auch schon das Unvermeidbare. Mein Handy schaltete sich aus. Na ganz super! Passte ja perfekt zu meinem Glück. Davon wurde ich ja im Moment gerade nahezu verfolgt.

Wütend trat ich mit dem Fuß gegen einen kleinen Stein. Hoch erhob sich dieser in die Lüfte, drehte sich ein paar Mal und landete dann meilenweit von mir entfernt. Und jetzt? Erneut ließ ich mich auf meinem Stein nieder. Dort gab es ja sonst nichts. Außer eben der Bushaltestelle selbst. Wo blieb denn bloß mein Onkel? Normalerweise kann ich warten wie ein Stier. Doch vier Stunden sind dann etwas zu viel des Guten.

Im Moment konnte ich ohnehin nichts an der Situation ändern. Der nächste Bus würde morgen ankommen. Sollte mein Onkel bis dahin noch immer nicht seinen Arsch hierher bewegt haben, weil er sich dazu zu fein war, weil er mich hasste, was übrigens auf Gegenseitigkeit beruhte, oder weil er mich schlicht und ergreifend vergessen hatte, würde ich damit auf dem schnellsten Weg wieder den Heimweg antreten. So leicht war das. Ich wünschte, es wäre schon morgen.

Was sollte ich mich aufregen? Brachte doch eh nichts. An der Misere würde es nichts ändern. Also. Ich begann die Grashalme zu zählen. Fünfhundertsiebenundsechzig, fünfhundertachtundsechzig, fünfhundertneunundsechzig. Beinahe wären mir meine müden Augen zugefallen. Ich hatte extra um fünf Uhr morgens aufstehen müssen, um hierher geschlagenen drei Stunden zu fahren und dann noch mal die restliche Zeit hier zu verwarten. Anders konnte ich die auch totschlagen. Glaub mir, mein lieber Onkel.

Missmutig begann ich auf meiner Lippe herumzukauen. Sie platzte auf. War ja abzusehen gewesen. Bei meinem Glück heute. Jetzt war eh alles zu spät.

Mit Gras konnte man flechten. Durch meine kleine Schwester hatte ich das glücklicherweise gelernt. Aus diesen grünen Blättern erstellte sie in regelmäßigen Abständen unendlich lange Ketten. Die musste man sich verständlicherweise dann umhängen und tragen, bis sie zerfielen, was allerdings nie allzu lange dauerte. Die Konstruktion dieser Teile war total instabil. Das sollte ich auch mal probieren. Kleine Mädchen sind ja wirklich immer danach verrückt. Lustlos pflückte ich ein paar Grashalme ab.

Das Flechten, das bei mir eher einem Zusammenknoten ähnelte, war jedoch schwieriger als gedacht. Aus unerfindlichen Gründen hatte ich angenommen, dass ich doch mit Sicherheit das können würde, was kleine Mädchen können. Dennoch lag ich mit meiner Annahme ziemlich daneben. Die Halme hielten noch nicht mal im Geringsten zusammen. Alles fiel immer wieder auseinander. Ich gab auf. Kein Wunder, dass die Teile jedes Mal so instabil sind. Ich würde ja lieber Lateinvokabeln lernen, als hier zu sitzen und mich zu Tode zu langweilen.

Mein Vater hatte immer darauf bestanden, dass ich Latein lernen sollte. Meine Mutter hatte mich dann zu Spanisch und Deutsch überredet. Deutsch war nicht das Problem. Ich war da schon ein Deutschlandfan gewesen. Eagles großer Bruder hatte einen deutschen und einen spanischen Austauschschüler gehabt. Der Deutsche war echt deutlich freundlicher gewesen als der Spanier. Der Spanier hatte sich irgendwie für was Besseres gehalten. Die Amerikaner waren für ihn minderwertig. Bloß mit dem Deutschen hatte er ein eher schlechtes als rechtes Englisch gesprochen.

Der Deutsche war wesentlich sprachbegabter und außerdem echt super nett gewesen. Er hatte mir sogar gezeigt wie man echte typisch deutsche Maultaschen macht. Das hatte er von seiner Schwester gelernt. Voll klasse! Kein Wunder, dass man für Spanisch bei mir mehr Überredungstalent brauchte als für Deutsch. Zudem hatte der Deutsche echt viel von Deutschland erzählt. Es ist auch wirklich schön da. Mit dem gleichen Austausch sind Eagle und ich nämlich auch dort gewesen. Und in Spanien waren wir auch. Aber da waren die Leute entschieden besser drauf als der Austauschpartner von Eagles Bruder. 

Ich sah mich um. Nichts hatte sich in den letzten Stunden verändert. Außer, dass die Sonne mich nicht mehr blendete. Die war nämlich logischerweise gewandert. Sonst war aber ehrlich rein gar nichts passiert. Wenn das hier jeden Tag so war, dann tun mir die Leute echt leid, die hier zu Leben haben. Aber hier wohnte ja genau aus diesem Grund niemand. Verständlich. Sollte irgendwann in den nächsten hundert Jahren ein Auto hier vorbeikommen, ich würde sofort per Anhalter mit fahren. Ich würde keine Sekunde zögern. So eine Gelegenheit würde sich vor dem nächsten Bus nach Hause nicht zweimal bieten. So viel stand fest.

Ich schloss die Augen. Vielleicht konnte man hier ja ein bisschen schlafen. Hatte noch nicht allzu viel Schlaf abbekommen. Die Vögel zwitscherten hier echt verdammt laut. Sonst war es relativ ruhig. Zumindest ruhiger als im Internat. Da kam nicht immer jemand und wollte was. Hat auch was für sich. Hoffentlich kann man im Sitzen schlafen ohne umzukippen. Ich wollte das mal für mich hoffen.

Wrumm!

Was?!

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