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"Überraschungen?" Der Mann sah mich ungläubig an.
"Wird Ihnen gefallen.", sicherte ich ihm zu, "Gleich kommt Sie jemand besuchen, den Sie schon lange vermissen. Ich geh dann auch. Aber davor muss ich mich noch bei Ihnen entschuldigen." Ich reichte ihm den Zettel. Erstaunt sah er mich an. "Der ist mir aus Versehen runtergefallen. Ich wollte ihn nicht klauen."
"Hast du ihn gelesen?", fragte er aufgebracht.
"Nein. Ich denke nicht, dass er für mich bestimmt war."
"Ganz recht." Er sah mich an. Irgendwie klang er ein wenig nachtragend.
"Wollte ich wirklich nicht. Tut mir leid.", entschuldigte ich mich zur Sicherheit erneut.
"Schon gut.", meinte der Mann kalt. Er glaubte mir kein Wort. "Willst du mich eigentlich reinlegen?" Ich schüttelte den Kopf.
"Mit was sollte ich Sie denn reinlegen wollen?" Ich war verwirrt.
"Mit diesem Mann, der kommen soll."
"Oh nein. Den zeig ich Ihnen jetzt, wenn Sie wollen." Ein leichtes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
"Ich bitte darum." Etwas lag in seiner Stimme, dass sich beinahe gehässig anhörte. Ich ging raus.
"Jetzt willst du verschwinden, was?" Der Schatzinsel-Ben schien unter Tränen zu lachen.
"Nein. Ich sag ihm bloß bescheid."
"Mich haben schon genug reingelegt." Alles musste schnell gehen, wenn ich wollte, dass es klappte.
"Beeil dich!", rief ich Bill zu, "Er möchte dich unbedingt sehen."
Zögernd lief Bill los. Komm, mach schneller! Ich fühlte mich schlecht. Aber das konnte ich Che schlecht erzählen, als dieser nachhakte. Klang ja auch albern. Bill verschwand im Inneren des Hauses. Das Wiedersehen hätte ich zu gerne miterlebt. Mick, Che und ich warteten draußen, um nicht zu stören. Wenigstens hatte ich meine Pflicht erledigt.
Bill und sein Bruder kamen aus der Tür. Sie gingen Arm in Arm. Beide strahlten über das ganze Gesicht. Noch nie in meinem Leben war ich für andere so unglaublich glücklich gewesen. Eine weitere Veränderung war festzustellen. Bills Bruder war perfekt rasiert und trug Kleidung, die denen Ches zum Verwechseln ähnlich sahen. Bezahlte der eigentlich mit Klamotten? Viele trugen genau Ches Cowboylook, nachdem er sie kennengelernt hatte. Ein wahres Einheitshemd mit blau-weißen Karos. Irgendwie lustig. Bloß Mick sah noch sehr punkig aus. Der Rest hatte sich in Ches oder Cowboys verwandelt. Wie viel Zeug der wohl dabei gehabt hatte? Echt unglaublich!
"Danke, Danke! Danke!" Bills Bruder fiel mir um den Hals. Nun weinte er tatsächlich. Aber dieses anstatt vor Wut und Enttäuschung vor Freude. "Aber du hast den Brief doch gelesen. Der war nämlich an Bill geschrieben.", raunte mir Bills Bruder zu. Unauffällig zwinkerte er mir zu. Mir sollte das Recht sein. Hauptsache, er war glücklich und zufrieden. Seinerseits war Bill nun entschlossen, die anderen wirklich wiederzusehen, vor allem Micks Eltern. Für ihn hatte in jeden Fall unsere Begegnung auch ihr Gutes gehabt. Und Mick freute sich anscheinend mehr über das Glück Anderer als über sein Eigenes.
"Wenn es gut ist, soll man aufhören." Che lächelte mir zu. "Zufrieden bin ich auf alle Fälle." Das konnten wir auch wirklich sein. Auf alle Fälle!
Irgendwie blieben wir dann doch noch eine Weile.
"Wollt ihr Fernsehen?" Natürlich waren wir dafür. Mick hatteselbst eine kleinen, tragbaren Fernseher mit gebracht. Wir fuhren die Antenneaus, um Empfang zu haben. Bills Bruder, der übrigens den Namen Isaac trug, wollte unbedingt BBC anschauen. Irgendwie funktionierte dann aber gar nichts. Als Che mich zumReparieren vorschlug, schließlich hatte ich bereits den Cadillac wieder zumFahren gebracht, wurde es allerdings nur noch schlechter. Das Gruschelbild undder unverständliche Ton verschwanden und dafür zeigte der Bildschirm nur nochdas "Kein Empfang"-Zeichen an. Also mussten wir unser Programmumstellen.
Alternativ sahen wir uns einen Film an. Selbst daran einenmitzunehmen, hatte Mick gedacht. In seinem Besitz befand sich sogar eine kleineAuswahl.
"Ich glaube, "A beautiful Mind" geben wir uns jetztnicht mehr. Es ist ja schon ganz dunkel.", kündigte Mick gleich an.
"Na und? Ein bisschenGruselstimmung." Bill grinste. Natürlich gefiel diese Vorstellungunserem Ex-Gothic. Ein wenig Draculafan steckte wohl doch in ihm.
"Das hatnichts mit Gruselstimmung zu tun, du Halbdracula. Das geht echt an die Substanz,das anzusehen."
"So schlimm kann's doch nicht sein.", währte Bill nur ab.
"Ohdoch.", bestand Mick darauf.
"Dann will ich's sehen."
"Du drehst doch bei jedemScheiß durch. Das hältst du nicht aus. Sonst hältst du uns alle bis halb einswach, weil du über die Aussage des Films diskutieren willst. Dazu bin ichgerade echt zu müde."
"Ich will aber trotzdem, Punky." Mit schiefgelegtem Kopf sah Bill seinen Adoptivbruder an.
"Wenn du meinst. Aber zur Not ist Issac das Opfer. Damit das mal schon imVoraus klar ist." Isaac wurde nicht nach seiner Meinung gefragt.
Im Endeffekt sahen wir dannalso tatsächlich "A Beautiful Mind". Grob gesagt, geht es um einenMathematiker, der sich in eine Frau verliebt. Seine Karriere könnte bessernicht sein. Allerdings wird sowohl seine Karriere als auch seine Beziehungdurch Komplikationen auf die Probe gestellt. So oder so ähnlich steht es zumindesthinten auf der Hülle der DVD drauf. Das sagt noch nicht einmal die Hälfte derProblematik aus. Das verharmlost den Film nur. Seht euch den Film am bestenselbst an. Dann wisst ihr genau, was ich meine. Das reinste Psychodrama.
Es warschon unglaublich dunkel geworden, als der Film zu Ende war. Che hielt es kaumnoch aus vor Anspannung. Wie konnte man bloß einen Menschen mit Schizophreniein einer Klinik so behandeln? Allein die Methoden waren angsteinflößendgewesen.
John Nash war einer der genialsten Köpfe seiner Zeit gewesen. Er hattedie Spieltheorie erfunden. Später hatte er dafür den Nobelpreis erhalten. Dasist doch schon mal nicht schlecht. Und dennoch war er schwer krank gewesen.Ständig hatte er geglaubt, in einer geheimen Mission gegen die Russen zuspionieren. Menschen, die nicht real existierten, hatte er gesehen und sogarmit Ihnen gesprochen.
Oh mein Gott!
Woher wollte ich wissen, ob alle Menschen,mit denen ich so befreundet war, tatsächlich existierten?
Wie konnte man sichsicher sein, dass man sich nicht sein gesamtes Wissen nur einbildete?
Gibt esüberhaupt so etwas wie Wirklichkeit?
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