17
Geschätzte fünf Minuten später kehrte Chad mit einer Gitarre unter dem Arm zurück. Er drückte sie Viggo in die Hand. "Er spielt wie Jimmy Hendrix", lobte Chad ihn. "Wir anderen können ja dazu singen." Irgendwie hatte ich darauf Lust.
Che war sofort Feuer und Flamme. "Wir könnten etwas aus der Countrymusic singen. Das passt gut zu der Stimmung."
"Wenn du magst." Viggo schien das ziemlich gleichgültig zu sein. "Solange ich es kenne, ist alles gut. Wie wär's mit Let Your Love Flow?"
"Hört sich gut an. Kennst du's?" Die letzten Worte Ches waren eindeutig an mich gerichtet.
"Ein bisschen", log ich.
"Das kriegst du sofort hin. Die Melodie ist dir sicherlich bekannt", beruhigte mich Viggo. Er begann zu spielen und zu singen. "There's a reason for the sunshiny sky. There's a reason why I feel so high. Must be the saison when the love-lights shine all around us. Just let your love flow like bird on the wing and let your love go to all little things. Just let your love flow..." Den Refrain erkannte ich dann doch. Die Melodie und selbst den Text hatte ich tatsächlich schon mal gehört. Es machte Spaß so zu singen. Blamieren konnte man sich auf jeden Fall nicht, obwohl Viggo ein wahres Talent war. Seine Stimme besaß einen umwerfend schönen Klang.
"Hattest du mal Gesangsunterricht oder Gitarrenstunden?", fragte ich interessiert, nachdem das Lied zu Ende war und wir alle einmal kräftig für Viggo geklatscht hatten.
"Ja und nein. Für's Klavier und die Gitarre hatte ich einen Lehrer. Singen kann ich einfach so." Bewundernswert. "Was wollt ihr noch für Lieder? Sagt einfach, was euch gefällt." Viggo kam jetzt erst so richtig in Fahrt. Wir spielten noch alles Mögliche. Leider kannte ich die meisten Country-Songs, die sich Che wünschte, gar nicht. Viele von Johnny Cash waren dabei. Rock Island Line, Lonesome Me und Wide Open Road gefielen mir von der Johnny-Cash-Ausbeute am besten.
Endlich fiel mir auch ein Lied ein, dass den Anderen gefallen könnte, das bekannt war und das vor allem zur Stimmung und unsere Lage passte. "Wie findet ihr All Summer Long von Kid Rock?"
"Keine schlechte Idee. Sweet Home Alabama hatten wir ja schon." Viggo und Chad lachten herzlich. Che und ich wurden angesteckt. Also sangen wir mein Lieblingslied. Eigentlich hatte ich es früher nicht so wahnsinnig gerne gemocht. Aber der Text und die Melodie waren wie zugeschnitten auf einen solche Sommer. Zumindest in meinen Augen.
Es wurde spät an diesem Abend. Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, dass wir so gegen halb drei Uhr morgens im Bett lagen. Che und ich durften ebenfalls im VW-Bus übernachten. Darin war es bequem, weder zu kalt noch zu heiß und das Bett war echt extrem weich. Perfekte Mischung. Allerdings war die Matratze lediglich für zwei Personen ausgelegt, sodass es ziemlich eng darin wurde. Man konnte da jedes einzelne Geräusch und jede noch so winzige Bewegung des Anderen bemerken. Dies störte mich allerdings kein bisschen. Besser als im Cadillac war es auf alle Fälle. Zudem gab es hier ein Bad. Das war schon mal viel Wert. Schlafanzüge durften Che und ich uns auch von Chad und Viggo ausleihen. Es hätte nicht besser laufen können. Mal wieder hatte Che den richtigen Riecher gehabt. Und wir hatten neue Freunde gefunden.
Für gewöhnlich ging das bei mir nicht so schnell mit den Bekanntschaften. Doch auf diesem Trip schien alles erreichbar. Der Griff nach den Sternen, der glückte. Sterne konnte man jedoch nicht sehen, da es an diesem Abend zu bewölkt war. Sonst hätten wir draußen übernachtet. Ich kuschelte mich in die warme Decke. Die Nächte waren echt eiskalt. Das leise Schnarchen Chads klang in meinen Ohren wie eine Einschlafmusik. Das Kopfkissen war so weich, dass mein gesamter Kopf darin versank. Ich wollte bloß alles vergessen.
Unwillkürlich musste ich an Betty denke. Ich vermisste sie. Zuvor hatte sie mir noch nie gefehlt. Ich seufzte leise vor mich hin. Wieso war ich bloß so wehleidig? Hier ging es mir doch besser als an allen anderen Plätzen auf dieser ganzen Welt. Betty geisterte in meinen Träumen herum. Wenn es noch meine Freundin wäre, aber nein, es handelte sich um meine kleine Schwester. Mit Frauen hatte ich eh kein Glück. Die verliebten sich sowieso nicht in jemanden wie mich. Wahrscheinlich würde ich später an so einer Singlebörse im Internet enden, bei der mir irgendeine Frau aus Osteuropa oder eine Frau mit Fakeidentität geboten würde. Tja, so läuft das Leben.
Mein Vater war bestimmt extrem sauer auf mich. Sicherlich machte er sich keine Sorgen. Nur meine Mutter. Die würde Nächte verbringen, ohne zu schlafen. Sie tat mir leid. Aber dennoch würde ich nie wieder zurückkehren! Das hier war mein neues Leben. Vielleicht vermisste ich noch Eagle ein wenig. Aber wenn, dann nicht allzu stark. Ich schloss die Augen. Musik erklang in meinen Ohren. Woher kam diese bloß? Klang nach Country. Passte doch!
Ein wunderschöner Morgen machte sich über dem ganze Land breit. An einem alten Baum hing eine Schaukel aus Holz. Warm schien die Sonne vom Himmel. Ihre Strahlen erwärmten die gesamte Landschaft. Ich schloss die Augen. Man konnte es rot leuchten sehen. Wie immer, wenn einem durch die geschlossenen Augenlider der Sonnenschein fiel. Ich saß auf der Schaukel und schwang sanft hin und her. Der Wind trieb mich an. Ich brauchte nichts zu tun. Im Hintergrund hörte ich Bettys Lachen. Sie lachte laut und herzlich. Auf der grünen Wiese sprang sie herum wie ein kleines Lämmchen. Von der Schaukel ließ ich mich fallen und fing sie auf. Sie freute sich bis zum Zerbersten. "Komm wir schaukeln." Zusammen bestiegen wir das Gerät. Sanft setzte ich sie auf meinem Schoß ab. Wir schaukelten. Hin und her. Hin und her. Auf mir war sie leicht wie eine Feder. Meine Beine wippten leicht im Wind. Wir hoben ab. Wir flogen los. Es fühlte sich an wie ein Luftzug zum Auftrieb unter meinen Armen. Weit breitete ich sie weit aus. Betty segelte neben mir durch die Lüfte. Sie lachte. Auch ich stimmte mit ein. Allerdings ohne jeden Ton. Wir durchstießen die Wolkendecke und näherten uns der Sonne. Wärme. Stille. Auf und ab ließen wir uns treiben. Wie ein Segelschiff vom Wind auf dem ruhigen Ozean gleitet wird.
Ich öffnete die Augen und erschrak.
Natürlich befand ich mich noch in dem Multivan. Worin auch sonst? Verwirrung machte sich in mir breit. Es dauerte erst wieder eine Zeit lang, bis ich meine Gedanken erneut geordnet hatte. So was Verrücktes!
Che schien auch neben mir wach geworden zu sein. "Du schubst einen aber ganz schön im Schlaf.", meinte er belustigt. Erst jetzt bemerkte ich, dass er auf dem Boden lag.
"Du Armer. Tut mir leid", stammelte ich ihm sofort eine Entschuldigung entgegen.
"Nichts passiert", meinte er spöttisch. "Kennst du den Witz mit den zwei Rittern?"
"Glaube nicht."
"Magst du ihn hören?" Bester Laune grinste mich Che an. Sein Gesicht war keine zehn Zentimeter von meinem entfernt.
"Schieß los", forderte ich ihn auf.
Und Che begann: "Treffen sich zwei Ritter auf einem Turnier. Beim Lanzenstechen sticht einer versehentlich dem anderen ein Auge aus. "Tut mir leid. Das wollte ich nicht", entschuldigt dieser sich betroffen. "Nicht schlimm", erwidert der Andere, "Aber wenn dir das noch mal passiert, sehe ich dich nie wieder an." Lustig, nicht?" Eigentlich nicht wirklich, aber ich musste dennoch furchtbar lachen.
Viggo und Chad waren unterdessen auch von unserem Gerede geweckt worden. "Gut geschlafen?", erkundigte sich Viggo mit verschlafener Miene. Er fuhr sich müde durch die Haare.
"Jip", gaben Che und ich fast gleichzeitig zurück.
"Dann ist's ja gut", stellte Chad fest.
"Und ihr?" Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich mich vor Che an die beiden wandte.
"Sehr gut", war Chads Antwort.
"Himmlisch." Viggo klang trotz allem enthusiastisch. Ich glaubte ihm kein Wort. Er hatte gelogen. Doch er war ein guter Lügner. Verstellen konnte er sich zumindest so perfekt, dass es Che nicht auffiel. Oder dieser wollte es gar nicht bemerken.
Doch jetzt sollten wir erstmal frühstücken. Wir putzen uns die Zähne. Das Wasser vom VW-Bus schmeckte wirklich ganz anders als das übliche Leitungswasser. Es roch angenehm nach Kaffee, der gerade gebrüht wurde. Ich ließ mich in Schlafanzughose an den Tisch draußen nieder. Hier kam eh keiner vorbei. Wir saßen ohnehin alle oberkörperfrei hier rum. Würde ich sonst nie machen. Ein Traum für jedes Mädchen. Zumindest was Che, Chad und Viggo anging. Da gab es wenigstens, was zu sehen. Durchtrainierte Menschen, die nicht aufwändig ins Fitnessstudio gehen. Wer hätte das gedacht?
"Wollt ihr?" Viggo goss uns Kaffee in einen Pappbecher. Wir tranken und aßen Brot mit Erdnussbutter dazu. Chads Lieblingsessen. Ich glaube, wir verharrten so endlos.
Als wir aufstanden, war ich schon kein bisschen mehr müde. Es fühlte sich so an, als würde ständig eine riesige Masse an Adrenalin durch meinen Körper sausen und alles durcheinander würfeln.
"Wir brechen dann mal wieder auf", meinte Chad.
"Wir auch", stellte Che fest.
"Wohin geht es denn bei euch?"
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